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Die Sprache ist das kulturelle Werkzeug, mit dem Menschen kommunizieren (Malzahn, 2020). Mit der Sprache werden die Haltungen, Einstellungen und Überzeugungen einer Gesellschaft transportiert. Mit Sprache wird aber auch Wirklichkeit hergestellt und beim Empfänger oder der Empfängerin werden Emotionen ausgelöst (Rummer & Engelkamp, 2000). In diesem Bewusstsein suchen Hebammen in ihrer Arbeit zunehmend andere Worte für tradierte, aber wertende oder gewaltvolle Begriffe wie »Presswehen«, »Milcheinschuss«, »Blasensprengung« und »Austreibungsphase«. Eine achtsame Sprache gegenüber werdenden Eltern und Familien soll Ängsten und negativen Bewertungen entgegenwirken und Vertrauen auf ihre Fähigkeiten vermitteln.
Im Zuge der Gender-Debatte und um eine Offenheit gegenüber trans*, queeren/non-binären oder intergeschlechtlichen Personen zu signalisieren, werden im professionellen Dialog an Hochschulen zunehmend die Worte Frau und Mutter vermieden und stattdessen geschlechterneutrale Formulierungen wie »Personen mit Uterus«, »schwangere/gebärende Personen« oder »Eltern im Wochenbett« verwendet. Eine solche geschlechterneutrale Sprache wird oft missverständlich als »gender-« oder »geschlechtergerecht« oder »geschlechtersensibel« angesehen. Eine geschlechtergerechte Sprache zielt jedoch auf eine sprachliche Sichtbarmachung aller Geschlechter ab und beinhaltet nicht automatisch die Neutralisierung aller Bezugnahmen auf das biologische oder soziale Geschlecht.
Hier setzt die Diskussion mit hohem internationalem Interesse innerhalb der Hebammenwissenschaft an (Gribble et al., 2022). Hauptargument gegen eine geschlechterneutrale Sprache ist die Befürchtung, dass schwangere und gebärende Frauen, Mütter und ihre Neugeborenen sprachlich nicht mehr benannt und so in ihrer Schutzwürdigkeit unsichtbar werden. Dazu gehören auch Mädchen, die aufgrund ihres weiblichen Geschlechts eine vulnerable Personengruppe mit eigenen Bedürfnissen in der Gesundheitsversorgung darstellen und deshalb unter besonderem Schutz der Vereinten Nationen stehen (Artikel 25 »motherhood and childhood are entitled to special care and assistance«, United Nations, 1948). So ist doch aus der Linguistik bekannt, dass nur das, was sprachlich benannt wird, sichtbar ist und was nicht benannt wird, auch nicht existent ist und verborgen bleibt (Breit, 2018).
Das Geschlecht (engl. sex) ist ein genetisch, anatomisch und hormonell geformtes, individuelles Merkmal eines Menschen mit eigenen psychischen und sozialen Erscheinungsformen (Hiort, 2021). Dabei ist die Binarität »weiblich« und »männlich« konstituierend für die geschlechtliche Fortpflanzung – ein Grundprinzip in der Natur, das evolutionsgeschichtlich einen Vorteil gegenüber der ungeschlechtlichen Vermehrung bot (Voland & Jochow, 2012).
Mit der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle und der Kombination der Geschlechtschromosomen wird das chromosomale Geschlecht des Embryos festgelegt. In der Embryonalentwicklung differenzieren sich ab der sechsten Woche die zunächst indifferenten Gonaden und Genitalien des Embryos. Sie nehmen nach und nach männliche oder weibliche Merkmale an, ausgelöst durch eine komplexe Interaktion von vielen unterschiedlichen Genen und initiiert durch das »SRY«-Gen (sex-determining region Y) auf dem Y-Chromosom (Richter-Kuhlmann, 2015). Die Geschlechtsentwicklung kann auf chromosomaler, gonadaler und/oder anatomischer Ebene untypisch verlaufen; man spricht von Varianten der Geschlechtsentwicklung (Intergeschlechtlichkeit, Variationen der körpergeschlechtlichen Merkmale) (Richter-Kuhlmann, 2015).
Nur bei einem Teil intergeschlechtlicher Menschen sind bei der Geburt Abweichungen in den äußerlich sichtbaren Genitalien vorhanden – man geht von etwa 150 Neugeborenen pro Jahr in Deutschland aus. Bei anderen wirken sich die Abweichungen erst in der Pubertät aus oder werden zeitlebens nicht entdeckt (Richter-Kuhlmann, 2015). Die Gesamthäufigkeit von Varianten der Geschlechtsentwicklung oder des urogenitalen Systems liegt zwischen 0,018 % und 3,8 % aller Geburten (Hauck et al., 2019). Intergeschlechtlichkeit ist kein »drittes Geschlecht«, sondern eine individuelle Ausprägung von weiblichen und männlichen Anteilen (Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, 2022).
Die Geschlechtsidentität (engl. gender) bezeichnet die innere Wahrnehmung und das Gefühl zum eigenen Geschlecht und dessen sozialer und kultureller Dimension. Sie ist ein Resultat des Zusammenwirkens von Anlage und Umwelt, also Biologie und Kultur. Zum einen sind dabei hormonelle Einflüsse wirksam, die von der Embryonalentwicklung bis zur Pubertät die Aktivität von Genen aktivieren oder hemmen (Voland & Jochow, 2012). Zum anderen entwickelt ein Säugling durch körperlich-genitale Empfindungen ein Bewusstsein der eigenen sexuellen Körperlichkeit. Nicht zuletzt vermitteln Eltern natürlicherweise ihrem Kind über bewusste und unbewusste verbale und körpersprachliche Interaktionen automatisch Erwartungen an die Geschlechtsidentität und Geschlechtsrolle (Beier, 2012). Die Kategorien weiblich und männlich mit den sich daraus ergebenden Stereotypien und Rollenzuschreibungen sind hierbei weltweit anzutreffen. Beim Kind setzen durch diese prägenden Erfahrungen Identifizierungs- und Ablehnungsprozesse ein und bereits im Alter von etwa 18 Monaten hat eine Person eine Vorstellung davon, zu welchem Geschlecht beziehungsweise zu welcher Geschlechtsrolle sie sich zugehörig fühlt. Das ist psychologisch betrachtet ein instinktiver, orientierungsgebender und identitätsstiftender Prozess (Beier, 2012).
In den allermeisten Fällen fühlt sich der Mensch im Einklang mit dem Geschlecht. Ist das nicht so, spricht man von Genderinkongruenz. Personen bezeichnen sich selbst als Transgender, transident, transgeschlechtlich, Trans* oder einfach trans (als Adjektiv) (Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V., 2019). Das Trans*-Spektrum beinhaltet auch Personen, die sich nicht als Mann oder Frau verstehen, sondern als etwas anderes (transgender, genderqueer, genderfluide, nonbinär, agender) (Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V., 2019; Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, 2022). Die Geschlechtsidentität kann eine Person jeweils nur selbst angeben (Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, 2022).
Das Gefühl der Fremdheit zum eigenen Körper kann einen Leidensdruck verursachen, man spricht dann von Geschlechtsdysphorie. Schätzungen gehen davon aus, dass 5 bis 14 von 10.000 geburtsgeschlechtliche Männer (0,005 bis 0,014 %) und 2 bis 3 von 10.000 geburtsgeschlechtliche Frauen (0,002 bis 0,003 %) eine Geschlechtsdysphorie entwickeln (Brown, 2019).
Seit einigen Jahren geben mehr junge Leute an, trans* zu sein. In einer Umfrage unter Studierenden (n=131,901) in den USA waren es 1,8 % (Johns, 2019). Diese übermäßige Zunahme an Trans*-Selbstbezeichnungen, vor allem bei Mädchen, wird als ein Zeitgeistphänomen angesehen (Korte, 2022). Mit der sexuellen Orientierung, also der Frage, zu welchen Personen man sich sexuell oder romantisch hingezogen fühlt (hetero-, homo-, pan- oder bisexuell), steht die Geschlechtsidentität in keinem Zusammenhang.
Eine besondere gesellschaftliche Aufmerksamkeit in Deutschland erlangten die Bedürfnisse von Trans*-Personen durch die theoretische soziologische Queer-Strömung, die auf die US-amerikanische feministische Philosophin Judith Butler zurückgeht (Bundeszentrale für politische Bildung, 2018). Die Queer-Theorie sieht die Normen-bildende Dichotomie des männlichen und weiblichen sozialen Geschlechts (Gender) in der Gesellschaft aus Perspektive des sozialen Konstruktivismus als Ausgangspunkt jeder Diskriminierung, Pathologisierung und Ausgrenzung aller Personen in der Gesellschaft an, die dieser Dichotomie nicht entsprechen. Daher müsse die »heteronormative Zweigeschlechtlichkeit« gesellschaftlich überwunden werden (Bundeszentrale für politische Bildung, 2018).
Eltern von Kindern, deren Geschlechtsmerkmale bei der Geburt nicht eindeutig weiblich oder männlich sind, können seit 2018 im Personenstandsregister den Eintrag »divers« oder »unbekannt« wählen, um ihrem Kind ein Leben nach dem eigenen geschlechtlichen Selbstverständnis zu ermöglichen (»dritte Option«, Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18. Dezember 2018 – BGBl. I Seite 2635). Die medizinische Beratung sollte achtsam und individuell erfolgen, geschlechtsangleichende operative Eingriffe sind aufgrund der langfristigen Folgen für die Persönlichkeit des Kindes seit 2021 gesetzlich geregelt und nur unter besonderen Bedingungen zulässig (Bundesgesetzblatt, 2021).
Junge Menschen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren, erleben vielfältige Stigmatisierung, Diskriminierung und sind Zielscheibe von Angriffen. Diese Erfahrungen prägen ein negatives Selbstbild und tragen zur Entwicklung von Ängsten oder Depressionen bei. Nicht selten kommt es zum Schulabbruch, zu ökonomischer Ausgrenzung bis hin zu Arbeitslosigkeit (Falkai & Wittchen, 2015). Trans* Jugendliche in Deutschland erleben durch das soziale Umfeld in Schule und Studium Verbesonderung und Ausschluss, fehlende Akzeptanz und geschlechtsbezogene Anerkennung sowie Vorurteile (Deutsches Jugendinstitut, 2023).
Im Zuge der Geschlechtsdysphorie kann der Wunsch nach hormoneller und/oder chirurgischer Behandlung bestehen, um den eigenen Körper dem subjektiv empfundenen Geschlecht so weit wie möglich anzugleichen (Transition). Trans* Personen erleben im Gesundheitssystem laut der S3-Leitlinie »Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung« oft »unnötige oder aufdringliche Befragungen, Vorurteile bei Behandelnden und einen restriktiven Zugang zur Behandlung« (Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V., 2019, S. 12). Dies kann zusätzlich zu den Alltagsbelastungen durch Trans*-Negativität und Trans*-Feindlichkeit im sozialen Umfeld weitere psychische Probleme verursachen. In Deutschland fehlt es an ausgebildetem und klinisch erfahrenem Personal, insbesondere zu den therapeutischen Maßnahmen, um die Transition auch körperlich zu vollziehen (Guethlein et al., 2021).
In Deutschland bestanden lange Zeit große Hürden zur Änderung des Geschlechtseintrags. Dies war nur nach psychiatrischer Beurteilung möglich. Abhilfe schaffen soll das neue Selbstbestimmungsgesetz, das im August 2023 verabschiedet wurde. Nun kann der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister unkompliziert auf eigenen Antrag geändert werden (Bundesministerium für Frauen, Familie, Senioren und Jugend, 2022). In mehreren europäischen Ländern, wie Norwegen, Belgien, Frankreich, Schweiz und Finnland existieren bereits solche vereinfachten Regelungen.
Der S3-Leitlinie zufolge nehmen Trans*Personen tendenziell häufiger Leistungen des Gesundheitssystems in Anspruch, misstrauen diesem aber gleichzeitig (Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V., 2019). Tabuisierung und Stigmatisierung gehen mit besonderen gesundheitlichen Risiken einher, wenn Beschwerden aus Scham verschwiegen oder aus Angst keine Hilfe gesucht wird – dadurch können Behandlungen ausbleiben oder zu spät erfolgen (Morgan, 2022). Sind weitere Stressoren, wie wirtschaftliche Schwierigkeiten, körperliche oder geistige Behinderung, geringe Bildung oder Migrationserfahrung vorhanden, verstärkt dies den psychischen Stress (Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V., 2019). Hilfreich ist ein guter Kontakt zur Trans*-Community, solche negativen gesundheitliche Folgen abzumildern (Sherman et al., 2020). Trans* Personen wünschen sich eine individuelle, respektvolle, zugewandte, menschenrechtsbasierte Gesundheitsversorgung (Hamm & Sauer, 2014).
Im Jahr 2021 empfahl der Rat für deutsche Rechtschreibung, dass allen Menschen mit einer geschlechtergerechten Sprache begegnet werden soll, und bezeichnete dies als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Spezifische Regelungen zur Umsetzung wurden jedoch nicht empfohlen (Rat für Deutsche Rechtschreibung, 2021). Grundsätzlich kann dies verwirklicht werden durch Neutralisierung, durch geschlechterneutrale Formulierungen wie etwa Person, Mensch, Mitglied, Leute, Eltern, Vertretung, sowie durch Sichtbarmachung von Geschlecht, durch die Nennung des männlichen und der weiblichen Form, wobei Neutralisierung für Kontexte empfohlen ist, in denen Rollen, Funktionen oder eine Gruppenzugehörigkeit im Vordergrund stehen (Ivanov et al., 2018). Diese Sprachregelungen sollen Inklusion gewährleisten, um für Personen, die in der Gesellschaft besonders von systematischer Benachteiligung betroffen sind, gleiche Chancen und Möglichkeiten in den Bereichen Arbeit, Bildung und öffentlichen Dienstleistungen sicher zu stellen. Im Zuge der Bemühungen der sprachlichen Inklusion von trans* Personen in der Frauengesundheitsversorgung haben in den vergangenen Jahren in englischsprachigen Ländern viele Organisationen und Institutionen die Worte »Frau«, »schwangere Frau«, »Mutter«, »stillende Frau« oder »Muttermilch« durch Begriffe ohne Geschlechtsbezug ersetzt (engl. »desexed language«), wie etwa »persons with cervix/uterus«, »pregnant persons«, »bearing persons«, »breastfeeders«, »lactating families«, »chestmilk« (Gribble et al., 2022).
Ziel einer solchen geschlechterneutralen Sprache soll die Demonstration des generellen Respekts gegenüber der Vielfalt an Geschlechtsidentitäten sein, Freundlichkeit ausdrücken und Spannungen vermeiden (Bartick et al., 2021). Es zeigt sich jedoch, dass in der Hebammenarbeit diese sprachliche Achtsamkeit dazu führt, dass Frauen und Mädchen nicht mehr genannt und damit in ihrer besonderen Vulnerabilität und Schutzwürdigkeit unsichtbar werden, was dazu führt, dass deren besondere Bedürfnisse aus dem Blickfeld geraten (Gribble et al., 2022). Im Folgenden werden diese Auswirkungen näher erläutert.
Hebammen stärken die Autonomie und Selbstbestimmung der von ihnen betreuten Frauen und beachten dabei deren individuelle Lebenssituation und Lebenserfahrungen (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, 2023, Anlage 1, Kompetenzbereich III, Absatz 1). Es ist ein wesentlicher Teil der interkulturellen Kompetenz von Hebammen, Sensibilität und Respekt gegenüber Personen jeglicher Geschlechtsidentität sowie sexuellen Orientierung zu zeigen. Um trans* Personen als Hebammen adäquat beraten, betreuen und begleiten zu können und trans* Männern eine positive Schwangerschafts- und Geburtserfahrung zu ermöglichen (Hoffkling et al., 2017), benötigen Hebammen Fachwissen zur Gestaltung einer bedürfnisorientierten Begleitung (Ayerle & Mattern, 2018). Gemäß der S3-Leitlinie gehört dazu, dass Hebammen sich mit geschlechtlicher Vielfalt und geschlechtlicher Selbstbestimmung auseinandergesetzt und hierbei auch die eigene geschlechtsbezogene Entwicklung und das Verhältnis zu ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen kritisch reflektiert haben. Die Selbstreflexion sollte »den Umgang mit der Verwirrung einschließen, die der Widerspruch zwischen eigener Wahrnehmung und Selbstdarstellung bzw. Selbstbeschreibung der Behandlungssuchenden hinsichtlich des Geschlechts auslösen kann« (Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V., 2019, S. 16). Auch die Kenntnis von Modellen sexueller Entwicklung, von Standards der Beratung, das Vertrautsein mit Konzepten affirmativer Beratung und achtsamer Wortwahl ist erforderlich (Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V., 2019, S. 37). Die Befähigung dazu sollte in den Curricula hebammenwissenschaftlicher Studiengänge als fester Bestandteil von Beginn des Studiums an entwickelt werden.
Ein großer Bedarf besteht an partizipativer Forschung unter Beteiligung von trans* Personen (Veale et al., 2022), um die spezifischen Betreuungssituationen sicherer und unterstützender zu gestalten. Zentrale Frage muss dabei sein, welche Bedürfnisse und Wünsche trans* Personen an die Hebammenbetreuung haben. Hierbei ist auch der Aspekt der zugeschnittenen Ansprache wichtig, etwa die Frage nach dem gewünschten Namen, dem Pronomen und dem eventuellen Wunsch nach Vermeidung von weiblichen Bezeichnungen von Körperteilen, wie zum Beispiel Gebärmutter, Muttermund, Muttermilch (Alpert et al., 2021). In diesem Fall macht eine geschlechterneutrale Sprache dann tatsächlich Sinn.
Im inter- und intraprofessionellen Dialog in der Hebammenwissenschaft sollten bei der Verwendung geschlechterneutraler Begriffe im Zusammenhang mit der reproduktiven Gesundheit von Frauen oder Mädchen die oben diskutierten negativen Folgen bedacht werden (Gribble et al., 2022). Das bedeutsamste Argument gegen eine geschlechterneutrale Sprache in der Hebammenarbeit ist dabei der Verlust der sprachlichen und damit auch gesellschaftlichen Sichtbarkeit der geschlechtsspezifischen Vulnerabilität von Frauen und Mädchen. Hebammen sollten daher ihren geschlechtsbezogenen Sprachgebrauch gemäß dem jeweiligen Anlass und Kontext sorgfältig differenzieren. Sollten gesundheitsbezogenen Aspekte von Personen mit einem bestimmten biologischen Geschlecht gemeint sein, egal ob Frauen oder Männer, sollte auch von Frauen und Männern gesprochen werden.
In der professionellen Kommunikation – etwa in der Aus-, Fort- und Weiterbildung – über inhärent weibliche Prozesse und Zustände, wie etwa über physiologische Prozesse im Verlauf von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett und Stillzeit, sollte weiterhin von »Frauen«, »Müttern« und »Mädchen« gesprochen werden, um gemäß der Public Health Ethik deren Sichtbarkeit zu erhalten. Dabei muss jedoch immer bedacht und angesprochen werden, welche Besonderheiten bei trans* Personen gegeben sein könnten.
Im Falle von gesundheits- oder versorgungsbezogenen Besonderheiten von trans* Personen sollte die Geschlechtsidentität und das biologische Geschlecht sprachlich auseinandergehalten werden, um spezielle Bedarfe nicht zu übersehen – wie etwa nach einem Zervixabstrich zur Krebsvorsorge bei Trans*männern.
Ziel ist eine sensible und umsichtige situationsspezifische Entscheidung darüber, ob eine geschlechtsspezifische Wortwahl oder Begriffe ohne Geschlechtsbezug gewählt werden und keine durchweg geschlechterneutrale Sprache. Denn die Wahl der Sprache tangiert immer auch die unveräußerlichen Menschenrechte von Frauen und Kindern.
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