Vaginale Zwillingsgeburten sollten Kreißsaalteams regelmäßig in Simulationstrainings üben: Wenn Hebammen, GynäkologInnen, KinderärztInnen, AnästhesistInnen, Pflegekräfte aus der Neonatologie und der Anästhesie Hand in Hand arbeiten, gelingen auch schwierige Geburtsmanöver.
Zwillinge sollten ausschließlich in Kliniken zur Welt kommen, welche die für diese Risikogeburten erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. In Deutschland sind das Geburtskliniken, die mindestens als Level-3-Kliniken ausgewiesen sind, so die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen (G-BA 2019). Einheitliche Leitlinien oder Empfehlungen für Mehrlingsgeburten sind in Deutschland nicht vorhanden.
Klinische Voraussetzungen für die Mehrlingsgeburt
In der Klinik sind für die Betreuung einer Geburt von Zwillingen mindestens zwei Hebammen erforderlich. Es ist ratsam, dass zumindest eine der Hebammen ausreichende Erfahrung damit hat. Das heißt, sie sollte nach ihrer Ausbildung mindestens zwei Jahre in einer großen Geburtsklinik mit einer ausreichenden Zahl von Mehrlingsgeburten gearbeitet haben (Perinatalzentrum oder perinataler Schwerpunkt).
Ärztlicherseits ist Facharztpräsenz mit entsprechender Erfahrung unbedingt erforderlich. Hierzu gehört unter anderem, dass der Facharzt oder die Fachärztin über Kenntnisse und ausreichende Übung der vaginalen Entbindungsverfahren verfügt, vor allem auch die Forzepsgeburt, die bei der Entwicklung des zweiten Geminus in seltenen Fällen unumgänglich ist. Hinzu kommt mindestens ein weiterer Arzt oder eine Ärztin, zum Beispiel WeiterbildungsassistentInnen.
FachärztInnen, die Geminigeburten begleiten, sollten über ausreichende Übung der inneren und äußeren Wendungsmanöver für die Geburt des zweiten Kindes verfügen. Hierzu bieten sich Phantomübungen an. Gleiches gilt für die vaginal-operativen Entbindungsverfahren – nicht nur Kiwi®, sondern auch klassische Vakuumextraktion und Forzeps, vor allem der Kielland-Forzeps, auch als »Nordische Zange« bezeichnet. Auch AnästhesistInnen und KinderärztInnen – im Idealfall mit Zusatzbezeichnung Neonatologie – müssen sofort verfügbar sein. Es ist zudem zu empfehlen, eine weitere Person für die Dokumentation der eigentlichen Geburt abzustellen und zwar spätestens ab Erscheinen des Köpfchens des ersten Kindes in der Vulva.
Wann sind welche Instrumente vorzuhalten?
Für die Geburt sind zwei Geburtssets und zusätzliche, entsprechend markierte Klemmen vorzuhalten. Darüber hinaus sollten in Vorbereitung auf die Geburt des zweiten Kindes frühzeitig lange Handschuhe in den richtigen Größen bereitliegen, die über den Ellenbogen hinausreichen – wie bei der Wannengeburt. Ebenso muss die Möglichkeit zur jederzeitigen Amniotomie bestehen (Amnicot® oder Amnihook® bereithalten!).
Unmittelbar vor der Geburt sicherstellen:
- i.v.-Zugang, Labor, Kreuzblut
- führender Fetus in Längslage
- Wehenunterstützung nur nach strenger Indikationsstellung
- zwei Geburtssets und zusätzliche Klemmen mit farbigen Markierungen für den ersten und zweiten Zwilling
- lange, über den Ellenbogen hinausreichende Handschuhe liegen bereit
- Amnicot® oder Amnihook®
- Muttermund vollständig eröffnet
- Einmalkatheterisierung
- Ultraschallgerät in Einsatzbereitschaft
- Notfalltokolyse in Bereitschaft.
Geburt des ersten Zwillings:
- erstes Kind wie üblich zur Welt kommen lassen
- sicheres Abklemmen des maternalen Endes der Nabelschnur, um im Fall von Anastomosen einen Blutverlust des zweiten Geminus zu verhindern
- Ultraschall am zweiten Zwilling, gegebenenfalls Aufsuchen der Herztöne, Lagekontrolle, Aufsuchen der kindlichen Beine (vor allem bei abzusehender innerer Wendung)
- sofortige Stabilisierung der Lage des zweiten Geminus (»Schienung« des Uterus durch manuellen Druck von beidseits lateral).
Übertriebene Eile ist bei der Geburt des zweiten Zwillings nicht erforderlich, allerdings soll berücksichtigt werden, dass die unverzügliche assistierte Entbindung erfolgen muss, wenn die Geburt nicht innerhalb von 30 Minuten erfolgt (auch bei unauffälligem CTG). Randomisierte Studien zum Zeitintervall liegen zwar nicht vor, allerdings sind die Risiken eines abwartenden Vorgehens eindeutig und unstrittig. Hierzu zählen Kontraktionen über dem nicht eingestellten Kind, Nabelschnurvorfall und fetaler Dysstress nach Blasensprung.
Erster Zwilling in Längslage:
- der zweite Geminus sollte innerhalb von 30 Minuten geboren werden
- Herztonkontrolle
- Stabilisierung der Längslage muss so lange aufrechterhalten werden, bis Kopf oder Steiß des zweiten Geminus stabilen Bezug zum Becken haben
- wenn der zweite Geminus nicht in Längslage liegt, äußere oder innere Wendung – Details siehe unten
- wenn der zweite Geminus in Längslage liegt und nicht nach 5–10 Minuten wieder Wehen einsetzen, Oxytocininfusion starten (Cave: mit niedriger Dosierung starten! Wehen müssen getastet werden, da die Mutter diese häufig nicht spürt und das CTG diese nicht aufzeichnet!)
- wenn Kopf oder Steiß ins Becken eingetreten sind, darf die Fruchtblase während einer Wehe eröffnet werden.
Bei pathologischem CTG oder protrahiertem Verlauf (> 30 Minuten) ist eine assistierte vaginale Entbindung durchzuführen. Ein cephalopelvines Missverhältnis ist beim zweiten Geminus nicht zu befürchten! Zunächst erfolgt der Versuch der äußeren Wendung. Ist diese erfolgreich, wird der zweite Geminus in Längslage geboren. Wenn nicht, wird eine innere Wendung versucht.
Innere Wendung
Die innere Wendung zielt darauf ab, eine dorsoanteriore Einstellung des Kindes zu erreichen. Wichtig ist, dass kein Oxytocin gegeben werden darf. Gegebenenfalls ist bei stark kontrahiertem Uterus Notfalltokolyse (mit Partusisten®) indiziert.
Zunächst sollte eine äußere Desinfektion der Vulva erfolgen. Man geht dann mit der ganzen Hand in einem langen Handschuh in den Uterus mit der sogenannten Haltung »main de coucheur«: Die Finger werden zu einer Spitze geformt und ruhen alle auf dem in Opposition liegenden Daumen. Wichtig ist dabei, dass mit der linken Hand eingegangen wird, wenn der Steiß rechts liegt und umgekehrt. Dafür ist gegebenfalls vorher eine kurze sonografische Kontrolle nötig. Es wird dann versucht, einen kindlichen Fuß zu fassen. Auch hier ist gegebenenfalls Ultraschall nötig, wenn man sich nicht sicher ist, ob man eine Hand gefasst hat. Der Fuß wird dann vorsichtig in den Geburtsweg gezogen, wenn möglich vor die Vulva. Dabei ist darauf zu achten, dass sich der Rücken des Kindes nach vorne dreht, das heißt die Zehen des Kindes zeigen nach hinten.
Während des gesamten Manövers muss die Fruchtblase nicht gesprengt werden, vielmehr soll sogar versucht werden, diese nicht zu öffnen. Die Gebärende wird anschließend zum Mitpressen angeleitet und die Geburt wird beendet wie bei der assistierten Beckenendlagengeburt. Anders als bei der Beckenendlagengeburt des Einlings, ist aber der Zug am Kind in dieser Situation ausdrücklich möglich und erforderlich. Nach inneren Manövern ist immer eine Antibiotikaprophylaxe indiziert (z.B. Cefuroxim 1,5 g i.v. als Einmalgabe).
Eine hervorragende Übersicht über die Entbindung des zweiten Geminus bei Beckenendlage oder Querlage mit entsprechenden Grafiken gibt die Arbeit der GynäkologInnen Prof. Dr. Birgit Arabin und PD Dr. Ioannis Kyvernitakis (2011).
Training der Manöver
Nun stellt sich die Frage nach Möglichkeiten des gemeinsamen Teamtrainings. Gemini-Geburten sollten durch regelmäßige sogenannte Firedrills mit allen beteiligten Berufsgruppen geübt werden (Lepage et al. 2019). Es bedarf eines klaren Notfallplans für die Durchführung einer Notsectio und einer Übung, um die Notsectio am zweiten Geminus und die notwendigen Abläufe zu trainieren. Hierzu gehören Fragen wie: »Wohin mit dem ersten, bereits geborenen Kind, wer steht wo?«, »Wer stellt die Versorgung des ersten Kindes bei Anpassungsstörungen sicher?«, »Welche MitarbeiterInnen aus welcher Berufsgruppe stehen wo im OP, falls der zweite Geminus nach Intubationsnarkose (ITN) doch noch vaginal geboren wird?« Kurzum: Es bedarf eines klaren Crisis Ressource Managements.
Naturgemäß kann man die innere Wendung nicht zeigen, weil man schlicht und ergreifend nichts sieht. Die Grundschritte lassen sich zumindest im Ansatz auch bei der Gemini-Sectio üben. Es gibt aber auch reichlich andere Möglichkeiten zum Üben des Verfahrens (Cornette & Erkamp 2018).
Auf dem Internetportal YouTube gibt es vom amerikanischen Journal Obstetrics and Gynecology autorisierte Videos, auf denen systematisch Möglichkeiten zum Üben gezeigt werden. Diese sind leicht nachzustellen und sollten regelmäßig allen geburtshilflich tätigen ÄrztInnen ans Herz gelegt werden. Auch Hebammen sollten sich die Grundprinzipien dieses Manövers aneignen und diese durchaus regelmäßig mittrainieren, auch wenn die Durchführung eigentlich FachärztInnen vorbehalten ist.
Im Internet ist beispielsweise eine realitätsnahe Übung der inneren Wendung unter Zuhilfenahme einer mit Wasser gefüllten Plastiktüte zu sehen (das im Video gezeigte Übungsverfahren geht auf Prof. Arabin zurück – siehe Link).
Um einen Eindruck von den anzuwendenden Kräften zu bekommen, sind ebenfalls Videos auf YouTube zu sehen. Natürlich ist es ethisch fragwürdig, dass solche Videos im Internet verfügbar sind, und in der Regel ist es unklar, ob die dort gezeigten Patientinnen der Veröffentlichung zugestimmt haben. Dennoch sind diese Videodokumente von unschätzbarem Wert für die Ausbildung.
Organisation der klinischen Abläufe
Jede Klinik sollte für die Standardisierung der eigenen Abläufe einen für alle zugänglichen Algorithmus entwickeln, gegebenenfalls mit Telefonnummern, Dosierungsschemata für Medikamente und so weiter (siehe Abbildung 2).