John Langdon-Down Foto: privates Archiv John Langdon-Down (Jahr unbekannt)/TOUCHDOWN21, Bonn

Zum Leben und Werk des Namenspatrons des Down-Syndroms: Der Engländer John Langdon-Down wurde als Quereinsteiger zum Leiter eines Heims für Menschen mit Behinderung, bevor er sein eigenes Förderinstitut gründete. Seine wissenschaftliche Forschung und innovativen Trainingskonzepte waren bahnbrechend. 

Über John Langdon-Down ist auch unter Fachleuten der Humangenetik, Gynäkologie, Geburtshilfe und Pädagogik bis heute wenig bekannt. Meistens wird mit ihm lediglich der irreführende Begriff »Mongolismus« verbunden. In der Vergangenheit wurde ihm häufig unterstellt, er hätte in dem von ihm beschriebenen Syndrom »eine angeborene Degeneration auf niedrigerer Stufe der Evolution« gesehen (Bröer, 1996).

Aufschluss über Langdon-Downs tatsächliche Sichtweise auf die Menschen mit dem später nach ihm benannten Syndrom geben nicht nur seine Publikationen, in denen er die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung sowie seine Erfahrungen als Arzt von Menschen mit geistiger Behinderung veröffentlicht hat. Vielmehr noch zeigen Langdon-Downs Konzepte zur Förderung der damals so genannten »Schwachsinnigen«, mit denen er über viele Jahre in zwei verschiedenen Einrichtungen zusammenlebte, seine herausragende Rolle als Begründer und Vorreiter einer sozialen Medizin.

Am 18. November 1828 wurde John Langdon Haydon Down in Torpoint, England, geboren (später stellte er dem Nachnamen seinen mittleren Vornamen voran und nannte sich seitdem John Langdon Haydon Langdon-Down. Er war das siebte und letzte Kind der Eheleute Joseph Almond Down und Hannah Haydon. Der Vater betrieb ein Geschäft als »Kolonialwarenhändler«, war aber – ohne entsprechende Qualifikation – auch als Apotheker tätig.

Nach nur wenigen Jahren Schulbildung fand Langdon-Downs Werdegang in den Arztberuf über verschiedenste Qualifikationen und (Um-)Wege statt, was heute so nicht mehr denkbar wäre (ausführlich in: Weiske, 2008.). Langdon-Down promovierte schließlich 1859 an der Universität zu London zum Doctor of Medicine (MD) und war bis 1890 sowohl als Arzt am London Hospital als auch als Dozent am London Hospital Medical College tätig.

Namentlich nicht bekannte Bewohnerin des Earlswood Asylum, fotografiert von Langdon- Down im Jahr 1865. Sie ist vermutlich die erste jemals fotografierte Person mit Down-Syndrom. Foto: © John Langdon-Down

Heimleiter mit junger Familie

Von 1858 bis 1868 war Langdon-Down Superintendent am »Earlswood Asylum for Idiots« in Earlswood nahe Redhill in Surrey. Seine Bewerbung um die Stelle als ärztlicher Leiter im Jahr 1858 hatte zunächst rein praktische Gründe. Er hatte seine spätere Frau Mary Crellin kennengelernt, jedoch ließen seine bescheidenen finanziellen Verhältnisse eine Heirat nicht zu. So bewarb er sich – ohne jegliche Erfahrung im Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung – um die bezahlte Anstellung am Earlswood Asylum, was zudem den Vorteil mit sich brachte, dass ihm dort auch eine Wohnung für eine künftige Familie zur Verfügung stand.

Das 1847 gegründete Heim unterstand einer Gruppe philanthropisch orientierter Bürger:innen, die Langdon-Down zu einem humanen Führungsstil verpflichteten. Anfang des 19. Jahrhunderts waren Asyle noch meist »Verwahranstalten« gewesen, in denen zum Beispiel Fixierungen der Bewohner:innen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung an der Tagesordnung waren. Therapie oder Förderung gab es so gut wie nicht. Um 1800 hatte die »Irrenheilkunde« überhaupt erst begonnen, sich institutionell vom Strafvollzug und dem Armenasyl zu lösen.

Ohne Einarbeitung oder feste Ansprechpartner hatte er nun rund 300 Bewohner:innen mit geistiger Behinderung medizinisch zu betreuen. Uneingeschränkte Unterstützung erhielt Langdon-Down von seiner Frau, mit der er seit 1860 verheiratet war und die von da an mit ihm zusammen in Earlswood lebte. Sie begann, sich um die Organisation des Heimes mit vielfältigen Aufgaben zu kümmern. Das Ehepaar lebte in engem Kontakt zu den Bewohner:innen. Drei der vier gemeinsamen Kinder wurden in Earlswood geboren.

Mary Langdon-Down, fotografiert von ihrem Mann im Jahr 1865 Foto: privates Archiv John Langdon-Down/ TOUCHDOWN21, Bonn

Reformen und neue Konzepte

Schon bald begann Langdon-Down mit umfassenden Reformen des gesamten Heimlebens, die zeigen, wie schnell er die Belange seiner Schützlinge zum Mittelpunkt seines ärztlichen und auch wissenschaftlichen Interesses machte. Obwohl er keinerlei Erfahrung mitgebracht hatte, wollte er die Bewohner:innen nicht nur menschenwürdig betreuen, sondern startete nach kürzester Zeit mit der Förderung sowohl der körperlichen als auch der intellektuellen Fähigkeiten, mit dem Ziel, ihnen Erziehung und Bildung zukommen zu lassen. Auf diesem Gebiet hatte es europaweit erst vereinzelte Anstrengungen gegeben, wie Langdon-Down selbst in einer Vorlesung 1887 resümiert.

Im Mittelpunkt stand das Ziel einer größtmöglichen Selbstständigkeit der Bewohner:innen. In seinen Protokollen für die Heimverwaltung ist eindrucksvoll zu lesen, wie detailliert er sich Gedanken über Veränderungen in nebensächlich erscheinenden Ereignissen machte, wie zum Beispiel das Einnehmen der Mahlzeiten, und wie viel Bedeutung er diesen als Förderungsmöglichkeit beimaß.

Nach und nach wurde das Earlswood Asylum unter Langdon-Downs Leitung eine Art Selbstversorger-Betrieb mit eigener Bäckerei, Wäscherei und Werkstätten sowie einem landwirtschaftlichen Betrieb. Parallel begann Langdon-Down, individuelle Trainingsprogramme zu entwickeln, die Übungen zur Fingerkoordination, Lippen- und Zungenbeweglichkeit sowie spezielle Ernährungsformen enthielten. Seine Konzepte für die Behandlung und Therapie von Menschen mit geistiger Behinderung wurden 1876 unter dem Titel »On the education and training of the feeble in mind« publiziert: »Über die Erziehung und Bildung der geistig Schwachen.«

Während seiner Zeit in Earlswood betreute Langdon-Down viele Menschen, die er dann 1866 in seinem ethnischen Klassifizierungssystem als »Schwachsinnige des mongolischen Typs« beschrieb (siehe Kasten). Er sprach von mehr als 10 % der »Fälle«.

Das Earlswood Asylum entwickelte sich zur ersten Institution dieser Art für Menschen mit geistiger Behinderung in England. Die Bewohner:innenzahlen wuchsen stetig, die Wartelisten für eine Aufnahme in die Einrichtung waren lang.

Trotz seines Erfolges gab es mehr und mehr Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Heimverwaltung, durch die sich Langdon-Down in seinem Gestaltungsspielraum zu sehr reglementiert sah, weshalb er sich schließlich zur Kündigung entschloss.

Ethnisches Klassifizierungssystem mit weitreichenden Folgen
Aus Mangel an Möglichkeiten, bereits in einem frühen Lebensabschnitt eines Kindes mit Behinderung eine einigermaßen hilfreiche Diagnose und Prognose über dessen Gesundheitszustand stellen zu können, griff John Langdon-Down auf das Hilfsmittel der Einteilung seiner Patient:innen nach Ähnlichkeiten im äußeren Erscheinungsbild zurück. Damit gelang es ihm, verschiedene Arten geistiger Behinderung voneinander abzugrenzen und dabei die Menschen mit Trisomie 21 – ohne Kenntnis der Ursache – zu identifizieren. Neben der »großen mongolischen Familie« stellte er vier weitere »ethnische Standards« auf: die »große kaukasische Familie«, die »äthiopische Spielart«, die »malaiische Spielart« und »Abbilder jener Menschen, die ursprünglich den amerikanischen Kontinent bewohnten« (gemeint sind die Azteken).

Es war die Zeit der lebhaften Diskussion um die Verwandtschaft der »Menschenrassen«, und die Einteilung in diese fünf verschiedenen »Rassengruppen« war keineswegs neu. Der Göttinger Arzt Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840), einer der letzten »universalen« Naturforscher, teilte die Menschheit schon 1775 in eben jene fünf Familien auf. Ihm, so wie vielen anderen Forschern auch, ging es hierbei um Fragen nach Ursprung und »Wertigkeit« der verschiedenen »Menschenrassen«. So bezeichnete Blumenbach die »kaukasische Rasse« (hierzu gehörten die Europäer) als »Stammrasse«, die die schönsten Menschen vereine.

Langdon-Down verfolgte mit seinem Klassifizierungssystem jedoch ein anderes Ziel: Er wollte geistige Behinderungen besser erkennen können und ihre Ursachen erforschen. Nur am Rande äußerte er sich zur Diskussion um die Verwandtschaft der »Menschheitsfamilien«: In seinen Beobachtungen, dass ein Kind europäischen Ursprungs mit äußeren Merkmalen einer anderen (z. B. der mongolischen) »Rasse« geboren werden kann, sah er den Beweis für nicht festgelegte »Rassengrenzen« und den gemeinsamen Ursprung aller Menschen. Eine Abwertung der »mongolischen Rasse« hatte er nicht im Sinn. So beließ er es auch bei Begriffen, die eine Ähnlichkeit ausdrückten, wie mongolisch (mongolian) oder mongolen-ähnlich (mongolian type). Die »Einverleibung« des ethnischen Aspekts in einen Krankheitsbegriff – »Mongolismus« und »mongoloid« – wurde erst später vorgenommen, beispielsweise 1899 vom deutschen Kinderarzt Hugo Neumann.

Der diskriminierende Ausdruck »Mongolismus« hielt sich hartnäckig in der ärztlichen Literatur mindestens bis in die End-1970er Jahre, obwohl sich bereits 1961 19 Menschen (darunter ein Nachkomme Langdon-Downs) in einem Brief an die renommierte Medizinzeitschrift The Lancet gewandt hatten, um die Verwendung von Alternativbezeichnungen zu erreichen. Als sich 1965 eine mongolische Delegation gegen die Verwendung des Begriffes »Mongolismus« bei der WHO beschwerte, wurde dieser zumindest in deren Veröffentlichungen gemieden. Erst langsam setzten sich die Bezeichnungen Down-Syndrom und Trisomie 21 durch. Die heutige Wissenschaft der Humangenetik hat gezeigt und bewiesen, dass es keine unterschiedlichen Menschenrassen gibt.

Mary Arnott im Alter von 19 Jahren Foto: privates Archiv John Langdon-Down/ TOUCHDOWN21, Bonn

Leben und Arbeit im eigenen Institut

Langdon-Down gründete daraufhin 1868 seine eigene Einrichtung in Teddington, die er »Normansfield Training Institute« nannte. Die Ausbildung seiner Bewohner:innen sicherte er unter anderem durch angestellte Lehrer:innen. Vor dem Hintergrund, dass die allgemeine Schulpflicht in England erst 1870 eingeführt und die Beschulbarkeit von Menschen mit geistiger Behinderung nochmals 100 Jahre später gesetzlich festgeschrieben wurde, wird deutlich, dass Langdon-Down mit seinem Förder- und Bildungskonzept seiner Zeit um 100 Jahre voraus war.

Die in Earlswood begonnene Arbeit konnte Langdon-Down nun in seiner eigenen Institution ganz nach seinen Vorstellungen weiterentwickeln. Seine Konzepte lassen Normansfield wie ein modernes, ganzheitliches Therapiezentrum erscheinen. Neben Bewegungsprogrammen wie zum Beispiel Rollschuhlaufen, spezieller Ernährung und Arbeitsmöglichkeiten in verschiedenen Werkstätten gab es individuelle Förderung von Zungenübungen bis zum Umgang mit Geld.

Als ebenso wichtig erachtete Langdon-Down die Bildung der Bewohner:innen im kulturellen Bereich. Neben Musik und Tanz als Therapie ließ er zu diesem Zweck ein eigenes Theater bauen, in dem Aufführungen einstudiert wurden, aber auch Ensembles aus dem ganzen Land auftraten. Hierzu referiert Langdon-Down in einer Vorlesung 1887, dass » … sich für alle [Bewohner:innen] Musik und Tanz mit Aufführungen von Dramen abwechseln, die am nützlichsten sind, da sie sich an beide, die Augen und die Ohren wenden.« (Langdon-Down, 1887).

Mary Arnott im Alter von 57 Jahren Foto: privates Archiv John Langdon-Down/ TOUCHDOWN21, Bonn

Heute ist das Normansfield Theatre eines der wenigen erhaltenen viktorianischen Privattheater, architektonisch und historisch einzigartig und mit immer noch aktivem Theaterbetrieb. Während seine Frau Mary hauptsächlich die Tagesgeschäfte in Normansfield führte, betrieb Langdon-Down nebenher seine Praxis in der Harley Street in London. Ein ebenfalls wichtiger Teil seiner ärztlichen Tätigkeit blieb bis zu seinem Tod die Arbeit am London Hospital. Langdon-Downs hoch entwickeltes soziales Bewusstsein spiegelt sich in der Lehre seiner Studenten wider. Neben der medizinischen Ausbildung versuchte er sie dahingehend zu sensibilisieren, dass sie als Ärzte nicht nur beschädigte Körper, sondern auch empfindliche Seelen behandeln müssten. In einer Semester-Eröffnungsrede schildert Langdon-Down die möglichen Gefühle und Ängste von Patient:innen, die plötzlich aus ihrem Alltag gerissen und zu einem Krankenhausaufenthalt gezwungen werden: »In your care of fractured limb regard the broken spirit.« – »Bei deiner Pflege gebrochener Gliedmaßen achte auf die gebrochene Seele.« (Langdon-Down 1864)

Menschen mit Down-Syndrom in Normansfield

Das Normansfield Training Institute startete mit 19 Bewohner:innen und wuchs bis 1891 auf 150 Bewohner:innen an. Langdon-Down führte ausführliche Protokolle über seine Schützlinge, aus denen ersichtlich ist, dass er insgesamt 22 Bewohner:innen des »mongolischen Typs der Idiotie« betreute. Die detaillierten Aufzeichnungen zeigen einerseits den Wissenschaftler Langdon-Down, der sich durch eine genaue, nüchterne Anamnese weitere Erkenntnisse und diagnostische Möglichkeiten bezüglich dieser Form des »Schwachsinns« erhoffte. Andererseits notierte er Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen seiner Patient:innen in einer Weise, die die menschliche Nähe und Beziehung zu ihnen deutlich werden lässt. Beeindruckend sind die geringe Sterberate und das hohe Alter, das einige der Bewohner:innen erreichten.

Enkel John, fotografiert nach 1910. Er hatte das Down-Syndrom. Foto: privates Archiv John Langdon-Down/ TOUCHDOWN21, Bonn

Sechs Bewohner:innen mit Down-Syndrom lebten über 35 Jahre in Normansfield, der älteste wurde 59 Jahre alt. In Zeiten von Scharlach-Epidemien und Tuberkulose mit den damals nur begrenzten Therapiemöglichkeiten zeigt sich hier der hohe Standard der Einrichtung in Pflege und Versorgung.

Die Bewohnerin Mary Arnott lebte fast 40 Jahre zuerst in Earlswood, später in Normansfield (siehe Fotos). Langdon-Down schrieb über sie in seinen Aufzeichnungen: »She is extremely obstinate, will not walk beyond the grounds and this obstinacy is most marked at the period antecedent to her catamenia [Menstruation]. She can write a letter and play some tunes from memory on the piano. She is affectionate and when she is free from ill temper, is witty and cheerful.« – »Sie ist äußerst eigensinnig, will das Gelände nicht verlassen und diese Hartnäckigkeit ist in der Zeit vor ihrer Menstruation am deutlichsten ausgeprägt. Sie kann einen Brief schreiben und einige Melodien auswendig auf dem Klavier spielen. Sie ist anhänglich und, wenn sie nicht schlecht gelaunt ist, witzig und fröhlich.« (Medical Casebook Normansfield ab 1868, Auszüge in: Ward, 1998).

Die Sichtweise Langdon-Downs auf seine Patient:innen der »großen mongolischen Familie« (in seiner Eigenschaft als Arzt und Wissenschaftler betrachtete er die Bewohner:innen auch als Patient:innen) stellt sich auch eindrucksvoll in seinen Fotografien dar, die er von ihnen fertigte. Langdon-Down hatte sich begeistert die erst einige Jahre existierende – und noch sehr aufwendige – Technik der Fotografie zu eigen gemacht und nutzte sie auch für seine Arbeit. Damit war er auch ein Pionier auf dem Gebiet der klinischen Fotografie. Die Aufnahmen seiner Bewohner:innen mit Down-Syndrom lassen die ihnen vom Fotografen zuerkannte Persönlichkeit und Menschenwürde erkennen. Sie stehen in krassem Gegensatz zu den klinischen Fotografien späterer Ärzte zur »mongoloiden Idiotie«, die eine rein defektorientierte Betrachtungsweise auf die Menschen mit Down-Syndrom offenbaren.

Langdon-Down als Wissenschaftler

Langdon-Downs literarisches Werk ist nicht sehr umfassend, ab 1887 hat er nichts mehr veröffentlicht, was häufig mit Bedauern angemerkt wurde. Seine Bibliografie umfasst 28 Titel (zusammengestellt von Norbert Pies, 1996), darunter auch jene ethnische Klassifizierung von »Schwachsinnigen«, in der er die Menschen mit dem später nach ihm benannten Syndrom beschreibt (»Observations of an ethnic classification of idiots«, 1866). Diese Publikation brachte ihm – zu Unrecht – bis heute den Ruf eines Verfechters atavistischer Theorien ein (siehe Kasten).

Die Fähigkeit, geistige Behinderungen verschiedener Ursache voneinander abzugrenzen, wurde erst durch die Trennung der sogenannten »Idioten« (Menschen mit einer geistigen Behinderung) von den damals sogenannten »Irren« (Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung) möglich. Langdon-Down unternahm einen weiteren Schritt, indem er am Earlswood Asylum versuchte, geeignete Lerngruppen aus Bewohner:innen mit etwa gleichen Fähigkeiten zusammenzustellen, um optimale Voraussetzungen für eine Förderung zu schaffen. Dadurch war es ihm überhaupt erst möglich, die sich äußerlich ähnelnden Personen als Gruppe mit derselben Art der Behinderung zu identifizieren.

Mit Hilfe einer großen Datensammlung über die Earlswood-Bewohner:innen sowie über Patient:innen der Ambulanz des London-Hospitals stellte Langdon-Down »ethnische Standards« auf, nach denen er die Vielzahl der von ihm betreuten Menschen einteilen konnte (ausführlich in: Weiske, 2008). Darunter auch die »große mongolische Familie«.

Studiert man seine Veröffentlichung hierzu aus dem Jahr 1866, wird deutlich, dass dieses Klassifizierungssystem zu einer möglichst frühen Diagnosestellung dienen sollte, um durch die bereits vorhandenen Kenntnisse über diese »Schwachsinnsform« zeitig eine optimale Förderung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten einleiten zu können. Eine Abwertung der betroffenen Menschen auf eine »niedrigere Stufe« der Evolution, so wie es in der Folgezeit häufig getan wurde, war keinesfalls die Intention Langdon-Downs. So schreibt er in seiner Abhandlung über die Menschen des »mongolian type«: »Es sind Fälle, bei denen sich wohlüberlegte Behandlung lohnt. … Sie verfügen über beträchtliche Nachahmungsfähigkeit, die sogar bis zur Schauspielerei geht. … Diese Fähigkeit zur Nachahmung kann sehr weit gefördert und in eine praktische Richtung gelenkt werden. Sie sind gewöhnlich fähig zu sprechen; die Sprache ist heiser und undeutlich, kann aber durch einen guten Übungsplan für Zungengymnastik weitgehend verbessert werden. Die Koordinationsfähigkeit ist abnorm, jedoch nicht so geschädigt, dass sie nicht wesentlich gekräftigt werden könnte. Durch systematische Übung kann beträchtliche manuelle Fertigkeit erreicht werden.« (Langdon-Down, 1866)

Das Klassifizierungssystem war also in erster Linie ein Hilfsmittel, wie es Langdon-Down später selbst formuliert: »Die Klassifizierung ist also eine praktische. Wir sind mit der größtmöglichen Gewissheit in der Lage zu sagen, dass die Mitglieder dieser ethnischen Typen den Ursprung ihres Schwachsinnes aufgrund angeborener Ursachen erwerben.« (Langdon-Down, 1887) Diese Erkenntnis versetzte ihn in die Lage, ein neues Klassifizierungssystem zu präsentieren: die Unterscheidung nach der Ursache einer Behinderung in angeboren, unfall- oder entwicklungsbedingt (ebenfalls 1887).

Langdon-Down verwendete zwar Begriffe wie »mongolian familiy« und »mongolian type«, sprach aber nie von »mongolism« (»Mongolismus«). Dieser Begriff taucht erst bei späteren Autoren auf.

Am 7. Oktober 1896 brach Langdon-Down im Alter von 68 Jahren plötzlich zusammen und starb an Herzversagen. Zwei seiner Söhne (beide Ärzte) führten das Normansfield Training Institute fort. Ein Enkelsohn, geboren 1905, hatte erwiesenermaßen das Down-Syndrom und hieß nach seinem Großvater John (siehe Foto). Er erreichte das hohe Alter von 65 Jahren und lebte bis zu seinem Tod in Normansfield.

Zitiervorlage
Weiske, K. (2024). John Langdon-Down: Pionier und Reformer. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (2), 38–44.
Literatur
Bröer, R. (1996). Down glaubte an eine angeborene Degeneration. Ärzte-Zeitung 15 (Nr. 179), 7. Oktober, S. 22.

Langdon-Down, J. L. H. (1864). Abstracts of the introductory lectures delivered at the various Medical Schools at the Opening of the Session 1864–65. The Lancet 84, 405–408.

Langdon-Down, J. L. H. (1866). Beobachtungen zu einer ethnischen Klassifizierung von Schwachsinnigen. [Observation on an ethnic classification of idiots, dt]. Originaltext mit einer Übersetzung von Horst Jahn und einem Nachwort von Prof. Dr. G. Heese. Schriften zur Sonderpädagogik. Reihe A, Heft 6. Dortmund 1968.

Langdon-Down, J. L. H. (1876). On the education and training of the feeble in mind. Auszüge der Publikation in: Ward, O C. (1998): John Langdon Down. A Caring Pioneer. London: The Royal Society of Medicine Press ltd., S. 85–89.

Langdon-Down, J. L. H. (1887). Über einige der Geisteskrankheiten der Kindheit und Jugend. [On some of the Mental Affections of Childhood and Youth, dt.]. Übersetzung von Norbert Pies in: Pies, N. (1996): John Langdon Haydon Langdon-Down. Ein Pionier der Sozialpädiatrie. Karlsruhe: Braun, S. 137–214.

Pies, N. (1996). John Langdon Haydon Langdon-Down. Ein Pionier der Sozialpädiatrie. Karlsruhe: Braun.

Ward, O C. (1998). John Langdon Down. A Caring Pioneer. London: The Royal Society of Medicine Press ltd.

Weiske, K. (2008). Die ärztliche Sicht auf Menschen mit Down-Syndrom. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

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