Henrike Voigt: » Alle Schwanger­schaften waren willkommen. Aber nie fühlte sich eine Schwangerschaft so richtig an wie mit Mitte Vierzig. « Foto: © privat

Unter 25 zu jung, über 35 zu alt – die Gesellschaft hat eine genaue Vorstellung davon, wann es richtig ist, ein Kind zu bekommen. Werden »ältere« Frauen schwanger, sind sie häufig mit Vorurteilen konfrontiert. Wie fühlen sie sich in dieser Situation und wie kann es gelingen, dabei selbstbewusst zu bleiben?

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um Kinder zu bekommen? Eine offenbar brennende Frage, taucht sie doch immer wieder auf. Und während die blutjungen Mütter gern von Fernsehformaten und Talkshows diverser Kanäle medial vermarktet werden, bietet die alte Mutter jenseits der vierzig Gesprächsstoff für vor allem eine Zielgruppe: die Mitmütter.

Auch wenn statistisch betrachtet das Gebäralter steigt, sind alte Mütter nach wie vor tabuisiert und bieten allerlei Nährboden für Spekulationen, Tuscheleien und Mitleid für das arme Kind. Die bedauernswerte Frucht der schrumpeligen Lenden. Das geht niemanden etwas an, aber alle haben eine Meinung dazu. Was ist daran so suspekt?

Sind »alte« Mütter lahm, erziehen sie unzeitgemäß und schaden durch das »Altsein« ihren Kindern? Wo sind Feldstudien und Interviews mit alten Müttern und deren Kindern? Gibt es dazu Analysen? Befragungen und Dokumentationen? Technisierte Tests zur Erhebung eventueller Schadensnahme des Nachwuchses? Und: Braucht es das oder wäre das am Ende auch nur eine weitere Studie, aus einer Datenmenge extrahiert, um die gesellschaftliche Meinung zu beeinflussen?

Ich scheue mich vor Verallgemeinerungen. Auch in diesem Fall. Aber ich bin der Prototyp einer »Rollator-Mutti« und wen es interessiert, dem zeige ich hier meine ganz persönliche, private Sicht auf dieses Thema.

Drei Kinder in drei Jahrzehnten

Reif. Das trifft es in meinem Fall. Ich bin mittlerweile eine reife Mutter. Und ich habe lange gebraucht, um zu reifen. Auch in meiner Mutterrolle. Ich habe in drei Jahrzehnten meines Lebens jeweils ein Kind geboren. Im Alter von zweiundzwanzig, dreißig und dreiundvierzig. Und so wie das Leben, die Umweltbedingungen und mein Alterungsprozess mich geformt haben, bin ich von Schwangerschaft zu Schwangerschaft gereifter in diese Situation gegangen. Ich konnte von Kind zu Kind bejahender, selbstbewusster und situativer mit den Veränderungen meines Körpers, der Geburt und der Einstellung zu dem Kind umgehen.

Die erste Schwangerschaft fühlte sich an wie eine schwere Krankheit. Unter der Geburt habe ich abwechselnd um Hilfe und nach meiner Mutti gerufen. Ich glaubte, ich müsse sterben. Die zweite Schwangerschaft stand im Schatten der Angst und Furcht um dieses ungeborene Kind. Ich benahm mich wie ein schwerer Pflegefall und schonte mich bis zur vollständigen Couchlähmung. Und unter dieser Geburt schrie ich nach Gott (»Oh Gott!«) und meinte, diesmal stürbe ich ganz sicher. In der dritten Schwangerschaft genoss ich jedes Kilo, begrüßte jeden Besenreiser euphorisch und in den Wehen schrie ich nach dem einzigen Menschen, der wirklich helfen konnte: nach Ines, meiner Hebamme. Und ich wusste, ich würde sterben. Aber ganz sicher nicht heute!

Als junge Frau haben mich Existenzängste durch die Schwangerschaften geplagt. Und durch mein ganzes Leben. Gedanken um die Außenwirkung meines Handelns und Tuns, meines Seins. Und auch meine Dreißigerjahre waren noch von Zweifeln geprägt, und von drängenden Selbstverwirklichungsgedanken. Ich rüttelte an den Konstrukten meiner Beziehung, an meinem Weltbild. Stellte regelmäßig alles in Frage und ständig größere, höhere Ziele für mein Leben auf. Wie gesagt, ich brauchte länger, um zu reifen.

Mit Anfang vierzig ist all dies einer Klarheit gewichen. Das Leben ist viel unkomplizierter. Weil sich meine eigene Sicht auf die Welt und auf das, was wirklich wichtig ist, für mich geändert hat. Das erleichtert vieles ungemein. Auch das Leben mit Kindern.

Alle Schwangerschaften waren willkommen. Aber nie fühlte sich eine Schwangerschaft so richtig an, wie mit Mitte vierzig. Alle großen Fragen des Lebens waren beantwortet, hinter jede Frage ein Punkt gesetzt. Ich hatte starke Wurzeln ausgebildet und tragende Äste und fühlte mich noch nie in meinem ganzen Leben so kraftvoll und lebendig. Ich hatte alles gesehen, wonach ich mich je verzehrt hatte. Hatte das Glück an Stränden am anderen Ende der Welt gesucht, in beruflicher Erfüllung. Auf dem Boden von Weinflaschen, in durchtanzten Nächten. Und gefunden. An einem ganz anderen Ort und viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte. In dieser, meiner Familie.

Endlich angekommen

Die Vierziger sind ein tolles Lebensjahrzehnt. Für mich. Heute mache ich mir keine Gedanken mehr um Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich werde Lösungen finden. Ich erwarte sie nicht von der Politik, ArbeitgeberInenn oder sonst wem, sondern werde Strategien entwickeln, um meine zukünftige Arbeitssituation um die Bedingungen, die meine Familie benötigt, herumzubauen. Das ist für mich vollkommen selbstverständlich. Genauso wie das Wissen, dass ich Wege finden werde, die uns allen guttun. Priorisierung ist ein Wort, das ich gar nicht mehr benutze. Darüber muss ich nicht mehr reden. Da gibt es nichts zu reden. Ich lebe in keinem Konflikt zwischen meiner Mütterlichkeit und meiner beruflichen Rolle. Und hadere auch nicht mit Gefühlen von Selbstaufgabe und »zurückstecken müssen«. Jetzt fühlt sich alles richtig an, wie es ist. Rund. Ich bin zutiefst optimistisch. Gespeist aus meiner Lebenserfahrung und dem Wissen, dass ich alles schaffe, was ich wirklich will. Ich weiß genau, wo ich herkomme und ich habe schon einen langen Weg zurückgelegt. Und selten in den passenden Schuhen.

Im Jetzt leben

Die zweite Hälfte meines Lebens liegt noch vor mir und ich freue mich darauf! Besonders, weil wieder ein Kleinkind Leben in diese Familie bringt. Und ja, da kommen seltsame Fragen: »Denkst du manchmal darüber nach, dass dein Kind vielleicht früh verwaisen wird?«. »Und du? Denkst du manchmal darüber nach, dass Verkehrsunfälle und schwere Krankheiten auch Leuten in den Dreißigern passieren?«. Auf blöde Kommentare wie, »Ach, das finde ich so mutig von dir!«, antworte ich mit herzhaftem Gähnen und beschließe, den Absender derartiger Verbalergüsse fortan zu meiden. Am besten finde ich aber folgende Aussage, die immer wieder gern herangezogen wird: »Also, wenn man nicht mehr mit seinem Kind Fußballspielen oderauf Bäume klettern kann, dann sollte man´s lassen mit dem Kinderkriegen!«. Stimmt, ich sehe ständig Muttis auf Bäumen und beim Fußballspielen! Wie Äffchen hängen sie mit ihren Kaffeebechern da herum. Leute, echt jetzt!

Wenn ich in Rente gehe, habe ich einen Teenager hier wohnen. Das ist Fakt. Und ja, das wird vermutlich anstrengend werden. Aber warum sollte ich mir heute darüber Gedanken machen? Niemand weiß, was das Leben in zwanzig Jahren bereithält. Und das ist auch gut so. Ich genieße das Leben mit meinen Kindern JETZT und denke gar nicht so viel darüber nach, was das Alter mit mir als Mutter macht. Bis jetzt tut es mir gut. Hat mir Gelassenheit gebracht, Werte und den Fokus auf andere Dinge im Leben. Das spiegelt sich auch im Umgang mit meinen Kindern.

Was wird mein Kind denken?

Scham. Das kommt auch oft. Die Frage, ob ich denke, dass mein Kleinster sich irgendwann für seine alte Mutter schämen wird. Prinzipiell denke ich bei solchen Fragen immer: Warum zum Teufel sollte ich darüber nachdenken? Und was bitte soll ich dann mit der Antwort, wenn ich denn eine finde in der Glaskugel? Mein Sohn wird mit Fotoalben aufwachsen und Bilder ansehen, auf denen ich jünger war. Ich werde ihm die Geschichten zu den Bildern erzählen. Und er wird wissen, dass ich ganz lange auf ihn gewartet habe. Bis ich graue Haare hatte und Falten. Aber er wird sehen, dass auch ich einmal anders aussah. Und dass es überhaupt nichts macht, wenn die Kinder sagen, er hätte eine alte Mutter. Eine Omi-Mutter. Das stimmt ja. Aber daran ist nichts, was mich verletzen könnte. Und ihn? Er hat mit mir eine alte Mutter. Aber was das bedeutet, wird nur er alleine wissen können. Und nur das ist entscheidend.

Ich fühle mich nicht alt. Ich fühle mich manchmal nicht zugehörig, wenn ich in der Krabbelgruppe zwischen lauter Frauen um die fünfundzwanzig sitze. Ich habe einfach nicht mehr dieselben Themen wie sie. Und das ist in Ordnung. Nur weil wir uns in derselben Rolle befinden, können uns doch auch ganz unterschiedliche Sachen beschäftigen. Im Berufskontext habe ich möglicherweise auch eine andere Sicht und Herangehensweise als eine fünfundzwanzigjährige Kollegin. Und beide Sichtweisen sind richtig, wichtig und legitim. Und sollten gehört und respektiert werden.

Am Abend vorm ersten Geburtstag des Kleinsten saßen wir Eltern rührselig händchenhaltend auf der Couch und alle Sätze begannen mit: »Weißt du noch, letztes Jahr um die Zeit…«. Irgendwann blickte mich mein Mann an und sagte, es wäre schön, wenn jetzt noch eines zu uns unterwegs wäre. Und ich? Ich antwortete: »Ja, das wäre schön.« Ohne Aber. Nur mit Punkt. Und Liebe im Blick.

Alter ist nur eine Zahl. Reife entscheidend. Jetzt bin ich reif. Alt bin ich nur in euren Augen.


Hinweis: Dieser Artikel erschien am 23. Sep­tem­ber 2014 zuerst auf dem Blog FrauMutter > www.frau-mutter.com/ich/mutter-werden-ab-40-rollator-mutti-oder-eine-mama-den-besten-jahren/


Zitiervorlage
Voigt H: »Ich lebe in keinem Konflikt«. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2020. 72 (1): 15–17
https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png