Geburtshaus als Lernort – alle Sinne sind bei den SchülerInnen der siebten Klasse gefragt. Foto: © Monika Brühl/Geburtshaus Bonn

Das Geburtshaus Bonn führt Schulklassen durch seine Räume, um ihnen anschaulich von Schwangerschaft und Geburt, Elternwerden und Hebammenberuf zu erzählen. Die Kinder und Jugendlichen gehen auf Gedankenreisen, stellen Fragen und malen Bilder. Das Projekt »Lernen im Geburtshaus« ist ein Gewinn für alle Seiten. 

Vor dem Treppenaufgang zum Geburtshaus stehen 25 Schüler und Schülerinnen der 7. Klasse einer Gesamtschule. Sie warten auf Einlass, die Lehrerin hat geklingelt. Die alte Holztür öffnet sich. Eine ältere Frau tritt heraus, sie begrüßt die Mädchen und Jungen und ihre BegleiterInnen. »Wir betreten jetzt das Geburtshaus und bitten euch, ruhig und langsam in den zweiten Stock zu gehen, dort oben erwarten euch zwei Kursräume. Bitte geht erst einmal alle zusammen in den rechten Raum«, sagt die begrüßende Hebamme.

Die Begrüßung vor der Tür und die Bitte um Langsamkeit und Ruhe beim Betreten des Geburtshauses ist ein Ritual, damit keine Hebamme bei der Arbeit, keine Schwangere oder gar Gebärende gestört wird. So erreichen die Gastgeberinnen, dass die jungen BesucherInnen gleich zu Beginn merken: Hier weht ein anderer Wind.

Oben müssen sie ihre Schuhe, Mäntel und Taschen im Flur ablegen. Dann erwarten sie zwei sorgfältig vorbereitete Räume, denen man ihren Zweck gleich ansieht. Die Botschaft des ersten Raumes ist: »Setzt euch und wartet.« Sitzkissen auf Matten und Hocker laden ein, sich in die Runde zu setzen. Eine Klangschale vor dem Platz, auf dem die Hebamme sitzt, setzt ein Zeichen.

Sie wartet, sitzt ruhig. Zwei andere Mitarbeiterinnen helfen beim Verstauen der Sachen im Garderobenraum. Es wird eng für 25 Menschen, der Raum ist als Kursraum für 10 Personen gedacht. Es bleibt relativ still, alle sitzen, der eine oder die andere hampelt, spielt mit den Sitzkissen. Auch die Lehrerinnen finden ihren Platz.

Die Hebamme schaut in die Runde, in die Gesichter und begrüßt sie ein zweites Mal im Geburtshaus und Zentrum für Primärgesundheit. Sie lädt die BesucherInnen zu einer kleinen Erfahrung ein: Was lernen Frauen hier, die im Geburtshaus ihr Kind gebären möchten? Es folgt eine Anleitung, den eigenen Atem zu spüren und sich ganz auf diese Körperempfindung zu konzentrieren, acht langsame Atemzüge. Wer sich traut, macht die Augen zu. Die Klangschale gibt zu Anfang und zum Ende Bescheid.

Rundgänge in zwei Gruppen

Es klappt fast immer. Stille und Konzentration entstehen. Manche kichern oder schauen, was die anderen machen. Störung entsteht meist nicht. Nach dem zweiten Klang der Glocke sagt die Hebamme: »Ungefähr so lange, wie ihr jetzt still wart, dauert eine Wehe. Und bei uns lernen die Frauen und Männer, wie sie sich während der Geburtswehen verhalten können. Das Atmen spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber eigentlich ist Atmen sowieso das Wichtigste im Leben, oder?«

Es folgt eine Vorstellungsrunde. Die BesucherInnen und die drei Betreuenden – eine junge und eine ältere Hebamme sowie die Kunstpädagogin – stellen sich vor. »Ich bin … Jahre alt, bin in … geboren. Meine Eltern haben von meiner Geburt … erzählt. Ich habe … aus meiner Babyzeit mitgebracht. Ich habe eine Frage mitgebracht.« Vor dem Besuch erhielt die Klasse schon Post vom Geburtshaus. In diesem Brief wurden die SchülerInnen gebeten, ihre eigene Geburtsgeschichte zu erkunden und ein paar Infos oder auch Erinnerungen und Fragen mitzubringen. Außerdem konnten sie aus fünf Themen auswählen, was sie besonders interessiert.

  • Wie entsteht ein Baby im Bauch, was erlebt es, was kann es schon?
  • Was erlebt eine Frau mit dem Baby im Bauch, was braucht sie?
  • Gebären und Geboren werden, was passiert da?
  • Das Neugeborene, was erlebt es, was braucht es, was kann es?
  • Leben mit dem Neugeborenen, Eltern sein, wie geht es weiter?

Erst jetzt beginnt das eigentliche Programm. Mädchen und Jungen bilden jeweils eine Gruppe, betreut von einer Hebamme und, wenn gewünscht, der Lehrerin oder einer anderen Begleitperson. Diese Aufteilung nach Geschlecht hat sich als sinnvoll erwiesen. Es beruhigt die gesamte Gruppensituation und erhöht die Bereitschaft, sich frei zu äußern.

Eine der beiden Gruppen beginnt mit Fragen und Antworten zu einem ausgewählten Thema. Die Schülerinnen oder Schüler haben 45 konzentrierte Minuten, um mit der Hebamme in der Runde zu sitzen, anhand von Anschauungsmaterial ihr Thema zu vertiefen und Fragen zu stellen. Die andere Gruppe geht zur Hausbesichtigung, besucht das Hebammenteam, das gerade seine wöchentliche Sitzung hat und spontan ein paar Fragen beantwortet, schaut im Büro vorbei und lässt sich informieren, was denn hier gearbeitet wird, schaut in die Vorsorgezimmer und das Hebammenbüro und erfährt, wozu diese Räume dienen, wer dort arbeitet und was darin passiert. Dann geht es ins »Allerheiligste«, die Geburtsetage, in die Gebärräume und das Gebärbad.

Die Schülerinnen oder Schüler werden gebeten sich niederzulassen, auf der Treppe zum Bad und dem Boden, einen Augenblick zu schauen und zu riechen, zu fühlen, wie der Raum und seine Einrichtung auf sie wirken. Aus den anschließenden Eindrücken wird deutlich, dass sie die »Gemütlichkeit« etwas verwundert wahrnehmen: »Wie zu Hause«, »So zum Kuscheln«, »Warum hängt das Tuch von der Decke?«

Über Fragen und Antworten erfahren sie, warum die Hebammen so viel Wert auf Wohlbefinden legen, was in den Räumen geschieht, was die Schwangere in der Vorsorge und die gebärende Frau, ihren Partner oder andere BegleiterInnen bei der Geburt hier erwartet, welche Möglichkeiten sie haben, die Geburt ihres Kindes aktiv mitzuerleben, was die Hebamme macht, was sie braucht, um eine Geburt sicher zu begleiten.

Und dann geht es noch um das Gebärbad und die Wassergeburt. Hier wird es meist richtig lebendig. Die Fragen purzeln und spätestens jetzt kommen die SkeptikerInnen zu Wort. »Ist das nicht alles zu gefährlich?« Und Geschichten von Komplikationen und Katastrophen sprudeln heraus. Zeit, die Besichtigung zu beenden. Später ist noch Zeit für Fragen.

Kreative Auseinandersetzung mit der eigenen Geburt Foto: © Monika Brühl/Geburtshaus Bonn

Wie die Eindrücke wirken

Nach dem Rundgang geht es zur Kunstpädagogin. Sie leitet die Schülerinnen oder Schüler an, das Erfahrene und Gesehene in eine kleine Zeichnung oder Malerei umzusetzen. Oder sie sollen nach einer kurzen Erinnerungsreise nach dem Motto »Auch ich war mal ein ungeborenes Kind« ihre inneren Bilder aufs Papier bringen. Daraus wird ein Poster entstehen: »Unser Besuch im Geburtshaus«. Sie werden es mit in die Schule nehmen.

Nach anfänglicher Befangenheit gelingt es meistens allen, eine Postkarte zu gestalten, die ein Detail zeigt, zum Beispiel den Gebärhocker, oder eine Situation wie »Baby im Bauch«, »Mama bei der Vorsorge«, »Kaiserschnitt« oder einen Ort wie das Gebärbad. Dann ist die Konzentration meistens zu Ende. Einige schaffen es noch, das gemeinsame Poster zu gestalten. Andere klinken sich aus und brauchen die kurze Pause, die dann folgt.

Weiter geht es zum letzten Teil des Besuches: Fragen und Antworten mit der Hebamme und/oder ein kleiner Vortrag mit viel Anschauungsmaterial. Da kann es richtig lebendig werden und die Hebamme braucht klare Strukturen, um bei der Sache zu bleiben. Die andere Gruppe durchläuft die drei Phasen des Besuches in anderer Reihenfolge. Zum Schluss haben alle das Geburtshaus kennengelernt, ein Thema rund um das Menschwerden näher betrachtet und ihre Eindrücke in Bild und Schrift umgesetzt. Sie versammeln sich und tauschen ihre Eindrücke noch einmal in der großen Runde aus. So erfahren alle Beteiligten, wie der Besuch in ihnen »gewirkt« hat. Nach zweieinhalb Stunden verlassen die SchülerInnen das Geburtshaus. Meist gut gestimmt und – wenn es gepasst hat – mit einem Lied auf den Lippen: »Komm mein Kind, die Welt ist schön«, singen alle manchmal zum Abschluss zusammen.

Ein ausdrucksstarker Linoldruck einer Gebärenden Foto: © Monika Brühl/Geburtshaus Bonn

Eine sinnstiftende Arbeit

Die SchülerInnen haben einen Eindruck gewonnen, wie in einem Geburtshaus gearbeitet wird, was der Beruf der Hebamme alles beinhalten kann und dass Geborenwerden und Gebären ein ganz besonders schönes, wenn auch anstrengendes Lebensereignis sein kann, vor dem niemand sich fürchten muss. Manche sind mit der eigenen Geburtsgeschichte in Kontakt gekommen oder mit ihren Wünschen für das erwachsene Leben.

Die drei Betreuenden gehen ans Aufräumen, tauschen sich über den Ablauf aus und dokumentieren die Veranstaltung (siehe Kasten). Manchmal sind sie fröhlich gestimmt und zufrieden, manchmal geschafft von sehr lebendigen jungen Menschen. Die Erfahrungen im Laufe der Jahre, der kollegiale Austausch und die Rückmeldungen der SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern haben sie zu einem eigenen Vermittlungsstil geführt, mit dem sie die SchülerInnen erreichen und sich selbst wohlfühlen können.

Alle arbeiten gerne in diesem Projekt. Es ist sinnvoll, Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass ein verantwortungsvoller und selbstbestimmter Umgang mit Schwangerschaft und Geburt möglich ist, Freude macht und das eigene Wachsen und Werden stärkt. Die Unterschiedlichkeit der SchülerInnen, ihr mehr oder weniger großes Interesse und ihre wechselnde Aufnahmefähigkeit fordern die Hebammen und die Kunstpädagogin in ihren Fähigkeiten, »alle/s unter einen Hut zu bekommen«. Meist entstehen im Kontakt mit den jungen Menschen echte Begegnung und Berührung, manchmal Begeisterung.

Auszug aus einer Dokumentation

Zwölf Jungen zwischen 15 und 17 Jahren, sehr zurückhaltend, haben keine Fragen. Physiologie von Schwangerschaft und Geburt vermittelt: Einige Schüler bringen sich ein, mutmaßen, wie das Kind sich fühlt, wie es der schwangeren Frau geht und was sie braucht. Beim Rundgang in den Gebärräumen und im Gebärbad wächst das Interesse. Alle äußern Wohlbefinden, die Badewanne finden sie toll. Ein Schüler will sich hineinsetzen. »Stopp, nur wenn du sie anschließend putzt und desinfizierst«, dann doch lieber nicht. Der Gebärhocker wird ausprobiert. »Hält das Tuch auch, wenn man sich dranhängt?« Erläuterung: Wozu hilft das Tuch, das von der Decke hängt, der Gebärhocker? Wie fördert Bewegung den Geburtsfortschritt? Warum ist Geduld so wichtig? Was macht der Vater? Was bedeutet eine natürlich gelungene Geburt für Mutter und Kind und die ganze Familie?

Die Abschlussrunde führt zu den Geburtskomplikationen. Einige Schüler sind selbst betroffen. Sie dürfen erzählen. Wir hören zu. Da hätten wir noch mehr Zeit gebraucht.

Die Lehrerin ist positiv überrascht vom Verhalten der Schüler, die sich offen und interessiert beteiligt haben. Sie ist zufrieden, bedankt sich wie auch die Schüler für den schönen Vormittag.


Hinweis:

Projekt: »Lernen im Geburtshaus«

Initiatorin und Ideengeberin: Dr. med. Stefanie Schmid-Altringer, Medizinjournalistin

Projektförderung: Stiftung Jugendhilfe Bonn

Entwicklung und Durchführung: Doula e.V. – Verein für Geburt in Würde in Menschlichkeit, Geburtshaus und Zentrum für Primärgesundheit Bonn


Zitiervorlage
Brühl M: Ein Schulausflug der besonderen Art. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (4): 49–51
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