„Eine Geburt findet nicht im Kopf, sondern im Körper der Frau statt“, sagt die Medizinhistorikerin und Soziologin Barbara Duden (1995). Hebammen haben aufgrund ihrer Ausbildung und der Nähe zu der Frau die Möglichkeit, den Vorsorgeuntersuchungen mehr Inhalt zu geben als das, was im Mutterpass dokumentiert werden soll. Sie sollten den Mut haben, den Frauen zu vermitteln, was während einer Schwangerschaft im positiven Sinne geschieht und wie sie diese Zeit begleitet und dadurch auf die Geburt und das Muttersein vorbereiten kann. Jede Hebamme sollte sich zutrauen, ihre Sichtweise und ihr Vorgehen gegenüber dem Arzt oder der Ärztin zu vertreten.
Arbeitspensum und Betreuungsangebot überdenken
Welche freiberufliche Hebamme kennt nicht die Sorge, am Ende des Monats zu wenig verdient zu haben, um die monatlichen Kosten zu decken? Viele Kolleginnen treibt die Existenzangst dazu an, sehr viel zu arbeiten. Es bleibt keine Zeit innezuhalten, um die eigene Arbeitsweise, das Arbeitspensum und das Betreuungsangebot zu überdenken und gegebenenfalls zu verändern. Ein neues Arbeitsfeld zu integrieren, bedeutet, sich dieses Feld individuell zu erschließen. Dies kann in Form einer Fortbildung, eines Nachschlagewerks oder mit Hilfe einer erfahrenen Kollegin geschehen. Das braucht Zeit. Um diese aufzubringen, ist es wichtig, eine Fantasie, eine Lust zu entwickeln, diese Idee zu verfolgen und schließlich in die Tat umzusetzen.
Welche Vorteile bieten die Schwangerenvorsorgeuntersuchungen der Hebamme? Die Betreuung läuft über einen längeren Zeitraum, im Idealfall von Beginn der Schwangerschaft bis zum Zufüttern – das sind etwa 14 Monate. Dieser lange Zeitraum bietet die Möglichkeit der kontinuierlichen Betreuung und des regelmäßigen Kontaktes. Durch die Gespräche entsteht Nähe und damit Vertrauen. Die Hebamme lernt die Persönlichkeit der Frau kennen und kann dadurch deren Gefühle und Reaktionen, aber auch Besonderheiten im Schwangerschaftsverlauf besser verstehen und einschätzen. Durch den längeren Betreuungszeitraum ist es möglich zu beobachten, wie die Frau sich verändert, wie sie selbstbewusster wird, wie sich die Körperwahrnehmung verändert und die Beziehung zu ihrem Kind intensiver wird.
Die längere Betreuungszeit erfordert eine veränderte Arbeitsstruktur. Es können nicht mehr so viele Frauen pro Monat angenommen werden. Die Betreuungszeit für die einzelne Frau vermehrt sich. Aber es reduzieren sich die Lebens-, Familien- und Krankengeschichten, welche die Hebamme mitträgt und zu verarbeiten hat. Der finanzielle Gewinn steigt, insbesondere dann, wenn die Frau während einer Vorsorgeuntersuchung Schwangerschaftsbeschwerden angibt, die behandelt oder besprochen werden. Dadurch entsteht die Möglichkeit, zwei Gebührenpositionen abzurechen, nämlich Vorsorge und Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden. Dies sind 42,06 Euro bei einer Betreuungszeit von 40 Minuten. Dieser Betrag beinhaltet 20 Minuten Schwangerenvorsorge und 20 Minuten Beratung. Benötigt die Hebamme für die Behandlung der Beschwerden mehr als eine halbe Stunde Zeit, kann sie insgesamt 58,91 Euro abrechen.
Zu große Verantwortung?
Ein neues Arbeitsfeld bedeutet, sich der fehlenden Routine und damit dem Gefühl der Unsicherheit zu stellen. Vielleicht ist dieses Gefühl bei Vorsorgeuntersuchungen verstärkt, weil sich die Hebamme hierbei in unmittelbarer Nähe zur ärztlichen Tätigkeit befindet – im Gegensatz zur Wochenbettbetreuung und zur Behandlung von Schwangerschaftsbeschwerden? Ärztin oder Arzt lesen die Eintragungen der Hebamme im Mutterpass und erfahren etwas über ihre Arbeits- und Sichtweise. Vielleicht erleben sich Hebammen weniger kompetent, weil sie keine Möglichkeit haben, in den Bauch zu schauen. Sie können „nur“ durch äußere Untersuchungen erkennen, ob sich das Kind zeitgerecht entwickelt. Hier hilft nur eins: mit der Frau besprechen, was eine Hebamme mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erkennen kann und was nicht. Dies ist auch wichtig, um zu erfahren, welche Erkenntnisse sich die Frau durch den Ultraschall erhofft und ob diese realistisch sind. Hier sollten Informationen über den Ultraschall und dessen Bedeutung einfließen. Zum Beispiel, dass im Ultraschall bei einem niedergelassenen Gynäkologen nur 41 Prozent der kindlichen Besonderheiten erkannt werden (Jahn 2002). Dies trifft nicht auf den Feindiagnostik-Ultraschall zu. Bedingt durch eine bessere Ausbildung, mehr Erfahrung, und die systematische Suche nach Besonderheiten liegt die Erkennungsrate kindlicher Besonderheiten hier bei 96 Prozent (Schindler 2005). Dies würde für mindestens einen Ultraschall während der Schwangerschaft sprechen, der zur Wahl des Krankenhauses und des Geburtsmodus beiträgt.
Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche haben viele Frauen bereits drei Ultraschalluntersuchungen hinter sich. Ob eine Schwangerschaft glücklich endet, hängt nicht davon ab, ob das Kind bereits in der neunten Schwangerschaftswoche gesehen wurde. Das Kind bleibt oder geht, folgt eigenen Gesetzen und lässt sich vor allem in dieser frühen Zeit nicht aufhalten. Können Hebammen eine Alternative zum ersten Bild, zum ersten Sehen des Kindes anbieten? Nein, aber sie können der Frau so begegnen, dass sie sich angenommen fühlt. Dass sie spürt, dass sie und ihr Kind im Mittelpunkt der Betreuung stehen, ohne dass ein Gerät dazwischengeschaltet ist.
Rational betrachtet gibt es keinen Grund, vor der zwölften Schwangerschaftswoche einen Ultraschall zu machen. Ausnahmesituationen sind, wenn die letzte Periode oder die Empfängnis unklar oder eine extrauterine Schwangerschaft in der Anamnese ist. Hebammen und schwangere Frauen brauchen beide viel Mut, um die ersten Wochen der Schwangerschaft anders zu gestalten als es aktuell üblich ist: einfach nichts Medizinisches tun und stattdessen abwarten, mit viel Vertrauen in den eigenen Körper und die eigene Wahrnehmung.
Hebammen fällt es leicht, die Vorsorgeuntersuchungen der Ärzte zu kritisieren. Wie etwa die Eisensubstitution trotz normaler Werte laut Mutterschaftsrichtlinien oder reichlich Magnesium bei Kontraktionen und Wadenkrämpfen, die Praxis von zahlreichen Ultraschalluntersuchungen und CTG-Schreiben ab der 28. Schwangerschaftswoche. Aber wie reagieren Hebammen, wenn sie eigenverantwortlich Vorsorgeuntersuchungen machen? Sind sie sicher in ihrem Tun? Oder übernehmen sie dann gerne indirekt die ärztliche Art der Vorsorge, indem sie die Frau sicherheitshalber zum Arzt schicken? Hier bietet die evidenzbasierte Medizin wertvolle Anhaltspunkte, welche Untersuchungen sinnvoll sind, welche keinen Nutzen haben oder sich sogar schädigend auswirken. Allerdings sind die Studien nur eine der drei Säulen der evidenzbasierten Medizin. Die zweite ist das Erfahrungswissen der Hebamme und die dritte sind die Wünsche und Bedürfnisse der Frau.
Um Erfahrung zu gewinnen, ist es sinnvoll, sich mit Kolleginnen zusammenzutun, die bereits längere Zeit in der Schwangerenvorsorge tätig sind. Eine evidenzbasierte Fortbildung und die Teilnahme an einem Qualitätszirkel unterstützen den Erfahrungsschatz ebenfalls.
Ist eine Frau auf Hebammensuche, hat sie oft konkrete Vorstellungen, was eine Hebamme alles anbieten sollte. Warum machen es Hebammen nicht genauso? Warum benennen sie nicht, wie eine effektive Betreuung während der Schwangerschaft nach ihrer Vorstellung aussehen soll? „Um Sie gut begleiten zu können, würde ich Sie gerne regelmäßig sehen und Vorsorgeuntersuchungen übernehmen.“ Auf keinen Fall sollte die Hebamme sagen: „Wenn Sie wollen, kann ich auch die Vorsorgeuntersuchungen machen.“
Beide haben ein Ziel, vielleicht sogar das gleiche. Die Frau möchte eine Anlaufstelle haben für alle Fragen, die sie beschäftigen. Sie möchte sich medizinisch gut betreut fühlen und alle Informationen zur Schwangerschaft bekommen, um eigene Entscheidungen zu treffen. Sie möchte in ihrer Wahrnehmung für sich und ihr Kind so gestärkt werden, dass sie eigenverantwortlich durch die Schwangerschaft und die Geburt gehen kann.
Ein hohes Ziel, das nicht immer erreicht werden kann, weil nicht jede Frau bereit ist, etwas zu verändern. Hebammen betreuen sehr unterschiedliche Frauen, auch solche, die sich während der Schwangerschaft nicht entwickeln und wachsen wollen. Und manchmal ist es die Hebamme, die sich nicht bewusst ist, welche Möglichkeiten die frühe Begleitung während der Schwangerschaft bietet, und sie deshalb ungenutzt verstreichen lässt.
Die Wahrnehmung der Frau stärken
Mein Hauptanliegen ist es, die Frau in ihrer Wahrnehmung zu sensibilisieren, indem ich ihr während der Vorsorgeuntersuchung Fragen stelle. Vor Beginn der Untersuchung frage ich: „Haben Sie das Gefühl, dass alles in Ordnung ist“? Anstelle einer vaginalen Untersuchung frage ich: „Wie fühlt sich Ihr Bauch an“? Kann die Frau mit meiner Frage nichts anfangen, kann ich weiterhelfen, indem ich frage, ob der Bauch sich hart, weich, schwer, leicht angespannt anfühlt oder schmerzt. „Wie sieht der Ausfluss aus?“, frage ich weiter und konkretisiere das, indem ich mich nach Farbe, Menge und Geruch erkundige. Mein Wissen, meine Erfahrung und meine Wahrnehmung sowie das Bedürfnis der Frau tragen zur Entscheidung bei, ob ich heute vaginal untersuche.
Grundsätzlich lasse ich jede Frau ihren Urin selbst kontrollieren. Besteht während der Schwangerschaft der Verdacht auf einen Harnwegsinfekt, ist die Frau im Ablesen geübt und kann den Urin eigenständig kontrollieren. Genauso verfahre ich mit dem Gewicht. Die Frau trägt am Tag der Vorsorgeuntersuchung ihr Nacktgewicht in den Mutterpass ein. Viele Frauen kostet es zu Beginn ein wenig Überwindung, in dieses offizielle Dokument etwas einzutragen. Vor dem Abtasten des Bauches frage ich, wann der letzte Wachstumsschub war. Wie oft sich das Kind bewegt und durch welche Reize es in Bewegung gebracht werden kann. Ich gehe während einer Vorsorgeuntersuchung nicht auf Risikosuche, sondern stelle das Normale in den Vordergrund. Es gibt viele Varianten der Normalität, die aber nur dann zu verstehen oder als solche zu erkennen sind, wenn ich mehr über die Frau weiß.
Das Gespräch, das Erfragen und Verstehen, wer die Frau ist, was sie denkt und fühlt, hat Priorität. Sollten Besonderheiten oder Normabweichungen auftreten, ist es meist möglich, diese mit der Komplementärmedizin zu behandeln. So gewinnt oder behält die Frau das Gefühl, dass es Besonderheiten im Schwangerschaftsverlauf geben darf, die meistens behandelbar sind und nur eine Episode darstellen.
Während der ersten Vorsorgeuntersuchungen sind einige Untersuchungen noch nicht möglich, so zum Beispiel das Messen des Bauchumfangs und des Symphysen-Fundus-Abstands (SFA). Das Hören der Herztöne ist erst ab der zwölften Schwangerschaftswoche möglich.
Deshalb nehmen die eigentlichen medizinischen Untersuchungen nur wenig Zeit in Anspruch. Die verbleibende Zeit kann genutzt werden zum besseren Kennenlernen, für die Anamneseerhebung, aber auch für die Auseinandersetzung mit der Pränataldiagnostik (PND) und der grundsätzlichen Erklärung, was Hebammenvorsorge leisten kann und wo ihre Grenzen sind.
Pränataldiagnostik
Ein Thema, das in der Schwangerenvorsorge allgegenwärtig ist und dennoch zur Seite geschoben wird sowohl beim Arzt als auch bei der Hebamme, ist die vorgeburtliche Diagnostik: Besonderheiten im Ultraschall, Kind zu groß oder zu klein, Besonderheiten, die eine weitere Abklärung herausfordern. Nicht selten entsteht eine Situation, dass beim Ultraschall zwischen der neunten und zwölften Schwangerschaftswoche ohne entsprechende Beratung die Nackentransparenz gemessen wird. Ist das Untersuchungsergebnis unauffällig, muss kein weiteres Wort darüber verloren werden, alle sind erleichtert, es ist keine weitere Auseinandersetzung nötig. Erhält die Frau aber ein positives Untersuchungsergebnis, ist sie völlig unvorbereitet.
Wenn die Frau zu den ersten Vorsorgeuntersuchungen zu einer Hebamme geht, kommt der Hebamme die Pflicht zu, mit ihr über die pränatale Diagnostik zu sprechen, sofern eine Indikation laut Mutterschaftsrichtlinien vorliegt. Das heißt, mit der Frau darüber zu sprechen, welche Gedanken sie sich bislang zu diesem Thema gemacht hat. Möchte sie keine pränatale Diagnostik, sollte trotzdem geklärt werden, welche Untersuchungen sie der pränatalen Diagnostik zuordnet.
Es besteht für eine Hebamme laut Mutterschaftsrichtlinien keine Verpflichtung, mit jeder Frau über PND zu sprechen, eben nur, wenn eine Indikation vorliegt. Die Ärzte hingegen sind verpflichtet, vor jeder Ultraschalluntersuchung mit der Frau zu sprechen und ihre Einwilligung einzuholen.
Der Ultraschall wird interessanterweise nicht als pränataldiagnostische Untersuchung angesehen. Der Hebamme kommt die Aufgabe zu, darauf aufmerksam zu machen und zu informieren. Wozu dient der Ultraschall, wie oft ist er sinnvoll? Welche unrealistischen Erwartungen werden ihm zugeschrieben? Welche Belastungen kann er auslösen? Möglich ist, dass die Frau durch dieses Gespräch erst einmal verunsichert wird. Dies muss die Hebamme aushalten. Gleichzeitig sollte sie der Frau zutrauen, dass sie trotz dieser ersten Verunsicherung in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, wie sie den Ultraschall genutzt wissen möchte.
Ausblick
Schwangerenvorsorge anzubieten, bedeutet in erster Linie, sich damit auseinanderzusetzten, was ich der Frau tatsächlich vermitteln möchte und wie das gelingen kann. Für mich bedeutet das, sie in dem Bewusstsein zu stärken, dass sie die wichtigste Person in diesem Geschehen ist und dass ihre Wahrnehmung für sich selbst und das Kind den höchsten Sicherheitsfaktor während der Schwangerschaft ausmacht. Die Art und Weise, wie ich eine schwangere Frau begleite und was ich ihr vermittle, ist entscheidend für ihre Vorbereitung auf die Geburt.