Wenn der Parasympathikus überwiegt, verlangsamt sich die Geburt. Dann können wieder leichte Kontraktionen der Latenzperiode auftreten – die Gebärende kann Kraft schöpfen.
Foto: © Esther Mauersberger

Arbeiten Hebammen und GeburtshelferInnen geduldiger, wenn man die Geburt in mehr Phasen unterteilt? Rein physiologisch kann es auch mal zu einer Verlangsamung kommen. Dann heißt es einfach: abwarten. Die Hebammen Verena Schmid und Soo Downe beschreiben acht Geburtsphasen.

Durch neue Einteilungen in mehr Geburtsphasen als früher wird der Gebärenden mehr Zeit eingeräumt. Allerdings gibt es durch unterschiedliche Betrachtungen neue Unklarheiten. Die italienische Hebamme Verena Schmid und die britische Hebamme Prof. Dr. Soo Downe gehen von acht Phasen aus, allein vier davon sind Übergangsphasen:

1 Zyklus der Latenzphase – beginnende Geburt

Die Kontraktionen dieser Phase sind eher kurz, unregelmäßig und für die Frau gut auszuhalten. Sie kann sich an die Geburtsarbeit sowie die Wehen gut anpassen und sich innerlich auf die Ankunft des Kindes vorbereiten. Die Latenzphase ist die wichtigste Phase der Geburt. Und gerade diese Phase ist individuell sehr unterschiedlich, kann kürzer oder länger dauern, manchmal mehrere Tage! Hier wird häufig bereits interveniert, weil die Geburt „nicht vorangeht”. Wird diese Phase gut begleitet, hat die Frau bessere Chancen, eine natürliche Geburt zu erleben und sich an die darauf folgenden Phasen gut anzupassen.

2 Erste Übergangsphase

Wenn der Übergang schnell und heftig ist und sich die Geburt rapide beschleunigt, gibt es kurz Symptome des Sympathikus wie Erbrechen, Angst, Weinen, Schreien, bevor die Gebärende zu einem neuen und kraftvollen Rhythmus findet. Wenn der Parasympathikus überwiegt, verlangsamt sich die Geburt. Dann können wieder leichte Kontraktionen der Latenzperiode auftreten, was den Frauen die Möglichkeit gibt, zu ruhen, zu schlafen oder zu essen, um wieder Kraft zu tanken. Wird diese Pause respektiert, entsteht von alleine wieder eine gute Wehendynamik, allerdings kann dies einige Zeit dauern.

3 Der erste Teil des aktiven Zyklus

Die Wehen werden regelmäßiger und intensiver, das Kind tritt tiefer. Die Frau erlebt verschiedene Bewusstseinszustände: volle Konzentration und Anpassung an die Wehenarbeit wechseln sich ab mit wiedererlangter Kontrolle in den Wehenpausen. Die Zeichen des Sympathikus und Parasympathikus sind gut zu beobachten. Der Neokortex ist in dieser Phase immer aktiv, das heißt, hier können Störfaktoren die Geburt verlangsamen oder stoppen. Bei Frauen, die in dieser Phase in der Klinik eintreffen, hören die Wehen auf. Werden sie gut betreut und können sich emotional und körperlich wohlfühlen, können sie sich in den Geburtsprozess wieder einfinden und die Geburt geht weiter.

4 Zweite Übergangsphase

Bei einer Muttermundseröffnung von fünf bis sechs Zentimetern ist oft der zweite Übergang zu beobachten. Dies kann sich durch sehr intensive Reaktionen der Frau äußern: durch Erbrechen, Fluchen, Verlangen von Schmerzmitteln, Gefühlsausbrüchen und Anklammern an den Partner oder die Betreuungspersonen. Wird ihr in der Wehenpause die Möglichkeit gegeben, wieder zur Ruhe zu kommen, kann es sein, dass die Frau einen tranceähnlichen Zustand erfährt. Ist dieser zweite Übergang langsam, kann sich die Geburt verlangsamen oder sogar stoppen und die Frau kann sogar einschlafen. In diesem Fall braucht sie die Pause, um sich körperlich zu erholen. Für Erstgebärende ist dies oft die Zeit, ihr altes Selbst loszulassen und sich auf die neue Rolle als Mutter vorzubereiten.

5 Der zweite Teil des aktiven Zyklus

In dieser Phase beschleunigt sich die Geburt intensiv. Der Parasympathikus überwiegt, auch wenn die Wehen immer stärker werden. Wurde bisher im Geburtsverlauf nicht eingegriffen, ist die Endorphinausschüttung in dieser Phase sehr hoch und dominant. Für manche Frauen fühlt sich diese Phase sehr aktiv an, ihr Ausdruck oder ihre Reaktion auf die Wehen kann sehr stark sein. Der Körper arbeitet nun instinktiv, der Atem vertieft sich, die Frau ist in ihrer eigenen Welt und sollte nicht gestört werden. Ihr Körper bereitet sich auf die Geburt des Kindes vor. Auf emotionaler Ebene ist dies die schwierigste Phase für die Frau: der Moment, wenn sie über ihre Grenzen geht. An diesem Punkt glauben viele Frauen, sie müssten sterben, manche verlangen Hilfe in Form von Schmerzmitteln oder sogar einen Kaiserschnitt. Für die Betreuungspersonen ist es hier wichtig zu wissen, was wirklich hinter diesem Wunsch steckt: Unterstützung und Ermutigung in dieser schwierigen Phase zu bekommen. Dieser sensible Abschnitt ist für die Frau in Wirklichkeit der „Moment der Ermächtigung”.

6 Dritte Übergangsphase

Bei fast vollständiger Erweiterung des Muttermundes folgt eine weitere Übergangsphase, bevor die Frau aktiv mitschiebt. Manche Frauen spüren den Pressdrang, wenn die Wehe ihr Maximum erreicht. Befindet das Kind sich in einer anterioren Position und ist der Kopf flektiert, spricht das für einen Geburtsfortschritt. Unter dem spontanen Pressdrang wird sich der Muttermund vollständig öffnen und die aktive zweite Geburtsphase beginnt. Ist der Übergang langsam, werden sich die Wehen verlangsamen und die Frau kann sich ausruhen und wieder Energie sammeln. Manchmal ist noch ein Saum am Muttermund zu tasten. Eine Verlangsamung der Geburt bedeutet, dass das Kind sich noch in eine bessere Position bringen muss. Es gibt keine Evidenzen, den spontanen Pressdrang einer Frau zu unterdrücken, vorausgesetzt, die Geburt ist bisher physiologisch weitergegangen.

7 Aktiver Pressdrang

Der aktive Pressdrang führt die Frau durch den letzten Zyklus der Geburt. Die Wehen verlangsamen sich oder hören ganz auf, wenn der Kopf des Kindes rotiert und tiefer tritt. Dabei erfolgt der Pressdrang nur auf dem Höhepunkt der Wehe, wenn überhaupt. Geht es Mutter und Kind in diesem vom britischen Geburtshelfer Denis Walsh als „rest and be thankful Phase” bezeichneten Abschnitt gut, ist es nicht nötig, zu intervenieren und die Geburt zu beschleunigen. Hat das Kind die Rotation und das Tiefertreten vollendet und erreicht es schließlich die Beckenbodenmuskulatur, wird der Ferguson-Reflex ausgelöst und die Geburt geht weiter. Durch Druck des Kopfes auf den M. bulbocavernosus erfolgt ein Gefühl von Brennen oder Reißen, was eine neue Oxytocinspitze und in Folge den „Fetus Ejection Reflex” auslöst. Dies erzeugt einen unaufhaltsamen Pressdrang. Das Kind wird geboren.

8 Vierter Übergang

Nach der Geburt des Kindes gibt es einen kurzen Übergang, in dem die Mutter realisiert, dass das Kind angekommen ist. In den folgenden zwei Stunden passt sich das Kindes dem extrauterinen Leben an und die Mutter dem Da-Sein des Kindes. Dieser Übergang wird durch die noch nicht geborene Plazenta unterstützt, auch bei bereits kollabierter Nabelschnur. Frühes Anlegen nach der Geburt unterstützt sanft den Übergang ins Mutterdasein.

Drei Ereignisse und sieben Phasen

Prof. Dr. Sven Hildebrandt, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Hochschule Fulda, teilt die Geburt in Zehntel ein: drei Ereignisse und sieben Phasen. So könne man am besten das jeweils Charakteristische hervorheben. Ähnlich wie Aepli (siehe Artikel “Die Erfindung der Geburtsdauer”) zählt er die Vorgeburtsphase als eigene Geburtsphase zum Geburtsprozess hinzu:

  1. Vorgeburtsperiode
  2. Geburtsbeginn (Ereignis)
  3. Latenzperiode
  4. Eröffnungsperiode
  5. Übergangsperiode
  6. Durchtrittsperiode
  7. Geburt des kindlichen Körpers (Ereignis)
  8. Plazentarperiode
  9. Geburt der Plazenta (Ereignis)
  10. Nachgeburtsperiode
Zitiervorlage
Vogt M, Heimbach B: Übergänge gehören dazu. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (7): 40–41
Literatur

Schmid V, Downe S: Midwifery skills for normalizing unusual labours. In: Walsh D, Downe S: Essential midwifery practice. Intrapartum care. Chichester. Blackwell Publishing Ltd. 2010

Hildebrandt S: Die zehn Phasen der Geburt. Die normale Geburt als etwas Besonderes – oder: die besondere Geburt als etwas Normales? Hebammenforum 2013: 5

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