Eingerichtet nach Vorgaben der Be-up-Studie: der Kreißsaal der Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg Foto: © Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg

Das geburtshilfliche Team der Paracelsus-Klinik in Henstedt-Ulzburg bei Hamburg nimmt seit Juni 2019 an der Be-up-Studie teil – und freut sich über reichlich Bewegung bei den Geburten. Dass die Hebammen viel auf dem Boden knien müssen, macht den älteren Kolleginnen bisweilen zu schaffen.

Bettina Salis: Welche Kriterien musste Ihr Kreißsaal erfüllen, damit er an der Be-up-Studie teilnehmen konnte?

Aurelia Hayward: Vor allem brauchten wir die räumliche Kapazität, damit wir die Frauen randomisieren können. Es mussten zwei Räume gleichzeitig frei sein können, damit der Computer auswählen kann, ob die Frau zur Geburt in den normalen oder in den Be-up-Kreißsaal geht. Mit rund 800 Geburten im Jahr und vier Kreißsälen hatten wir da gute Voraussetzungen. Nur in Stoßzeiten können wir nicht randomisieren.

Außerdem mussten wir bereit sein, einen Raum zum Be-up-Kreißsaal umzugestalten und nachweisen, dass wir die passende Klientel haben. Da wir ein Haus der Grund- und Regelversorgung sind, war das kein Problem. Wir betreuen so gut wie keine Risikoschwangeren.

Bettina Salis: Welche geburtshilfliche Philosophie lebt Ihr Kreißsaal-Team?

Aurelia Hayward: Unser Leitbild »Geborgen gebären« passt sehr gut zur Studie. Wir wollen die Atmosphäre so familiär wie möglich gestalten, unsere Räume sollen einen häuslichen Charakter haben und nicht klinisch daherkommen. Deshalb unterscheidet sich der Be-up-Kreißsaal bei uns nicht so sehr von den anderen Räumen. Nur, dass da kein großes Bett in der Mitte steht, es aber einige Extra-Elemente gibt.

Bettina Salis: Gab es Skeptikerinnen im Team?

Sylke Wallmann: Manche hatten einen Riesenrespekt vor der Randomisierung. Sie hatten Sorge, sie könnten das Passwort vergessen oder andere Fehler machen. Das hat sich aber schnell eingespielt. Die anfänglichen Ängste sind mittlerweile überwunden.

Bettina Salis: In der Projektbeschreibung zur Be-up-Studie ist eine Vorbereitungszeit von sechs Monaten vorgesehen. So viel Zeit hatten Sie ja nicht, weil Sie erst im Juni 2019 eingestiegen sind.

Aurelia Hayward: Wir haben das Projekt in zwei Monaten auf die Beine gestellt. Die Elemente wurden uns angeliefert – die sind in allen Kliniken gleich – und dann haben wir den Raum umgestaltet und eingerichtet.

Bettina Salis: Als Prof. Gertrud Ayerle die Studie im Mai auf dem DHV-Hebammenkongress 2019 vorstellte, bemängelte eine Zuhörerin, die Farben der Elemente seien so traurig. Konnten Sie sich die Farben nicht aussuchen?

Aurelia Hayward: Es gab keine beliebige Auswahl, sondern wir konnten nur zwischen sechs vorab bestimmten Farben wählen. Wir haben die blauen und die grauen gewählt, passend zu unserem Raum.

Bettina Salis: Was gehörte noch zur Vorbereitung?

Sylke Wallmann: Es gab eine Schulung zum wissenschaftlichen Arbeiten und zum Randomisieren: worauf wir achten müssen und welche Frau die erforderlichen Kriterien erfüllt und wer nicht, also welches die Ein- und die Ausschlusskriterien der Studie sind.

Bettina Salis: Gab es auch eine Schulung zur aufrechten Gebärhaltung?

Sylke Wallmann: Die praktizieren wir ja sowieso.

Bettina Salis: Wird das Team von den Studien-Macherinnen betreut?

Aurelia Hayward: Uns betreut Elke Mattern, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni in Halle-Wittenberg. Zusätzlich gibt es zweimal im Jahr ein Treffen für alle Kreißsäle, die an dieser Studie teilnehmen.

Bettina Salis: Um welche Themen geht es bei diesen Treffen?

Aurelia Hayward: Generell geht es um den Erfahrungsaustausch im Zusammenhang mit der Studie. Manche Kliniken hatten Probleme, die Zimmer einzurichten und das Gebärbett darin zu verstecken, weil die Räume nicht groß genug sind. Es gehört ja zu den Kriterien der Studie, dass man das Gebärbett nicht sehen soll. Wir haben eine Gardine um das Bett gebaut, andere stellen einen Paravent davor. Aber bei manchen ist dadurch der Platz sehr eingeschränkt, auf dem die Frauen sich bewegen können.

Als ich das erste – und bislang einzige Mal – bei so einem Treffen dabei war, standen wir kurz davor, mit der Studie in unserem Haus loszulegen. Deshalb war es für mich sehr interessant zu erfahren, wie die anderen mit bestimmten Herausforderungen umgegangen sind. So konnte ich die Sorge der Kolleginnen vor der Randomisierung und der Arbeit mit dem Tablet ansprechen. Es war beruhigend zu hören, dass das gar nicht so schlimm ist und gut läuft, wenn man es ein- oder zweimal gemacht hat.

Bettina Salis: Ziel der Studie ist es, am Ende 4.000 Geburten auswerten zu können. Wie viele Be-up-Geburten müssen Sie pro Monat beitragen?

Aurelia Hayward: Vorgesehen sind acht bis zwölf Geburten pro Monat. Im ersten Monat hatten wir sogar 20. Ich bin zuversichtlich, dass wir unser Pensum schaffen.

Bettina Salis: Wie erfahren die Frauen und Paare von der Studie?

Sylke Wallmann: Auf den Infoabenden, bei Vorgesprächen und von den freiberuflichen Hebammen, die wir zu Beginn mit Material versorgt hatten. Bei den Anmeldegesprächen weisen wir auch auf die Studie hin.

Aurelia Hayward: Auch die Presse hat über die Studie berichtet, auf unserer Website und überall im Krankhaus gibt es Infomaterial. Zu unserem Tag der offenen Tür war dann auch Prof. Ayerle da.

Wenn die Frauen um die 34. Woche zum Anmeldetag kommen, bekommen sie den mehrseitigen Einwilligungsbogen mit, den sie zu Hause ausfüllen und zur Geburt mitbringen sollen, wenn sie teilnehmen möchten. Er enthält die Einwilligung, dass die Studie die erhobenen Daten nutzen darf. Sie können auch noch hier unterschreiben, nur ist es besser, sie machen es zu Hause, weil es doch recht viel Text ist.

Bettina Salis: Wie ist das für Sie als Hebammen? Arbeitet es sich in dem Studienraum anders?

Sylke Wallmann: In dem Raum kniet man als Hebamme recht viel auf der Matte. In den anderen Kreißsälen stehen wir eher oder sitzen mit auf dem Bett, auf der Kante. Oder wir schieben uns einen Stuhl ans Bett. Im Be-up-Kreißsaal findet mehr auf der Matte statt, und wenn die Frau viel kniet oder im Vierfüßler ist, kann das – vor allem für die älteren Kolleginnen – sehr anstrengend werden.

Bettina Salis: Wie ist die Rückmeldung von den Frauen, wenn sie so viel auf der Matte sind?

Sylke Wallmann: Sie müssen ja nicht auf der Matte sein. Sie können sich die Elemente aussuchen und sich auf das Bett legen oder stehen oder auf dem Hocker sitzen. Sie können auch liegen und die Beine hochlegen, um das Becken zu entlasten.

Aurelia Hayward: Auch ist es in diesem Raum einfacher, den Partner einzubeziehen. Es gibt mehr für ihn zu tun …

Sylke Wallmann: … der »baut für die Frau«, schiebt ihr eine Rolle in den Rücken, holt den Hocker ran, damit sie sich abstützen kann. Ich habe das Gefühl, dass die Paare auch mehr ausprobieren, weil sie mehr Möglichkeiten haben. Ohne, dass wir sie ermuntern und sagen: Probier‘ mal das. Manchmal ist es fast wie ein Spiel, so wie Kinder mit einem Bausatz experimentieren.

Bettina Salis: Wird die Betreuung dadurch individueller?

Sylke Wallmann: Ja. Die Frauen probieren viel mehr aus, weil die Sachen dastehen und sie wissen, dass sie alles benutzen dürfen. Und manchmal kommen sehr interessante Kombinationen heraus. Das ist sehr abwechslungsreich.

Bettina Salis: Hat sich durch die Studie Ihr Blick auf Geburtshilfe verändert?

Aurelia Hayward und Sylke Wallmann: Nein!

Sylke Wallmann: Wir animieren die Frauen immer schon zu aufrechter Gebärhaltung. Und auch den Partner beziehen wir schon immer mit ein.

Bettina Salis: Es sollen auch Snacks angeboten werden?

Aurelia Hayward: Die Snackbar sollte bereithalten: Nüsse, Studentenfutter, Knäckebrot, Kekse, kleine Süßigkeiten, Müsliriegel, kleine Salzbrezeln, Traubenzucker, Trockenobst und frisches Obst und Getränke.

Sylke Wallmann: Die Frauen nehmen das sehr gerne an. Manche wollen Traubenzucker und eher etwas Süßes und andere bevorzugen herzhafte Snacks.

Bettina Salis: Was war bislang die größte Heraus­forderung für Sie im Zusammenhang mit dieser Studie?

Aurelia Hayward: Bei einem Notfall mussten wir den OP-Tisch ins Zimmer schieben und hatten Mühe, die Matte aus dem Weg zu schaffen. Später haben wir bei einer Dienstbesprechung überlegt, wie wir dieses Problem umgehen können. Jetzt haben wir ein Tragetuch, auf das wir im Notfall die Frau legen, um sie dann im Tuch auf den OP-Tisch zu heben.

Bettina Salis: Ich habe gehört, dass manche Kolleginnen am Anfang den Impuls hatten, die Frauen zum CTG-Schreiben hinzulegen, das aber mühevoll fanden auf der Matte – also fast auf dem Boden?

Aurelia Hayward nach lander Überlegungspause: Manche mussten sich zunächst darauf einlassen, dass sie ja auch im Sitzen oder Stehen CTGs schreiben können. Jetzt ist das gar kein Thema mehr.

Bettina Salis: Eher ist die Herausforderung, rücken- und knieschonend zu arbeiten?

Sylke Wallmann: Genau. Bei der Eins-zu-eins-Betreuung sind wir ja die ganze Zeit bei der Frau. Neulich habe ich eine Frau betreut, die probierte die ganze Zeit auf der Matte unterschiedliche Positionen aus. Nach der Geburt dachte ich: Hoppla, noch zwei Stunden hätte mein Rücken das nicht ausgehalten.

Aurelia Hayward: Ich habe den Kolleginnen gesagt, dass sie das Geburtsbett benutzen sollen, wenn es auf der Matte nicht mehr geht für sie.

Bettina Salis: Kam das Thema auch auf den Treffen mit den anderen Be-up-Kreißsälen zur Sprache?

Aurelia Hayward: Ja, wir hatten auch eine Stunde mit Physiotherapeuten, die uns gezeigt haben, wie wir unseren Rücken schonen können.

Bettina Salis: Die Hebammen können sich aber auch auf eines der Elemente setzen, wenn es übrig ist?

Sylke Wallmann: Ja, es sind genug Elemente da. Dann gibt es noch zwei Stühle, einen Ball, den Sitzsack … das wird ja nicht alles gleichzeitig von dem Paar benutzt. Irgendetwas ist immer übrig, und wenn die Hebamme sich ein sauberes Laken darüberlegt, dann kann sie es auch nutzen – solange die Frau kein Interesse daran hat.

Bettina Salis: Der Raum ist also die ganze Zeit in Bewegung und verändert sich?

Sylke Wallmann: Und das macht es so schön, dass alles so im Fluss ist.

Bettina Salis: Fühlen Sie sich privilegiert, dass Sie an der Studie teilnehmen?

Sylke Wallmann: Ja, auch weil ich glaube, dass diese Studie die Geburtshilfe verändern kann. Man muss das ja deutschlandweit betrachten. Und da glaube ich schon, dass die Studie eine Diskussion anstößt. In manchen Häusern, die an der Studie teilnehmen, waren zum Beispiel die Räume viel zu klein für die vielen Elemente.

Bettina Salis: Und Kliniken mit kleinen Räumen nehmen auch an dieser Studie teil?

Sylke Wallmann: Genau. Und das ist gut, weil es zeigt, dass ein Kreißsaal eine gewisse Größe braucht. Die Frauen wollen sich bewegen und Geburt ist etwas Intimes. Wenn die Frauen auf den Flur gehen und sich da fremde Personen befinden, dann lassen sie sich nicht so gehen. Und das bringt mehr Pathologie.

Bettina Salis: Kritikerinnen der Studie geben zu bedenken, durch die Elemente werde es den Frauen schwer gemacht, sich hinzulegen, wenn ihnen danach ist.

Sylke Wallmann: Ganz und gar nicht! Die Frauen legen sich hin, wenn sie wollen. Es geht ja um die freie Wahl der Geburtsposition. Da kein großes Bett im Mittelpunkt steht und es verschiedene Elemente gibt, haben die Frauen mehr Möglichkeiten sich zu bewegen. Wenn sie liegen wollen, gibt es eine Matratze, die recht bequem ist. Das ist ja so faszinierend: Die Frauen haben sich die ganze Zeit bewegt, und wenn die Pressphase kommt, dann legen sie sich zum Beispiel auf die Seite.

Bettina Salis: Können Sie sich vorstellen, dass Sie die Elemente vom Be-up-Kreißsaal beibehalten, wenn die Studie zu Ende ist?

Aurelia Hayward: Auf jeden Fall! Ich habe jetzt schon Ideen, wie wir den Kreißsaal dann einrichten könnten! Wir würden die Elemente gerne behalten, aber anders anordnen. Jetzt ist ja vorgesehen, dass die große Matratze längs an der Wand steht, damit sie nicht so dominant ist und an ein Bett erinnert. Wir würden zum Beispiel die große Matratze mehr in den Raum stellen, damit man besser rankommt. Die sieht eigentlich nicht aus wie ein Bett. Und dann würde ich die Matte davorlegen, so dass es eine Art Spielwiese gibt. Dann braucht die Hebamme nicht mehr mit ihren Schuhen auf die Matte, und auch bei Notfällen wäre es nicht mehr so schwierig.

Bettina Salis: Was liegt Ihnen im Zusammenhang mit der Studie noch auf dem Herzen?

Sylke Wallmann: Mir gefällt das mit den Elementen ganz besonders. Allerdings sollten Hebammen die Frauen generell mehr animieren, aus den Betten zukommen. In allen Kreißsälen. Leider kommen immer noch Frauen in den Kreißsaal mit der Haltung: Ich bin jetzt hier und bitte entbindet mich. Das möchten wir ändern. Die Frauen sollten wieder mehr Bauchgefühl bekommen.

Aurelia Hayward: Ich freue mich sehr über diese Bewegung und ich glaube, die Be-up-Studie hilft uns dabei, den Frauen zu zeigen – die Hebammen wissen es ja –, dass es auch anders geht. Also nicht so, wie man es oft im Fernsehen sieht: in Rückenlage auf dem Bett liegend und Beine hoch …

Sylke Wallmann: … dass man auch mal abwarten kann, Vertrauen und Zutrauen in die Situation haben sollte. Zeit und Geduld sind wichtig in der Geburtshilfe.

Aurelia Hayward: Es geht ja um die natürliche Geburt. Der Körper der Frau ist dafür gemacht, Kinder zu gebären – und nicht für Interventionen. Wobei es im Notfall gut ist, auf sie zurückgreifen zu können.

Bettina Salis: Liebe Frau Hayward, liebe Frau Wallmann, ich danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch.

Die Interviewten

Aurelia Hayward ist Hebamme mit einem Bachelor in Hebammenwissenschaften und einem Master in Interprofessional Health and Social Care. Seit Februar ist sie Leitende Hebamme in der Paracelsus-Klinik, Henstedt-Ulzburg.

Kontakt: aureliahayward0@gmail.com

Sylke Wallmann ist seit 2002 Hebamme. Sie ist seit Ende 2018 angestellt in der Paracelsus-Klinik und nebenbei frei­beruflich tätig.

Kontakt: sylke.wallmann@web


Hinweis: 

Die Be-up-Studie

Von Oktober 2017 bis Ende 2020 läuft die Be-up-Studie und soll herausfinden, ob die Umgebung einen Einfluss auf den Geburtsmodus und die Gebärhaltung der Frau hat. Dazu wird ein Raum »alternativ« gestaltet: Es gibt kein zentrales Gebärbett (das steht versteckt im Raum), aber Hilfsmittel und Angebote, die im herkömmlichen Kreißsaal der Klinik nicht vorhanden sind. Das sind unter anderem mobile Elemente wie Matten, Hocker, Sitzsack oder Kissenrollen, ein Bildschirm mit wechselnden Fotos naturnaher Szenen, Entspannungsmusik, eine Snackbar, ein Tischchen mit zwei Stühlen.

Zugelassen zur Studie werden Frauen mit Einlingsschwangerschaften am Termin (37. bis 42. Schwangerschaftswoche), deren Kind sich in Schädellage befindet, bei denen keine Komplikationen zu erwarten sind und die eine vaginale Geburt wünschen. Die Probandinnen werden randomisiert, das heißt, sie werden per Zufall entweder dem Be-up-Kreißsaal zugeordnet (Interventionsgruppe) oder kommen in den normalen Kreißsaal (Kontrollgruppe).

Durchgeführt wird die Studie von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter der Leitung von Prof. Dr. Gertrud M. Ayerle, in Kooperation mit der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). > www.be-up-studie.de


Zitiervorlage
Salis B: Be-up-Studie zum aufrechten Gebären: »Fast wie ein Spiel«. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2020. 72 (1): 42–45
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