Die Schilddrüse sollte bei Frauen, bei denen in der Schwangerschaft oder danach psychische Veränderungen deutlich werden, generell mit in den Blick genommen werden. Foto: © Markus Heimbach

Umweltfaktoren, Stress und psychische Veränderungen können sich auf die Funktion der Schilddrüse und die Entstehung von Schilddrüsenerkrankungen auswirken. Und auch Schwangerschaft und Geburt können als große Lebensereignisse die Schilddrüsenfunktion verändern.

Seit vielen Jahren wird ein Zusammenhang zwischen psychosozialem Stress und der Entwicklung von Schilddrüsenerkrankungen vermutet (Winsa 1991). Besonders die Autoimmunerkrankungen werden in diesem Zusammenhang diskutiert. So existieren Einzelbeobachtungen, die die Entwicklung eines Morbus Basedow kurze Zeit nach existenzbedrohenden Ereignissen – zum Beispiel nach Bombenangriffen – aufzeigten. Es entstand der Begriff des „Schreckbasedow”. Eine neuere Untersuchung zeigt fast eine Verdopplung der Erkrankungsrate in einem Kriegsjahr, verglichen mit einem Friedensjahr (Zubović 1993).

Unterschiedliche Toleranzschwellen

Da Stress ein Begriff ist, der unterschiedlich interpretiert wird, ist es schwer, einzelne Ereignisse als sicher krankheitsauslösend für den Einzelpatienten zu bestimmen. Für einen Menschen kann zum Beispiel eine starke berufliche Anspannung stimulierend wirken, während ein anderer dies für sich als Belastung und Bedrohung verspürt. Um die Zusammenhänge zwischen Morbus Basedow und Auslösung der Erkrankung durch psychosoziale Faktoren zu untersuchen, wurden 70 PatientInnen und 70 Kontrollpersonen nach insgesamt 64 Lebensereignissen im Jahr vor der Krankheitsmanifestation befragt (Sonino 1993). Basedow-PatientInnen berichteten über signifikant mehr solcher Ereignisse als die gesunden Kontrollpersonen. Als belastende Lebensereignisse wurden Arbeitslosigkeit, Veränderung der Arbeitsatmosphäre, Konflikte mit dem Ehepartner, Krankenhausaufenthalt eines Angehörigen sowie finanzielle Schwierigkeiten angegeben. Harris und Mitarbeiter fanden in einer anderen Studie bei 219 Basedow-PatientInnen ein sechsfach höheres Risiko für belastende Lebensereignisse als bei 372 Kontrollpersonen (Harris 1992).

Aber auch bei PatientInnen mit M. Basedow, die medikamentös über mindestens sechs Monate gut eingestellt waren, fanden sich in einer Querschnittstudie deutlich mehr Symptome im Hinblick auf Ängstlichkeit, Depression und im Gesamtscore der psychosozialen Belastung als in der Normalbevölkerung (Scheffer 2004). Ob auch die Postpartum-Thyreoiditis von Frauen nach der Geburt von Kindern durch eine Stressbelastung durch die neue familiäre Situation mit den entsprechenden neuen Belastungen für die Frau mitverursacht wird, ist nicht gut erforscht, jedoch durchaus denkbar. Sicher steht bei dieser Krankheit die genetische Disposition zur Entwicklung von Autoimmunerkrankungen im Vordergrund.

Angststörungen und Schilddrüse

Bei PatientInnen in hyperthyreoter Stoffwechsellage werden nicht selten psychische Exzitationssymptome beobachtet. Einzelne Patienten erleiden sogar Panikattacken, die erstmals in der Schilddrüsenüberfunktion auftreten und nach Einleitung einer adäquaten Behandlung wieder dauerhaft verschwinden. Geht man von größeren Kollektiven von PatientInnen mit Angsterkrankungen aus, so sind direkte Zusammenhänge mit der aktuellen Schilddrüsenhormonlage bei Erkrankungsbeginn der psychischen Störung erwartungsgemäß nicht häufig vorhanden. Auf der anderen Seite konnte gezeigt werden, dass PatientInnen auch mit subklinischen Störungen der Schilddrüsenfunktion höhere Ängstlichkeitscores aufwiesen als gesunde Kontrollpersonen (Sait Gönen 2004). Eine Zunahme von Ängstlichkeit und Traurigkeit wurde auch bei PatientInnen gefunden, die eine Substitutionstherapie mit Schilddrüsenhormonen nach vorangegangener operativer Schilddrüsenentfernung ausgesetzt hatten (Denicoff 1999).

Als Ursache der vermehrten Ängstlichkeit wird vor allem der permissive Effekt von Schilddrüsenhormonen auf die Wirkung der Katecholamine, Adrenalin und Noradrenalin, diskutiert. So konnten verschiedene Untersuchungen eine erhöhte Anzahl von Katecholaminrezeptoren in unterschiedlichen Gehirnregionen bei psychischen Erkrankungen nachweisen (Sulser 2001). Am Herzen führt dieser Effekt zu Herzrhythmusstörungen, insbesondere Vorhofflimmern wird begünstigt.

Stimmungsschwankungen und depressive Störungen weisen saisonale Unterschiede in der Häufigkeit ihres Auftretens auf. Besonders in den Herbst-und Wintermonaten werden Depressionen manifest. Auch die Schilddrüsenhormone weisen biologisch-saisonale Varianzen auf. Neben tageszeitlichen Variationen des TSH-Wertes werden auch saisonale Unterschiede beobachtet. So sind die TSH-Werte am niedrigsten im Frühjahr und Sommer und am höchsten im Herbst und Winter. Aus tierexperimentellen Untersuchungen ist bekannt, dass Kälteexposition und nur kurze tageszeitliche Lichtexpositionen die Typ II Dejodinase direkt stimulieren können. Hierdurch kommt es zu einem vermehrten Umbau von Thyroxin (T4) in das eigentlich wirksame Schilddrüsenhormon Trijodthyronin (T3) (Puig-Domingo 1989). Dies ist ein möglicher Mechanismus, der auch beim Menschen wirksam sein könnte. Da T3 auch die Effekte von Serotonin, Katecholaminen und ß-Amino Buttersäure verstärkt und eventuell sogar selbst eine Rolle als Neurotransmitter im Gehirn besitzt, ist es sehr wahrscheinlich, dass Schilddrüsenhormone jahreszeitliche Schwankungen in Stimmung und Verhalten beeinflussen (Sher 2001).

Empfehlung für die Praxis

Schilddrüsenfunktionsstörungen können durch äußere Einflüsse in ihrer Entstehung begünstigt werden. Ist eine Schilddrüsenfunktionsstörung entstanden, so können sowohl die Unterfunktion wie auch die Überfunktion erhebliche psychische Alterationen verursachen. Die Hypothyreose geht eher mit starker Antriebslosigkeit und depressiver Stimmungslage aber auch Libidoverlust einher, während die Hyperthyreose Agitationen, Schlaflosigkeit und Ängstlichkeit bis hin zu Panikattacken begünstigt (Duntas 2013, Demet 2002).

Treten bei Frauen in der Schwangerschaft oder im ersten Jahr nach der Geburt psychische, sonst nicht erklärliche Veränderungen auf, so sollte die Schilddrüsenfunktion überprüft werden.

Zitiervorlage
Feldkamp J: Die Schilddrüse reagiert auf Stress. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (4): 29 
Literatur

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Duntas, L.H.; Maillis, A.: Hypothyroidism and depression: salient aspects of pathogenesis and management. Minerva Endocrinol. 38(4): 365–77 (2013)

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Sait Gönen, M. et al.: Assessment of anxiety in subclinical thyroid disorders. Endocrine Journal. 51: 311–315 (2004)

Scheffer, C.; Heckmann, C.; Mijic, T.; Rudorff, K.: Chronisches Dystress-Syndrom bei Patientinnen mit behandelter Autoimmunthyreose. Medizinische Klinik. 99: 578–84 (2004)

Sher, L.: Thyroid hormones and seasonal mood changes. Am J Psychiatr. 155: 323 (2001)

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Sulser, F. et al.: Serotonin-norepinephrine receptor interactions in the brain: implications for the pharmacology and pathophysiology of effective disorders. J Clin Psychiatry. 48: 12–18 (1987)

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Zubovi, I.; Mikac, G.; Biukovi, M.; Skrobi, M.; Rajkovaa, Z.: The frequency of thyrotoxicosis in war time period. Med Pregl. 46 Suppl 1:85–6 (1993)

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