Der Hebammenberuf ist existenziell bedroht. Möglicherweise wird es in wenigen Jahren keine selbstständigen Hebammen mehr geben. Das würde erhebliche gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen. Aber offenbar ist die Wertschätzung für den Beruf gering. Hebammen stehen am unteren Ende der Einkommensskala. Sie tragen hohe Verantwortung für Mutter und Kind, aber sie verdienen gemäß Gebührenordnung deutlich weniger als Handwerksgesellen. Mit diesem Gehalt eine Familie zu ernähren, wäre nur bei einer 60-Stunden-Woche möglich. Auf dem Land kommen lange Fahrten hinzu.
Für die Versicherer lohnt es sich nicht mehr, die Verantwortung einer Hebamme so zu versichern, dass diese sich die Prämie bei der derzeit geringen Bezahlung leisten könnte. Jungen Frauen, die sich aus Überzeugung für Schwangere und Mütter engagieren wollen, wird es deshalb bald nicht mehr möglich sein, in diesen Beruf einzusteigen. Für den freiberuflichen Berufsstart müssten sie vorher sparen oder mit Personen zusammenleben, die sie unterstützen. Einen Kredit für die Ausstattung und die Haftpflichtversicherung würden sie bei einer Bank nicht erhalten. Gleichzeitig werden immer mehr erfahrene Hebammen resigniert aufgeben und sich aus der Freiberuflichkeit verabschieden.
Schwangere und Mütter werden also künftig zunehmend ohne Hebammen klarkommen müssen. Intensive Hebammenbetreuung und Hausgeburten drohen damit zum Luxusgut zu werden, das für die meisten Frauen nicht mehr erreichbar sein wird, insbesondere im ländlichen Raum. Es sei denn, die Betroffenen änderten etwas daran.
Das, was Hebammen heute tun, wird vielleicht in wenigen Jahren zum Aufgabenfeld geburtshilflich spezialisierter Krankenschwestern und ÄrztInnen gehören. Unter anderem in vielen lateinamerikanischen Ländern geht die Entwicklung dahin. Für die Krankenkassen wäre das wahrscheinlich in Ordnung, aber auch teurer und nicht flächendeckend, da einige Regionen mit Pflegepersonal bereits unterversorgt sind.
Versicherer erstatten die Kosten für eine Krankheit oder gegebenenfalls noch den Aufwand, um eine bestimmte Krankheit zu verhindern. Voraussetzungen zu schaffen, damit Menschen sich gesund entwickeln können, gehört aber – wie Bildung und soziale Sicherung – eindeutig zu den Staatsaufgaben. Niemand verlangt deshalb von Krankenkassen, dass sie für einen Normalzustand bezahlen – das heißt für die Abwesenheit von Krankheit. Aus Krankenkassenlogik ist es deshalb sinnvoll, das „Unnormale”, wie zum Beispiel operative Eingriffe, mit lukrativen Sätzen zu honorieren. Es wäre abwegig, in ähnlicher Höhe für die intensive Begleitung einer Schwangeren aufzukommen. Also beispielsweise so viel Geld zur Verfügung zu stellen, dass eine Eins-zu-eins-Betreuung dazu führen kann, dass operative Eingriffe vermieden werden können.
Ein Kaiserschnitt erwirtschaftet für die Institutionen, die ihn durchführen, einen Betrag, der sich betriebswirtschaftlich lohnt. Eine Geburt ohne Krankheitsintervention wäre dagegen für sie ein Verlustgeschäft, das höchstens aus Image- und Werbegründen interessant sein könnte. Daher steigen die Kaiserschnittraten und die Zahl der Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), während die Normalität in der Geburtshilfe abnimmt.
Kleine, ländlich gelegene geburtshilfliche Abteilungen im Belegsystem schließen – die Wege der Frauen zu den Großzentren der Geburtsmedizin werden weiter. Nebenbei stirbt auch die Hausgeburtshilfe. Wenn die Hebammen aus diesen Gebieten ihren Beruf aufgeben, haben alle Frauen in der Umgebung ein Problem mit der Begleitung und Versorgung im Wochenbett. Der Aufwand und die Risiken im Bemühen um Normalität sind zu groß und die Erträge zu klein.
Die Gesundheitswirtschaft wird auch ohne Hebammen blühen und gedeihen. Vielleicht sogar besser. Denn Hebammen wirken für diesen Industriezweig ökonomisch kontraproduktiv. Als einzige Berufsgruppe im Gesundheitswesen ist ihre Kernaufgabe, die Notwendigkeit für vermeidbare Krankheitsleistungen zu senken.
Die Qualität von Hebammenleistung kann in Studien daran gemessen werden, dass
- Schwangere beziehungsweise Mutter über Stärkung von Selbstvertrauen, Selbstwert, Selbstsicherheit und Handlungskompetenz berichten
- die Kosten für Krankheitsbehandlungen sinken, weil der Bedarf danach abnimmt.
Wenn eine Hebamme optimal und rechtzeitig tätig werden kann, sollte es zu weniger Krankheitsinterventionen kommen, wie unter anderem Frühgeburtlichkeit und Interventionen im Verlauf der Geburt. Ferner sollte die Nachfrage der Schwangeren oder Mütter nach unnötigen Leistungen im Gesundheitsmarkt sinken.
Die Aufgaben der Hebammen gehen deshalb weit über Leistungen hinaus, bestimmte Krankheiten früh zu erkennen und zu vermeiden. Hebammen fördern gesunde körperliche und psychische Funktionen – unabhängig davon, dass sie natürlich auch krankheitspräventiv wirken. Sie stabilisieren familiäre Beziehungen, insbesondere die zwischen Mutter und Kind. Sie stärken einen Schutzraum, in dem Entwicklung möglich ist. Sie helfen dabei, eine schwierige Situation zu verstehen, fördern Handlungskompetenz und Selbstmanagement und erweitern die Räume, in denen gehandelt werden kann. Sie unterstützen gesundes Wachstum im Sinne der Salutogenese. Und darüber hinaus befähigen sie Frauen in aufgewühlten, gefährdeten und riskanten Situationen, wieder in eine ruhige Stabilität zurückzufinden. Sie fördern die Resilienz. Weil aber Hebammentätigkeit für die Krankheitsvermarktung unnötig ist, wird sie belächelt. Wird sie auch deshalb nicht ernst genommen, weil sie in erster Linie ein Beruf von Frauen für Frauen ist? Die Entscheidungsträger, die eine Abschaffung des Hebammenberufes betreiben, denken wirtschaftlich sehr kurzfristig. Gesundheitskosten im Erwachsenalter hängen davon ab, wie die Schwangerschaft, die Geburt und die erste Lebensperiode verlaufen sind. Das haben viele Studien belegt. Je früher Hebammen tätig werden, desto größer sind die Chancen, dass sich ein Kind nachhaltig gesund entwickeln kann. Hebammen sorgen für den notwendigen Rahmen sozialer, familiärer und gesundheitsbezogener Unterstützung in einem Netzwerk. Sie helfen, einen Schutzraum zu bilden, in dem ein Kind geboren werden und gesund aufwachsen kann. Gerade unter betriebswirtschaftlichen Aspekten lohnt es sich deshalb für die Gesellschaft als Ganzes, die wichtigste menschliche Lebensphase zu stabilisieren. Es erspart uns später viele Tagessätze für Krankenhaus- und vielleicht auch Gefängnisaufenthalte.
Es macht wenig Sinn, Hebammen weiterhin – mehr schlecht als recht – aus Krankenkassenmitteln zu bezahlen. Damit würde nur der Trend verstärkt, ausschließlich Leistungen zu erstatten, die sich auf Krankheit oder Krankheitsvermeidung beziehen. Das reicht kaum zum Existenzminimum und verhindert Hebammentätigkeit, die über Krankheitsprävention hinaus wirkt.
Wegen der grundlegenden Bedeutung für gesundes gesellschaftliches Wachstum könnte Hebammenarbeit beispielsweise im Rahmen einer staatlichen Daseinsfürsorge gesichert werden. In Rahmen eines Zukunftsfonds, dessen Ziel es wäre, Schwangere, Mütter, Väter und Kinder wirksam zu schützen.
Bleibt es bei dem Trend zur schleichenden Abschaffung des Hebammenberufes, hätte das fatale Folgen. Nicht nur auf langfristige gesellschaftliche Sicht, sondern auch unmittelbar und kurzfristig für die betroffenen Familien. Darin liegt eine Chance: Frauen und Männer können sich wehren. Sie können mit den Füßen abstimmen und sich dorthin wenden, wo sie noch gut betreut werden. Geburtshäuser sind durch die Wahl der Frauen entstanden und unterstützt worden. Diese Nachfrage der Frauen hat indirekt zu einer Veränderung der Geburtshilfe auch in den Kliniken geführt, die damit ihre Klientel zurückgewinnen konnten.
Werdende Eltern sollten dort ihr Kind bekommen, wo es die besten Startmöglichkeiten ins Leben hat – durch ausreichende Betreuungszeit einer Hebamme. Und diese können sie von den Kliniken einfordern.