Sinnvolle Gestaltung benötigt ein Motiv, ein Ziel, das Antwort auf die Frage gibt: Was soll mit der Farbigkeit erreicht oder verändert werden? Gestaltungsziele im Rahmen von Neubau oder Renovierung einer Geburtsabteilung können zum Beispiel sein:
- eine positive Wirkung bei Besichtigungen erzielen, attraktive Bilder im Internet und in Broschüren veröffentlichen, damit KundInnen gewinnen und für hohe Auslastung sorgen
- eine Umgebung schaffen, in der MitarbeiterInnen gerne tätig sind, und damit MitarbeiterInnen halten und gewinnen
- Farben auswählen, die das Geschehen vor, während und nach der Geburt unterstützen und damit das Kernanliegen der Abteilung fördern, das Wohl von Mutter und Kind.
Verschiedene Motive führen zu unterschiedlichen Gestaltungen. So mag ein heller Kreißsaal mit frechen Farbakzenten und großen Fenstern bei Besichtigungen an einem sonnigen Tag einladend wirken – aber wird das Ambiente der eigentlichen Funktion des Raums gerecht? Und ist es tatsächlich erstrebenswert, wenn die junge Mutter im Wochenbett sich »wie im Hotel« fühlt, noch dazu in einem Design-Hotel? Möchte sie sich mit ihrem Neugeborenen nicht lieber wie zu Hause fühlen?
Die folgenden Überlegungen orientieren sich an dem Gestaltungsmotiv, das Geburtsgeschehen und die Kliniktage danach für Mutter und Kind optimal farblich zu begleiten.
Gezielt definierte Raumstimmung
Was ist das Besondere an farbig gestalteten Räumen? Die konkrete Farbigkeit eines Raums bildet sich in der Wahrnehmung der NutzerInnen ab und prägt damit ihr Bewusstsein – ob sie das gut finden oder nicht. Mehr noch: Die visuelle Farbwahrnehmung lässt sich nicht von anderen Wirkungen trennen. So fällt auch die Einschätzung, wie groß oder klein, kalt oder warm der Raum ist, wie schwer ein Gewicht, wie laut ein Ton, wie drückend die Feuchtigkeit oder wie süß eine Speise ist, anders aus, je nachdem welche Farben oder Beleuchtungen in der unmittelbar sichtbaren Umgebung platziert sind. Auch das Erlebnis des eigenen vitalen Befindens und der Stimmung, das heißt der gemüthaften Verfassung, wird durch Farben beeinflusst. Gerade hier, auf dem Gebiet der Stimmungswirkung, agieren Farbenplaner, um »Milieus« zu schaffen, die wahlweise wach machen oder zum Träumen anregen, Bewegungsbereitschaft fördern oder mindern, vitales Empfinden erfrischen oder dämpfen. So kreieren sie Atmosphären, die die vorgesehene Nutzung eines Raums unterstützen, zum Beispiel Besprechen, Lernen, Essen, Spielen …
Physiologische Stimulation
Neben der unmittelbaren Wirkung der Farben aufs Bewusstsein, bilden sich Umgebungsfarben in physiologischen Vorgängen ab. Die Zusammenhänge von Rot- und Orangetönen mit dem Sympathikus, von Blautönen mit dem Parasympathikus sind oftmals dargestellt worden, um nur ein Beispiel zu nennen. Hier sind die Wirkungen besonders deutlich, wenn die Farben intensiv, großflächig und über einen längeren Zeitraum dargeboten werden.
Gelenkte Aufmerksamkeit
Schließlich hat eine farblich strukturierte Umgebung besonderen Einfluss auf unsere Aufmerksamkeit und Orientierung. Werden alle Elemente eines Raumes farbig sinnvoll interpretiert, bestimmt das die Art unserer Augenbewegung und Blickführung; es hilft uns beim Aneignen der Umgebung und beim Zurechtfinden in ihr.
Für jeden Bereich die passenden Farben
Bei einer Geburt in der Klinik lassen sich drei Stadien unterscheiden, die eine werdende Mutter durchläuft und die sie in jeweils unterschiedlichen Stimmungen und Erwartungshaltungen erlebt:
- Die Zeit vor der Geburt: Hier geht es darum, Informationen zu beschaffen, Einrichtungen zu besichtigen und sich auf die Geburt vorzubereiten. Gegenüber einer Klinik sind Stimmung und Erwartungshaltung kritisch-prüfend, eher verstandesorientiert, auch neugierig, aufgeregt oder fragend-suchend: nach Kompetenz und vertrauensvoller Unterstützung.
- Das Geburtsgeschehen: Ein extrem körperorientiertes Erleben, geprägt einerseits durch Anspannung und Schmerz, andererseits durch Weggetretensein, Kontrollverlust und Loslassen.
- Die Zeit nach der Geburt: Hier stehen Regeneration, der Aufbau der Mutter-Kind-Bindung und das Neugestalten von Familienbeziehungen im Mittelpunkt. Das Erlebnis ist geprägt von Empfindungen der Ruhe, Liebe, Innigkeit, Erfüllung, Entspannung, Zuwendung, Glück.
Den drei Stadien können folgende Räume zugeordnet werden:
- Eingangsbereich, Rezeption, Aufenthaltsräume, Beratungszimmer, Verkehrsflächen
- Wehenzimmer, Wandelgang, Kreißsaal
- Wochenstation, Kinderzimmer, Rooming-in-Zimmer, Stillzimmer.
Es erscheint sinnvoll, die jeweils genutzten Räume farblich so zu gestalten, dass der Gemütszustand, die Erwartungen, die leibliche Verfassung der (werdenden) Mutter unterstützt oder positiv gespiegelt werden. Ziel ist, dass sie in jedem Stadium Vertrauen zur Umgebung aufbauen kann, weil sie sich am richtigen Ort fühlt und mit der Situation identifiziert.
Die Räume vor der Geburt
Jede Klinik wird die Frage individuell beantworten, welche besonderen Kompetenzen sie dem kritisch-prüfenden Blick sich informierender Erstbesucher vermitteln möchte. Eine Auswahl möglicher Kompetenzen kann sein:
- Unsere Abteilung ist medizinisch-technisch bestens ausgerüstet und kann jeder Situation optimal begegnen – auch kritischen Situationen.
- Wir verfügen über hoch qualifizierte MitarbeiterInnen mit großer beruflicher Erfahrung.
- In unserer Abteilung herrscht eine zugewandte, liebevolle Stimmung.
- Wir arbeiten im Geiste einer besonderen medizinischen oder weltanschaulichen Schule.
- Wir sind eine beliebte und bekannte Einrichtung, die mitten im Leben steht.
Die Liste lässt sich beliebig erweitern. Möglicherweise wird die »moderne Technik« dabei überproportional in den Vordergrund gerückt, weil sie den allgemeinen Erwartungen an ein Krankenhaus entspricht.
In dieser Phase, die überwiegend durch eine reflektierende Haltung und Verstandesüberlegungen geprägt ist, kann ein Zuviel an Farbe verunsichern – vor allem, wenn Räume »malerisch« ganz in Farbe eingetaucht erscheinen. Hier sind grafische Elemente zu empfehlen, also die Kombination von Farben und Formen bei überwiegend hellen, wenig gesättigten Hintergrundflächen. Helle Cremetöne brechen die Härte einer weißen Wand und lassen sie weicher wirken, ohne eine emotional eindeutige Aussage zu machen. Eine der Wände im Raum kann eine intensivere Farbe tragen und damit eine stärkere Aussage machen – am besten immer vor dem Hintergrund der Frage: »Was will ich erreichen?« Das im Moment beliebte »frische Grün« wirkt oft brettartig-hart, und erinnert eher an Fußballrasen als an Natürlichkeit! Ein einzelner isolierter Farbton wirkt nie natürlich – denn Natur lebt aus einer Vielfalt von Farbklängen und -Schattierungen, vor allem in Licht-Schatten-Wirkungen.
Wer Zugewandtheit und soziale Kompetenz vermitteln will, sollte besonders darauf achten, dass zwischen der Farbigkeit der Wände und Böden, der Türzargen und -blätter, des Mobiliars und der Raumtextilien harmonische Beziehungen entstehen! Türzargen in Knallblau vor weißen Wänden, auf die Edelstahl-Kantenschoner montiert sind, signalisieren deutlich: Alle Elemente vereinzeln sich – jeder kämpft für sich allein. Diese Wahrnehmung sollte sich lieber nicht auf die Einschätzung der Abläufe auf der Geburtsstation übertragen.
Bilder an den Wänden sind in den »Räumen vor der Geburt« ein gutes Mittel, Kompetenzbotschaften zu transportieren: Dazu zählen Babyfotos, Dankesschreiben, Zeitungsausschnitte, aber auch Kunstwerke, sofern sie mehrheitstauglich sind und als erbaulich wahrgenommen werden. Das Leitsystem der Hinweisschilder und Raumbeschriftungen zur Orientierung im Gebäude ist kein notwendiges Übel, sondern eine willkommene Möglichkeit, durch Schrift und Farbe optisch prägnante Kompetenz-Botschaften zu vermitteln.
Individuell ausformulieren
Und noch etwas: Hat man eine geeignete Farben- und Formensprache gefunden, muss diese nicht auf alle Räume in derselben Art übertragen werden, sondern lässt sich unterschiedlich ausformulieren. »Corporate Identity« ist ein sinnvolles Konzept, wenn es um Wiedererkennbarkeit geht. Aber individuell reagieren zu können und zu dürfen, zeichnet den freien, situationsbezogen handelnden Menschen aus.