Nun ging alles ganz schnell: Oberarzt M. erfasste die Situation sofort. Während eine Notfalltokolyse gespritzt wurde, palpierte er kurz das Abdomen. Der Kopf des Kindes war aus der Führungslinie nach suprasymphysär abgewichen. Es zeigte sich eine deutliche Abwehrspannung besonders im Bereich der Narbe, Sylvias Blutdruck war inzwischen auf 80/60 mmHg abgefallen, Herzfrequenz 120 Schläge pro Minute.
Um 17.05 Uhr stellte der Oberarzt die Indikation zur sofortigen Sectio. Um 17.15 Uhr wurde der kleine Carlo in deprimiertem Zustand in Anwesenheit des Kinderarztes geboren: Apgar nach einer Minute: 3, nach fünf Minuten: 5, Nabelschnur-pH: 7,0, BE: –12 mmol/l, Kindsgewicht: 4.150 g.
Eine schwierige Operation
Die Operation gestaltete sich schwierig: komplette Uterusruptur im Bereich der alten Narbe mit Weiterreißen in das rechte, an die Gebärmutter angrenzende Bindegewebe (Parametrium), dazu sternförmiger Einriss im Bereich des Corpus uteri, frisches Blut und Blutkoagel im Abdomen, diffuse, schwer zu kontrollierende Blutungen aus dem Uterus. Hinzu kam jetzt noch, wie der Anästhesist signalisierte, eine beginnende Kreislaufinstabilität bei weiterem Blutverlust. Dem Oberarzt blieb keine Zeit für eine Rücksprache mit dem Ehemann, ob noch weiterer Kinderwunsch bestehe. Er entschloss sich zur Hysterektomie.
Sylvia hatte Glück, Operation und Wochenbettverlauf waren unauffällig. Es blieb aber ein erhebliches psychisches Trauma aufgrund der Notfallsituation, Todesangst und des Verlustes der Gebärmutter. Bei der Verarbeitung half ihr eine Psychologin. Sylvia wurde am elften Tag postpartum entlassen.
Der kleine Carlo erholte sich nach anfänglichen Adaptationsstörungen und vorübergehender Beatmung gut. Neurologische Auffälligkeiten oder andere neonatale Komplikationen zeigten sich bis zur Entlassung nicht.
Risiken erkennen
Es ist wichtig, immer wieder zu betonen: Narben können sich nicht so dehnen wie normales Gewebe. Grundsätzlich zu unterscheiden ist die gedeckte Uterusruptur mit Erhalt des Bauchfells, das den Uterus und andere Organe bedeckt (viszerales Peritoneum), bei der mit geringer oder gar keiner klinischen Symptomatik zu rechnen ist (»stille Ruptur«). Dagegen kommt es bei der inkompletten oder kompletten Uterusruptur zu variabler klinischer Symptomatik: Bei einer kompletten Ruptur treten Kindsteile in die Peritonealhöhle aus.
Das Risiko für eine Uterusruptur beträgt bei tiefem uterinen Querschnitt und spontaner Wehentätigkeit 0,5 bis 0,9 %. Es erhöht sich bei korporalem Längsschnitt oder – wie im beschriebenen Fall – bei umgekehrtem T-Schnitt signifikant auf 4 bis 9 %. Bei Sylvia war daher ein vaginaler Entbindungsversuch kontraindiziert. Entsprechend den Leitlinien-Empfehlungen sollte daher vor einem vaginalen Entbindungsversuch die uterine Schnittführung der vorangegangenen Sectio bekannt sein. Daher ist es wichtig, den OP-Bericht anzufordern und einzusehen, was in diesem Fall unterblieb.
Bei einer Geburtseinleitung mit Oxytocin liegt das Risiko für eine Ruptur zwischen 0,7 und 1,2 % und nach Anwendung von Prostaglandinen zwischen 0,4 und 2,8 %, im Mittel sind es 1,4 %. Misoprostol ist in diesen Fällen absolut kontraindiziert, denn dadurch steigt das Risiko im Mittel auf 6,2 %.
Die Wehenverstärkung mit Oxytocin gilt als signifikanter unabhängiger Risikofaktor für eine Uterusruptur. Nach spontanem Wehenbeginn und anschließender Wehenverstärkung mit Oxytocin ist das Ruptur-Risiko dosisabhängig im Vergleich zu spontanen Wehen um das 2,4- bis 5,6-fache erhöht. Es liegt dann bei 0,9 bis 1,9 %. Dabei besteht eine annähernd lineare Korrelation zwischen der maximalen verabreichten Oxytocin-Dosis und dem Risiko einer Uterusruptur. Bei Überschreiten einer Oxytocin-Dosierung von 20 mE/min erhöht sich das Ruptur-Risiko signifikant: Bei 21 bis 30 mE/min liegt es bei 3,9 %; bei 31 bis 40 mE/min dagegen bei 4,6 %. Bei Sylvia wurde die empfohlene maximale Oxytocin-Dosis von 20 mE/min deutlich überschritten.
Als weitere Risikofaktoren für eine Uterusruptur, die auch bei Sylvia vorlagen, werden diskutiert:
- mütterliches Alter > 35 Jahre (Risikoerhöhung um das 1,4- bis 1,8-fache)
- sonografisches Schätzgewicht des Kindes > 4.000 g (Risikoerhöhung um das 1,6- bis 1,8-fache)
- mütterliche Körpergröße < 164 cm
- Intervall zwischen vorangegangener Sectio und Folgeschwangerschaft < 12 Monate (Ruptur-Risiko bis 4,8 %)
- Frühgeburt < 37. SSW in vorangegangener Schwangerschaft (Risikoerhöhung um das 2-Fache)
- Ohne vorangegangene vaginale Geburt vermindern sich einerseits die Erfolgsaussichten auf eine vaginale Geburt (mit vorangegangener vaginaler Geburt ca. 90 %, ohne < 70 %, abhängig von der Zervixreife), andererseits verdoppelt sich das Risiko für eine Uterusruptur.
Keine evidenzbasierte Prognose
Die sonografische Messung des unteren Uterinsegmentes oder der Myometriumdicke vor einer geplanten vaginalen Geburt wird derzeit klinisch erforscht. Aber sie ist derzeit noch keine standardisierte, evidenzbasierte Methode zur Vorhersage der Uterusruptur nach vorangegangener Sectio. Jedenfalls sind Narbenschmerzen sowohl antenatal als auch unter der Geburt weder ein sensitiver noch ein spezifischer Parameter.
Hinweise für eine bevorstehende Uterusruptur
- uterine Überstimulierungen/Polysystolien in den letzten zwei Stunden vor der Geburt in 20 % der Fälle
- pathologisches CTG (wiederholte variable und/oder späte Dezelerationen, terminale Bradykardie) in den letzten ein bis zwei Stunden vor der Geburt bei 55 bis 87 % der betroffenen Frauen. Die plötzlich einsetzende terminale Bradykardie wie im beschriebenen Fall ist ein Spätsymptom. Sie tritt meist bei bereits rupturiertem Uterus auf, mit einer Häufigkeit von 30 bis 70 %.
- zunehmende Schmerzsymptomatik, keine Erholungsphasen in der Wehenpause, Druckdolenz des unteren Uterinsegmentes auch außerhalb der Wehentätigkeit
- protrahierter Geburtsverlauf/Geburtsstillstand bei fest im Beckeneingang fixiertem vorangehendem Teil, abnorme Wehentätgkeit ab 6 bis 7 cm Muttermundsweite im Vergleich zu Frauen ohne Uterusruptur und erfolgreicher vaginaler Geburt
- Notwendigkeit zum Nachspritzen der Periduralanästhesie innerhalb von 90 min (»frequent epidural dosing«).
- zunehmende innere Unruhe, Angstzustände
- gelegentlich: Hämaturie.
Die häufigste Kombination sind ein pathologisches CTG und zunehmender Abdominalschmerz, wie in rund 50 % der Fälle zu beobachten.
Hinweise und Diagnose
Bei eintretender Uterusruptur findet sich neben einem Abfall der fetalen Herzfrequenz (fetale Hypoxie) in 14 % der Fälle ein plötzliches Sistieren der Wehen nach vorher schmerzhafter Wehentätigkeit. Die Schwangere hat das Gefühl, »als ob etwas zerreißt«. Hinzu kommen häufig sich steigernde abdominale Abwehrspannung und eine vaginale Blutung, die in 28 % der Fälle eintritt. Darauf folgt hämodynamische Instabilität (hypovolämischer Schock) bei einem Hämoperitoneum.
Bei der Narbenruptur sind vaginale Blutungen, diffuse Abwehrspannung/Peritonismus sowie Blutverlust mit Zeichen des hypovolämischen Schocks meist weniger ausgeprägt als bei einer Ruptur des nichtvoroperierten Uterus. Gedeckte oder inkomplette Rupturen können klinisch »stumm« verlaufen. Hinweise in diesen Fällen liefert häufig nur ein (unspezifisches) pathologisches CTG.
Palpatorisch weicht der vorangegangene Kindsteil aus der Führungslinie ab und/oder es sind Kindsteile direkt unter der Bauchdecke zu tasten. Im Zweifelsfall kann eine notfallmäßige Ultraschalluntersuchung im Kreißbett die Diagnose sichern.
Die Entscheidung, ob der Uterus wiederhergestellt und erhalten werden kann, oder ob eine Hysterektomie notwendig ist, erfordert von den GeburtshelferInnen klinische Erfahrung und operative Expertise. Dabei sollte, wenn immer möglich, der weitere Kinderwunsch der Schwangeren berücksichtigt werden. Bei Sylvia war aufgrund der Ausdehnung und Komplexität der Uterusruptur, der nicht beherrschbaren Blutung und der beginnenden Kreislaufinstabilität die Indikation zur Hysterektomie gegeben.
Die Aufgaben der Hebamme
Die wichtigsten Aufgaben der Hebamme sind: den Notfall erkennen und sofort ärztliches Personal anfordern! Aus einer landesweiten niederländischen Erhebung geht hervor, dass etwa 60 % aller Uterusrupturen außerhalb der Regeldienstzeit auftreten, also häufig bei knapper personeller Besetzung. Die Hebamme ist oftmals die erste, die mit der akuten Situation einer Uterusruptur konfrontiert wird. Bei vaginalem Geburtsversuch nach vorangegangener Sectio ist eine kontinuierliche Betreuung der Schwangeren durch eine erfahrene Hebamme erforderlich. Dabei kommt es darauf an, den Geburtsverlauf richtig einzuschätzen. Um einen mangelnden Geburtsfortschritt oder Geburtsstillstand rechtzeitig zu erkennen, ist ein Partogramm nützlich. Auch eine Wehenpathologie oder ein pathologisches CTG sollte die Hebamme als Warnzeichen sehen. Alle diese Informationen muss sie schnell an das ärztliche Personal weitergeben. Bei Sylvia wurde – wahrscheinlich aufgrund der Überlastungssituation im Kreißsaal – der Geburtsverlauf falsch eingeschätzt. Die »Vorboten« der drohenden Uterusruptur, die die Hebamme kennen sollte, wurden deshalb nicht erkannt.
Wichtig ist, den Zustand der Schwangeren genau zu kontrollieren und Veränderungen in ihrem Verhalten wie Unruhe oder zunehmende Ängstlichkeit zu beobachten. Das gilt vor allem für die oft zunehmende Schmerzsymptomatik, auch in Wehenpausen. Die Indikation zur Wehenverstärkung mit Oxytocin wie auch die Steigerung der Oxytocin-Dosierung obliegt in jedem Fall den GeburtshelferInnen. Die Maximal-Dosis von 20 mE/min sollte nach vorangegangener Sectio nicht überschritten werden.
Bei Einsetzen einer Uterusruptur kommt der raschen und koordinierten Zusammenarbeit von GeburtshelferInnen und Hebammen maßgebliche Bedeutung zu: Unter anderem geht es dabei um die Vorbereitung der Not-Sectio, die Benachrichtigung von Blutbank, Notfalllabor und Kinderarzt, gegebenenfalls auch der Anästhesie, und die Beschaffung von Blutprodukten. Entscheidend sind klare Absprachen, wer, wann was zu tun hat nach einem im Kreißsaal etablierten Notfallplan. Die Abläufe sollten alle beteiligten Berufsgruppen regelmäßig in »Echtzeit« trainieren.