Um in der letzten Geburtsphase einen protrahierten Verlauf oder Stillstand abzuwenden, sind zunächst verschiedene Lagerungen, aufrechte Gebärpositionen und ein ergänzender Oyxtocintropf zu empfehlen. Erst wenn diese Versuche gescheitert sind, kann in Einzelfällen ein Fundusdruck erwogen werden. Die Hebamme, Fachautorin und Dozentin für Geburtshilfe Ulrike Harder mahnt zur absoluten Zurückhaltung beim sogenannten Kristellern und erläutert verschiedene Methoden.

Das Kristellern wird sehr kontrovers diskutiert. Der Frankfurter Geburtshelfer Prof. Dr. Frank Louwen meint, dass der Fundusdruck zu Schulterdystokien führen könne (Baumgarten 12/2015). Der Dresdner Geburtshelfer Prof. Sven Hildebrandt steht dem Kristellern ebenfalls äußerst kritisch gegenüber. Er erinnert sich mit Gruseln, wie er diesem Manöver das erste Mal als junger Arzt zuschaute und es später selbst praktizieren musste. Er warnt vor jedem Eingriff in das sensible geburtsmechanische und -dynamische System der Durchtrittsperiode. Der Handgriff sei überhaupt erst nötig und möglich durch eine ungünstige Rückenlage. Diese problematische Gebärposition erlebe durch „Non-Walking”-PDAs und durch vermehrte schwer mobilisierbare adipöse Frauen eine gewisse Renaissance. Der Gebärbewegung werde vielerorts nicht genug Bedeutung beigemessen. Sein Vorschlag: Man solle das Kristellern filmen und anschließend mit dem geburtshilflichen Team nach Alternativen suchen. Alle kennen die Vorbehalte, aber immer wieder wird das Manöver eingesetzt. Prof. Dr. med. Franz Kainer, Chefarzt der Abteilung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin im Klinikum Hallerwiese in Nürnberg, kommt nach Abwägen der verschiedenen Argumente für und wider zu dem Schluss, dass man durchaus mitdrücken könne, auch mit dem Unterarm (Kainer 2016). Wenn sich die Hand des kristellernden Unterarmes am Betttuch festhalte, lasse sich die Hebelwirkung ausnutzen. Wichtig sei, dass der Ellenbogen nicht in den Bauch der Frau gedrückt werde. Der Fundusdruck solle mit Gefühl ausgeübt werden. Die Frau müsse zuvor aufgeklärt werden und zustimmen. Eine Gefahr des unsachgemäßen Kristellerns bestehe in der Uterusruptur. Aber er betont auch: Wenn die Frauen ihre Kinder im Stehen, auf dem Hocker, in Seitenlage, im Vierfüßlerstand oder im Wasser gebären könnten, würde die Kristellerhilfe nur noch in sehr schwierigen Fällen gebraucht.

Kontrollierter Fundusdruck mit dem Kristeller-Gürtel?

Um dem Problem ganz aus dem Weg zu gehen, wurde an der Universität Perugia in Italien ein Kristeller-Gürtel entwickelt, der Inflatabel Obstetrical Belt. 2005 wurde er das erste Mal auf einer Tagung in Rom unter dem Namen BabyGuard® vorgestellt. Mit dem aufblasbaren Gürtel lässt sich ein kontrollierter Fundusdruck ausüben, der durch ein externes Gerät geregelt wird. Er sollte die Nachteile wie die Verletzungsgefahr beim Kristellern ausschließen. Einige kleinere Studien zeigten eine kürzere Austreibungsperiode und andere Vorteile wie eine Reduzierung der operativen Geburtshilfe, beispielsweise eine Untersuchung aus dem Jahr 2012 im San Giuseppe Krankenhaus in Empoli in Italien (Acanfora 2013).

Eine kleine Studie in Padua stufte das Gerät als sicher und hilfreich ein, da es verträglicher sei, als wenn unkontrolliert mit dem Unterarm auf die Frau gedrückt würde. Laut Aussage von Südtiroler Hebammen sei es bis jetzt in kaum einer italienischen Klinik im Einsatz und werde in Deutschland eher nicht verwendet, weiß Ulrike Harder.

Allerdings scheint auch der Gürtel kritischen Begutachtungen nicht standzuhalten. So wurde im Frühjahr in einem Cochrane-Review eine Stellungnahme zum Fundusdruck veröffentlicht: Kristellern oder der aufblasbare Gürtel mögen die Pressphase bei Erstgebärenden verkürzen und operative Geburten verhindern, aber es gebe nicht hinreichend Evidenzen durch randomisierte Studien, die tatsächlich beweisen, dass die Techniken sicher sind. Darum gebe es im Moment auch keinen Grund, diese Methoden zu favorisieren. Allerdings wird von der Methode nicht komplett abgeraten, sondern der Bedarf an weiterer Forschung betont (Hofmeyr 2017).

Harder mahnt zur absoluten Zurückhaltung, vor allem was das Kristellern mit dem Unterarm betrifft. Sie bedauert: „Leider wird das Kristellern in keinem Perinatalprogramm dokumentiert und es gibt keine Evidenzen zur Häufigkeit und Technik der Anwendung. Erfreulicherweise wird in Spanien, England und von der WHO das Kristellern nicht mehr empfohlen, da keine der vorliegenden Studien einen Nutzen durch Kristellern nachweisen konnte und weil der Fundusdruck Verletzungen bei Mutter und Kind verursachen kann.” Im Gegensatz zu vielen Publikationen unterscheidet sie jedoch zwischen verschiedenen Methoden des Kristellerns, sieht sie sehr differenziert und empfiehlt die früher gebräuchliche Variante mit einem Tuch für Frauen mit Rectusdiastase. Ihre Erläuterungen und Erfahrungen sind neben den Abbildungen zu lesen.

Die Hebamme, Fachautorin und Dozentin Ulrike Harder ist eine Expertin für die Bewältigung protrahierter Geburtsverläufe. Sie beschreibt und kommentiert verschiedene Manöver: 

„Wenn ein Fundusdruck notwendig erscheint, empfehle ich ihn, wie von Samuel Kristeller beschrieben, mit beiden Händen zu tun. Das Kind lässt sich gut in Führungslinie halten, die Frau empfindet den Druck kaum schmerzhaft und die Gefahr von Gewebsschädigungen ist gering. Nach dem Ertasten des Steißes werden die Hände eng nebeneinander flach hinter den Fundus auf die obere Hälfte des Uterus gelegt, der Steiß wird in Führungslinie gebracht und dann wehensynchron in Richtung Beckenausgang geschoben. Die Hebamme steht dabei auf einem Bein neben dem Bett und kniet sich mit ihrem anderen Bein neben die Frau auf das Bett. So kann sie sich hinten mit ihrem Po am Bettoberteil abstützen und bekommt nach vorne ausreichend Kraft zum Mitschieben. Flach aufgelegte Hände sind besonders wichtig, wenn sich beim Mitdrücken der Frau ein breiter Wulst zwischen den geraden Bauchmuskeln vorwölbt. Denn mit einer breiten Rectusdiastase kann die Frau nur wenig Druck nach unten aufbauen.“ Abbildung: © Birgit Heimbach

"Das Kristellern ist auch mit einer Hand möglich, allerdings muss man sich dazu mit der anderen Hand beispielweise am Bettoberteil abstützen, um genügend Kraft aufzubringen. Der von Martius beschriebene Fundusdruck mit einer Hand ist besonders geeignet, wenn der Kopf des Kindes noch nicht ausrotiert ist. Der Druck erfolgt dann von der Seite der kleinen Teile, um die Beugung und Drehung des Kopfes zu fördern.“ Abbildung: © Birgit Heimbach

„Das Kristellern mit dem Unterarm sehe ich sehr kritisch. Das Kind lässt sich kaum in Führungslinie halten und der Druck des Unterarmknochens ist für die Frau meist sehr schmerzhaft. Außerdem besteht die Gefahr von Gewebsschädigungen am Uterus. Besonders gefährlich wird es, wenn der Ellenbogen seitlich abrutscht. Ich kenne mehrere Frauen, die mit dieser Technik eine schmerzhafte Rippenprellung oder gar -fraktur erlitten haben. Abbildung: © Birgit Heimbach

Um genug Kraft aufzuwenden und der Frau keine Schmerzen mit dem Ellenbogen zuzufügen, stellen oder knien sich manche Geburtshelfer und Hebammen ans Kopfteil und schweben dann quasi über der Frau. Meiner Ansicht nach wird eine Gebärende diese Position als sehr übergriffig erleben. Besonders wenn sie, wie auf diesem Bild, in eine
absolut passive Haltung gebracht wird, denn ohne Halt für ihre Hände und ohne Stütze oder Gegendruck an ihren Füßen wird sie selbst kaum Kraft zum Mitschieben aufbringen können.

Es ist erschreckend, dass manche Geburtshelfer einen so starken Zwang verspüren, das Kind schneller zur Welt zu bringen, dass sie zu gefährlichen, rabiaten Mitteln greifen. Leider musste ich selbst erleben, wie Ärzte mit zwei Fäusten hektisch auf den Fundus drückten. Mir wurde von zwei Fällen berichtet, bei denen in der Klinik tatsächlich mit dem Knie ‚nachgeholfen‘ wurde. Was für ein traumatisches Erlebnis für die Frau."

„Bei einer Rectusdiastase oder sehr weicher Bauchdecke kann ein Tuch helfen, das um die oberen zwei Drittel des Bauches gelegt und am Rücken gekreuzt wird. Erst wenn die Frau in der Wehe mitschiebt, wird es zur Verstärkung der Bauchmuskeln von zwei Personen zugezogen. Das können Gebärende als sehr hilfreich empfinden. Die Anwendung ist auf
dem Gebärhocker, im Bett oder im Vierfüßlerstand möglich.“

Das aufblasbare Kissen wird unter einem Stoffgürtel mit Klettverschluss auf der oberen Uterushälfte fixiert. Wenn die Sensoren eine Wehe anzeigen, blasen sich erst die Seitenteile auf, dann der Mittelteil, um Druck auf den Fundus auszuüben. Zum Ende der Wehe wird die Luft wieder abgelassen. Ich halte dieses aufwändige Gerät eigentlich für überflüssig. Aber wenn die Geburtshelfer nicht ohne Kristellern auskommen können und dieses sonst rabiat und unkontrolliert tun würden, sollten sie lieber das Gerät verwenden und so die Frau schonen. Jedoch muss man immer wieder betonen: Fundusdruck ist sehr selten nötig, die Alternativen sind: weniger Ungeduld, Ändern der Gebärposition, Halt für Hände und Fuß-Gegendruck ermöglichen, tiefe Hocke probieren, Beckenmobilisation in Seitenlage, äußerer Beckendruck oder eine Vakuumextraktion.“

Zitiervorlage
Heimbach B: Fundusdruck ist selten nötig! DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (7): 54–56
Literatur

Acanfora L: An inflatable ergonomic 3-chamber fundal pressure belt to assist vaginal delivery. International Journal of Gynecology and Obstetrics 2013. 120: 78–81

Baumgarten K: Interview mit Frank Louwen zur Beckenendlage, Teil 1: „Der Kopf bleibt nicht stecken”. Deutsche Hebammenzeitschrift 2015. 12: 35–38

Di Renzo GC et al.: Mechanical Manœuvres (Kristeller Manoeuvre, Inflatable Obstetrical Belt) to Assist Mothers in the Second Stage of Labor: Benefits and Risks. Centre of Perinatal and Reproductive Medicine. Department of Obstetrics and Gynecology. University of Perugia

Harder U: Verzögerte und forcierte Kopfentwicklung. In: Stiefel A, Geist C, Harder, U: Hebammenkunde. 5. Auflage. Stuttgart 2013

Harder U: Verzögerte Kopfgeburt – Alternativen zum Kristeller-Handgriff. Die Hebamme 2016; 29: 373–380

Kainer F: Kristellerhilfe – obsolet oder sinnvoll? Die Hebamme 2016. 29: 238–240

Hasegawa J et al.: Uterine rupture after the uterine fundal pressure maneuver. J Perinat Med 2015. 43 (6): 785–788

Hofmeyr G, Vogel JP, Cuthbert A, Singata M: Fundal pressure during the second stage of labour for improving maternal and fetal outcomes in: www.cochrane.org/CD006067/PREG_fundal-pressure-during-second-stage-labour-improving-maternal-and-fetal-outcomes (letzter Zugriff 12.5.2017)

Merhi ZO, Awonuga AO: The role of uterine fundal pressure in the management of the second stage of labor: a reappraisal. Obstet Gynecol Surv 2005. Sep; 60(9): 599–603

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