Die Wochenbettzeit beginnt direkt nach der Geburt und dauert bis zu sechs Wochen oder 42 Tage nach der Geburt. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) handelt es sich dabei nicht nur um einen »kritischen Zeitraum« für Frauen, Neugeborene, Partner, Betreuungspersonen und Familien (WHO, 2022), sondern um eine Phase im Kontinuum von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, die am meisten vernachlässigt wird: »Most Neglected Phase« (WHO, 2024).
Vernachlässigt, obwohl die Zeit nach der Geburt Gefahren für Mutter und Kind mit sich bringen kann (WHO, 2013): Die meisten mütterlichen und kindlichen Sterbefälle treten während der ersten sechs Wochen nach einer Geburt auf (WHO, 2024). Nach Schätzungen fallen bis zu 30 % aller mütterlichen Todesfälle in die Wochenbettzeit (Kassebaum et al., 2014). In der Postpartalzeit stellen schwere mütterlichen Blutungen in Form atonischer Nachblutungen die Hauptursache mütterlicher Todesfälle dar (WHO, 2019).
Die weltweite Müttersterblichkeit wird seit Jahren als »unakzeptabel hoch« eingeschätzt: 2019 starben fast 300.000 Frauen weltweit in Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (WHO, 2023). 94 % aller mütterlichen Sterbefälle traten in Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen auf. Die Müttersterblichkeit war weltweit sehr unterschiedlich: Sie betrug 462 pro 100.000 Lebendgeburten in Ländern mit geringem Einkommen im Vergleich zu 11 pro 100.000 Lebendgeburten in Ländern mit hohem Einkommen (WHO, 2019).
Bei geschätzten knapp 300.000 Frauen, die in Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett weltweit pro Jahr versterben, bedeutet ein Anteil von 30 % aller mütterlichen Todesfälle während der Postpartalzeit: Jährlich versterben ungefähr 100.000 Frauen an Komplikationen, die in Zusammenhang zur vorausgehenden Schwangerschaft und Geburt stehen und während der Postpartalzeit auftreten. Täglich versterben damit 270 Frauen während der Wochenbettzeit. Diese Komplikationen sind zum Großteil vermeidbar und könnten durch kompetente evidenzbasierte Hebammenarbeit verhindert werden (UNFPA, 2021).
Weltweit fehlen Hebammen
Evidenzbasierte Hebammenarbeit ist jedoch nur möglich, wenn überhaupt Hebammen vorhanden sind. Die Realität ernüchtert: Weltweit existiert ein Fachkräftemangel von 900.000 Hebammen (UNFPA, 2021). Es fehlen Hebammen zur Betreuung von Frauen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Hebammenmangel existiert auch in Deutschland: Direkt vor Ort, wo die Hebamme gebraucht wird, ist oft keine verfügbar.
Eine Befragung unter 570 Frauen zur Hebammenbetreuung im Wochenbett zeigte, dass 15,1 % weder zur Vor- noch zur Nachsorge eine Hebamme hatten (Kartenmacherei, 2023). Dabei waren Hauptgründe, keine passende Hebamme oder keine Hebamme mit freien Kapazitäten gefunden zu haben. Auf Nachfrage hätten sich mehr als die Hälfte aller Frauen ohne Hebamme eine gewünscht. Retrospektiv schätzten 58 % der Frauen mit einer Nachsorgehebamme die erhaltene Hilfe im Wochenbett als sehr wichtig ein (Kartenmacherei, 2023).
Berücksichtigt man die Studie von Andrea Nove und Kolleg:innen, wird die Brisanz der weltweit unakzeptabel hohen Müttersterblichkeit noch deutlicher: Durch eine universelle Abdeckung aller hebammenrelevanten Tätigkeiten könnten 67 % der mütterlichen und 64 % der kindlichen Todesfälle sowie 65 % der Fehlgeburten vermieden werden (Nove et al., 2020). Diese fiktive Berechnung zeigt: Bis ins Jahr 2035 wären dies weltweit 4,3 Millionen Todesfälle weniger.
Wären genug Hebammen praktisch tätig, könnte auch ein Großteil der vermeidbaren mütterlichen Todesfälle während der Postpartalzeit vermieden werden: Komplikationen während der Postpartalzeit könnten erkannt und evidenzbasiert betreut werden. Doch wie sieht solch eine evidenzbasierte Betreuung nach der Geburt aus?
Evidenzbasierte Betreuung nach der Geburt
Die evidenzbasierte Betreuung nach der Geburt wird umfassend in den WHO-Recommendations »on maternal and newborn care for a positive postnatal experience« beschrieben (WHO, 2022). Die Leitlinie enthält 63 Empfehlungen für die evidenzbasierte Betreuung von Frauen und deren Neugeborenen nach der Geburt.
Zugrunde liegt ein respektvolles, individuelles und frauenzentriertes Betreuungsmodell, das neben effektiven Verlegungsregeln sowie medizinischer Infrastruktur auch kompetente und motivierte Mitarbeiter:innen des Gesundheitssystems beschreibt. Die WHO zeigt als Basisbetreuung auf:
- Unterstützung des exklusiven Stillens
- Warmhalten des Neugeborenen
- häufiges Händewaschen
- Durchführung einer hygienischen Nabel- und Hautpflege
- Erkennen von Situationen, die eine besondere Betreuung erfordern
- Erkennen pathologischer Zustände.
Allen Frauen und Neugeborenen werden Check-up-Untersuchungen während der Wochenbettzeit empfohlen (WHO, 2024). Diese umfassen als Grundversorgung mindestens vier Kontakte zwischen einer Hebamme und einer Frau in den ersten sechs Wochen nach der Geburt (siehe WHO-Leitlinien zur Wochenbettbetreuung: Vier Besuche in sechs Wochen. DHZ 74(9) 84–91).
Auch für Großbritannien finden sich Leitlinien zu »Postnatal Care«, die im April 2021 veröffentlicht wurden (NICE, 2021). Das National Institute for Health and Care Excellence beschreibt darin Empfehlungen zur Betreuung von Frauen und deren Neugeborenen für die ersten acht Wochen nach der Geburt. Diese Leitlinie enthält Empfehlungen zur Organisation und Durchführung der Betreuung der Wöchnerin und des Neugeborenen, Symptome und Krankheitszeichen des Neugeborenen sowie Aspekte zur Planung und Unterstützung der Säuglingsernährung.
In Deutschland findet sich bislang keine AWMF-Leitlinie zur Betreuung von Mutter und Kind während der Wochenbettzeit. Es existieren Leitlinien zu verschiedenen assoziierten Themen wie Brustentzündung in der Stillzeit, Management von Dammrissen III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt und Hyperbilirubinämie des Neugeborenen, sowie Prävention des Plötzlichen Kindstods (AWMF, 2023). Seit dem 6. September 2023 ist eine S3-Leitlinie zur Betreuung von Mutter und Kind im Wochenbett im AWMF-Leitlinien-Register angemeldet (AWMF, 2023).
Zum Beispiel: Stillen
Diese Leitlinie wird in eine Situation in Deutschland hineingeschrieben, in der während der Postpartalzeit einige Herausforderungen existieren, beispielsweise zum Thema Stillen und Ernährung des Neugeborenen mit Muttermilch. Dieses Beispiel zeigt, dass die Betreuung während der Postpartalzeit in Deutschland kritisch reflektiert werden muss.
Bekannt ist: Muttermilch ist die ideale Ernährung für Säuglinge (WHO, 2022). Verschiedene Studien belegen positive Effekte für die Mutter und das Neugeborene. So wird angenommen, dass Stillen bis zu einem Jahr die Anzahl kindlicher Todesfälle jährlich um 823.000 verringern und 20.000 mütterliche Todesfälle aufgrund Brustkrebs verhindern könnte (Victora et al., 2016). Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt ausschließliches Stillen für sechs Monate (WHO, 2022). Die Nationale Stillkommission empfiehlt für Säuglinge die ausschließliche Ernährung mit Muttermilch für sechs Monate, mindestens jedoch vier Monate, sowie ein Weiterstillen nach Einführung der Beikost (BMEL, 2021).
Gleichzeitig zeigen Daten zum Stillverhalten in Deutschland, dass fast 90 % der Mütter in Deutschland beabsichtigen, ihr Kind zu stillen, jedoch nur 68 % ihr Kind nach der Geburt ausschließlich stillen (KIGGS, Welle 2). Zwei Monate nach der Geburt stillen nur noch 57 % aller Frauen ausschließlich und vier Monate nach der Geburt sind es nur noch 40 % (Brettschneider, von der Lippe and Lange, 2018).
Es wird vermutet, dass Mütter mehr Unterstützung beim Stillen sowie eine intensive Begleitung bei individuellen Problemen und Fragen benötigen. Die Autor:innen zeigen auf, dass ergänzende Maßnahmen zur Stillförderung erforderlich sind, vor allem eine Unterstützung bei verschiedenen Stillproblemen (Brettschneider et al., 2018). Daraus ergibt sich die Frage, wie Mütter in Deutschland unterstützt werden.
Daten des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen zeigen (IQTIG, 2023): 4,29 % aller Frauen (n=30.332) gingen direkt nach der Geburt nach Hause. Gut ein Drittel (39,44 %) blieb nach der Geburt einen bis zwei Tage in der Klinik (n=279.076). Bei mehr als der Hälfte aller Frauen (55,1 %) betrug die postpartale Verweildauer drei bis sechs Tage (n=389.922). Das bedeutet: Die meisten Mütter wurden direkt nach der Geburt von einem Klinikteam betreut, da sie nach der Geburt für mehrere Tage dort blieben (IQTIG, 2023). Im Jahr 2022 fand in Deutschland eine ambulante Geburt selten statt.
Eins-zu-eins-Betreuung im Wochenbett
Hier drängt sich der Gedanke auf, dass die evidenzbasierte Betreuung der physiologischen Geburt als zentralen Aspekt die Eins-zu-eins-Betreuung durch eine Hebamme beinhalten sollte (AWMF, 2020; NICE, 2023; WHO, 2018). Welchen Stellenwert nimmt die Eins-zu-eins-Betreuung während der Wochenbettzeit ein? Was umfasst die Evidenzlage zur Eins-zu-eins-Betreuung während der Postpartalzeit?
Eine Eins-zu-eins-Betreuung im Wochenbett lässt sich weiterdenken: Eine Mutter mit ihrem oder ihren Säugling(en) wird von einer Hebamme nach der Geburt betreut. Diese Form der Betreuung steht Frauen in Deutschland nach der Geburt zu. Ein Frau kann nach der Geburt zwölf Wochen lang die Unterstützung einer Hebamme in Anspruch nehmen, bei Bedarf auch bis zum Ende der Stillzeit (GKV, 2018).
Die IQTIG-Daten zeigen jedoch, dass diese exklusive Eins-zu-eins-Betreuung bei mehr als der Hälfte aller Frauen erst drei bis sechs Tage nach der Geburt beginnt, da sie zuvor in der Klinik war (IQTIG, 2023). Nun kommt es bekanntermaßen ja auf den Anfang an (DHV, 2024) und damit stellt sich die Frage: Erhalten vielleicht in Deutschland mehr als der Hälfte aller Mütter keine optimale evidenzbasierte Betreuung im Wochenbett, weil sie während des Klinikaufenthalts keine Ein-zu-eins-Betreuung von einer Hebamme erhalten?
Entscheidet sich eine Frau dafür, direkt nach der Geburt nach Hause zu gehen, wird sie meist von einer Hebamme ihrer Wahl betreut: Die Frau und die Hebamme kennen sich im besten Fall schon seit der Schwangerschaft, weil eine ambulante Entbindung in den meisten Fällen bereits frühzeitig geplant wird. Im besten Fall haben beide ein Vertrauensverhältnis zueinander: Die Hebamme weiß über die Wünsche und Bedürfnisse der Wöchnerin Bescheid und die Wöchnerin weiß die Hebamme und deren Beratung einzuschätzen. Die Wöchnerin erhält dadurch eine Eins-zu-eins-Betreuung direkt im Anschluss an ihre Geburt. Welche Evidenzen liegen hierzu vor?
Betreuung nach ambulanter Klinikgeburt
Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2021 fasst Erkenntnisse zur frühzeitigen Entlassung nach einer Klinikgeburt für gesunde Mütter und Neugeborene zusammen (Jones et al., 2021). Berücksichtigt wurden 17 Studien (n=9.409 Frauen) mit Daten zur ambulanten Geburt gesunder Frauen und deren reif geborenen Kindern (>37SSW, >2.500 Gramm Geburtsgewicht).
Beim mütterlichen Outcome zeigte sich: Eine frühzeitige Entlassung ging nicht mit einer erhöhten mütterlichen Komplikationsrate oder vermehrter Wiederaufnahme in die Klinik einher. Ebenso zeigten sich keine Unterschiede im Hinblick auf das Risiko einer postpartalen Depression innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt. Es gab wenig bis keine Unterschiede in der Anzahl stillender Frauen nach sechs Monaten.
Beim kindlichen Outcome zeigte sich ein leicht erhöhter Anteil an Kindern, die nach einer frühzeitigen Entlassung erneut aufgenommen werden mussten: Dieser betrug in der Gruppe der früh entlassenen Kinder 69 pro 1.000 im Vergleich zu 43 pro 1.000 Kindern der Kontrollgruppe, die später entlassen wurde.
Unklar bleibt, ob eine frühzeitige Entlassung Einfluss auf die mütterliche und kindliche Sterblichkeit hat. Zum Cochrane-Review muss kritisch angemerkt werden, dass der Begriff einer »frühzeitigen Entlassung« in den verschiedenen Studien unterschiedlich definiert wurde und »early discharge« die Entlassung der Mutter nach sechs Stunden bis fünf Tagen umfasste. Somit müssen die Daten in dieser Argumentation unter Vorbehalt diskutiert werden, da es ja gerade um Unterschiede in diesem Zeitraum geht.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, den Blick über den Tellerrand zu richten: In vielen anderen Ländern ist eine frühzeitige Entlassung nicht die Ausnahme, sondern die Regel, gerade nach einer physiologischen Spontangeburt (Campbell et al., 2016). Frauen werden rasch nach Hause entlassen und dort im besten Fall von einer Hebamme ihrer Wahl evidenzbasiert betreut. Dieses Scoping-Review von Oona M. R. Campbell und ihrem Team zeigt auf, dass Frauen nach einer frühzeitigen Entlassung größtenteils zufrieden waren. Hierbei spielte jedoch die Art und Weise der Eins-zu-eins-Betreuung durch eine Hebamme, Verwandte und Freund:innen eine große Rolle. Je mehr Unterstützung die Frau während der Postpartalzeit erhielt, desto zufriedener war sie (Campbell et al., 2016).
Interessanterweise konnte dies auch für Väter nach einer ambulanten Geburt aufgezeigt werden. Eine qualitative Studie aus Schweden gibt Hinweise darauf, dass Väter ambulante Betreuungsmodelle während der Wochenbettzeit schätzen, da sie die neue Lebensphase bewusst wahrnehmen und annehmen können (Johansson et al., 2021). Die meisten Väter beurteilten nach einer ambulanten Geburt die professionelle Hebammenbetreuung als relevanten Sicherheitsaspekt, wohingegen sie im krankenhausinternen System Störungen des Wochenbetts erlebten (Johansson et al., 2021).
Fazit: Die Wochenbettzeit in den Fokus nehmen
Im besten Fall folgt einer physiologischen Geburt eine physiologische Postpartalzeit. Die Wochenbettzeit stellt eine sehr wichtige Lebensphase dar, weil Mutter und Kind interagieren, sich kennen lernen und aufeinander einspielen.
Die Anmeldung einer S3-Leitlinie zur Betreuung von Mutter und Kind im Wochenbett im AWMF- Register ist zu begrüßen: ein ermutigender Schritt in die richtige Richtung, die physiologische Betreuung während der Postpartalzeit aktiv mitzugestalten. Woran sollen sich Hebammen sonst orientieren, wenn sie evidenzbasiert arbeiten möchten, jedoch keine Grundlagen in deutscher Sprache existieren? Es wäre wünschenswert, die Bedeutung der Eins-zu-eins-Betreuung sowie den Aspekt einer ambulanten Geburt während der Postpartalzeit genau zu evaluieren und herauszuarbeiten, sowie die gekonnte Nichtintervention auch für die Betreuung in der Postpartalzeit weiterzudenken.
Für eine evidenzbasierte Betreuung von Müttern und Kindern während der Postpartalzeit sind Hebammen in ausreichender Anzahl in Deutschland erforderlich. Es ist wichtig, einerseits in die Ausbildung und andererseits in die notwendigen Rahmenbedingungen zu investieren, um praktisch tätige Hebammen in ihrem Beruf zu halten. Gute Arbeitsbedingungen, sinnvoll ausgerichtete Studienanteile und eine gerechte Entlohnung für evidenzbasierte Hebammenarbeit sind unerlässlich. Es gilt, die Postpartalzeit als Geburtsphase weltweit und in Deutschland nicht zu ignorieren oder untergeordnet zu betrachten: Nehmen wir sie in den Fokus!