Foto: © Daniel Gusche. Simninja Photodesign & Webagentur

Das Mindfulnessbased-Childbirth-Parenting-Programm (MBCP) stellt in ausführlichen Geburtsvorbereitungskursen die Achtsamkeit in den Mittelpunkt. Die Ziele: stärkere Ressourcen für werdende Eltern – weniger Stress für Hebammen.

Die Erfahrung, dass die Geburt und das Leben danach vom Rhythmus des Kindes bestimmt werden, ist für viele Menschen nicht leicht auszuhalten. Diese Zeit fordert eine große Anpassungsfähigkeit der Eltern. Hilfreich dabei ist es, wenn sie die Signale des Kindes empathisch wahrnehmen können, angepasst darauf reagieren und gleichzeitig liebevoll mit sich selbst bleiben. Diese Ressource – die sogenannte Achtsamkeit – tragen wir alle in uns. Es braucht allerdings viel Übung, sie auch in stressvollen Situationen erleben zu können und nicht in gewohnte automatische Reaktionsmuster zu verfallen. Durch einen Geburtsvorbereitungs-Kurs wie das Mindfulnessbased-Childbirth-Parenting-Programm (MBCP) wird gezielt die Achtsamkeit der werdenden Eltern geschult, so dass sie auf diese Lebensphase gut vorbereitet sind. Schließlich kann Achtsamkeit auch den Kursleiterinnen selbst helfen, wenn sie in Stress kommen – im beruflichen oder auch im privaten Leben.

Vertrauen und Ruhe

Im Erwachsenenleben gibt es selten Zeiten, in denen sich so schnell so viel verändert wie in der Schwangerschaft. Junge Eltern müssen mit viel Neuem und Ungewissen umgehen. Die Geburt selbst ist ein intensiver sehr körperlicher Prozess, den man nicht steuern kann. Das Gegenteil von Kontrollverlust ist nicht willentliches Steuern, sondern sich vertrauensvoll dem Prozess hingeben, egal wie er sich entwickelt.

Eine schwangere Frau kann sich zwar Vorstellungen machen, wie sie sich ihre Geburt wünscht. Doch das Leben entwickelt sich manchmal anders. MBCP kann ihr helfen, mit dem zufrieden und einverstanden zu sein, wie es sich entwickelt hat. Das ist wichtig für die Prävention von Traumatisierung und posttraumatischen Belastungsstörungen.

In den Feedback-Bögen nach einem Kurs in MBCP bringen die KursteilnehmerInnen das auch immer wieder zum Ausdruck: »Ich hatte Angst vor der zweiten Geburt beziehungsweise dem Wochenbett, und Zweifel, ob ich das alles schaffen kann. Gerade weil ich beim ersten Kind mit starken Ängsten zu kämpfen hatte. Ich habe mich dann einige Monate vor dem Kurs mit Resilienz beschäftigt – das, zusammen mit dem Kurs (den Übungen Bodyscan, Gehmeditation und Atemmeditation), haben mir Mut, Entspannung, Lebensfreude, viel Optimismus und Hilfe zur Selbsthilfe gebracht.«

»Geburt war für mich ein aufgrund der Schmerzen negativ besetztes Ereignis. Im Kurs, durch die Schmerzübungen, die Informationen zu den Wehen und deren Pausen und der Trennung zwischen Empfindung und Leiden, hat sich meine Sichtweise auf die Geburt verändert. Es bleibt natürlich eine Ungewissheit, aber auch eine große Freude auf das Elternsein.«

Inhalte eines MBCP-Kurses

Ein MBCP-Kurs ist zeitlich wesentlich umfangreicher als ein üblicher Geburtsvorbereitungskurs. Er besteht aus neun dreistündigen Terminen, einem Vertiefungstag im Schweigen und einem Nachtreffen mit den Babys. Dieses Kursformat ist angelehnt an das MBSR-Programm (MindfulnessBased Stress Reduction) des US-amerikanischen Meditationslehrers Jon Kabat-Zinn. Es ist weltweit verbreitet und ausgiebig wissenschaftlich beforscht. Im deutschen Gesundheitssystem wird es als Präventionsangebot zur Stressreduktion von gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst.

Das Besondere am MBCP-Kursprogramm besteht in der starken Konzentration auf die physiologischen Abläufe während der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes. Da die Physiologie durch die Auswirkungen von Stresshormonen nachhaltig gestört wird, ist die Fähigkeit einer Stressreduktion eine wesentliche Voraussetzung für ungestört und gesund ablaufende Prozesse. Unsere typischen Alltagsreaktionen sind eher, mit den Auswirkungen von Stress zu leben, wie Hektik, Beschleunigung, Multitasking. Im Allgemeinen reagieren wir automatisch auf Stressauslöser. In einer angespannten, stressigen Situation innezuhalten und wohlwollend mit sich selbst umzugehen, braucht Übung.

Über den gesamten Kurs praktizieren die TeilnehmerInnen formale und informelle Übungen zu Hause. An sechs Tagen einer Woche gibt es täglich eine halbe Stunde Achtsamkeitsübung mit Audio-Anleitung. Die ersten beiden Übungen sind eine Reise durch den Körper, der sogenannte »BodyScan«, und Achtsamkeit in Bewegung auf der Grundlage von Yogaübungen.

Beim zweiten Übungsstrang geht es darum, Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren, beispielsweise achtsam essen, duschen, Zähne putzen, Kinder versorgen. Es fällt leichter, diese Fähigkeit in einer ruhigen Situation zu kultivieren, um in einer stressigen Situation darauf zurückgreifen zu können. Wenn die TeilnehmerInnen berichten, dass sie sich in Wartesituationen weniger ärgern und den unerwarteten Moment beispielsweise an der roten Ampel als Pause genießen können, wird der positive Effekt spürbar.

Grundhaltung: Das darf sein …

Die zentrale Grundhaltung, die eingeübt wird, fassen wir in dem Satz »Das darf sein«, der uns durch den Kurs begleitet. Das Kultivieren von acht wesentlichen Aspekten gehört zum Achtsamkeitstraining:

1. der Anfängergeist hilft, alles was geschieht, mit einem neuen, frischen Blick wahrzunehmen

2. eine nichtwertende Haltung

3. Geduld

4. eine Haltung des Nichtstrebens, das heißt, sich nicht anstrengen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen

5. Vertrauen, zuerst in die eigenen Fähigkeiten, dann in die jeweilige Situation

6. Akzeptanz

7. Loslassen und bewusst dafür entscheiden

8. Freundlichkeit gegenüber sich selbst und den Mitmenschen. Hier sind auch Fachleute miteingeschlossen.

Diese Einstellungen bauen aufeinander auf und brauchen als neunte Qualität Mut, um sich darauf einzulassen.

Diese Fähigkeiten machen das Leben als Eltern mit einem Neugeborenen leichter. Die Themen sind:

  •  wie Leid durch das Festhalten an Ideen, Sichtweisen, Erwartungen und der Idee von Kontrollierbarkeit entsteht
  •  dass die Zukunft ungewiss ist und von verschiedenen Bedingungen abhängt
  •  der Unterschied zwischen Planen und Präferieren oder dem »Sein mit dem, was ist«, wie auch immer sich die Situation entwickelt und verändert – von Moment zu Moment.

Mit dem im Kurs erarbeiteten Wissen von Ursachen und nur bedingt beeinflussbaren Bedingungen, dem Kommunikationshilfsmittel VRAnn (siehe DHZ 8/2014, Seite 26) und den Achtsamkeitsübungen fühlen sich die werdenden Eltern gestärkt. VRAnn fragt bei vorgeschlagenen Interventionen nach dem Vorteil, dem Risiko, einer möglichen Alternative, der Intention, ob es nun im Sinne von sofort sein muss und was geschieht wenn nichts unternommen wird. Die Spielräume der eigenen Handlungsmacht können aktiv eingesetzt werden und eine Kommunikation auf Augenhöhe wird damit möglich.

Übung: Drei Minuten Atemraum

A-L-I ist eine kleine Zauberformel für den Alltag. Fühlen wir uns erschöpft, verspannt oder fangen unsere Gedanken an zu rasen, ist es Zeit für eine Mini-Pause mit:

A = Atmen, L = Lächeln, I = Innehalten und Ja sagen

Drei Atemzüge reichen schon aus, um uns neu zu zentrieren und inneren Raum zu schaffen.

Atmen bringt Körper und Geist zusammen.

Lächeln – auch ein ganz kleines – schenkt uns selbst liebevolle Zuwendung, entspannt, beruhigt und hilft, die momentane Erfahrung freundlich willkommen zu heißen.

Innehalten gibt uns einen Augenblick jenseits von Funktionieren und Durchhalten. Innerlich zu sich sagen: »Ja, (auch) das darf sein« , hilft, die Realität als solche anzuerkennen. Der Druck lässt nach und Freiraum kann entstehen.

Häufig verlieren wir uns im Trubel des Alltags. Wir können uns Innehaltepunkte schaffen und an Handy, Laptop, Espressomaschine, Wasserkocher oder Fernbedienung kleben. Wir können aber auch rote Ampeln, Wartezeiten, Kirchenglocken, sogar Computerabstürze nützen, um dreimal durchzuatmen. Statt unmittelbar zum Telefon zu greifen, üben wir A-L-I Atmen – Lächeln – Innehalten und flüstern uns innerlich zu: »Ja, (auch) das darf sein.«

Immer wenn Schwangere die Bewegungen ihres Babys spüren, können sie sich einen Moment Zeit für einen Baby-A-L-I nehmen und nicht nur sich, sondern auch ihrem Baby ein Lächeln schicken.

Die Idee von A-L-I stammt vom Netzwerk Achtsame Wirtschaft > www.achtsame-wirtschaft.de.

Kolleginnen berichten

Im April 2018 haben die ersten 21 Fachfrauen die eineinhalbjährige Ausbildung zur MBCP-Kursleiterin beendet. Es sind Hebammen, Doulas und Schwangerenyoga-Lehrerinnen. Die Evaluation der Ausbildung im Europäischen Zentrum für Achtsamkeit ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt aber Kolleginnen, die bereits von ihren Erfahrungen berichtet haben. Die Motivation, einen Geburtsvorbereitungskurs anzubieten, der »den Paaren ein gutes Handwerkszeug im Leben mit den Kindern und für das Leben überhaupt mitgibt« und die Eigenverantwortung stärkt, ist durch die Ausbildung stark gestiegen.

Die Kolleginnen berichten auch, dass sie in Kurssituationen deutlich entspannter seien und mehr auf sich zukommen ließen, was passiert.

»Ich habe durch die Ausbildung das Wunder der Schwangerschaft, der Geburt und der ersten Zeit mit dem Baby wiederentdeckt. Wegen dieses Wunders bin ich Hebamme geworden. Oft schon habe ich durch die vielen Herausforderungen, die der Beruf mit sich bringt, dieses Wunder nicht mehr gesehen.«

Es war aber eine Herausforderung, die zum Teil schon jahrelang unterrichteten Konzepte zu verlassen und sich auf ein neues umfangreicheres Kursformat einzulassen. Auch die eigene Achtsamkeitspraxis zu kultivieren, gehört dazu.

Achtsamkeitskurse werden weltweit im Gesundheitswesen für unterschiedlichste Zielgruppen, in Kindergärten, Schulen und Universitäten durchgeführt. Das MBCP-Kursprogramm ist der erste Baustein. Für den deutschsprachigen Bereich wurde eine gemeinnützige Gesellschaft für Achtsamkeit vor, während und nach der Geburt gegründet. Die MBCP-Kursleiterinnen-Ausbildung findet im Europäischen Zentrum für Achtsamkeit in Freiburg im Breisgau statt (> www.ezfa.eu).

Forschung: Wie Achtsamkeit wirkt

Von 2009 bis 2017 erschienen zwölf Artikel mit Forschungsergebnissen speziell zum MBCP-Programm (MindfulnessBased Stress Reduction) in wissenschaftlichen Zeitschriften. Ein Artikel erschien beispielsweise 2016 im British Journal of Midwifery zum Thema: »Achtsamkeit in der Schwangerschaft: Die Evaluation eines MBSR/MBCP Kurses für Hebammen.« (http://www.mindfulbirthing.org/wp-content/uploads/2013/06/BJOM_2016_24_3_-mindfulness.pdf) Es ging darum, herauszufinden, wie und ob Fachleute davon profitieren und ob das einen Einfluss auf das eigene Stresserleben hat.

Zurzeit werden Forschungsprojekte in den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Hongkong durchgeführt. An der Universität in Amsterdam ist die Forschungsarbeit mit der Frage, ob das MBCP-Programm (Mindfulnessbased-Childbirth-Parenting) einen Einfluss hat auf ängstliche, schwangere Frauen und deren Partner, momentan noch nicht abgeschlossen. (www.uva.nl).

Im deutschsprachigen Raum verfasst derzeit eine Public-Health-Masterstudentin aus Bremen ihre Masterarbeit mit dem Thema »Achtsamkeitsbasierte Interventionen für Frauen mit Angst vor der Geburt und Schwangerschaft«.

Auf der Homepage www.mindfulbirthing.org gibt es weitere Informationen.

Im Juli 2018 treffen sich in Amsterdam erstmalig alle bereits erfahrenen MBCP-Kursleiterinnen mit Wissenschaftlerinnen, die über MBCP geforscht haben. Diese Vernetzung wird es in Zukunft einfacher machen, Forschungsarbeiten und -themen auszuarbeiten und somit auch wissenschaftliche Erkenntnisse speziell zum MBCP-Programm zu erhalten.

Links

www.mindfulbirthing.de
(deutsch­sprachiger Bereich)

www.mindfulbirthing.org

Zitiervorlage
Pinter M: Atmen – Lächeln – Innehalten. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2018. 70 (6): 37–40
Literatur

Duncan LG et al.: Benefits of preparing for childbirth with mindfulness training: a randomized controlled trial with active comparison. BMC Pregnancy and ChildbirthBMC series. https://doi.org/10.1186/s12884-017-1319-3 2017

Bardacke N: Der achtsame Weg durch Schwangerschaft und Geburt. Arbor-Verlag 2013. www.arbor-verlag.de/nancy-bardacke Buch und Audiodatei

https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png