Kommunikationtraining verbessert die interdisziplinäre Teamarbeit – auf das Zusammenspiel kommt es an. Foto: © Jacobs University
Manche schweren Dammverletzungen, fehlende oder falsche Dokumentation, Azidosen oder Medikatationsfehler hätten vermieden werden können, wenn die Beteiligten besser zusammengearbeitet hätten (Aulenbacher 2014). Kommunikation ist dabei zentral. Der Intensivmediziner Chris Nickson, Professor an der Monash University in Australien, hat es in Worte gefasst: «Kommunikation ist eine nicht-technische Schlüsselqualifikation für effektives Krisenmanagement« (Nickson 2020).
Die Corona-Pandemie hat Herausforderungen mit sich gebracht, die Probleme verstärken und Notfälle hervorrufen oder schwerer lösbar machen. Frauen berichten, wie sie sich in der ersten Phase der Geburt alleingelassen und isoliert fühlten. Vor allem bei Frauen mit einem positiven Test auf Covid-19 kann es dramatisch werden: Um Infektionen zu vermeiden und andere Patient:innen zu schützen sowie die Versorgung aufrechtzuerhalten, vermeidet das Personal direkten Kontakt. Auch die Unterstützung durch Partner:innen fällt in vielen Fällen weg, so dass es in einer vulnerablen Situation an Unterstützung und Versorgung mangelt.
Aber auch schon vor der Corona-Pandemie waren Hilflosigkeit und der Umgang mit Unsicherheiten auf Seiten des Personals ein häufiges Thema, ebenso wie soziale Isolation: Hebammen und andere Geburtshelfer:innen berichten, keine ausreichende Zeit für den Austausch mit Kolleg:innen zu haben, sich sozial ausgeschlossen oder überfordert zu fühlen oder darunter zu leiden, wichtige Mitmenschen nicht ausreichend einbeziehen zu können (Schmiedhofer et al. 2021). Die Corona-Pandemie hat wie ein Dauer-Notfall gewirkt: Zur Verhinderung von möglichen Ansteckungen durften Partner:innen nicht bei ihrer gebärenden Frau sein, sie konnten nicht die Unterstützung geben, die sie geben wollten und die ihre Frau gebraucht hätte – und wie es Hebammen gerne unterstützt hätten. In Abbildung 1 sind die Einschränkungen in der Kommunikation zusammengefasst, die viele alltägliche Situationen wie Notfälle erscheinen lassen beziehungsweise zum Teil dazu geführt haben.
Eine sichere Kommunikation ist in der Geburtshilfe von zentraler Bedeutung, insbesondere bei der Teamarbeit. Denn eine sichere, interdisziplinäre Kommunikation kann in kritischen Situationen entscheidend für die Geburt sein. Aber was genau umfasst sichere Kommunikation? Dazu wurden verschiedene Techniken entwickelt:
Über die sogenannte Closed-Loop-Kommunikation kann sichergestellt werden, dass Informationen richtig verstanden werden. Dazu wiederholen die Empfänger:innen die Information, die sie bekommen haben, auch wenn sie denken, alles verstanden zu haben.
Mittels Speaking-Up sollen Sicherheitsbedenken geäußert werden. Auch wenn es im Team Hierarchien gibt, müssen alle die Möglichkeit haben, in zeitkritischen Situationen Bedenken anzusprechen und ernst genommen zu werden – beispielsweise: »Ich sehe, dass die Frau viel Blut verliert und Schmerzen hat; ich habe Bedenken, dass sie gleich ohnmächtig wird; ich möchte, dass wir jetzt die Oberärztin holen.«
Eine Möglichkeit der strukturierten Weitergabe von Informationen ist SBAR: Das Akronym steht für Situation, Background (Hintergrund), Assessment (Bewertung) und Recommendation (Empfehlung). SBAR kann zur Anforderung von Hilfe in Notfallsituationen verwendet werden. Hier wird eine strukturierte Kurzübergabe genutzt, um Kolleg:innen zu informieren und die Handlungsfähigkeit in einer Situation sicherzustellen.
Eine Übergabe kann entsprechend strukturiert werden wie in dem abgebildeten Übergabeprotokoll (siehe Abbildung 2, Seite 26).
Wenn diese Techniken auch in Notfallsituationen gut umgesetzt werden, dann sind Patient:innen gut versorgt. Alle diese Aspekte können durch Schulungen und Simulationen gelernt und sichergestellt werden. Ellen Hodnett, emeritierte Professorin an der University of Toronto, Herausgeberin für die Pregnancy and Childbirth Group der Cochrane Collaboration und Mitglied der Scientific and Technical Advisory Group des Maternal and Reproductive Health Research Program der Weltgesundheitsorganisation, hat in einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2002 sogar festgestellt, dass maternale Risiken, welche die Patient:innensicherheit gefährden können, zum Beispiel Sprachbarrieren, ein höheres Alter der Mutter sowie ein hoher BMI, durch gutes Training kompensiert werden können (Hodnett 2002). All diese Risikofaktoren können abgemildert werden durch eine sichere Kommunikation der Hebammen und anderer Gesundheitsfachkräfte, welche in wiederholten Schulungen und Trainings »automatisiert« werden muss. Denn wer automatisch sicher kommuniziert, wird auch besser mit Notfällen umgehen können.
Abbildung 2: Dieses Übergabeprotokoll ermöglicht die strukturierte Weitergabe von Informationen. Abbildung: © www.researchgate.net/figure/Example-of-SBAR-maternity-handover-sheet-from-the-PROMPT-Course-Manual_fig5_279192304
Somit ist die Kommunikation ein Schlüsselfaktor für die Patient:innensicherheit in der Geburtshilfe. In einer ersten systematischen Übersichtsarbeit haben Forscherinnen der Jacobs University Bremen und des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) viele einzelne Studienergebnisse zusammengefasst (Lippke et al. 2021). Das Ziel war zu zeigen, wie die Kommunikation verbessert werden kann. Dazu werden drei beispielhafte Studien beschrieben, die hochwirksame Maßnahmen untersucht haben, anschließend fassen wir zentrale Befunde zusammen.
Patience Afulani, Professorin für Epidemiologie und Biostatistik an der University of California in San Francisco, USA, und Kolleginnen schulten Pflegepersonal, Hebammen und Ärzt:innen im Rahmen eines Simulations-Curriculums zur respektvollen Mutterschaftspflege, das auf die geburtshilfliche und neonatale Notfallversorgung ausgerichtet war (Afulani et al. 2020) . Die Forschenden trainierten neben Kommunikationskompetenzen auch den Respekt und die Empathie mit den Frauen. Der Erfolg war sichtbar in einer Verbesserung des Wissens und der Selbstwirksamkeit nach der Simulations-Schulung.
Farhat-Ul-Ain Ahmed, Professorin für Gynäkologie und Geburtshilfe am Fatima Memorial Hospital in Lahore, Pakistan, und Kolleginnen richteten sich an Assistenzärzt:innen der Gynäkologie und Geburtshilfe, die für Sectiones, sichere Kommunikation und nichttechnische Fertigkeiten trainiert wurden (Ahmed et al. 2019). Die Assistenzärzt:innen in der Trainingsgruppe hatten nach dem Training eine deutlich verbesserte Kommunikation bei geburtshilflichen chirurgischen Eingriffen. Die nicht-trainierte Vergleichsgruppe zeigte keine Unterschiede.
Pippa Letchworth, Fachärztin für Geburtshilfe und Gynäkologie am Chelsea and Westminster Hospital, und Kolleginnen schulten multidisziplinäre Gynäkolog:innenteams mit einem Teamtraining einschließlich einer Notfallsimulation (Letchworth et al. 2017) . Insbesondere die Kommunikation mit Patientinnen sowie Kolleg:innen wurde trainiert. Die Teams der Interventionsgruppe schnitten in allen Kommunikationsdimensionen signifikant besser ab als die Kontrollgruppe.
Es gibt noch viele weitere wissenschaftliche Studien, die ähnliche Schulungen durchgeführt und die Wirksamkeit untersucht haben. In dem systematischen Review haben die Wissenschaftler:innen der Jacobs University und des APS insgesamt 65 wissenschaftliche Studien gefunden, die Gesundheitsfachkräfte untersucht haben jedoch wurden vor allem Ärzt:innen trainiert. 35 Studien zielten auf die Verbesserung der Kommunikation in interdisziplinären Teams ab. Nur drei Studien analysierten die Wirkung des Kommunikationstrainings auf die Patient:innensicherheit. Wichtig: Es konnten nicht immer die erwarteten Effekte nachgewiesen werden. Anders ausgedrückt: Es scheint so, als wenn Kommunikationstrainings zu einer Verbesserung der Kommunikation und der Zufriedenheit von Mitarbeitenden und Patientinnen führt. Damit aber auch die Patient:innensicherheit statistisch bedeutsam verbessert wird, ist wahrscheinlich mehr notwendig als »nur« perfekt kommunizierendes Personal im Allgemeinen und in Notfallsituationen (Lippke et al. 2021).
Denn Patient:innensicherheit hängt – wie wahrscheinlich allen im Gesundheitswesen Tätigen klar ist– auch mit anderen Faktoren zusammen wie dem Personalschlüssel, Stress des Personals und Zeitdruck (Keller et al. 2020). Als zentrale Barriere nannten Mitarbeitende »Gespräche zwischen Tür und Angel«, wenn solchen Gesprächen oder Übergaben nicht genug Zeit und Ruhe oder auch Vertraulichkeit eingeräumt wird, und »nicht funktionierende Abläufe«. Beide sogenannten »Trigger« (Auslöserisiken) für die Gefährdung der Patient:innensicherheit können auch durch Maßnahmen wie SBAR (s.o.) reduziert werden. Auch wenn »schlechte Kommunikation« an letzter Stelle der zehn häufigsten genannten Trigger stand, so hängen doch die meisten Trigger mit Kommunikation zusammen (siehe Kasten).
Insbesondere in Notfällen kommt es also auf eine sichere Kommunikation an, denn dann können die damit einhergehenden Herausforderungen besser bewältigt werden und unerwünschte Ereignisse weniger schwerwiegend ausfallen und die Patientensicherheit gewährleistet werden.
Quelle: Keller et al. 2020
Zentral ist jedoch nicht nur das Vermeiden von Notfällen durch proaktives Handeln, so dass es gar nicht erst zu einem Notfall kommen muss, sondern auch eine sichere Kommunikation in und nach Notfällen: Wenn eine traumatische Geburt stattgefunden hat, ist ein angemessenes Aufarbeiten erforderlich. Die anschließende, gute Kommunikation über das Erlebte kann dabei helfen, dass Mütter und auch Väter die negativen Erfahrungen besser verstehen und bewältigen. Dadurch wird auch begünstigt, dass die Beteiligten keine oder weniger langfristige Gesundheitsprobleme und Folgeschäden davontragen. Insbesondere während eines Notfalls kann durch eine sichere Kommunikation aller Partner:innen präventiv Unzufriedenheit bis hin zu Traumatisierung entgegengewirkt werden. Ein besserer Dialog mit der Schwangeren beziehungsweise den werdenden Eltern und die gemeinsame Entscheidungsfindung sind mögliche Strategien, die dazu beitragen können, Traumatisierungen nach schweren Geburten und Notfällen zu verringern (Kountanis et al. 2021). In der systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2002 stellte Hodnett fest, dass die Unzufriedenheit der Gebärenden zusammenhing mit
All diese Faktoren verdeutlichen die zentrale Rolle von Kommunikation in der Geburtshilfe – und die Rolle von wiederholten, gut entwickelten Trainings und Schulungen.
Hinweis:
Trainings-App
Wer die eigene Kommunikation verbessern möchte, kann dazu ein Trainingsprogramm in Form einer App nutzen. Da die App derzeit wissenschaftlich evaluiert wird, müssen Interessierte zuerst an einer Befragung teilnehmen, dann wird die App exklusiv freigeschaltet: > https://www.unipark.de/uc/TeamBaby/App/