Sechs Bewohner:innen mit Down-Syndrom lebten über 35 Jahre in Normansfield, der älteste wurde 59 Jahre alt. In Zeiten von Scharlach-Epidemien und Tuberkulose mit den damals nur begrenzten Therapiemöglichkeiten zeigt sich hier der hohe Standard der Einrichtung in Pflege und Versorgung.
Die Bewohnerin Mary Arnott lebte fast 40 Jahre zuerst in Earlswood, später in Normansfield (siehe Fotos). Langdon-Down schrieb über sie in seinen Aufzeichnungen: »She is extremely obstinate, will not walk beyond the grounds and this obstinacy is most marked at the period antecedent to her catamenia [Menstruation]. She can write a letter and play some tunes from memory on the piano. She is affectionate and when she is free from ill temper, is witty and cheerful.« – »Sie ist äußerst eigensinnig, will das Gelände nicht verlassen und diese Hartnäckigkeit ist in der Zeit vor ihrer Menstruation am deutlichsten ausgeprägt. Sie kann einen Brief schreiben und einige Melodien auswendig auf dem Klavier spielen. Sie ist anhänglich und, wenn sie nicht schlecht gelaunt ist, witzig und fröhlich.« (Medical Casebook Normansfield ab 1868, Auszüge in: Ward, 1998).
Die Sichtweise Langdon-Downs auf seine Patient:innen der »großen mongolischen Familie« (in seiner Eigenschaft als Arzt und Wissenschaftler betrachtete er die Bewohner:innen auch als Patient:innen) stellt sich auch eindrucksvoll in seinen Fotografien dar, die er von ihnen fertigte. Langdon-Down hatte sich begeistert die erst einige Jahre existierende – und noch sehr aufwendige – Technik der Fotografie zu eigen gemacht und nutzte sie auch für seine Arbeit. Damit war er auch ein Pionier auf dem Gebiet der klinischen Fotografie. Die Aufnahmen seiner Bewohner:innen mit Down-Syndrom lassen die ihnen vom Fotografen zuerkannte Persönlichkeit und Menschenwürde erkennen. Sie stehen in krassem Gegensatz zu den klinischen Fotografien späterer Ärzte zur »mongoloiden Idiotie«, die eine rein defektorientierte Betrachtungsweise auf die Menschen mit Down-Syndrom offenbaren.
Langdon-Down als Wissenschaftler
Langdon-Downs literarisches Werk ist nicht sehr umfassend, ab 1887 hat er nichts mehr veröffentlicht, was häufig mit Bedauern angemerkt wurde. Seine Bibliografie umfasst 28 Titel (zusammengestellt von Norbert Pies, 1996), darunter auch jene ethnische Klassifizierung von »Schwachsinnigen«, in der er die Menschen mit dem später nach ihm benannten Syndrom beschreibt (»Observations of an ethnic classification of idiots«, 1866). Diese Publikation brachte ihm – zu Unrecht – bis heute den Ruf eines Verfechters atavistischer Theorien ein (siehe Kasten).
Die Fähigkeit, geistige Behinderungen verschiedener Ursache voneinander abzugrenzen, wurde erst durch die Trennung der sogenannten »Idioten« (Menschen mit einer geistigen Behinderung) von den damals sogenannten »Irren« (Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung) möglich. Langdon-Down unternahm einen weiteren Schritt, indem er am Earlswood Asylum versuchte, geeignete Lerngruppen aus Bewohner:innen mit etwa gleichen Fähigkeiten zusammenzustellen, um optimale Voraussetzungen für eine Förderung zu schaffen. Dadurch war es ihm überhaupt erst möglich, die sich äußerlich ähnelnden Personen als Gruppe mit derselben Art der Behinderung zu identifizieren.
Mit Hilfe einer großen Datensammlung über die Earlswood-Bewohner:innen sowie über Patient:innen der Ambulanz des London-Hospitals stellte Langdon-Down »ethnische Standards« auf, nach denen er die Vielzahl der von ihm betreuten Menschen einteilen konnte (ausführlich in: Weiske, 2008). Darunter auch die »große mongolische Familie«.
Studiert man seine Veröffentlichung hierzu aus dem Jahr 1866, wird deutlich, dass dieses Klassifizierungssystem zu einer möglichst frühen Diagnosestellung dienen sollte, um durch die bereits vorhandenen Kenntnisse über diese »Schwachsinnsform« zeitig eine optimale Förderung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten einleiten zu können. Eine Abwertung der betroffenen Menschen auf eine »niedrigere Stufe« der Evolution, so wie es in der Folgezeit häufig getan wurde, war keinesfalls die Intention Langdon-Downs. So schreibt er in seiner Abhandlung über die Menschen des »mongolian type«: »Es sind Fälle, bei denen sich wohlüberlegte Behandlung lohnt. … Sie verfügen über beträchtliche Nachahmungsfähigkeit, die sogar bis zur Schauspielerei geht. … Diese Fähigkeit zur Nachahmung kann sehr weit gefördert und in eine praktische Richtung gelenkt werden. Sie sind gewöhnlich fähig zu sprechen; die Sprache ist heiser und undeutlich, kann aber durch einen guten Übungsplan für Zungengymnastik weitgehend verbessert werden. Die Koordinationsfähigkeit ist abnorm, jedoch nicht so geschädigt, dass sie nicht wesentlich gekräftigt werden könnte. Durch systematische Übung kann beträchtliche manuelle Fertigkeit erreicht werden.« (Langdon-Down, 1866)
Das Klassifizierungssystem war also in erster Linie ein Hilfsmittel, wie es Langdon-Down später selbst formuliert: »Die Klassifizierung ist also eine praktische. Wir sind mit der größtmöglichen Gewissheit in der Lage zu sagen, dass die Mitglieder dieser ethnischen Typen den Ursprung ihres Schwachsinnes aufgrund angeborener Ursachen erwerben.« (Langdon-Down, 1887) Diese Erkenntnis versetzte ihn in die Lage, ein neues Klassifizierungssystem zu präsentieren: die Unterscheidung nach der Ursache einer Behinderung in angeboren, unfall- oder entwicklungsbedingt (ebenfalls 1887).
Langdon-Down verwendete zwar Begriffe wie »mongolian familiy« und »mongolian type«, sprach aber nie von »mongolism« (»Mongolismus«). Dieser Begriff taucht erst bei späteren Autoren auf.
Am 7. Oktober 1896 brach Langdon-Down im Alter von 68 Jahren plötzlich zusammen und starb an Herzversagen. Zwei seiner Söhne (beide Ärzte) führten das Normansfield Training Institute fort. Ein Enkelsohn, geboren 1905, hatte erwiesenermaßen das Down-Syndrom und hieß nach seinem Großvater John (siehe Foto). Er erreichte das hohe Alter von 65 Jahren und lebte bis zu seinem Tod in Normansfield.