Geflüchtete Mütter brauchen Raum und Zeit, um eine tragfähige Bindung zu ihren Kindern aufzubauen.
Foto: © Eva Schneider
Im Landkreis Freising nahe München leben derzeit fast 2.000 geflüchtete Menschen. Manche haben eine Bleibeperspektive, andere nicht (siehe Links). In den Hochzeiten der Zuwanderung nach Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 wurden dem Landkreis bis zu 37 Menschen pro Woche zugewiesen (siehe Links). Die Familien stehen zum Teil unter hohen psychischen Belastungen durch die Flucht und die Erlebnisse in den Herkunftsländern. Sie wohnen meist auf sehr engem Raum unter erschwerten Bedingungen. Das erfordert sehr viel Kraft und Flexibilität, besonders von Müttern beziehungsweise Eltern mit kleinen Kindern.
Zudem sind bei einem Teil der Eltern Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) anzunehmen. Eine PTBS kann auch entstehen, wenn Menschen massive Bedrohung oder Gewalt an Dritten beobachten. Die Angaben der Studien, wie viele Flüchtlinge unter PTBS leiden, schwanken zwischen 5 % und bis zu 54 % – und hier wird nicht nach Personengruppen unterschieden. Viele der Studien kommen zu dem Schluss, dass über 20 % der Menschen nach einer Flucht an einer PTBS leiden (Stellungnahme DGPPN).
Um eine ausreichend gelingende Bindungsentwicklung zwischen den Müttern und ihren Babys unter diesen erschwerten Bedingungen zu ermöglichen, identifizierten die Mitarbeiterinnen der Caritas Erziehungs- und Elternberatungsstelle Freising/Moosburg einen Bedarf für ein sozialpädagogisch oder bindungsorientiertes Angebot für die Mütter. Außerdem erschien es wichtig, den Frauen integrationsförderde Informationen zum sozialen Netz, zu Erziehungs- und Bildungsangeboten sowie dem medizinischen Versorgungssystem in Deutschland zu vermitteln. Basierend auf dem Konzept der Mütter-Baby-Gruppe »von Anfang an …« wurde ein Gruppen-Konzept für die Flüchtlingsmütter und ihre Babys erarbeitet (Foidl-Krumbachner & Mesarosch 2017).
Die formalen Voraussetzungen für die Mitarbeit in der Gruppe sind niedrigschwellig: Freie MitarbeiterInnen und ehrenamtliche HelferInnen brauchen ein erweitertes Führungszeugnis und in Abhängigkeit von der Art der Tätigkeit eine Haftpflichtversicherung.
Aufgrund der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten wohnten in der Gemeinde zahlreiche Familien wie auch alleinstehende Mütter mit Kindern. Hier zeigte sich ein deutlicher Bedarf an Mutter-Kind-Gruppen. Die Idee dazu wurde von der Nachbarschaftshilfe und auch der Kindergartenleitung an die Mitarbeiterinnen der Erziehungsberatungsstelle Freising/Moosburg herangetragen.
Die geflüchteten Mütter hatten entweder im Umgang mit den Institutionen oder mit ihren Kindern Hilfebedarf. So zeigte sich beispielsweise, dass »gesunde Ernährung« für die Mütter schwierig einzuhalten war, da sie die Inhaltsstoffe von vermeintlich guten Produkten speziell für Kinder auf dem Lebensmittelmarkt nicht einschätzen konnten. Auch die Feiertage und Ferien waren schwer zu verstehen, inklusive der dazugehörigen Festlichkeiten in den Kindertagseinrichtungen, wie auch die davon abhängigen Öffnungs- und Schließzeiten von Ämtern und Geschäften. Außerdem ergaben sich mitunter Schwierigkeiten und Missverständnisse bei Eingewöhnung der Kinder in den Einrichtungen sowie im Rahmen ihrer Sozialisation dort.
Die Pfarrei bot für die Durchführung der Gruppe einen Mutter-Kind-Raum im Pfarrheim an. Dieser entsprach den Bedürfnissen von Mutter-Kind-Gruppen, da reichlich Platz und Zubehör für das Spiel der Kinder und eine Ausstattung mit Tischen und Stühlen für die thematische Arbeit mit den Müttern vorhanden war. Außerdem befand sich eine Teeküche mit Kühlschrank vor Ort. Das Pfarrheim lag idealerweise in Gehweite zu den Unterkünften und war den Frauen bereits vom Integrationsfrühstück und von Sprachkursen her bekannt. Vor dem Beginn der regelmäßigen Gruppensitzungen wurde ein Kennenlerntreffen anberaumt, bei dem sich die Frauen für die Gruppe anmelden konnten.
Jede Gruppensitzung wurde von uns, einer Sozialpädagogin und einer Hebamme gemeinsam geleitet – abhängig von den anwesenden Frauen in deutscher und/oder englischer Sprache. Außerdem war immer eine Praktikantin der Erziehungsberatungsstelle dabei. Die Verständigung funktionierte gut in dem geschützten Raum mit Schweigepflicht innerhalb der Gruppe – ohne Dolmetscherinnen.
Eine Gruppenstunde gestaltete sich folgendermaßen: Nach Ankommen der Frauen wurde gemeinsam mit den Kindern ein Willkommenslied gesungen. Im Anschluss wurden die Mütter gebeten, von Ereignissen seit der letzten Stunde zu berichten oder aktuelle Fragen zu stellen.
Dann wurde das Thema der Stunde vorgestellt und mit unterschiedlichen pädagogischen Mitteln erarbeitet:
Nach der theoretischen Arbeit frühstückten alle gemeinsam. Hier wurden möglichst Speisen angeboten, die gesund waren und den Frauen schmeckten. Außerdem brachten einige Frauen Speisen aus ihren Heimatländern mit, so dass auch hier ein interkultureller Austausch stattfand. Zum Ende der Stunde wurde erneut ein Lied gesungen.
Als Kommunikationstechnik innerhalb des Kompetenztrainings hat sich das »Interkulturelle Pendeln« bewährt: Hier geht es darum, etablierte Erziehungsmethoden, Aufgaben und Rollen des eigenen familiären Hintergrunds zu überdenken und auf die neue Lebenssituation im fremden Land und in unbekannter Umgebung zu übertragen. Die zentrale Frage ist hier, ob sich die mitgebrachten Wertvorstellungen und Methoden unverändert auch in der neuen Umwelt bewähren können, oder ob eine Anpassung erforderlich wird. Dies ist möglich durch ein Hin- und Herpendeln zwischen Bekanntem (Mitgebrachtem, für das Migrantinnen als Expertinnen zu gelten haben) und Neuem (das von den Trainerinnen vorgestellt wird) und dem Erarbeiten von Lösungsmöglichkeiten für Herausforderungen der Kindererziehung und -begleitung.
An der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche als Einrichtung der Jugendhilfe mit dem Unterbereich der »Frühen Hilfen« ist die Fachkompetenz vorhanden, bindungsfördernde und kultursensible Angebote für Flüchtlingsfamilien insbesondere mit kleinen Kindern durchzuführen. Gleichzeitig ermöglichte die Arbeit mit einer Hebamme, die bei den Flüchtlingsfamilien bereits aus der Wochenbettbetreuung bekannt war, eine rasche Vertrauensentwicklung zwischen den Frauen und den Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle. In dem niederschwelligen Gruppenangebot konnten allerdings traumarelevante und sehr persönliche Themen nicht gezielt aufgefriffen werden. Hier bot die Gruppenleiterin Martha Foidl-Krumbachner Einzelberatung und gesonderte Abklärung an. Im Bedarfsfall erfolgte eine gezielte Weitervermittlung.
Da die Familien nur wenig Kenntnisse über das deutsche Hilfesystem hatten, isoliert auf dem Land untergebracht und nur eingeschränkt mobil sind, war das wohnortnahe Angebot einer Gruppe sehr hilfreich.
In zwei Gruppen von September bis Dezember 2016 und Mai bis Juli 2017 für Mütter beziehungsweise Familien mit Säuglingen und Kleinkindern konnten wesentliche Themen aufgegriffen werden, um den Müttern Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen, sich hier in Deutschland besser zurechtzufinden.
Die Arbeit in der Gruppe sollte sie ermutigen, sich mit deutschen Erziehungsthemen auseinanderzusetzen und diese auch kritisch zu hinterfragen. Dies ist ein erster wichtiger Schritt, damit sie abwägen können zwischen Erhaltung der kulturell geprägten Erziehungsvorstellung und den Erwartungen, die hier an elterliche Erziehungskompetenz gestellt werden.
Der wissenschaftliche Beirat des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) hat 2009 eine Begriffsbestimmung verabschiedet, die den derzeitigen Stand der Diskussion über Frühe Hilfen widerspiegelt: »Frühe Hilfen bilden lokale und regionale Unterstützungssysteme mit koordinierten Hilfsangeboten für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren mit einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der 0- bis 3-Jährigen. Sie zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern. Neben alltagspraktischer Unterstützung wollen Frühe Hilfen insbesondere einen Beitrag zur Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompetenz von (werdenden) Müttern und Vätern leisten. Damit tragen sie maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei und sichern deren Rechte auf Schutz, Förderung und Teilhabe. (…)
Frühe Hilfen basieren vor allem auf multiprofessioneller Kooperation, beziehen aber auch bürgerschaftliches Engagement und die Stärkung sozialer Netzwerke von Familien mit ein. Zentral für die praktische Umsetzung Früher Hilfen ist deshalb eine enge Vernetzung und Kooperation von Institutionen und Angeboten aus den Bereichen der Schwangerschaftsberatung, des Gesundheitswesens, der interdisziplinären Frühförderung, der Kinder- und Jugendhilfe und weiterer sozialer Dienste. Frühe Hilfen haben dabei sowohl das Ziel, die flächendeckende Versorgung von Familien mit bedarfsgerechten Unterstützungsangeboten voranzutreiben, als auch die Qualität der Versorgung zu verbessern.«
Quelle: Wissenschaftliche Beirat des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) 2009.
www.dgppn.de/presse/stellungnahmen/stellungnahmen-2016/versorgung-fluechtlinge.html#1
www.fruehehilfen.de/bundesinitiative-fruehe-hilfen/familienhebammen/
www.kreis-freising.de/buergerservice/themen/asyl.html
www.merkur.de/lokales/freising/landratsamt-fluechtlingszeiten-freisinger-filiale-weltkrise-5148929.html
Abdallah-Steinkopff B: Kultursensible Elternberatung bei Flüchtlingsfamilien. ZSTB 2015. 33(3) 109–117
Foidl-Krumbachner M, Mesarosch Ch: Erziehungsberatung aktuell 2017. 1: 18–21
Tagay S, Schlottbohm E, Lindner N: Posttraumatische Belastungsstörung: Diagnostik, Therapie und Prävention. Kohlhammer Stuttgart 2016