Arme überkreuz?
Die erste Anwendungsidee des kH war, Frauen daran zu hindern, die Beine zu verschließen, wenn sie bei der Dehnung des Damms durch den vorangehenden Teil des Kindes aus Angst »klemmen«. Hier sollte man zunächst überprüfen:
- Ob das Aneinanderdrücken der Beine nicht für die notwendige Öffnung des Beckenausgangs sorgt und die Geburt gerade so gut voranschreitet
- Ob das Verlangsamen durch die Mutter nicht genau passend für diesen Geburtsverlauf ist?
Wenn das Schließen der Beine auf eine Abwehrreaktion hindeutet, die die Geburt des Kindes erschwert, kann es hilfreich sein, dass die Frau gebeten wird, ihre Unterarme an die Innenseite der Oberschenkel zu halten. Wenn die Hebamme ihr nun die überkreuzten Arme anbietet, entscheidet die Größe des X in den Armen der Hebamme über die Öffnung der Beine der Gebärenden. Wenn die Gebärende in der nächsten Wehe den Impuls des Schließens der Beine verspüren sollte, »blockieren« ihre eigenen Arme die Beinbewegung, was mitunter ein Tiefertreten des Köpfchens begünstigt, weil die Richtung der Kraft sehr genau in Richtung des Beckenausgangs geht. Dies hat sich vor allem bei Geburtsbegleitungen bewährt, bei denen es keine gemeinsame Sprache gibt und so nicht erklärt werden kann, warum das Schließen der Beine gerade geburtshinderlich ist.
Manchmal kommt der Impuls der überkreuzten Arme von der Gebärenden. Wenn sie so nach dem Tuch oder den Händen greift, sollte beobachtet – und eventuell in späteren Forschungsarbeiten untersucht werden –, inwiefern so gegebenenfalls spezielle (besonders trainierte Muskelketten) aktiviert werden, um die Kraft möglichst zielgerichtet einzusetzen.
Das Individuelle im Blick
Jeder Mensch benutzt – auch für alltägliche Bewegungen wie beispielsweise dem Bewegen eines Besens oder Koffers – entweder eher eine drückende Anstrengung, anderen fällt Ziehen leichter. Diese Bewegungsvorlieben zeigen uns Frauen auch unter der Geburt. Lange Zeit war die Unterstützung von Gebärpositionen eher auf Tücher ausgerichtet, die sich zum Ziehen eignen. Frauen, die eher eine Möglichkeit zum Drücken suchen, sind uns beispielsweise bei Steinschnittlagerungen aufgefallen, weil sie immer den Kopf nach hinten ins Kreißbett drücken möchten.
In allen bekannten Gebärpositionen können Frauen Möglichkeiten angeboten werden, dass sie über Druck ihre Kraft in Richtung Becken einsetzen kann. Hier sind Impulse an den Knien oft hilfreich, um Frauen in die Aktivität zu bringen.
Wer braucht welche Unterstützung?
Gerät eine Geburt ins Stocken, gilt es individuell zu entscheiden, ob oder welches Eingreifen hilfreich sein kann. Hierbei soll zunächst abgewogen werden, ob es sich um eine konstruktive Pause handelt, bei der Mutter und Kind zum Kraft Tanken kommen.
Sollte das nicht der Fall sein, gilt es zu überlegen, ob die Verzögerung kindliche oder mütterliche Ursachen hat.
Sollte das Kind nur zögerlich tiefer treten, beispielsweise bei einer Einstellungsanomalie, kann es aus dem Blickwinkel der Kinästhetik hilfreich sein, hier die Anstrengung der Mutter – beispielsweise über die zusammengerollte Windel – gezielt in die Führungslinie zu bringen.
Alle anderen Maßnahmen, die einen Einfluss auf die jeweiligen Beckenräume haben, können natürlich ergänzend angewandt werden. Vermutet man Gründe, die die Mutter betreffen, so können folgende Überlegungen hilfreich sein:
- Bei einer leichten Wehenschwäche kann immer zunächst der kH und/oder ein Angebot zum zielgerichteten Mitdrücken gemacht werden. Bei noch vorhandenem Muttermund kann so der Ferguson-Reflex ausgelöst werden, bei der Beckenpassage kann das spürbare Tiefertreten des kindlichen Köpfchens (oder des Steißes) eine große Motivation für die Frau sein.
- Kommt es trotz regelmäßiger, kräftiger Wehen nur zu einem zögerlichen Geburtsfortschritt, lohnt es sich auf individuelle Eigenschaften des Beckens zu achten. Vermutlich kann eine lange Symphyse ein Grund sein, warum die Beckenpassage länger dauern darf.
Je mehr, desto besser?
Unterstützt man die Gebärende mit dem kinästhetischen Händezug oder der Möglichkeit eines richtungsoptimierten Drückens, so bemerkt man oft die enorme Kraft, die Frauen unter der Geburt entwickeln. Das macht eine solche Hilfe häufig sehr anstrengend für die Kolleg:innen. Hier hat es sich bewährt, sensibel zu beobachten, ob sich der Zug oder der Druck in jeder Wehe steigert und steigert und ob das immer so gewünscht ist. Gerade wenn die Hebamme bemerkt, dass der kinästhetische Händezug ab einem bestimmten Punkt nicht mehr zu einem Geburtsfortschritt führt, hat es sich als hilfreich herausgestellt, ihn weniger intensiv durchzuführen. So kann sie zu Beginn der Wehe den zuletzt hilfreichen (in der Regel hohen Zug/ Druck) anzubieten um dann im Verlauf der Wehe eher von der Quantität zur Qualität zu gehen.
Das kann vergleichbar sein mit dem beruhigenden Wiegen eines Neugeborenen. Führt man schuckelnde Bewegungen aus, so können sie einen sehr beruhigenden Einfluss haben. Wir alle haben allerdings Bilder vor Augen, bei denen Neugeborene, die viel weinen, immer kräftiger geschuckelt werden, so dass diese Bewegungen ihre beruhigende Wirkung vollständig verlieren.
Mit einer reduzierteren Spannung lässt sich mehr mit Nuancen der Richtung spielen, die das Tiefertreten des Kindes unterstützen.
Manche Kollegin, die den kH immer wieder effektiv durchführt, weiß, dass es eine durchaus sehr anstrengende Form der Unterstützung ist, weil man mit einer großen Kraft und mit dem Gewicht der Frau beschäftigt ist.
Bietet man den Frauen die Hände in der ursprünglichen Form an, so entsteht eine enorm große Belastung auf das Daumengrundgelenk. Auch wenn hier die vielschichtigen Bewegungsmöglichkeiten des Handgelenks sehr gut genutzt werden können, um das Kind beim Tiefertreten zu unterstützen, ist die Verletzungsgefahr hoch und der Selbstschutz wichtig. Eine zusammengerollte Windel eignet sich hervorragend, um sie der Frau als Griff anzubieten. Gerade bei schwitzenden Händen oder langen Fingernägeln der Gebärenden ist diese Unterstützung deutlich angenehmer. Außerdem kann die Hebamme so in der Regel mit geraderem Rücken stehen oder knien, da die Windel als eine Verlängerung ihrer Arme betrachtet werden kann.
Sollte die Hebamme dennoch merken, dass die Gebärende mehr Kraft einsetzt als sie selbst entgegensetzen kann hilft ein am Bett befestigtes Tuch oder Stecklaken, um einen Teil der Kraft abzufangen.
Resümee
Der kH ist eine Möglichkeit, Frauen zu helfen, ihre Kraft zielgerichtet einzusetzen und Kinder beim Tiefertreten durch das Becken zu unterstützen. Dabei ist der alleinige Fokus auf dem Ziehen nur ein kleiner Aspekt der richtungsoptimierten Unterstützung. Kombiniert mit den verschiedenen Facetten des Drückens, ermöglicht er Hebammen ein vielfältiges Repertoire für individuelle Anpassungen der bekannten Geburtspositionen. Genau darin liegt der Schatz der Kinästhetik: Das Bewegungskonzept lädt uns ein, aus verschiedenen Blickwinkeln auf Bewegung zu achten, um intuitiver auf unser Gegenüber eingehen zu können.
Die kinästhetischen Konzepte geben uns die Möglichkeit, unser Tun immer wieder auf unsere Absicht zu hinterfragen, vor allem dann, wenn es sich um automatisierte Routinen handelt. In der Begründungszeit der Kinästhetik arbeiteten Dr. Frank Hatch und Dr. Lenny Maietta eng mit Mosche Feldenkrais zusammen und prägten den Leitgedanken: Nur wenn ich weiß, was ich tue, kann ich tun was ich will (Feldenkrais, 1995).