Daraus entstand das, was wir provokativ »Experienced Based Design« nennen. Denn nicht alles muss evidenzbasiert sein und die Erfahrungen all dieser Frauen aus erster Hand haben einen enormen Wert, einen Schatz, mit dem man arbeiten kann. In Zusammenarbeit mit zwei Wissenschaftlerinnen haben wir die Beiträge gefiltert und eine qualitative Studie erarbeitet, die in Spanien veröffentlicht wurde.
Manche Dinge haben sich dabei bestätigt, andere haben uns überrascht. So ist der erste Eindruck beim Betreten einer Geburtsabteilung wichtiger als gedacht. Auch dem Badezimmer eines Gebärraums sollten wir in Zukunft wesentlich mehr Entwurfsarbeitszeit einräumen. Und die Integration des Außenraumes kann einen grundlegenden Effekt auf den Ablauf einer Geburt haben. Ideal ist ein privater Außenraum, der dem Gebärraum direkt zugeordnet wird, sei es ein Balkon, eine Terrasse oder ein Garten im Innenhof.
Auch die OP-Räume sollten so entworfen werden, dass sie auf eine Gebärende angenehm wirken. Gekachelte Räume, die keine akustischen Anforderungen erfüllen und durch fehlendes Mobiliar die Begleitperson zum Stehen zwingen, sollten dringend überdacht werden. Heutzutage sind ja die meisten Frauen bei einem Kaiserschnitt wach und nehmen ihr Umfeld visuell intensiv wahr. Gleich mehrere Frauen haben von einer Spiegelung im Material der OP-Lampe erzählt, durch die sie direkten Blick auf ihren offenen Bauch hatten.
Lektionen aus der Pandemie
Aber auch die Pandemie war eine gute Lehrmeisterin. Als im März 2020 in Madrid innerhalb einer Woche die Mehrheit der geburtshilflichen Abteilungen geschlossen wurde, brach das Chaos aus. Grund dafür war die gute Ausstattung der Geburtsbereiche mit medizinischen Gasen, der Sauerstoff war damals für Covid-Patient:innen essenziell. Gebärende ohne Covid wurden einfach irgendwo im Spital untergebracht, mussten aber immer noch durch die allgemeine Notaufnahme, wo die Ansteckungsgefahr im ganzen Krankenhaus am größten war. Die Ausstattung der Kreißsäle wurden einfach entsorgt.
Plötzlich war das Krankenhaus nicht mehr der sichere Ort, der uns immer verkauft wurde. Krankenhäuser wurden zu einem Un-Ort, an den viele gesunde schwangere Frauen nicht mehr gehen wollten, zumal es nur spärliche Information gab, welche Geburtsabteilungen noch offen hatten. Dann entstanden in Madrid insgesamt 13 medikalisierte Hotels, um alle Covid-Patient:innen medizinisch betreuen zu können. Unsere Kampagne für ein Geburtenhotel in Madrid scheiterte leider an der letzten politischen Ebene, nachdem wir bereits vier Hotels und mehrere Hebammen dafür begeistern konnten.
Trotzdem gibt es seit der Pandemie viele positive Entwicklungen für die Hebammen und die Infrastruktur. Zwei öffentliche Wettbewerbe wurden für Geburtshäuser ausgelobt, in Mallorca und in Valencia. In beiden Fällen handelt es sich um eigenständige Häuser, die aber auf Krankenhausareal stehen und eine kurze Verbindung mit der bestehenden Infrastruktur anbieten.
Zeitgleich läuft in Katalonien in der Region um Barcelona ein Projekt, um in mehreren öffentlichen Spitälern sogenannte »Birth Centers« zu eröffnen. Bei einem durften wir mitarbeiten und es hat sich zu einer regelrechten Oase entwickelt. Nicht nur das Ambiente ist auf die Frauen abgestimmt, auch die Organisation geht viel besser auf die Bedürfnisse von Frauen und Kindern ein (siehe Fotos und Link).
Die leitende Kraft dahinter ist die Hebamme Lucy Alcaráz. Sie hat jahrelang Hausgeburten in und um Barcelona betreut und wollte zurück ins Spital, aber unter anderen Bedingungen. Mit ihr und in Zusammenarbeit mit IKEA richteten wir das Birth Center ein. Man entspannt sich sofort, wenn man dort hineingeht, weil das Ambiente einfach ein anderes ist, auch wenn man mitten im Spital ist. Und falls ein Kaiserschnitt notwendig sein sollte, hat man durch eine Tür direkten Zugang zur allgemeinen Geburtsabteilung.
Generell geht es darum, allen in Spanien gebärenden Frauen Optionen zu schaffen, in den Spitälern und auch außerhalb. Räume, die Optionen ermöglichen für eine selbstbestimmte Geburt, die die Familie wirklich integrieren können, die Komfort bieten und ein Ambiente einer gewissen Normalität schaffen, die es in solchen Momenten unbedingt braucht. Denn ohne Privatheit und Sicherheit im Raum wird Gebären für eine Frau unheimlich schwer.