Ein „Round-Table-Dialog-Gespräch“ bietet als Auftakt zum Kongress die Chance zur Positionierung – der Platz von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe bleibt leer. Foto: © Volker Vomend, www.vemacon.eu

Der Kongress „Geburtshilfe im Dialog“, der alljährlich von Dr. Ansgar Römer und seinem Team von Pro Medico in Mannheim ausgerichtet wird, stand in diesem Jahr unter dem Motto „Einfach so weitermachen? Respekt und Vertrauen – Maßstäbe setzen für die Geburtshilfe der Zukunft“. Die Podiumsdiskussion zu Beginn sagte viel zum Stand der Dinge. 

Einfach so weitermachen”, war diesmal wohl das Motto für die Auswahl der ReferentInnen beim Kongress „Geburtshilfe im Dialog” am 27. und 28. Februar in Mannheim: Auf der RednerInnenliste fanden sich 14 Ärzte und nur eine Ärztin, gegenüber gerade einmal vier Hebammen. Dialog auf Augenhöhe? Als Moderatorinnen waren weitere fünf Hebammen auf der Bühne vertreten. Freundliche Helferinnen waren – wie könnte es anders sein – Hebammenschülerinnen. MedizinstudentInnen waren als AssistentInnen nicht darunter. Demgegenüber saßen im Publikum unter den 1.650 TeilnehmerInnen aus sieben Nationen – davon 1.400 aus Deutschland – 80 Prozent Hebammen und nur 20 Prozent ÄrztInnen. Man staunt, dass sich traditionelles Rollenverständnis und fachliche Definitionsmacht auf der Bühne zwischen ÄrztInnen und Hebammen bei diesem großrahmig angelegten Kongress immer noch so unschuldig rückwärts gewandt präsentieren. Warum sind sie nicht längst einem zeitgemäßen Dialog gewichen, der diese Bezeichnung verdient?

Vielversprechend las sich im Programm das angekündigte „Round-Table-Dialog-Gespräch”, angesichts der dramatischen Probleme: „Eine aktuelle berufspolitische Diskussion über die Zukunft der Geburtshilfe” als Auftakt des zweitägigen Kongresses. Grund genug, sich auf den Weg nach Mannheim zu machen.

Das Podiumsgespräch fand nicht am runden, sondern an einem langen Tisch statt, an dem die TeilnehmerInnen ein­ander nur schwer ansehen konnten. Entsprechend schwerfällig gestaltete sich der Dialog. Ins Gespräch kommen sollten Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes (DHV), Moenie van der Kleyn, Delegierte des Österreichischen Hebammengremiums (ÖHG), Dr. Christian Albring, Präsident des Bundesverbands der Frauenärzte (BVF), Ruth Pinno, erste Vorsitzende des Bundes freiberuflicher Hebammen (BfHD), Prof. Dr. Rainhild Schäfers, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaften (DGHWI) sowie Barbara Stocker, Präsidentin des Schweizer Hebammenverbandes. Eingerahmt waren sie von den beiden ModeratorInnen rechts und links außen, PD Dr. Mechthild Groß, Leiterin der AG Hebammenwissenschaft an der Medizinischen Hochschule Hannover, sowie in einer Doppelrolle Prof. Dr. Frank Louwen, Chefarzt am Universitätsklinikum der Goethe Universität Frankfurt, der als Vorsitzender der AG Geburtshilfe auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in der Runde vertrat. Armin Oktavian Hirschmüller, Rechtvertretung des Deutschen Hebammen Verbandes (DHV), hatte krankheitsbedingt absagen müssen.

Kein Interesse an der Diskussion

Der angefragte Gesundheitsminister Hermann Gröhe habe zugesagt und dann wieder abgesagt, bedauerte der wissenschaftliche Kongresspräsident und Veranstalter Dr. Ansgar Römer: Alle politischen Parteien und auch der GKV-Spitzenverband hätten ihre Teilnahme abgelehnt. Minister Gröhe habe angesichts der Haftpflichtproblematik bislang immer nur von den Hebammen gesprochen, nie von der Geburtshilfe. „Es geht um strukturelle Lösungen”, man sei nicht viel weiter gekommen, bemängelte Römer in seinem ausführlichen Einführungsstatement. Der Sicherstellungszuschlag für die Haftpflichtprämie der Hebammen, die ab nächstem Sommer 6.274 Euro, bei einem Vorschaden 7.842 Euro betrage, sei ein Nachlaufen, keine strukturelle Änderung. Der viel diskutierte Verzicht von Regressforderungen der Krankenkassen gegenüber den Haftpflichtversicherern sei wieder vom Tisch. „Warum konzentrieren sich die Themen auf die Hebammen, nicht auf die Geburtshilfe an sich?” An den DHV gewandt kritisierte er, dessen jüngste Kampagne sei zwar hervorragend, was die öffentliche Aufmerksamkeit angehe. Allerdings kämen nun viele verängstigte Schwangere in seine Sprechstunde, die beklagten: „Ich habe ab 1. Juli keine Hebamme mehr!”

Wohnortnahe Versorgung

Martina Klenk nahm in ihrem Eingangsstatement Gesundheitsminister Gröhe in Schutz: 2014 sei etliches passiert, er habe den gesetzlichen Sicherstellungszuschlag erwirkt. Ein Regressverzicht hätte wenig Auswirkungen auf die Versicherungsprämie, habe man errechnet. Dies gelte nicht nur für die Hebammen, sondern auch für ÄrztInnen.

Klenk stellte die Möglichkeiten eines Haftungsfonds für Haftungsfragen aller Gesundheitsberufe vor. Der Sicherstellungszuschlag müsse refinanziert werden durch den GKV. „Frauen haben in Deutschland Wahlfreiheit für den Geburtsort. Wir Hebammen haben das Recht, Frauen bei physiologischen Geburten alleinverantwortlich zu betreuen”, stellte sie fest: „Wie wollen wir unsere Versorgungsleistungen gestalten? Wir haben hierzulande eine Gesundheitswirtschaft statt eines Gesundheitswesens. Wir brauchen mehr öffentliche Hand!”, forderte die Präsidentin des DHV. Sie plädierte für gemeinsame kommunale Versorgungszentren von ÄrztInnen, der Pflege und Hebammen mit aufsuchender Betreuung: „Für eine Hüft-OP können PatientInnen nach Hamburg oder Murnau fahren. In der Geburtshilfe brauchen wir eine wohnortnahe Versorgung.” In England werde die Versorgung in Gesundheitszentren erfolgreich praktiziert. Ein reiches Land wie Deutschland dürfe das Gesundheitssystem nicht durch die Ökonomisierung dem Mammon opfern. „Es geht um Frauenrechte, weniger um uns”, gab sie zu bedenken. „Es kann sein, dass der DHV mit seiner Kampagne den Frauen Angst macht”, entgegnete sie auf die Kritik von Römer, hielt aber angesichts der aktuellen Lage dagegen: „Frauen sollten Angst haben!”

Moeni van der Kleyn, Hebamme aus Graz, schilderte, die Versicherungsproblematik sei noch nicht in Österreich angekommen. Sie bemängelte die fragmentierte Betreuung der Schwangeren. Eine Reihe zur Hebammenarbeit im Lancet habe gezeigt, dass die Hebammenbetreuung beispielsweise zu weniger Frühgeburten vor der 24. Schwangerschaftswoche und zu weniger Eklampsien führe. Auf maximal fünf Fachpersonen sollte sich eine Schwangere einstellen müssen, eine Person – möglichst eine Hebamme – sollte die Frau durch die Schwangerschaft hindurch kontinuierlich begleiten.

Dr. Christian Albring attestierte aus Sicht des Berufsverbandes der Frauenärzte ein gutes Verhältnis zwischen ÄrztInnen und Hebammen. Er beschrieb die ärztliche Schwangerenvorsorge, ohne dabei auf die Zusammenarbeit mit den Hebammen einzugehen oder entsprechende Ziele zu formulieren. Die Probleme durch steigende Haftpflichtprämien betreffe seit 1994 auch BelegärztInnen, die sich zunehmend aus der Klinik zurückzögen: 2005 seien es noch 1.000 gewesen, heute nur noch 200. Ein Belegarzt mit Geburtshilfe müsse 50.000 bis 75.000 Euro Versicherungsprämie im Jahr finanzieren. Bei etwa 200 Euro Honorar pro Geburt und gleichzeitiger Dauerrufbereitschaft rechne sich das nicht.

„Ich möchte mich den Worten von Martina Klenk anschließen”, begann Ruth Pinno vom BfHD und fuhr fort, ihr sei es unverständlich, warum die Haftpflichtversicherung für ihren Verband ab diesem Sommer nicht fortgeführt werde. Der letzte „Großschaden” von mehr als einer Million Euro sei im Jahr 2004 zu verzeichnen gewesen. Die freiberuflichen Hebammen hätten riesige Fortschritte im Qualitätsmanagement gemacht – Leistungen, die nicht gesehen würden. 93 Prozent aller außerklinisch begonnenen Geburten endeten spontan. „Die Gesundheitswirtschaft ist ein profit­orientierter Sektor”, kritisierte Pinno. Sie sehe für Hebammen schwierige Zeiten kommen. Auch für die Geburtshilfe, wenn sie künftig nur noch in großen Geburtszentren stattfinde.

Prof. Dr. Rainhild Schäfers erinnerte sich an ihre 21 Jahre Praxis mit Haus- und Beleggeburten. Sie forderte, Hebammen sollten in allen bundesweiten Gremien mit Stimmrecht vertreten sein als Vertreterinnen für die 600.000 Frauen, die jährlich Kinder gebären – beispielsweise im Dachverband der Selbsthilfegruppen. Hebammen würden, anderes als Rechtsanwälte, als Patientenvertreterinnen jedoch nicht anerkannt, obwohl sie selbst Frauen und mit den Belangen von Schwangeren und Müttern bestens vertraut seien. Die akademische Entwicklung begrüßte sie. Wissenschaftliche Fragestellungen sollten aus der eigenen Berufsgruppe heraus entwickelt und bearbeitet werden.

Barbara Stocker berichtete aus der Schweiz: Ihr Verband vertrete 3.000 Mitglieder, darunter 1.000 Freiberuflerinnen. Sie hätten ebenfalls noch kein Problem mit der Berufshaftpflichtversicherung, beobachteten jedoch mit Sorge die Entwicklung in Deutschland. 600 Schweizer Franken zahle eine Hebamme für ihre Haftpflichtprämie, ÄrztInnen 8.000. Ein Problem sei der seit 20 Jahren bestehende Tarifvertrag mit den Krankenkassen, er sei in seiner Struktur veraltet. Die Kassen sähen nicht, was Hebammen leisteten. Auch sie bemängelte, dass Hebammen zu wenig in Gremien vertreten seien und zu wenig gehört würden. Beispielsweise sei das Honorar für die Schwangerenvorsorge zu gering und Frauen wüssten nichts von dieser Möglichkeit. Sie würden stattdessen zu GynäkologInnen gehen.

Die Einführung der DRG im Jahr 2012 habe zu einer Verlagerung der Versorgung in den ambulanten Bereich geführt. Dafür müssten neue Versorgungsmodelle entwickelt werden. Es gebe nur wenige hebammengeleitete Institutionen. Die Ausbildung auf Fachhochschulniveau ebne den Weg für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Geburtshilfe. Bislang gebe es nur wenige gemeinsame Empfehlungen und Leitlinien. Die standespolitischen Diskussionen mit den GynäkologInnen gestalteten sich schwierig, insbesondere was die hohe Kaiserschnittrate angehe.

Prof. Dr. Frank Louwen hob die Gemeinsamkeit von Hebammen und ÄrztInnen hervor: Beide Berufsgruppen hätten sich viel Respekt erarbeitet. Sie lägen nicht so weit auseinander in ihrem Ziel einer bestmöglichen Versorgung von Frauen und Kindern. An der falschen Entwicklung in der Geburtshilfe trügen die FrauenärztInnen eine Mitschuld, räumte er ein. Die Krankenkassen als Teil der Gesundheitswirtschaft verdienten hierzulande viel Geld. Früher hätten Eltern Klageverfahren angestrengt. Heute stoße der Medizinische Dienst der Krankenkassen Prozesse an. Es sei zwar Aufgabe der Krankenkassen für die Behandlung von Krankheiten zu zahlen, sie wollten dies aber durch die Schadensersatzklagen abwenden. Auch für Haftpflichtschäden aufgrund „grober Fahrlässigkeit” müsse er sich unterdessen mit 80.000 Euro jährlich versichern, obwohl er als Chefarzt bisher schadensfrei gearbeitet habe. Medien berichteten nicht über glückliche Geburten, sondern über Schadensfälle, was Eltern verunsichere und zu Misstrauen gegenüber ÄrztInnen und Hebammen führe.

Zur Akademisierung der Hebammen sagte Louwen: „Ich finde das fantastisch!”, und sprach damit auch für die DGGG, wenngleich auch Hebammen aus Berufsfachschulen hervorragend seien. Die Entwicklung von Leitlinien sehe er als vordringliche Aufgabe, um die Geburtshilfe sicherer zu machen. Bei Minister Gröhe hätte er sich heute gerne bedankt: „Die Bundesregierung finanziert uns eine S3-Leitlinie zur Sectio und zur interventionsarmen Geburt mit 250.000 Euro.”

Staatsziel natürliche Geburt

Nach Eröffnung der Diskussion meldete sich aus dem Publikum der Dresdner Frauenarzt Dr. Sven Hildebrandt zu Wort: Seine Vision sei, die natürliche Geburt in den Verfassungsrang zu heben, als Staatsziel zum Schutz der normalen Geburt gegen die Ökonomisierung. Außerdem plädiere er für eine Lösung der Haftpflichtfrage weg von der Erzeuger-orientierten hin zu einer Ereignis-orientierten Versicherung. Dann würde sich die Prämie aus der Anzahl der geleisteten Geburtshilfefälle errechnen, nicht pauschal pro Hebamme, Ärztin oder Arzt. Rainhild Schäfers ging auf Hildebrandts Vorschlag ein: „Das hört sich gut an. Aber wie soll man das Staatsziel definieren? Was ist eine normale Geburt?” Um Ausschlusskriterien zu formulieren, brauche es Forschung. Auch Leitlinien seien oft wenig evidenzbasiert, beispielsweise beim Thema Terminüberschreitung.

Prof. Dr. Michael Abou-Dakn, Chefarzt für Geburtshilfe am St. Joseph Krankenhaus Berlin und Professor am Studiengang Hebammenkunde der Evangelischen Hochschule Berlin, gab aus dem Publikum zu bedenken: Bei S3-Leitlinien würden nur Studien auf hohem wissenschaftlichem Niveau einbezogen: „Wir haben aber kaum Daten! Es gibt viele offene Fragen, die wir hingenommen oder aus Lehrbüchern abgeschrieben haben.” Im vergangenen Jahr sei sein Vorstoß zusammen mit einer Hebamme abgelehnt worden, die „normale Geburt” in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO aufzunehmen. Deutsches Brot sei hingegen angenommen worden.

Andrea Wehling gab im Publikum bekannt, in diesem Jahr habe sie die Geburtshilfe nach vielen Jahre als Haus- und Beleghebamme in Köln aufgegeben, da sie absolut unwirtschaftlich geworden sei. „Hinzu kommt die ständige Angst, dass wir verklagt werden.” Auf der anderen Seite werde heute stark interveniert, und durch diese Interventionen würden lebenslange Pflegefälle provoziert. Junge ÄrztInnen sollten in Geburtshäusern ganz normale Geburten miterleben, sie hätten häufig nur Pathologie im Kopf. Dies müsse in die Prüfungsordnung aufgenommen werden.

Nach einer kunterbunten Diskussion in alle Richtungen gab es noch eine Runde mit Abschlussstatements. Mechthild Groß dankte auch dem Publikum und griff noch einmal die Idee von Sven Hildebrandt auf: das „Staatsziel natürliche Geburt”.

Fazit

Mit schwirrendem Kopf blieb man nach diesem Austausch zurück. Sicher war der Versuch überambitioniert, in zwei Stunden in so großer Runde die Zukunft der Geburtshilfe aus der Perspektive zweier Berufsgruppen und dann noch die unterschiedlichen Probleme in den drei deutschsprachigen Ländern zu skizzieren, geschweige denn zu diskutieren. Ein lockeres Mosaik zum momentan nicht zukunftsfähigen Stand der Dinge wurde in den knapp angerissenen, vielschichtigen Problemen abgebildet und auch die besorgte Grundhaltung der Beteiligten zum Ausdruck gebracht. Eine schärfer und bescheidener formulierte Ausgangsfrage hätte vermutlich eher Konzentration und Tiefgang gebracht, vielleicht auch einen Dialog.

Der weitere Verlauf der beiden Kongresstage bot in den teilweise exzellenten Einzelvorträgen mehr Gewinn. Wieder ein interessanter Kongress in Mannheim, gerade auch beim Nachdenken darüber, welche Wünsche diesmal offen geblieben sind.

Zitiervorlage
Baumgarten K: “Geburtshilfe im Dialog” in Mannheim: “Einfach so weitermachen?”. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2015. 67 (5): 74–76
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