Eine Innenarchitektin stellt ihr Konzept für ein Geburtshaus vor: Sie hat für jede Etage höhlenartige Räume entworfen, sowohl für die Geburten wie auch für Beratungen, Teambesprechungen oder als Schlafplatz für Hebammen. Anregungen dazu kamen von der leitenden Hebamme eines Hamburger Geburtshauses.
Von Seraphina Digeser
Als Jugendliche hatte ich den Traum, Hebamme zu werden. Später erkannte ich jedoch, dass meine Geduld für diesen Beruf nicht ausreicht. Die Faszination für Geburt und Hebammenarbeit blieb dennoch bestehen. Mit der Masterthesis »Innenraumkonzept für ein Geburtshaus« konnte ich eine Verbindung zwischen meinen Interessen und der beruflichen Ausrichtung als Innenarchitektin schaffen.
Recherche in Geburtshäusern
Geburtshäuser stellen für viele Frauen eine gute Alternative zum Krankenhaus dar, da sie Geborgenheit und Selbstbestimmung in den Vordergrund rücken. Von Architekt:innen und Innenarchitek:innen werden sie bisher selten gestaltet. Ziel meines Entwurfs war es, einen Ort zu schaffen, der Schutz, Wärme und Ruhe ausstrahlt – als essenzielle Faktoren für eine positive Geburtserfahrung. Grundlage des Konzepts bildete eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen Geburt, selbstbestimmte Geburt und Hebammenarbeit. Dazu gehörten Besuche und Interviews mit Hebammen in zwei Hamburger Geburtshäusern.
Aus den Gesprächen mit den Hebammen wurde deutlich, wie wichtig die Gestaltung und die Großzügigkeit der Geburtsräume für das Wohlbefinden der Gebärenden sein kann. Besonders die Idee einer höhlenartigen Atmosphäre in den Geburtszimmern wurde als zentraler Aspekt hervorgehoben und im Entwurf gestalterisch umgesetzt. Ein Urgefühl von Sicherheit und Geborgenheit wird vermittelt, trägt zur Entspannung bei und beeinflusst den Geburtsprozess positiv.
Raumprogramm und Orientierung
Das Raumprogramm des geplanten Geburtshauses habe ich in enger Abstimmung mit der leitenden Hebamme vom »Haus für Geburt und Gesundheit« entwickelt. Es umfasst eine Vielzahl von Bereichen, die sowohl funktionalen als auch emotionalen Anforderungen gerecht werden soll. Zu den wesentlichen Räumen gehören zwei großzügige Geburtszimmer mit integrierten Badezimmern von mindestens 25 m² Größe. Sie sollen eine flexible Nutzung ermöglichen. Ergänzt werden sie durch drei Vor- und Nachsorgezimmer, in denen persönliche Gespräche, Untersuchungen und die Betreuung nach der Geburt stattfinden können. Ein Kurs- und Veranstaltungsraum bietet Platz für Geburtsvorbereitung, Rückbildungskurse und Workshops, dieser soll im besten Fall eine Außenterrasse haben. Darüber hinaus ist ein Aufenthaltsbereich für das Hebammenteam vorgesehen, der als Rückzugsort und Treffpunkt dient.
Funktionsräume wie ein Labor, ein Hauswirtschaftsraum und ein großzügiges Archiv sichern den reibungslosen Ablauf hinter den Kulissen. Ein Familienbereich im Dachgeschoss ermöglicht es Eltern, Zeit vor und nach den Terminen in einer geschützten und ruhigen Umgebung zu verbringen. Abgerundet wird das Raumprogramm durch einen Wartebereich für Besucher:innen und ein Büro mit mehreren Arbeitsplätzen für die administrative Arbeit der Hebammen.
Die Anordnung der Räume im Gebäude folgt einer klaren Orientierung: Der öffentliche Bereich ist im Erdgeschoss angesiedelt. Er bietet Platz für Austausch und Begegnungen im Kurs- und Veranstaltungsraum oder in der Gemeinschaftsküche. Im Erdgeschoss befinden sich auch der Wartebereich mit Garderobe, das Büro der Hebammen sowie der Empfang.
Im ersten Obergeschoss liegen die Geburtsräume, die als ruhiger Rückzugsort gestaltet wurden. Zudem befinden sich hier ein großer Hauswirtschaftsraum mit Labor, ein kleiner Wartebereich, eine Teeküche sowie ein großer Schrankeinbau mit Stauraum. Im Dachgeschoss sind die Vor- und Nachsorgezimmer, ein Familienbereich und der Rückzugsort für die Hebammen untergebracht.
Ein Funktions- und Erschließungskern mit Fahrstuhl im Zentrum des Gebäudes verbindet die Geschosse miteinander. Die Nutzer:innen können sich frei um den Kern bewegen und in die jeweiligen Räume gelangen. Das ist auch für die Orientierung im Haus von Vorteil. Bei der Planung wurde besonderes Augenmerk auf Barrierefreiheit und die Optimierung von Laufwegen gelegt, insbesondere für den Fall einer Verlegung ins Krankenhaus.
Gestalterisches Element: die »Kapsel«
Ein zentrales gestalterisches Element des Entwurfs ist die sogenannte Kapsel, die für jeden Raum gleich groß ist. Dieses organisch geformte Raumelement, inspiriert von der schützenden Form des Mutterleibs, übernimmt in jedem Geschoss unterschiedliche Funktionen. Im Erdgeschoss dient die Kapsel als Besprechungsraum für Team-Meetings und vertrauliche Gespräche. Im Obergeschoss bildet sie einen Feuchtbereich, in dem eine Gebärwanne platziert ist und der durch seine Gestaltung Wärme und Geborgenheit ausstrahlt. Im Dachgeschoss findet sich die Kapsel in Form eines Beratungsraums wieder, der für psychologische Gespräche oder persönliche Beratungen genutzt werden kann. Auch im Hebammenzimmer ist eine Kapsel integriert, die als Schlafplatz dient.
Durch ihre charakteristische Form und Farbgebung wird die Kapsel zu einem zentralen Gestaltungselement und prägt maßgeblich die Atmosphäre. Jede Kapsel hat zwei Eingänge, die mit einem Vorhang verschlossen werden können. Der Bewegungsraum um die Kapsel ist frei und sowohl innen als auch außen sind Abstützmöglichkeiten geschaffen.
Die Geburtsräume von jeweils 25 m² bilden das Herzstück des Gebäudes, sie befinden sich im vorderen und hinteren Teil. Sie sind so gestaltet, dass sie die Gebärenden in allen Phasen der Geburt unterstützen und eine angenehme, stressfreie Umgebung schaffen. Zentral in jedem Geburtsraum ist die Gebärkapsel mit jeweils einer freistehenden Gebärwanne platziert.
Ausstattungselemente in den Geburtszimmern sind eine Sprossenwand zur Unterstützung verschiedener Positionen, Deckenseile für Bewegungsfreiheit sowie flexible Sitzmöbel. Die Räume bieten ausreichend Tageslicht und eine durchdachte Lichtgestaltung, die je nach Bedarf angepasst werden kann. Schallschutzmaßnahmen sorgen für eine ruhige Atmosphäre, in der die Geburten ungestört verlaufen können. In den Geburtsräumen befinden sich zudem noch ein Gebärbett, Stauraum sowie eine Spüle, ein Wickeltisch und ein separates WC mit Dusche. Auch der Gang nach draußen ist möglich. Jeder Raum hat eine eigene Loggia mit Blick ins Grüne.
Inspiration für Geburtshäuser
Im Blohmspark Hamburg-Horn, einer großen denkmalgeschützten öffentliche Grünanlage, könnte in naher Zukunft ein Gesundheitszentrum mit integriertem Geburtshaus entstehen. Seraphina Digesers Entwurf für dieses Geburtshaus ist zwar zunächst ein fiktives Konzept, soll aber als Inspirationsquelle auch für andere geplante Geburtshäuser dienen. Ideen dazu hat sie an der Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar in ihrer Masterarbeit »Innenraumkonzept für ein Geburtshaus« entwickelt. Der Entwurf lässt die besonderen Anforderungen eines Geburtshauses in die gestalterischen Ansätze einfließen. Das Konzept des Geburtshauses setzt auf eine klare Raumstruktur, eine angenehme Atmosphäre und funktionale Flexibilität, um den wechselnden Bedürfnissen von Gebärenden, Hebammen und Besucher:innen gleichermaßen gerecht zu werden.
Material- und Farbwelt
Die Material- und Farbwahl des Entwurfs ist von einer roterdigen natürlichen Höhlenlandschaft inspiriert und schafft eine beruhigende Umgebung. Die Kapseln bestehen aus rotbraunem Lehmputz, der Wärme und Schutz vermittelt und die Höhlenatmosphäre intensiviert. Das verwendete Eschenholz in den Einbauten wie Sitzbänken, Stauräumen oder Küche ist weiß gewachst und harmoniert mit den rötlichen Tönen des Lehmputzes. Der Linoleumboden in einem hellen, strukturierten Ton wirkt einladend und freundlich und ist zudem leicht zu reinigen.
Transparente und halbtransparente Vorhänge in Apricot- und Rosétönen verleihen den Räumen Leichtigkeit, während dunklere Vorhänge in intimeren Bereichen wie den Kapseln im Geburts- oder Vorsorgezimmer zusätzliche Geborgenheit bieten. Auch in der Möblierung wiederholen sich die Rosa- und Apricottöne. Für die weitere Möblierung wurde hellblauer Stoff gewählt, um einen Kontrast zu den erdigen Rottönen zu schaffen. Bei der Wahl der Materialien wurde gleichzeitig darauf geachtet, dass sie pflegeleicht sind und den hygienischen Anforderungen eines Geburtshauses entsprechen. Dimmbare Leuchten ermöglichen eine flexible Anpassung der Lichtstimmung an die jeweilige Situation, sei es während der Geburt, für Ruhephasen oder in Beratungsgesprächen. Die Kombination aus direktem und indirektem Licht schafft eine angenehme Atmosphäre, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzer:innen berücksichtigt.
» Die Material- und Farbwahl ist von einer roterdigen natürlichen Höhlenlandschaft inspiriert und schafft eine beruhigende Umgebung. «
Vorbilder in Europa
Die bisher realisierten Geburtshäuser in Europa zeigen, dass gestalterisch anspruchsvolle und architektonische Lösungen möglich sind. Dies belegen Beispiele wie das Geburtshaus Terra Alta von Dolmus Architekten in Oberkirch in der Schweiz (siehe DHZ 10/2026) oder das Projekt »Raum für Geburt und Sinne« von Anka Dür und Anna Heringer in Vorarlberg, Österreich (siehe DHZ 6/2021). Leider mangelt es in vielen Ländern an finanziellen Mitteln und ausreichend Hebammen, um neue Geburtshäuser zu realisieren.
Geburtshäuser stellen einen wichtigen Baustein in der Gesundheitsversorgung für Frauen dar. Sie bieten nicht nur Raum für die Geburt selbst, sondern auch für die Betreuung davor und danach. Mein Entwurf zeigt, wie Innenarchitektur dazu beitragen kann, Räume zu schaffen, die Geborgenheit und Funktionalität vereinen. Er steht exemplarisch für die Bedeutung von Gestaltung im Kontext von Geburt und Hebammenarbeit. Ein Bereich, der weiterhin großes Potenzial für innovative Ansätze bietet.