Impressionen aus dem Geburtshaus »Un Nid Pour Naître« in Nancy. Foto: © www.unnidpournaitre.fr

In Frankreich gibt es acht Geburtshäuser, die sich bis 2020 in einer fünfjährigen Pilotphase befinden. Mit staatlicher Förderung sollen ihre Ergebnisse systematisch ausgewertet werden, um dann zu entscheiden, wie es mit ihnen weitergehen kann. Ein Blick über die Grenze. 

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Außerklinische Geburten sind in Frankreich selten. Nur 0,5 % der 784.000 Neugeborenen kamen 2017 nicht in einem Krankenhaus zur Welt. Steigende Haftpflichtprämien, schlechte Bezahlung und eine allgemeine Geringschätzung der außerklinischen Geburt haben auch in Frankreich dazu geführt, dass freiberufliche Hebammen immer seltener Hausgeburtshilfe anbieten. Außerdem wird die Geburtshilfe in Frankreich immer stärker zentralisiert. Wie auch in anderen Ländern, werden kleine Häuser zunehmend geschlossen. Diese Politik unterstützt nun auch Präsident Emmanuel Macron offiziell in seinem Plan zur Reform des Gesundheitswesens.

Gleichzeitig gibt es eine Gegenströmung zur Medikalisierung der Geburtshilfe, die sich in Statistiken und neuen Richtlinien zur Förderung der normalen Geburt beobachten lässt (Haute Autorité de Santé 2017). 2016 waren zum Beispiel im Vergleich zu 2010 die Raten von Episiotomien bei Erstgebärenden von 44,8 % auf 34,9 % gefallen, bei Mehrgebärenden fiel die Rate von 14,4 % auf 9,8 % (Blondel et al. 2017) Auch die Gabe von Oxytocin als wehenförderndes Mittel nahm ab und in neuen Richtlinien wird zur vorsichtigen, gemäßigten Gabe geraten (Dupont et al. 2017).

Die nationale Kaiserschnittrate blieb mit 20 % im Vergleich zu 2010 identisch. Sie ist im europäischen Vergleich nach wie vor niedrig. Und das, obwohl die Zahl der Frühgeburten zunimmt, das Alter der Gebärenden steigt und die Geburtenrate sinkt (Blondel et al. 2017).

Im Dezember 2017 wurden nationale Richtlinien zur normalen Geburt herausgegeben, die die physiologische Geburt fördern sollen (Haute Autorité de Santé 2017). Daran beteiligt waren Hebammen und Frauen. Die Richtlinien zielen auf eine selbstbestimmte, gut betreute und minimal medikalisierte Geburt ab. Allerdings sind die darin enthaltenen Empfehlungen oft weit von der heutigen Realität in den Kreißsälen entfernt. Zum Beispiel sind Eins-zu-eins-Betreuung und intermittierende Herztonüberwachung in den großen Häusern allein wegen der Personalsituation nicht zu verwirklichen.

In diesem Zusammenhang sind die mit öffentlichen Geldern geförderten Geburtshäuser bemerkenswert und erfahren große Aufmerksamkeit. Bis zu ihrer Entstehung war es allerdings ein langer, steiniger Weg.

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Der Kampf für Geburtshäuser

1999 wurde die erste französische Arbeitsgruppe zur Etablierung von Geburtshäusern ins Leben gerufen. Dafür schlossen sich die Interessenverbände der Hebammen mit den Elternvereinen und Verbraucherverbänden zusammen. Die Verhandlungen zwischen VertreterInnen der ÄrztInnen, Gesundheitsbehörden und der Arbeitsgruppe erstreckten sich über einige Jahre, bis am 6. Dezember 2013 ein Gesetz den Rahmen zur Genehmigung der Geburtshäuser als Teil eines Pilotprojektes schuf. Während dieser Zeit wurden Geburtshäuser von örtlichen Gesundheitsbehörden nicht genehmigt.

Das größte Hindernis war die Forderung von ärztlicher Seite, dass zwischen Geburtshaus und Klinik »keine zu überquerende Straße« sein dürfe. Letzten Endes gaben die Elternvereine und Hebammen in diesem Punkt nach, um endlich zu einer Einigung zu kommen. Die geografische Nähe zu einem Krankenhaus ist also zurzeit bindende Voraussetzung für die Genehmigung eines Geburtshauses. Das bedeutet auch: Wenn ein Krankenhaus geschlossen wird, dem ein Geburtshaus angeschlossen ist, ist auch dieses zwangsläufig von der Schließung mitbetroffen. Daher war es den Hebammen umso wichtiger, ihre administrative und klinische Eigenständigkeit aufrechtzuerhalten, was ihnen auch gelang.

Während der Verhandlungen gab es in Frankreich praktisch keine Geburtshäuser: 1999 war das bis dahin bekannteste Geburtshaus, das »Maison de naissance parentale Sainte Thérèse« in der südwestlichen Region Dordogne geschlossen worden. Danach hat 2007 das Geburtshaus CALM in Paris geöffnet, das vom Krankenhaus Maternité des Bluets getragen wurde und mit dessen Geldern eingerichtet wurde. Einige Krankenhäuser gestalteten zu dieser Zeit Kreißsäle, die eine natürliche Geburt unterstützen sollten. Man nannte sie »maison de naissance«.

Beispiele für Geburtshäuser in Krankenhäusern sind das PaMaNa, maison de naissance im Krankenhaus von Pontoise bei Paris, eröffnet 2007, und das maison de naissance im Krankenhaus von Remiremont im Nordosten Frankreichs.

Nach langem Kampf wurden 2013 und 2015 endlich die gesetzlichen Grundlagen zum Betreiben von Geburtshäusern geschaffen. Nun befinden sich acht Geburtshäuser von Dezember 2015 bis Dezember 2020 in einer Pilotphase. Ihre Ergebnisse sollen systematisch ausgewertet werden. Noch ist unklar, wie es nach 2021 mit den jetzigen oder eventuellen neuen Projekten weitergehen soll. Die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse werden in diesem Jahr erwartet.

»Das System braucht Zeit …«

Auf die Frage, warum es in Frankreich im Vergleich zu seinen Nachbarländern so lange gedauert hat, bis Geburtshäuser öffnen konnten, antwortete die damalige Präsidentin der Hebammenkammer Marie José Keller: »Frankreich ist ein krankenhauszentriertes Land. Das System braucht Zeit, um sich zu entwickeln und bis man begreift, dass eine Geburt auch außerhalb des Krankenhauses geschehen kann. Gleichzeitig hat die Stellung der Hebammen die Entstehung der Geburtshäuser gebremst. Denn trotz unserer Kompetenzen und des medizinischen Charakters unseres Berufes haben wir Mühe, anerkannt zu werden. Einige beobachten die Geburtshäuser mit Misstrauen, da die Ärzte dort nicht präsent sind. Dabei herrscht in Geburtshäusern und Kreißsälen dasselbe Prinzip: Die Patientin sieht den Arzt nur im Fall einer Komplikation« (Keller 2015).

Gesetzlich verankerte Rahmenbedingungen schufen letztlich die Grundlage zur Anerkennung der Geburtshäuser (Ministère des Solidarités et de la Santé 2018). Folgende Regelungen sind hier hervorzuheben:

  • Das Geburtshaus muss räumlich an einen Kreißsaal angebunden sein, so dass eine schnelle Überführung gewährleistet ist.
  • Ein Trägerverein ist für das Management zuständig und schließt einen Vertrag mit dem Krankenhaus ab.
  • Ein Zuschuss von 170.000 Euro wird aus öffentlicher Hand bereitgestellt.
  • Die Hebammen sind hauptverantwortlich für die Betreuung der Frauen zuständig, die sich spätestens ab der 28. Schwangerschaftswoche anmelden und betreuen lassen.
  • Bei jeder Geburt müssen zwei Hebammen anwesend sein.
  • Risikoschwangerschaften sind ausgeschlossen (beispielsweise Zwillinge, Steißlage, vorheriger Kaiserschnitt).
  • Nach jedem Transfer muss der Fall von der betreuenden Hebamme mit dem Krankenhauspersonal besprochen werden. Die Ursachen für jedes schlechte klinische Ergebnis müssen in Zusammenarbeit analysiert werden.

In den acht Geburtshäusern wurden diese Vorgaben letzten Endes sehr unterschiedlich umgesetzt. So liegen die Räume des Geburtshauses im französisches Überseedepartement Guadeloupe direkt beim Kreißsaal, während das Geburtshaus Doumaïa in der südfranzösischen Stadt Castres in einem eigenständigen Gebäude auf dem Krankenhausgelände untergebracht ist. In den meisten Geburtshäusern arbeiten freiberufliche Hebammen, aber es gibt auch einige, in denen die Hebammen angestellt sind, wie zum Beispiel in Grenoble.

Vorbildliches Projekt in Paris

In vielen Geburtshäusern spielen die Eltern eine wichtige Rolle bei Planung, Gestaltung und Unterhalt. Sie werden Mitglieder der Trägervereine und engagieren sich finanziell und durch Mitarbeit. Zusätzlich bezahlen die meisten Eltern eine Pauschale, die die Rufbereitschaft für die Geburt und die Betreuung während der Wehen- und Geburtsphase abdeckt. Die Höhe dieser Pauschale variiert zwischen den Geburtshäusern. Vom staatlichen Zuschuss werden Leistungen bezahlt, die bisher nicht abgerechnet werden konnten. Dazu gehören beispielsweise die zweite Hebamme bei der Geburt und ihre Rufbereitschaft oder die Geburtsbetreuung im Falle einer Verlegung, denn dann rechnet das Krankenhaus die Geburt ab. Hinzu kommen Miete, Gehalt für eine Managerin, eine Reinigungskraft – es ist sehr unterschiedlich, wie die Geburtshäuser das Geld jeweils verwenden.

Das erste Geburtshaus in Frankreich war das Projekt CALM (Comme à la maison – wie zu Hause) in Paris. Schon seit 2008 existiert es mit eigenem Eingang und eigenen Räumlichkeiten angeschlossen an die Maternité des Bluets. Ein Trägerverein von Eltern und Hebammen hat es in Zusammenarbeit mit einem Krankenhaus ins Leben gerufen. Dieser Kreißsaal am Hôpital Pierre Rouquès-les Bluets war seitdem mehrmals von der Schließung bedroht und damit war jedes Mal auch das Geburtshaus gefährdet. Dabei erfreut sich das Geburtshaus größter Beliebtheit und muss mehr Eltern wegschicken, als es annehmen kann. 2017 konnten nur 40 % der Frauen angenommen werden, die anfragt hatten. Seit 2018 werden nur diejenigen Schwangeren angenommen, die in einem Einzugsbereich von 30 Minuten Anfahrtsweg wohnen.

Das Geburtshaus CALM hat eine Vorbildfunktion für ganz Frankreich. Es ist das größte Geburtshaus mit zurzeit sechs Hebammen, die von weiteren zehn Hebammen aus der Umgebung zeitweise unterstützt werden, wenn nötig. 2017 wurden dort 179 Frauen betreut. Von diesen gebaren 119 Frauen im CALM, das sind 68 %. 2 % der Kinder wurden ungeplant zu Hause geboren. 15 % der Frauen wurden vor der Geburt verlegt und 15 % während der Geburt: insgesamt also eine recht hohe Verlegungsrate von 30 %.

Weitere Geburtshäuser befinden sich in Castres, Grenoble, Sélestat im Elsass, Bourgoin-Jallieu bei Lyon und in Nancy. Zwei Geburtshäuser liegen in den Überseeprovinzen Guadeloupe in der Karibik und La Réunion im Indischen Ozean.

Erste Ergebnisse

Die Kommentare und bisherigen Erfahrungen der Hebammen in den Geburtshäusern sind vielfältig: von »Ich könnte mir nicht vorstellen, je wieder anders zu arbeiten” bis zu »sehr bereichernd” und »man muss alles erfinden”. Teilweise ist es schwierig, Hebammen zu finden, die bereit sind, die Herausforderung anzunehmen: viel Rufbereitschaft, kritische Blicke des Krankenhauspersonals und dazu eine unsichere Zukunft, wenn das Pilotprojekt im Jahr 2021 zu Ende geht.

Bisher hat noch kein Partnerkrankenhaus Informationen über das Geburtshaus auf seine öffentliche Website aufgenommen. Auch darin zeigt sich, dass diese neuen Geburtshäuser noch nicht als Aushängeschilder gelten.

Erste wissenschaftliche Ergebnisse der Auswertung des Pilotprojekts werden in diesem Jahr erwartet. Die Generalverwaltung des Gesundheitsdienstes (direction générale de l’offre de soins/DGOS) hatte sich in den Kriterien hauptsächlich auf administrative und finanzielle Aspekte beschränkt. Aus Sicht der Hebammen und NutzerInnen ist es jedoch wichtig, den besonderen Wert der Geburtshäuser für die Förderung der physiologischen Geburt zu untersuchen. So übernimmt das »Collège national des sages-femmes de France” (CNSF), eine anerkannte Vertretung der Hebammen in Politik und Gesellschaft, die wissenschaftliche Gestaltung dieses Aspekts der Auswertung (Richard-Guerroudj 2018).

Die gesamte Auswertung wird noch einige Jahre dauern. Die Ergebnisse werden ausschlaggebend sein für die Zukunft der Geburtshäuser in Frankreich. Es wird noch spannend, ob sich auch hier die guten Ergebnisse aus anderen Ländern bestätigen und ob dies zu weiteren Eröffnungen und der Förderung von Geburtshäusern im ganzen Land führen wird.

Zitiervorlage
Dietze M: Pilotprojekt Geburtshäuser in Frankreich: Comme à la maison – wie zu Hause. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (6): 100–103
Literatur

Blondel B et al.: Trends in perinatal health in metropolitan France from 1995 to 2016: Results from the French National Perinatal Surveys. Journal of Gynecology, Obstetrics and Human Reproduction 2017. 46 (10) 701–713

Dupont C et al.: Recommandations pour l’administration d’oxytocine au cours du travail spontané. Texte court des recommandations. La Revue Sage-Femme 2017. Volume 16, Issue 1, February, 111–118

Haute Autorité de Santé: Accouchement normale: accompagnement de la physiologie et interventions médicales – Recommandations de bonne pratique. 2017. https://www.has-sante.fr/portail/jcms/c_2820336/fr/accouchement-normal-accompagnement-de-la-physiologie-et-interventions-medicales

Keller MJ: Maisons de naissance: Neuf structures ouvriront bientôt leurs portes. Communiqués de presse. Ordre des Sages-Femmes Conseil National. 26.11.2015 http://www.ordre-sages-femmes.fr/actualites/maisons-de-naissance-neuf-structures-ouvriront-bientot-leurs-portes/

Ministère des Solidarités et de la Santé: Les maisons de naissance. Direction générale de l’offre de soins (DGOS) 2018. https://solidarites-sante.gouv.fr/systeme-de-sante-et-medico-social/structures-de-soins/article/les-maisons-de-naissance

Richard-Guerroudj N: Les maisons de naissance à mi-parcours. Profession Sage-femme 2018. Nr. 248. 13–19

Richard-Guerroudj N: »Pour évaluer les maisons de naissance, il fallait tout inventer”. Profession Sage-femme 2018. Nr 248. 20–21

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