Petra Huckemeyer, Stellvertretende Leiterin der Justizvollzugsanstalt (JVA) für Frauen, Vechta: »Wir sind froh, wenn sich eine Hebamme bereit erklärt, die inhaftierten Frauen in der JVA aufzusuchen und zu betreuen.«
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Peggy Seehafer: Wie viele Frauengefängnisse gibt es in Deutschland? Und wo befinden diese sich?
Petra Huckemeyer: In Deutschland sind in jedem – bis auf einem – Bundesland Frauen inhaftiert. Der Strafvollzug ist seit 2006 Länderangelegenheit und wird daher nicht einheitlich gehandhabt. Nur im Saarland gibt es keinen Frauenvollzug. Die dort straffällig gewordenen Frauen verbüßen ihre Haftstrafe im Bundesland Rheinland-Pfalz.
Peggy Seehafer: Sind Männer und Frauen immer getrennt oder gibt es auch gemischte Gefängnisse mit getrennten Häusern?
Petra Huckemeyer: Es gibt auch noch »gemischte« Gefängnisse. In sieben von 16 Bundesländern gibt es selbstständige Frauenhaftanstalten mit eigener Leitung und Verwaltung: Berlin, Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Sachsen und Niedersachsen.
Peggy Seehafer: Wie viele Frauen sind in deutschen Gefängnissen inhaftiert? Wie viele Schwangere sind jährlich in deutschen Justizvollzugsanstalten (JVA) untergebracht?
Petra Huckemeyer: Laut Stichtagserhebung vom 31. August 2016 waren von 63.100 Inhaftierten »nur« 3.690 Frauen, so das statistische Bundesamt. Die Zahl der Schwangeren variiert und wird leider statistisch nicht erhoben.
Peggy Seehafer: Reden wir über 10 Frauen im Jahr oder 200 – oder mehr? Großbritannien geht von 4.000 weiblichen Insassinnen aus, von denen, wie in der Normalbevölkerung, 6 % schwanger sind – somit gebe es also circa 240 Schwangere.
Petra Huckemeyer: Es sind schätzungsweise jährlich zwischen 15 und 20 schwangere Frauen in unserer Einrichtung in Haft, die aber nicht alle während dieser Zeit gebären.
Peggy Seehafer: Wie lang ist der kürzeste Aufenthalt, zu dem eine Schwangere frisch verurteilt werden würde? Im Vereinigten Königreich gibt es auch achtwöchige Haftstrafen, die dann genau in die Zeit um die Geburt oder in die Stillzeit fielen. Würde das in Deutschland zugunsten der Mutter-Kind-Beziehung vermieden oder verschoben werden?
Petra Huckemeyer: Da die Straftat ausschlaggebend für die Haftlänge ist, kann diese natürlich zwischen wenigen Tagen Ersatzfreiheitsstrafe (abzusitzende Geldstrafe) bis hin zu lebenslänglich ausfallen. Allerdings wird ein Haftantritt kurz vor der Geburt oft vermieden und die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde gewährt solchen Frauen häufig einen Haftaufschub, der sich in seiner Länge am Einzelfall orientiert.
Peggy Seehafer: Wie groß ist der Anteil an Schwangeren, die ihre Kinder aufgrund ihrer Drogen- oder Alkoholsucht oder ihrer Haftursachen eher nicht bei sich behalten dürfen?
Petra Huckemeyer: Hier können wir die Anzahl nur schätzen. Ich würde von 15 bis 20 % ausgehen.
Peggy Seehafer: Gibt es ein Gesetz, dass Kleinstkinder mit der Mutter in der JVA leben können, oder wonach entscheidet sich das?
Petra Huckemeyer: Im jeweiligen Strafvollzugsgesetz eines Landes wird die Mutter-Kind-Unterbringung geregelt. Von 16 haben nur 7 Bundesländer eine solche Unterbringungsmöglichkeit. Sie arbeiten auch nach sehr unterschiedlichen Konzepten.
In drei Bundesländern liegt eine Betriebserlaubnis für eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung vor, so in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.
In den meisten Einrichtungen wird nicht nach der Art der Verbrechen unterschieden. Das zuständige Jugendamt prüft, ob die gemeinsame Unterbringung des Kindes bei der Mutter dem Kindeswohl dient und befürwortet dies oder lehnt es ab. Ausschlaggebend kann allenfalls das Alter sein, da die Kinder im geschlossenen Vollzug das dritte Lebensjahr nicht überschreiten sollten und im offenen Vollzug nur bis zur Schulpflicht bei den Müttern bleiben können.
Dies wird vor der Aufnahme geprüft, damit es nicht später zu einer Trennung kommen muss.
Peggy Seehafer: Dürfen die Frauen in der JVA stillen?
Petra Huckemeyer: Wenn die Mütter gemeinsam mit ihren Kindern untergebracht werden, können sie natürlich auch ihre Kinder stillen.
Peggy Seehafer: Wer bestimmt dann darüber, ob eine schwangere Insassin oder eine Wöchnerin Zugang zu Hebammenleistungen erhält und wer bezahlt die Leistungen an die Hebamme?
Petra Huckemeyer: Die inhaftierten Frauen habe Anspruch auf eine freie Heilfürsorge durch die JVA. Der Anstaltsarzt überweist an einen Gynäkologen oder eine Gynäkologin und kann auch die gesetzliche Hebammenbetreuung verordnen. Die Kosten trägt die JVA und diese orientiert sich an den kassenärztlichen Vereinbarungen.
Peggy Seehafer: Gehen alle Insassinnen zur Geburt in eine normale Geburtsklinik oder in ein Haftkrankenhaus? Oder kommen Hebammen für eine Geburt in die JVA?
Petra Huckemeyer: Die Frauen gebären in öffentlichen Krankenhäusern oder eigenen Vollzugskrankenhäusern. Je nach Art der Haft und Delikt kann es vorkommen, dass sie von weiblichen Bediensteten begleitet werden.
Im offenen Vollzug selbstverständlich nicht, dort können die Väter oder Familienangehörigen die Frauen begleiten.
Peggy Seehafer: Wann wird die Frau nach der Geburt in die JVA zurückverlegt? Vier Stunden nachdem das Kind auf der Welt ist, wie bei einer ambulanten Geburt?
Petra Huckemeyer: Über die Verweildauer nach der Geburt entscheiden die behandelnden Ärzte und Ärztinnen der jeweiligen Krankenhäuser.
Peggy Seehafer: Muss die Hebamme, die für eine JVA tätig werden möchte, irgendwelche Zusatzqualifikationen oder Zertifikate mitbringen, damit sie für die Arbeit zugelassen wird?
Petra Huckemeyer: Diese Frage wird wohl je nach Bundesland zu beantworten sein. Wir arbeiten mit den ortsansässigen Hebammen zusammen und sind froh, wenn sich eine Hebamme bereit erklärt, die inhaftierten Frauen hier aufzusuchen und zu betreuen.