Alexandra Hildebrandt an ihrem Arbeitsplatz im »Mauermuseum – Museum Haus am Checkpoint Charlie«. Foto: © Tara Franke
Tara Franke: Sie haben Ihre ersten beiden Kinder in jüngeren Jahren bekommen. Wie haben Sie damals die Vorsorge und die Betreuung durch MedizinerInnen und Hebammen erlebt? Gab es im Vergleich dazu bei den weiteren Kindern einen Unterschied wegen Ihres Alters oder wegen der Zeit, in der wir leben?
Alexandra Hildebrandt: Da kann ich mich nicht beklagen. Ich habe das als ganz normal empfunden.
Gab es in Ihren frühen Schwangerschaften, als Sie noch jung waren Komplikationen oder auch Verunsicherungen?
Beim ersten Mal musste ich in der achten oder neunten Schwangerschaftswoche wegen einer Blutung ins Krankenhaus und vier, fünf Wochen liegen. Bei der zweiten Schwangerschaft hat schon in der dritten Woche eine sehr starke Blutung angefangen. Ich wurde ins Krankenhaus eingeliefert und musste sehr lange absolut flach liegen. Sie haben mich erst sehr skeptisch aufgenommen und an der frühen Schwangerschaft gezweifelt, aber ich blieb dabei, dass ich schwanger bin, was sich auch bestätigte. Fünf Wochen musste ich wieder absolut flach liegen und habe Medikamente als Infusion bekommen. Das waren für mich furchtbare fünf Wochen. Auch später, als ich dann zu Hause war, musste ich nur liegen, musste erneut ins Krankenhaus und danach wieder liegen. Es war eine ganz schwere Schwangerschaft. Und als die Herztöne nicht mehr so gut waren, haben die Ärzte sich entschieden, einen Kaiserschnitt zu machen. Dann kam das Kind mit ungefähr 1.300 Gramm zur Welt. Nach ein paar Tagen, als mein Sohn dann stabil genug war für den Transport, ist er in ein Kinderkrankenhaus verlegt worden, wo er noch zwei Monate blieb.
Sie haben später noch Zwillinge bekommen. Wann kamen sie zur Welt, sicher auch ein bisschen früher?
Ja, aber nicht sehr viel. Sie wogen beide etwa eineinhalb Kilo. Aber es war körperlich für mich schwierig. Ich sagte zu dem Arzt zu Beginn der Schwangerschaft: »Ich werde wahrscheinlich jetzt die ganze Zeit liegen müssen?« Er antwortete: »Das ist das Beste, was Sie jetzt tun können.« Ja, und das habe ich gemacht. Es war sehr schwer, aber ich habe mich monatelang ruhig verhalten und viel Zeit liegend verbracht. Und wenn ich überhaupt zum Arzt oder irgendwohin gefahren bin, dann immer auf dem Rücksitz im Auto und liegend. Aber mit den anderen, mit den Einzelkindern, war dann alles ganz normal.
Wenn Sie die Vorsorge bei den späten einzelnen Kindern mit den frühen vergleichen, haben Sie diese als Stütze erlebt, oder war das für Sie eine Herausforderung – gab es komische Reaktionen oder eine besondere Angst wegen Ihres Alters?
Ich bin gut begleitet worden, die Ärzte waren sehr nett. Aber ich hatte mit den Zwillingen auch noch eine Placenta praevia, da musste ich sehr aufpassen. Für die letzte Phase habe ich für mich daher entschieden, dass ich für den Fall der Fälle ins Krankenhaus muss. Meine Mutter, die Kinderärztin war, hatte mich gewarnt, dass es wegen dieser Problematik auch mal ganz schnell Hilfe brauchen könnte. Im Krankenhaus waren zwei Schwestern, die sehr unfreundlich waren und mich beschimpft haben, weil ich dort bleiben und nur noch liegen wollte. Da habe ich sie gefragt: »Ich bin hochschwanger mit einer Placenta praevia – wie viel Zeit hätte ich denn, falls es anfängt zu bluten?« Die Antwort war: »Zwei Minuten.« Da habe ich gesagt: »Wie soll ich denn da zu Hause bleiben? Ich gehe nicht hier weg, ich bewege mich nicht von der Stelle.«
Das ist eigentlich erstaunlich. Ich hätte gedacht, dass man Sie aufgrund des Alters eher übervorsichtig behandelt und dazu besonders überwacht. Aber Sie haben eher dafür kämpfen müssen, dass Sie rechtzeitig am sicheren Ort sind.
Nur wegen der Placenta praevia! Die beiden Schwestern haben mich schon sehr böse angesprochen und waren sehr unfreundlich. Vielleicht hatten sie selbst keine Kinder – oder sie dachten, das ist nur ihr Privileg, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen.
Ich habe vor einigen Monaten auf einer Tagung einen Vortrag mit Diskussion verfolgt über Frauen über 40, die noch Kinder bekommen wollen. Ich habe mich ein wenig erschrocken, wie anmaßend und negativ das Publikum – Hebammen und ÄrztInnen – teilweise darüber gesprochen hat. Es waren aber auch Frauen dabei, die selbst mit Anfang 40 ein Kind bekommen haben. Eine ist dazwischen gegangen und hat gesagt: »Was maßt ihr euch eigentlich an, so über uns zu reden?«
Ich denke, jeder Mensch ist frei, selbst zu entscheiden, wann er ein Kind bekommt – oder auch nicht bekommt. Was ich dagegen überhaupt nicht ertragen kann, ist, wenn heutzutage manche Frauen sagen, sie seien »kinderfrei« statt »kinderlos«.
Was meinen Sie damit?
Kinderkriegen ist etwas Normales. Dass die Frauen heutzutage auch in einem anderen Alter Kinder kriegen als mit 20, das ist ein Phänomen der Zeit.
Glauben Sie, das könnte daran liegen, dass Sie in Berlin leben? Ich bezweifele, dass das in Ostwestfalen, wo ich herkomme, auch so wäre.
Das kann ich nicht sagen. Es gibt jedenfalls nicht viele 30-Jährige, die, wie ich, einen Kilometer in 35 Minuten nonstop schwimmen können. Oder Gleitschirm fliegen über die Berge. Oder Alpinski fahren.
Sie leben sehr aktiv?
Ja, sehr. Und ich finde, das geht niemanden etwas an, wie ich mein Leben plane. Es sollen doch alle leben, wie sie wollen. Und man soll mich leben lassen, wie ich möchte.
Haben Sie die Vorsorge bei diesen Kindern anders erlebt als bei den ersten Kindern? Es liegen ja mehr als zwei Jahrzehnte dazwischen.
Oh ja, es wird heute ja sehr viel untersucht. Zucker, Gewicht und Feindiagnostik.
Haben Sie das als hilfreich empfunden oder haben Sie die vielen Untersuchungen eher belastet?
Nein, ich habe das alles machen lassen. Ich bin in allen Dingen immer sehr genau. Nicht nur in Schwangerschaftsbelangen oder medizinischen, sondern insgesamt.
Und hatten Sie das Gefühl, dass aufgrund Ihres Alters noch mehr untersucht wurde oder waren Sie in dem üblichen Vier-Wochen-Rhythmus bei der Vorsorge?
Es lief ganz normal. Bei den Zwillingen war es am Schluss vielleicht ein bisschen häufiger, auch wegen der Placenta praevia. Ich bin bis zum letzten Tag nur gerannt, bin im Büro gewesen und hab‘ gearbeitet. Auch am fünften Tag nach der Geburt wieder, mit den Zwillingen am neunten Tag. Als mein Mann und ich 2014 zur Geburt unserer letzten Tochter schon zur Aufnahme im Krankenhaus waren, habe ich noch einen Anruf bekommen aus der amerikanischen Botschaft: »John Kerry kommt« [Anmerkung der Redaktion: US-amerikanischer Politiker und 68. Außenminister der Vereinigten Staaten] und ich muss ihn heute im Mauermuseum empfangen … Ich sollte mal schnell kommen!
Ehrlich?
Ja, natürlich, da musste ich hin! Ich war bis zuletzt bei der Arbeit und danach gleich, sobald ich aufstehen konnte, sofort wieder dort.
Ist es das Museum, was Sie so einbindet, oder sind Sie einfach so diszipliniert, dass Sie das Gefühl haben, Sie müssen sofort wieder parat sein?
Ich bin ein Stehauf-Männchen. Ich kann nicht liegen.
Sie haben Ihre Kindheit in der Ukraine verbracht und Sie haben die Kindheit Ihrer ersten Kinder zu einer ganz anderen Zeit erlebt als die Kindheit heute. Haben Sie das Gefühl, dass sich viel geändert hat?
Im Grunde genommen fühle ich mich gar nicht so, als ob ich schon zwei Leben hinter mir habe. Für mich ist das alles irgendwie normal. Ich vergleiche nie.
Was wissen Sie noch über Ihre Großmutter? Sie war 60, als sie ihr neuntes und letztes Kind bekam. Haben alle gelebt?
Ja. Die jüngste Tante war sehr viel jünger als meine Mutter. Meine Mutter war die Älteste, insofern habe ich das natürlich mitbekommen. Aber so genau weiß ich das nicht mehr.
War Ihre Großmutter gesund und hat alle Geburten gut überstanden?
Ja, und sie ist auch gleich aufgestanden und hat weitergemacht. Ich bin vor der Schulzeit dort aufgewachsen und habe es noch miterlebt. Bei meinen ersten eigenen Kindern war ich doch ein bisschen im Schock, im positiven: »Oh Gott, ich habe jetzt Kinder!« Es war eine Riesenfreude, das war ein Gefühl einer wahnsinnigen, unbeschreiblichen Freude. Freude bis zum Weinen. Mit der Zeit wird das normal – im guten Sinne des Wortes. Ich habe bei den weiteren gar nicht damit gerechnet, ich habe das auch nicht geplant. Das kam einfach so.
Hat Ihnen jemals jemand einen Vorwurf gemacht, warum Sie nicht verhütet haben?
Jeder Mensch lebt, wie er will, und deshalb kann mir niemand Vorwürfe machen. Warum auch? Das ist mein Leben.
Danke, Frau Hildebrandt!