Sarah Bernhardt, Theorie-Praxis-Koordinatorin (links), Hella Jonas, Lehrende für besondere Aufgaben (rechts) und Melita Grieshop im Skillslab der Evangelischen Hochschule Berlin. Foto: © Florian von Plötz

Der praktische Unterricht im Skillslab: Mit verschiedenen Modellen und in digital gesteuerten Simulationen lernen Studierende der Hebammenwissenschaft den Geburtsmechanismus kennen. Wie pathologische Situationen oder Notfälle zu lösen sind, üben sie in Rollenspielen. Welche Potenziale bieten moderne Hightech-Simulationsmodelle?

Katja Baumgarten: Die Evangelische Hochschule Berlin (EHB) hat im Mai dieses Jahres ihr modernes Skillslab im Hebammen-Studiengang eröffnet. Was versprechen Sie sich davon?

Melita Grieshop: Vom Skillslab erwarten wir eine große Qualitätsverbesserung für unser Studium der Hebammen­wissenschaft. Jetzt können die Studierenden ihre theoretischen Kenntnisse zunächst in einem geschützten Raum trainieren. Wir werden auch Peer-gestütztes Lernen einführen. Die Studierenden können dann ergänzend ohne Lehrpersonal in kleinen Gruppen üben, bevor sie sich mit fortgeschrittener Kompetenzentwicklung im Umgang mit den realen Klientinnen sicherer fühlen und auch die Praxisanleiterinnen auf ein anderes Kompetenzniveau aufbauen können.

Sie haben in Ihrem Skillslab auch ein Hightech-Modell zur Geburtssimulation. Können solche Modelle den Geburtsweg des Kindes, die Geburtsmechanik und die komplexen Vorgänge einer Geburt realistisch darstellen?

Ja, wir haben ein High-Fidelity-Simulationsmodell für komplexe Prozesse in der Geburtshilfe. Es ist in der Anwendung recht aufwendig und personalintensiv, da das Modell vor der Lehrveranstaltung vorbereitet und der Geburtsablauf programmiert werden muss. Zudem benötigen wir bei der Durchführung des Trainings eine zusätzliche Person, die das Modell und das Übungsszenario steuert. Daneben haben wir weiterhin andere Modelle, mit denen wir weniger komplexe Simulationen durchführen, bis hin zum altbewährten Lederphantom. Wir arbeiten auch weiterhin mit dem knöchernen Becken und der Lederpuppe. Unsere Ausstattung reicht also von einfachen anatomischen Modellen bis hin zu dieser High-Fidelity-Ausstattung in Verbindung mit einem sehr modernen Audio-Video-System. Darüber können wir Situationen filmen und Marker setzen, wenn etwas besonders zu betrachten ist, damit wir uns die simulierte Situation hinterher mit den Studierenden ansehen und feststellen können: Dies ist besonders gut gelungen oder hier gibt es noch Verbesserungspotenzial.

Welchen Stellenwert haben Lederphantom und Lederpuppe gegenüber den neuen technischen Modellen?

Die gute Sichtbarkeit des Geburtswegs ist weiterhin ein Vorteil der althergebrachten Modelle. Da kann ich in das Innere hineinschauen, das Zusammenspiel von Kopf und Becken gut nachvollziehen und auch die knöchernen Strukturen und die Pfeilnähte betrachten und tasten. Es fehlt nur leider der weiche Geburtsweg. Der ist ja am Lederphantom nicht sehr realitätsnah dargestellt. Das Kind wirkt darin immer etwas verloren. Beim Lederphantom ist zunächst eine Deckhülle auf dem Beckeneingang, wir können hinterher hineinschauen und das ganze Kind sehen: So habe ich das Kind eingestellt und das ist das, was die Studierenden vaginal getastet haben – so passt es zueinander. Das ist ein großer Vorteil, während so ein High-Fidelity-Simulationsmodell nur von uns vorbereitet wird. Das machen nicht die Studierenden. Nur die vorbereitende Person sieht, wie das Kind eingestellt ist.

Das »Kind« muss vorab manuell eingestellt werden – es stellt sich nicht automatisch in einer programmierten Haltung ein?

Es braucht beides: Das Kind wird zunächst manuell in die Puppe bspw. in Schädellage eingelegt und arretiert. Danach wird es über die digitale Steuerung, die vorab festgelegt wurde, in die vorgesehene Stellung und Haltung gebracht. Dafür ist eine gute Vorbereitung notwendig, eine didaktische Einbettung in die Lehre und eine Art Drehbuch. Man kann einstellen, wie schnell die Geburt vorangehen, wie schnell das Kind tiefer treten soll oder wie häufig die Wehen stattfinden sollen. Man kann die Situation stoppen oder beschleunigen. Das wird alles vorher festgelegt. Die Studierenden wissen in der Regel, um welches Lernthema es sich handelt.

Wir haben im Sommersemester mit den Trainings im neuen Skills-Lab begonnen. Dabei lassen wir die Studierenden nicht unvorbereitet in ein Szenario gehen. Sie wissen in der Regel, um welches Lernthema es sich handelt. Dafür müssen sie zunächst die Grundlagenkenntnisse an den altbekannten Modellen erworben haben. Damit ich eine Haltung oder eine Einstellungsanomalie vaginal zu tasten lerne, brauche ich kein Hightech, keine digitale Steuerung.

Wo liegt der spezielle Nutzen des Hightech-Modells?

Die Hightech-Puppe wird zielgerichtet für komplexe Szenarien eingesetzt. Zum Beispiel beim Management einer Schulterdystokie, bei einem Notfall – das wäre das Paradebeispiel. Es kann auch eine Beckenendlage sein. Gut eignen sich natürlich Szenarien, in denen mehrere Personen anwesend sind, eine interdisziplinäre Situation, in der verschiedene Aufgaben zu bewältigen sind – vor allem wenn schnell gehandelt werden muss.

Wie differenziert läuft das ab, sagen wir bei einer Schulterdystokie? Unterscheidet die Programmierung des Modells beispielsweise zwischen einer erschwerten Schulterentwicklung, einer unvollständigen oder einer vollständigen Schulterdystokie?

Nein, entsprechend der Literatur wird so unterschieden: Entweder ist es eine Schulterdystokie oder ist es keine Schulterdystokie. Die Studierenden müssen die Merkmale der Schulterdystokie erkennen, die Kriterien bewerten und dann die Diagnose aussprechen. Das Notfallszenario muss natürlich vorher sehr gut besprochen worden sein: Es muss in der Theorie erlernt und die Rollen müssen abgestimmt worden sein, wer ist jetzt wer in dieser Situation. Wenn Studierende in Gruppen eingesetzt werden, ist es immer gut, wenn sie beispielsweise auch einmal die Rolle der Begleitperson übernehmen, um die Situation aus deren Perspektive zu erleben und zurückzumelden.

Dann schauen wir, wie die Notfallsituation im Team bewältigt wird. Wir können den einzelnen Beteiligten über kleine Sender Hinweise geben. Wenn beispielsweise in einer Notfallsituation die Begleitperson vergessen wird, könnte ich ihr über den Regieraum die Anweisung geben, »machen Sie doch einmal auf sich aufmerksam, simulieren Sie Angst oder Unsicherheit oder fragen Sie etwas, damit man Sie wieder miteinbezieht«. Auch das ist möglich, die Situation nachzusteuern.

Kann dieses Modell die Geburtsmechanik realistisch darstellen? Wird das Becken im Modell dann enger? Oder beispielsweise bei einem hohen Schultergeradstand, wird das »Kind« dann vorab im Becken entsprechend eingestellt?

Die Situation einer Schulterdystokie wird programmiert und dann stoppt die Simulation an der Stelle, wenn der Kopf geboren ist, aber eben im Schildkröten­phänomen darüber aufgesetzt bleibt und das Kind nicht weiter geboren wird. Die Studierende, die in der Rolle der Hebamme eingesetzt ist, soll feststellen, ob die maßgeblichen Kriterien für eine Schulterdystokie vorliegen. Dann hat sie die Diagnose auszusprechen und das Notfallszenario auszulösen. Dann wird alles gemacht, wie es dann auch in der Praxis gemacht werden muss. Es ist wirklich gut, das ganze Notfallszenario durchzuspielen, weil oft Kleinigkeiten vergessen werden. Alle denken immer gleich an McRoberts, aber damit fängt es ja nicht an. Es fängt damit an, dass ich erst einmal Hilfe aktiviere oder das Bett flach stelle – und dann werden erst die Manöver durchgeführt. Die Fortsetzung der Geburt wird im Simulationsmodell erst ausgelöst, wenn das Manöver richtig durchgeführt wurde.

Trainieren diese Hightech-Modelle die Studierenden nicht eher auf eine Geburt im Liegen?

Man kann dieses Simulationsmodell in den Vierfüßlerstand oder auch in Seitenlage bringen. Aber je mehr wir die Hightech-Puppe bewegen, desto eher wird wahrscheinlich einmal ein technischer Defekt auftreten. Mit dieser Puppe kann man sehr gut trainieren, wie die Manöver durchgeführt werden, weil die Geburt erst erfolgt, wenn zum Beispiel der suprapubische Druck richtig ausgeführt worden ist. Das passiert also überwiegend liegend. Aber wir haben ja andere Möglichkeiten, die aufrechten Geburtspositionen und die Vorteile der aufrechten Haltung unter der Geburt zu trainieren. Diese Übungen schließen dann an – auch für die Schulterdystokie.

Wie vermitteln Sie die vertikalen Geburtspositionen?

Die Studierenden müssen erst einmal den physiologischen Geburtsmechanismus verstehen und warum sich eine aufrechte Haltung positiv auf den Geburtsverlauf auswirken kann. Sie sollten alles selbst ausprobieren und Rückschlüsse ziehen. Dann sollten sie lernen, eine Gebärende anzuleiten, andere Positionen einzunehmen. Das können wir mit einer anderen Puppe üben.

In dem Hightech-Modell ist die Muskulatur nicht speziell dargestellt – bewegt sich das Kind wie durch Zauberhand durch das Becken?

Den Geburtsfortschritt kann man nachvollziehen, aber der Geburtsweg ist weiter als in der Realität. Es ist eher das Becken dargestellt. Dieses Modell ist jedoch näher an der Realität als das Lederphantom. Die Muttermundöffnung wird gut dargestellt: Der Muttermund öffnet sich, der Kopf kommt tiefer und er verändert auch seine Einstellung. Das High-Fidelity-Modell hat den Vorteil, dass es den ganzen Geburtsprozess besser darstellen kann, während es im Modell vom knöchernen Becken immer ein Umgreifen erfordert, wenn ich das Kind halte. Das ist anstrengend: Wenn ich vier Tage lang bei den mündlichen Examensprüfungen bei jeder Studentin das Modell vom Kind einstellen muss, dann merke ich das auch in der Hand. Wenn ich die Haltung des Kindes verändere, muss ich am Kopf des Kindes umgreifen. Dabei gibt es immer einen Bruch im Geburtsprozess.

Die alten Modelle betonen die Abstraktion, während sich die technische Simulation der Realität immer mehr annähern soll, aber sie doch nicht erreichen kann. Steht diese Scheinwirklichkeit den Studierenden nicht auch im Weg?

Diese Frage haben wir bis jetzt nicht evaluiert. Zunächst nehmen die Studierenden das Skillslab als hilfreich wahr und fragen nach mehr Lerneinheiten dort. Zum anderen wissen sie, dass es ein Modell ist. Sie kennen ja ihren eigenen Körper und sie sind ja auch schon im Kreißsaal und sehen echte Geburten und wissen, dass es da Unterschiede gibt.

Man sollte bei den Skillslab-Übungen immer darauf achten, dass das Simulationsmodell einen Namen bekommt. Damit wir die Puppe so einsetzen, als wäre sie eine reale Gebärende. Man achtet beispielsweise darauf, wie die Arme der Modell-Frau liegen, dass sie nicht unbequem verdreht sind.

Es ist ein Simulationsmodell mit all seinen Einschränkungen, aber es hilft uns, die Brücke in die Praxis zu schlagen. Wir wollen nicht nur unsere manuellen Fähigkeiten schulen, sondern parallel einüben, dass Geburtshilfe eine individualisierte Betreuung ist. Die Modell-Frau und ihre Begleitperson werden angesprochen, es wird darauf geachtet, dass die »Frau« sich wohl fühlt, ihre Intimsphäre gewahrt wird und die Kommunikation respektvoll und empathisch geschieht. Sonst würde das ganze Skillslab-Training zu einer verrichtungsorientierten Angelegenheit.

Das Hightech-Modell ist menschenähnlich gestaltet, der Geburtsvorgang wird programmiert und von außen gestaltet. Wird die Gebärende dadurch bei den angehenden Hebammen eher als passive Figur eingeführt?

Das ist ein wichtiger kritischer Blick auf diese Entwicklung – die Gefahr besteht. Wenn die Technik im Vordergrund steht, kann so etwas passieren. Aber wir arbeiten immer mit konkreten Fallbeispielen: Die Gebärende und die Begleitperson haben Namen – beispielsweise geht es dann um eine 36-jährige Drittgravida, Zweitpara, drei Tage vor Termin, und hinterher hat auch das Neugeborene einen Namen. Es ist eine individualisierte Situation und unser Auftrag ist dann nicht: »Führen Sie eine Handlung durch«, sondern: »Betreuen Sie Frau Müller in dieser Situation angemessen.« Die Lehrveranstaltungen zu professioneller Kommunikation und Betreuungsgestaltung sind vorher schon gelaufen und es wird erwartet, dass diese Kenntnisse hier eingesetzt werden. Deshalb wird die High-Fidelity-Puppe erst in den höheren Semestern eingesetzt.

Wenn man als Kind mit Puppen gespielt hat, hat man Situationen in der Fantasie erlebt, als wären sie echt. Haben Erwachsene auch noch diese »Verspieltheit«, geburtshilfliche Vorstellungen auf das technische Gerät zu übertragen, als wären sie real?

Es ist wichtig, dass wir unsere Rolle kennen. Es ist und bleibt eine Simulationspuppe, keine echte Frau. Aber wir trainieren hier etwas, was für die echte Frau wichtig ist, damit die Studierenden in der Arbeitsrealität möglichst keine Fehler machen. Das heißt auch, dass ich wieder aus der Rolle herausgehen muss.

In der Lehre müssen die Studierenden auch in andere Rollen schlüpfen. Es ist für sie sehr hilfreich, beispielsweise einmal die Perspektive der gebärenden Person einzunehmen. Ich bin manchmal erstaunt, wie gut die Studierenden diese Rollen ausfüllen und in die vorgegebenen Szenarien eintauchen. Wir hatten letztens im Setting bei einer Schulterdystokie-Simulation eine Kollegin dabei, die hatte die Rolle des Partners übernommen. In der Art wie sie die Hand gehalten hat, zeigte sich ihre Fähigkeit zum Perspektivwechsel – das Verhalten ist dann nahezu echt. Allen ist aufgefallen, dass die Betreuung durch den Partner sehr gut war, ohne dass es dafür ein Skript gab.

Das Potenzial der Hightech-Modelle liegt also vor allem darin, dass die Studierenden im Team trainiert werden und die Betreuungssituation als Ganzes erleben?

Die Hightech-Puppe ist nicht auf den Geburtsmechanismus reduziert. Es gehört mehr dazu: die Wehentätigkeit, die Überwachung des Kindes, die Äußerungen der Frau – sie kann stöhnen, rufen und kleine Fragmente sprechen. Sie kann auch krampfen. Das ist um ein Vielfaches komplexer, als wenn es nur darum geht, im ersten oder zweiten Semester den Geburtsmechanismus zu verstehen und bei der vaginalen Untersuchung die Einstellung des Kopfes und die Muttermundsweite festzustellen. Dafür brauche ich keine Digitalisierung. Der Geburtsverlauf an dem althergebrachten Modell bleibt eher statisch. Man teilt ein in Beckeneingang, Beckenmitte und Beckenausgang und quer, schräg oder längs verlaufende Pfeilnaht.

Bisher hatte ich die Vorstellung, dass die Komplexität einer Geburt nicht wirklich abzubilden ist.

Ja. Die wahre Komplexität der Geburtshilfe lässt sich nicht abbilden. Weil all das, was die Frau mitbringt, von ihren Ängsten und Wünschen bis zu ihrer körperlichen Konstitution, so individuell ist. Wir können nur ein paar Parameter vorgeben.

Das Skillslab ist nur ein Zwischenschritt. Es ist ein Lernort, um das, was die Studierenden in der Theorie gelernt haben, ein erstes Mal anzuwenden, mit dem Wissen, wenn ich jetzt hier einen Fehler mache, das ist nicht schlimm, wir können zurückspulen. Wir können es noch einmal machen, um dann erst in die reale Praxis zu gehen.

Fördern digitale Lehrmethoden nicht letztlich die Technisierung der Geburtshilfe?

Digitale Lernmodelle verändern nicht unsere Haltung zu einer gesundheitsfördernden, frauenorientierten und interventionsarmen Geburtshilfe. In der Lehre und in der Geburtshilfe muss es nicht digitaler werden. Im Gegenteil: Wir schulen mit diesen technischen Hilfsmitteln besser, damit Hebammen auch in schwierigen Situationen, zum Beispiel auch in der Hausgeburtshilfe, handlungskompetent sind und sich sicherer fühlen. Gerade in Zeiten von Hebammenmangel, wo Kolleginnen in kleinen Kliniken allein im Dienst sind, sollen sie wissen: Ich habe Erfahrung im praktischen Handeln, auch wenn es nur Skillslab-Erfahrung ist. Ich fühle mich sicher und deswegen traue ich es mir zu, alleine im Dienst zu sein. Sie machen im Studium praktische Erfahrung in Situationen, die sie in der Praxis hoffentlich nicht so häufig erleben.

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Zitiervorlage
Baumgarten K: Interview mit Melita Grieshop: Ledermodell oder Hightech-Puppe? Deutsche Hebammen Zeitschrift, 2022. 74 (9): 50–54
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