Immer mehr Mädchen haben im Grundschulalter bereits ihre Menstruation. Nimmt ihnen die frühe Pubertät ihre unbeschwerte Kindheit? Foto: © McPHOTO/imago

Warum haben Mädchen immer früher ihre Tage? In ihrem Hormonhaushalt zeigen sich Auswirkungen von ungesunder Ernährung, Umweltgiften und Leistungsdruck. Um die Ursachen zu lösen, müsste sich die Gesellschaft von Grund auf verändern. Aber jede Familie kann auch selbst gegensteuern.

Seit einigen Jahren kommen immer mehr Mädchen früher in die Pubertät. Mittlerweile gibt es schon Kinder in der Grundschule, bei denen bereits die Blutung eingesetzt hat und deren Brüste angefangen haben zu wachsen. Dies kann ernsthafte Folgen mit sich bringen. Studien zeigen, dass verfrühte Pubertät gravierende psychosoziale Auswirkungen haben kann. Betroffene Mädchen neigen stärker zu Depression, Angstzuständen, Verhaltensproblemen, geringer Selbstachtung und Selbstwertschätzung. Verfrühte Pubertät bedeutet auch, dass Mädchen früher schwanger werden können (www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29649000).

Es gibt viele Gründe, warum der Hormonhaushalt der Mädchen durcheinandergeworfen wird. Hauptverantwortlich sind

  • Ernährung
  • Umweltgifte und Medikamente, die durch übermäßige Verwendung mittlerweile im (Wasser-)Kreislauf sind
  • immer mehr Druck und Stress, der heutzutage auf Kindern, Jugendlichen und Familien liegt.

Wir sind als Gesellschaft aufgefordert, einige Dinge zu ändern. Daneben hat jeder einzelne und jede Familie viele Möglichkeiten, mehr Gesundheit und Bewusstheit ins Leben zu bringen. Wie der französische Geburtshelfer Michel Odent sagt, steht unsere Gesellschaft an einem Wendepunkt. Wir müssen Dinge verändern, um unser Fortbestehen zu sichern (Vortragsreihe Turning Points 2017).

Ursachen statt Symptome

Die verfrühte Pubertät der Kinder ist kein Problem, das plötzlich oder gar zufällig entstanden ist. Es kann auch nicht mit einer Änderung, einem Gespräch oder einer Pille gelöst werden. Es hat sich über Jahre entwickelt, wie sämtliche Herausforderungen unserer Zeit. Auf der einen Seite können wir die Dinge verändern, die zum Problem geführt haben. Oft sogar mit viel weniger Aufwand als befürchtet! Auf der anderen Seite brauchen wir Geduld. Der Körper braucht unter Umständen Zeit, um zu heilen.

Wenn zum Beispiel eine Maschine pfeift und wir uns Ohrenstöpsel in die Ohren stecken, glauben wir nicht, dass das Problem tatsächlich gelöst ist, auch wenn wir den Lärm nicht mehr hören. Interessanterweise lässt man uns im Gesundheitsbereich glauben, dass genau das möglich wäre: Wenn ein Symptom auftritt, bräuchten wir nur ein Medikament nehmen, also »die Ohren zustöpseln«. Das Problem ist dadurch aber nicht gelöst. Genauso wie die Maschine pfeift unser Körper weiter und wenn wir nicht agieren, kommen unweigerlich weitere Probleme hinzu.

Wenn wir die Ursachen kennen, können wir Dinge verändern. Auf den ersten Blick scheint es oft, dass der Aufwand (zu) groß ist. Mit den Töchtern zu ÄrztInnen und SpezialistInnen zu fahren, ist auch Zeit-, Geld-, und Energieaufwand. Wir suchen stets Hilfe im Außen und sind uns nicht bewusst, wie viel in unseren Händen liegt. Gewohnheiten zu ändern ist ein Aufwand, der sich lohnt. Denn nur so ist es möglich, Probleme an der Wurzel zu lösen.

Inhalts- und Zusatzstoffe prüfen

Was wir und unsere Kinder essen, sind meist keine Lebensmittel mehr, sondern Nahrungsmittel. Wir nehmen übermäßig viele verarbeitete Produkte zu uns. Die Hersteller sind zwar gesetzlich verpflichtet, sämtliche Konservierungsmittel, Stabilisatoren, Farbstoffe, Geschmacksverstärker und anderes mehr zu vermerken, doch kaum jemand achtet darauf. Der Bio- und Vegan-Trend ist spürbar, aber ein kritischer Blick auf die Inhaltsstoffe ist bei vielen noch nicht Routine.

Doch nicht nur die künstlichen Zusatzstoffe sind problematisch. Auch die Verpackungen haben enorme Auswirkung auf unsere Gesundheit. Bisphenol A (BPA) ist eine der meistverwendeten Chemikalien in der Plastikherstellung. Es hat eine ähnliche Molekularstruktur wie Östrogen und kann dadurch im Körper verwechselt werden. So wie Hormone in kleinsten Dosen wirken, reichen auch bei hormonähnlichen Chemikalien geringe Mengen, um eine Reaktion im Körper auszulösen. Ein Versuch bei Ratten zeigte eindeutig, dass diese früher in die Pubertät kommen, wenn man ihnen östrogenähnliche Substanzen gibt. WissenschaftlerInnen versuchen mittels Tierversuchen Rückschlüsse auf den Menschen zu ziehen. Auch wenn das nicht zu 100 % bewiesen werden kann, so ist es trotzdem naheliegend, dass das bei Menschen auch sehr wahrscheinlich ist (www.youtube.com/watch?v=J9SWBAUlAvw).

Die schlechte Nachricht ist, dass es nahezu unmöglich ist, einen Überblick zu behalten, weil die Industrie immer neue Stoffe und Zusatzstoffe einführt, um die Haltbarkeit zu verlängern und Produkte schöner aussehen zu lassen. Die gute Nachricht ist, dass wir nicht zwingend alle Details wissen müssen. Es würde reichen, Plastikverpackungen zu vermeiden sowie die Inhaltsstoffe durchzulesen und das Produkt wieder zurück ins Regal zu stellen, wenn es etwas enthält, das wir nicht kennen. Am Anfang werden wir viele Produkte zurückstellen und uns vielleicht fragen, was wir überhaupt noch kaufen können. Aber mit ein bisschen Übung finden wir bald viel gesündere Alternativen.

Ungesundes Alltagsleben

Ernährung, Pflege- und Kosmetikprodukte haben enorme Auswirkung auf unsere Gesundheit. Heutzutage hat der westliche Mensch durchschnittlich etwa 700 synthetische Chemikalien im Körper. In den USA werden jährlich rund 84.000 neue Chemikalien auf den Markt gebracht. Mehr als 13.000 dieser Chemikalien werden in Essen und Kosmetik verwendet. Viele davon werden kaum oder nicht getestet (http://kellybroganmd.com/4-toxic-ingredients-to-avoid-in-your-personal-care-products/).

In Europa gibt es zwar strengere Auflagen in der Chemiegesetzgebung, aber dennoch fehlen auch hier oft ausreichende Sicherheitsdaten (www.heise.de, siehe Links).

Unser Körper würde uns sagen, was wir vertragen und was wir nicht vertragen, ebenso wie viel wir essen sollen. Wir geben darauf aber kaum noch Acht. Gluten, Milchprodukte und Zucker beispielsweise haben eine entzündende Wirkung auf den Körper, die wir verlernt haben wahrzunehmen (http://kellybroganmd.com/two-foods-may-sabotage-brain/). Die Zahl der übergewichtigen Erwachsenen wie auch Kinder nimmt stetig zu.

Im stressigen Alltag haben wir weder Zeit noch Energie uns zu fragen, was uns unser Körper sagen will, wenn er nicht so funktioniert, wie wir erwarten. Wir glauben, Symptome bekämpfen zu müssen. Sei es die verfrühte Pubertät oder aber eine Verkühlung, die wir nicht loswerden, eine Allergie, Burnout, Herzinfarkt oder Krebs – unser Körper versucht uns eine Botschaft zukommen zu lassen. Er bittet uns, etwas zu ändern, um keinen größeren Schaden zu erleiden.

Umweltgifte und Medikamente im Wasser

Nahezu unendlich ist die Liste der Umweltgifte und Medikamente, die sich im Umlauf befinden. Angefangen von der Pille, die über 100 Millionen Frauen weltweit nehmen (http://kellybroganmd.com/that-naughty-little-pill-birth-control/), über sämtliche andere Medikamente wie Antibiotika, Hormone oder Chemotherapien bis zu all den Umweltgiften, die in Industrie und Landwirtschaft verwendet werden. Die Substanzen geraten ins Wasser und sind daher im Kreislauf.

Zum Beispiel die Pille: Hormone werden über den Harn ausgeschieden. Frauen, die die Pille oder andere hormonelle Verhütungsmittel wie die Hormonspirale, das Pflaster, den Ring oder das Stäbchen nehmen, scheiden aber nicht die körpereigenen, natürlichen Hormone aus, sondern die künstlichen Hormone. Diese geraten unabwendbar in Flüsse, Seen und Ozeane. Dort leben Tiere, die wir essen. Auf den Feldern wachsen Pflanzen, die wir essen oder die als Futter für die Tiere dienen, die wir essen. Das hat zur Folge, dass sich der Hormonhaushalt sowohl von Tieren als auch von Menschen verändert – bis hin zu Unfruchtbarkeit (www.sciencedirect.com, siehe Links).

Bei jungen Mädchen wird das natürliche Hormonverhalten gestört. Der Körper kommt in Kontakt mit Hormonen, die zum einen künstlich sind und zum anderen nicht der altersgerechten Entwicklung entsprechen. Er bekommt Signale der Geschlechtsreife, obwohl er damit noch nicht begonnen hat. Möglicherweise ist das verfrühte Eintreten der Pubertät ein Versuch des Körpers, mit dem unnatürlichen Hormoneinfluss umzugehen.

Es kann nicht oft genug betont werden, dass hormonelle Verhütung enorme Auswirkungen auf uns, unsere Töchter und unsere Gesellschaft hat. Fruchtbarkeit und Verhütung sind Themen, die alle betreffen, und dennoch wissen wir kaum darüber Bescheid. Um den Mädchen das Wissen über ihren Körper weitergeben zu können, müssen die Mütter wissen, wie der eigene Körper funktioniert. Der Körper würde uns mitteilen, wann wir fruchtbar sind. Wir könnten eine Schwangerschaft ohne Hormone, Kondome oder Operation verhindern.

Es gibt Auswege

Frauen können heutzutage Flugzeuge bauen, Konzerne führen, Staaten regieren, Karriere machen und gleichzeitig Ehefrau, Mutter und Hausfrau sein. Sie studieren, lernen Technik, bilden sich weiter und machen Yoga, um besser mit ihrem Körper verbunden zu sein. Sie können auch die Sprache ihres Körpers lernen. Sobald sie sie kennen, beträgt der Aufwand von natürlicher Verhütung nur noch wenige Minuten pro Tag, und der Pearl Index, der die Zuverlässigkeit einer Verhütungsmethode angibt, erreicht mindestens dieselben Werte wie bei der Pille.

Damit soll nicht leichtsinnig vorgeschlagen werden, Jugendliche sollten natürlich verhüten. Doch wenn Mütter ein Gespür entwickeln, wie sich ihr Körper ohne Einfluss künstlicher Hormone verhält, und die Zeichen der Fruchtbarkeit kennen, können sie dieses Bewusstsein an ihre Töchter weitergeben. Egal, ob sie dann natürlich verhüten oder nicht – es ist ein Wissen, das jedes Mädchen und jede Frau braucht, um Gesundheit nachhaltig zu sichern.

Eine weitere enorme Auswirkung auf das Hormonverhalten sind die so weit verbreiteten endokrinen Disruptoren. Das sind Stoffe, die durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen können. Vor allem Phthalsäure-Ester, die zum Beispiel in Plastikspielzeug, Kosmetikprodukten oder Kunststofftrinkflaschen verwendet werden, sind nachweislich dafür verantwortlich, dass Mädchen früher in die Pubertät kommen (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29497942).

Anstelle von Plastikspielzeug können wir unseren Kindern Holzspielzeug geben. Von Kosmetikprodukten ist generell abzuraten, da wir zu Überverwendung neigen. Auch hier ist es fast nicht möglich, sich einen Überblick über die Inhaltsstoffe zu verschaffen. Oft sind es unaussprechbare Chemikalien, aber auch mit harmlos klingenden Bezeichnungen wie »Fragrance« können Phthalsäure-Ester gemeint sein (www.ewg.org, siehe Links)

Statt teure Kosmetikprodukte zu kaufen, können wir auf einfache Hausmittel zurückgreifen. Öle und ätherische Öle können vielseitig und ohne Gefahr von Nebenwirkungen verwendet werden. Glas zum Aufbewahren von Getränken und Lebensmitteln ist Kunststoff immer vorzuziehen. Kunststoffe sollte man vor allem nicht erhitzen oder einfrieren. Gefiltertes Wasser ist zu empfehlen, um nicht nur Hormone zu entfernen, sondern auch sämtliche andere schädliche Chemikalien (www.aquatruwater.com/?src=affiliate&aid=26735).

Druck ablassen

Der Druck und Stress steigt in nahezu allen Lebensbereichen an. Während Grundschulkinder vor einer Generation noch die Nachmittage fast gänzlich frei hatten, sind sie heute viele Stunden länger mit Lernen beschäftigt. Die Hausaufgabe eines Erstklässlers kann aus 90 Rechnungen und Schreibaufgaben und Leseübungen bestehen! Möglicherweise machen wir das unbewusst, aber oft bewerten wir unsere Kinder anhand ihrer schulischen Leistungen. Haben sie keine guten Noten, bringt das Stress nicht nur für die Kinder, sondern häufig für die Familie mit sich. Ja, Bildung ist wichtig für die Zukunft unserer Kinder. Aber ihre Talente liegen in verschiedenen Bereichen. Die Gesellschaft lässt die Kinder nicht mehr Kinder sein. Wir wollen, dass ihr Verstand immer früher so funktioniert wie der von Erwachsenen. Aber das ist von der Natur nicht so vorgesehen. Die parasympathischen Phasen der Entspannung und Erholung fehlen den Kindern. Es wird vermehrt Cortisol produziert und das wiederum beeinflusst den natürlichen Hormonhaushalt von Kindern und lässt sie unter Umständen dadurch früher in die Pubertät kommen (http://kellybroganmd.com/estrogen-dominance-its-not-all-in-your-head/www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4471250/)

Es ist eine sehr herausfordernde Aufgabe für Familien, den Druck und Stress aus ihrem Alltag zu nehmen. Mütter wollen oder müssen arbeiten gehen und haben daher nicht so viel Zeit für die Familie. Alternativen zum Schulsystem sind entweder nicht vorhanden oder kaum leistbar. Doch um der Kinder und der eigenen Gesundheit willen werden wir Dinge ändern müssen. Wir könnten anfangen, uns jeden Tag zumindest kurze Zeiten des Entspannens zu schaffen. Wir sollten uns fragen, was wir tun, weil wir es tun müssen, und was wir tun, weil wir es tun wollen. In dem Moment, in dem uns bewusst wird, wieviel wir tun, weil wir es tun müssen (oder glauben, es tun zu müssen), haben wir die Möglichkeit, Schritt für Schritt etwas zu ändern.

Gewohnheiten ändern

Ob es die verfrühte Pubertät der Kinder ist oder Krankheiten, die heutzutage so weit verbreitet sind, der Körper macht keine Fehler – er passt sich an. Wenn wir die Botschaft ignorieren, wird das weitreichende Folgen haben. Fruchtbarkeitsprobleme sind bereits sehr verbreitet. Die verfrühte Pubertät der Kinder kann zu noch mehr Unfruchtbarkeit führen. Wir können viel dazu beitragen, dem entgegenzuwirken. Oft sind es Kleinigkeiten, die wir mit wenig Aufwand ändern können.

Das Herausfordernde daran ist das Ändern der Gewohnheit. Aber auch das ist möglich, vor allem wenn wir uns gegenseitig helfen. Indem ich eine Gewohnheit ändere, helfe ich jemand anderem, auch seine Gewohnheit zu ändern. Und irgendwann könnten sich dadurch Gewohnheiten einer gesamten Gesellschaft ändern …

Links
http://articles.mercola.com/sites/articles/archive/2015/05/13/toxic-chemicals-cosmetics.aspxhttp://kellybroganmd.com/4-toxic-ingredients-to-avoid-in-your-personal-care-products/http://kellybroganmd.com/estrogen-dominance-its-not-all-in-your-head/http://kellybroganmd.com/that-naughty-little-pill-birth-control/http://kellybroganmd.com/two-foods-may-sabotage-brain/www.aquatruwater.com/?src=affiliate&aid=26735www.ewg.org/research/dirty-dozen-list-endocrine-disruptors#.WobAJ4POXIUwww.heise.de/tp/features/REACH-Grauzonen-in-der-Chemikaliensicherheit-Europas-3760591.html?seite=allwww.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4471250/www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29176028www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29497942www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29649000www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412016304494www.youtube.com/watch?v=J9SWBAUlAvw
Zitiervorlage
Leibnitz A: Mit zehn schon in der Pubertät? DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2018. 70 (8): 71–74
Literatur

Gonzalez N: Nutrition and the Autonomic Nervous System: The Scientific Foundations of the Gonzalez Protocol. New Spring Press 2017

Howard J; Ramsell J (Hrsg.): Edward Bach. Die nachgelassenen Originalschriften. Hugendubel Heinrich GmbH 1999

Liedloff J: The Continuum Concept: In Search Of Happiness Lost. Da Capo Press 1986

Rötzer J; Rötzer E: Der persönliche Zyklus der Frau. Von der Vorpubertät bis in die Wechseljahre. Herder. Freiburg 1999

Vortragsreihe Turning Points: Tuesday evenings with Michel Odent at effraspace (Pinter & Martin, London UK, 17.1.-4.4.2017)

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