Das Ölbild »Fruchtbarkeit« von 1964 zeigt Maria Lassnigs schrägen Humor. Reproduktion: © Maria Lassnig Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Zwischen lauter Äpfeln hockt eine weibliche Gestalt, kompakt, gedrungen, nackt, knubbelige Nase, die Extremitäten nur angedeutet. Der Blick der Betrachter:innen geht direkt auf die Attribute der Fruchtbarkeit: ihre Brust, den Mutterschoß. Davor liegt offenbar ihr kleiner Nachwuchs, von hinten dargestellt, mit derselben wuchtigen Nase, ein wundersames Etwas, das fast einem Tierchen gleicht. Das Ölgemälde heißt schlicht »Fruchtbarkeit«. Maria Lassnig (1919–2014), die immer mehr verehrte österreichische Grande Dame der Kunst, hat es 1964 gemalt.
Damals hatte sie noch schwer um Anerkennung zu kämpfen und kaum Geld, wenige interessierten sich für ihre Bilder. Sie war von Österreich nach Paris gezogen, hatte dort ein Atelier. 1964 starb ihre Mutter, ein Trauma, von dem sie sich Jahre lang nicht erholte.
Das Gemälde »Fruchtbarkeit« hängt nun in einer Ausstellung im Museum Moderner Kunst Wörlen in Passau. Dr. Marion Bornscheuer, Museumsdirektorin und Kuratorin der Ausstellung, erklärt, dass es zu den »Körpergefühlsbildern« gehöre: »Der Körper ist abstrahiert zu einer rundlichen Form, die derjenigen der im Bild verteilten Äpfel gleicht. Der Apfel ist in der biblischen Geschichte die Frucht der Verführung, und zu ihm wird hier der Frauenkörper in Analogie gesetzt. Das tierähnliche nackte Geschöpf im Vordergrund ist schwer zu definieren.«
Die Kunsthistorikerin Stefanie Heinzl schreibt dazu im Ausstellungskatalog: Wir »sehen eine Frau, die sich in einen Apfel verwandelt oder die einen Apfel sich einverleibt, einpflanzt, mit ihm verwächst« und einen von ihr sitzenden »fleischigen Hund, der mit den Äpfeln liebäugelt« (Hausmann, B., Ausstellungskatalog, 2023).
In vielen Kulturen ist der Apfel das Sinnbild für Fruchtbarkeit, Weiblichkeit, Schönheit. Er ist seit Urzeiten ein Symbol für Liebe, Sexualität und Reichtum. In der Antike galt die Darreichung eines Apfels als Liebeserklärung. Im Christentum wird der Apfel mit dem Sündenfall in Verbindung gebracht. Der mittelalterliche »Reichsapfel« stellte ein Machtsymbol dar.
Für Maria Lassnig, aufgewachsen im bäuerlichen Kärnten, war der Apfel auch ein Standard- Lebensmittel. 1964 schickte ihr die Mutter nach Paris in einem Paket Äpfel, damit sie was zu essen habe.
Bis 14.7.2024
Museum Moderner Kunst Wörlen, Passau
Weitere Informationen: https://mmk-passau.de/ausstellungen-veranstaltungen/vorschau
Äpfel malte sie immer wieder. 1969 entstand »Stillleben mit Apfelsäge«, eines ihrer typisch skurrilen Bilder: Auf einem Tisch liegen Äpfel, von denen einer in einer kaum zu definierenden Gestalt, halb Lassnig selbst, halb große Säge, durchgesägt wird. Auch auf einem Requiembild für ihre Mutter befinden sich zwei Äpfel. Ein Symbol der Vergänglichkeit, weil sie verrotten werden? Jahre später, 1981, schrieb sie einen Satz, der zeigt, wie sich bei ihr Verschiedenes verwebt: »Apfel schaut aus dem Körbchen heraus, und wirklich: Es hat einen Ausdruck wie ein Kätzchen, oder ist es meine Einsamkeit, die alles vermenschlicht?« Welche Bedeutung des Symbols Apfel schwebte Lassnig nun auf dem »Fruchtbarkeitsbild« vor?
1964 war in Deutschland das Jahr des absoluten Babybooms, in Frankreich ebbte er bereits wieder ab. Lassnig selbst hatte sich während der spießigen 1950er Jahren schon früh gegen Heirat und Nachwuchs entschieden, sie blieb ohne Kinder. Um sie herum wurden viele Kinder geboren. Sie selbst, geboren zwischen den beiden Weltkriegen in einem Bauernhaus in Kärnten, hatte keine guten Erfahrungen mit der Institution Familie gemacht. Sie war die ersten sechs Jahre bei der Großmutter aufgewachsen, ihr Vater wollte nichts von ihr wissen, die Mutter musste arbeiten, heiratete dann wieder.
Im Gemälde »Erschaffung der Eva« von 1962/63 befasst sich Maria Lassnig mit der christlichen Mythologie. Erkennbar ist Adams Rippe, aus der laut Bibel Eva erschaffen wurde. Reproduktion: © Maria Lassnig Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Aber ihre Mutter wurde ihr über die Jahre zur wichtigsten Bezugsperson. Kontroversen gab es, weil sich Maria Lassnig stets deren Drängen widersetzte, zu heiraten, um später abgesichert zu sein. Ein Grund war, dass sie bemerkte, dass man in der Kunstszene einer Frau nie so viel zutraute wie einem Mann. Lassnig entschied sich beständig gegen das Konzept Familie, es gab nur einige Liebhaber. Familie war für sie ein Ort der Sehnsucht, aber auch der Unmöglichkeit hinsichtlich ihrer Arbeit als Künstlerin.
Nun befasste sie sich mit Mitte 40 in einer Reihe von Werken mit diesem anderen Leben einer festen Partnerschaft, Ehe, Reproduktion, dem Lebenskreislauf. Ihre Bilder hießen beispielsweise »…Sa femme l‘appel mon petit…/Ehepaar« (1962) »Der irdische Wettlauf« (1963), »Gynäkologie« (1963), »To love or not to love« (1964/65), »Traum vom Eheglück« (1965).
Viele Selbstporträts entstanden in dieser Zeit – wie sonst auch immer. Sie stellte sich mal als Knödel, als Gartenschere, Stuhl oder Fass dar, als alles Mögliche oder auch mit Dingen, die Teile ihres Körpers ersetzen, wie »Selbstporträt mit Drahtarmen« (1968). Manchmal als Tier, etwa 1963. Da war auch immer schräger Humor dabei.
Sie wollte den Körper, das Leibliche, das Körpergefühl unter stets neuen Vorzeichen ergründen, schloss vor dem Malen die Augen und spürte in sich hinein, malte dann nur das, was sie fühlen konnte, etwa Druckflächen am Gesäß und an den Beinen, die Nase groß aufgrund des deutlich spürbaren Atemstroms. In der Regel waren das immer nur bestimmte Körperzonen. Das entspricht ganz der Leibesphilosophie des Philosophen Prof. Herman Schmitz (1928–2021): Nur bestimmte Leibesinseln würden beim Nach-innen-Spüren tatsächlich deutlich empfunden. Haare stellte sie fast nie dar. Sie waren einfach nicht zu spüren (Heimbach, 2022).
Den Entstehungsprozess ihrer »Körpergefühlsbilder« beschreibt sie als Kampf gegen das Spiegel- oder »Erinnerungsbild«, das es zugunsten der Wahrnehmung des reinen Körpergefühls »auszulöschen« gelte. Auch die Farben vergab Lassnig nach ihrer Empfindung: »Die Stirn bekommt eine Gedankenfarbe, die Nase eine Geruchsfarbe, Arme und Beine Fleischdeckenfarbe; es gibt Schmerzfarben und Qualfarben, Druck- und Völlefarben, Streck- und Pressfarben.« Es waren für sie Wirklichkeitsfarben.
Eine Skulptur wie die von der aztekischen Fruchtbarkeitsgöttin Tlazolteotl mag Inspiration für Lassnigs Bild »Fruchtbarkeit« gewesen sein. Foto: © Museum Doaks
Lassnig, die auch Verständnis für Schwierigkeiten hatte, die die Betrachter:innen mit ihren Bildern hatten, schrieb 1982, sie müsse sich fast dafür entschuldigen, »dass bei einer Unternehmung, die mehr nach Forschung als nach Kunst klingt, konkrete Körper entstanden. Daran ist schuld, dass mein Wissen von den realen Abständen zwischen Stirn und Nase, Hals und Brust, nicht ausgeschaltet und als Kunstkompromiss belassen wurde«.
Aber handelt es sich nun bei »Fruchtbarkeit« um ein Selbstbildnis? Zu lesen war auch einmal, dass es sich bei der kleinen tierähnlichen Gestalt um ein zweites Selbstporträt Lassnigs als Neugeborenes handle. Die große Nase der Mutterfigur und die Art, wie deren Gesichtszüge ausgearbeitet sind, erinnern tatsächlich an Selbstdarstellungen der Künstlerin, die sich eh fast immer selbst malte und meist mit einer überdimensionierten Knollnase als Indiz für den gefühlten Atemstrom. Aber das einmal bei sich selbst gefundene Formenrepertoire verlieh sie mitunter auch anderen Figuren. Und meist nannte sie das Wort »Selbstporträt« im Titel, wenn es sich darum drehte.
Die Muttergestalt von »Fruchtbarkeit« muss nicht Lassnig selbst sein. Die Künstlerin erklärte, dass sie Mitte der 1960er Jahre zu den großen Mythen vorgestoßen sei, die sich um die Idee des Göttlichen drehen, wie etwa ihr Gemälde »Erschaffung der Eva« (1962/63), das direkt Bezug nimmt auf die christliche Ikonografie. Eva, die noch mit der Rippe Adams verbunden ist, hat ebenfalls eine Knollnase. 1964 entstand zudem die »Große Mutter« (Heimbach, 2022), eine Mutter mit Säugling im Arm, eines ihrer damals häufigen Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier, die Lassnig selbst spaßhaft als Monster bezeichnete, es gab Verwandlungen und formverändernde Erregungen. Hier waren andere weibliche, eher mythologische Gestalten gemeint, nicht Lassnig selbst. Und welche Aussage wollte sie nun vermitteln?
Im Gemälde »Erschaffung der Eva« von 1962/63 befasst sich Maria Lassnig mit der christlichen Mythologie. Erkennbar ist Adams Rippe, aus der laut Bibel Eva erschaffen wurde.
Die Kulturjournalistin Christiane Meixner beschrieb die Gebärende 2022 im Tagesspiegel positiv konnotiert als »weiblichen Buddha, der augenscheinlich Äpfel gebiert« (Meixner, 2022). Die Kunsthistorikerin Christa Murken, die Ende der 1980er Jahre ihre Dissertation über Lassnig schrieb, sah in dem Bild »Fruchtbarkeit« erstaunlicherweise eine Desillusionierung der Mutterschaft, wie sie nicht schonungsloser sein könne: »Die Mutter ist nur noch ein krötenhaftes Wesen, ein Knödel oder eine Fleischmasse. Das Kind ist eine Frucht wie ein Apfel, der vom Baum fällt, ohne eine Frucht der Erkenntnis zu sein. Es könnte ebenso gut geklont, mutiliert oder die Frucht eines Lurches sein. Aus den beiden Menschenbündeln blickt uns der nackte, unverbrämte Biologismus entgegen, dem der Mensch ohne Erbarmen unterworfen ist. Keine Anmut, keine Hingabe, kein Gefühl verbindet Mutter und Kind. Sie sind nackt, ausgeliefert, isoliert. Der Fötus liegt dahingeworfen ohne Verbindung zur Mutter. Mutterschaft wird hier auf einer triebhaft animalischen, dumpfen Ebene abgehandelt oder als prähistorisches Relikt behandelt« (Murken, 1990). Während ein Maler wie Leonardo da Vinci sich diesem Thema noch voller religiöser und seelischer Hingabe widme, würde Lassnig die Thematik nur noch wahrnehmen, um eine Bildfläche nach ihren individuellen Vorstellung zu füllen und ihre persönliche Philosophie einfließen zu lassen. Es kann sein, dass Lassnig auf dem Bild »Fruchtbarkeit« ein ungeschütztes, isoliertes Neugeborenes meinte. Aber müssen Mutter und Kind immer in enger Umarmung dargestellt sein, ohne zu meinen, es gäbe keine Bindung zwischen ihnen? Schwierig der Vergleich mit einem Gemälde von Leonardo da Vinci, dessen Absicht es im 15. Jahrhundert ja niemals war, Körpergefühle zu zeigen, was Lassnigs Bildern ihren Formenreichtum gab. Und »Knödel«-Bildnisse waren nichts Unübliches bei Lassnig. Wieso auf einer »dumpfen Ebene«? Lassnig malte schließlich immer so, nicht nur auf diesem Gemälde.
Im Film „Mit einem Tiger schlafen“ wird Maria Lassnig von Birgit Minichmayr gespielt (rechts). Filmstill: Birgit Heimbach
Die Betrachter:innen können auf Maria Lassnigs »Fruchtbarkeit« weniger an eine christliche Madonna oder Mutter Gottes denken, sondern mehr an eine Urmutter, an archaische Muttergottheiten wie etwa an eine Skulptur der Venus von Willendorf oder die mexikanische Skulptur der aztekischen Fruchtbarkeitsgöttin Tlazoltéotl bei der Geburt, die schon lange zur Ikone wurde. Bei diesen beiden Skulpturen sind die Beine auch nur angedeutet.
Maria Lassnig. Am Fenster klebt noch eine Feder. Herausgegeben von Peter Handke, Barbara Maier und Lojze Wieser, Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec, 2023; 120 Seiten | EUR 24. Die Maria Lassnig Stiftung stellte für die Publikation Aufzeichnungen der Künstlerin zur Verfügung und begleitete das Buchprojekt.
Lassnig meinte mit ihrem Bild eher keine bestimmte Mutter-Kind-Beziehung, keine Mutterschaft, sondern einfach ursprüngliche Fruchtbarkeit. Es geht auch nicht um das Negativ-Bild einer Mutter. Dass sie selbst als Kind ihre Mutter kaum sah, insofern keine konstante Mutterliebe erlebte, spielte hier keine Rolle.
Eine Bleistiftskizze und eine Radierung (um 1987) von Lassnig zu »Fruchtbarkeit« zeigen den Kopf der Gebärenden halb offen, es wird deutlicher, was die Figur in dem Moment ist: eher wie ein Gefäß. Ein Fruchtgefäß, die Äpfel stehen symbolisch für diese Früchte. Der Apfel der Versuchung von Eva ist vielleicht auch als Parodie der Schöpfungsgeschichte im ersten Buch Mose zu verstehen: »Seid fruchtbar und mehret euch.«
Wenn man sich in die Figuren der Künstlerin hineingedacht hat, in deren Gestaltgebung sie Körpergefühle ausdrücken wollte, mitunter nah an der Tiergestalt, sieht man darin einfach schlichte Leiblichkeit verletzlicher Kreaturen.
1968 ging Lassnig nach New York. Ein Grund war, dass dort die Frauen angeblich stark waren. Es war das Jahr, als die Extrem-Feministin Valerie Solanas (1936–1988), geprägt von schlechten Erfahrungen, ihr »Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer« (Society for Cutting Up Men: SCUM) herausbrachte und auf Andy Warhol schoss, der überlebte.
In New York blieb Lassnig bis 1980, als sie dem Ruf an die Hochschule für angewandte Kunst in Wien folgte und dort bis 1989 Malerei und Animationsfilm lehrte. Im selben Jahr bespielte sie mit Valie Export den Österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig (siehe DHZ 1/2021, Seite 81ff.).
Kontakt: stiftung@marialassnig.org
Ihren Student:innen gegenüber entwickelte sie in den folgenden Jahren mütterliche Gefühle. Trotzdem blieb die Einsamkeit ihr Gefährte. Sie schrieb: »Kinder und Malerei, das wäre – für mich jedenfalls – unmöglich gewesen. Aber es tut mir um jeden Kuss leid, den ich nicht gegeben habe. Deshalb bin ich manchmal zu Tränen gerührt, wenn mich ein Kind streichelt. Oder eine Katze mich umschleicht.« (siehe Link: Staatsgalerie Stuttgart). 1984, zwei Jahre vor Tschernobyl, befasste sie sich auf »Atomzeitmütter« mit der Bedrohung: zwei Frauen, auf deren Schoß je ein schwarzes verpacktes Baby liegt.
Ihre Bilder waren ihre Kinder, die sie daher nur ungern verkaufte. Museen betrachtete sie als traurige Waisenhäuser. Helmut Klewan, der 1981 in seiner Münchener Galerie die erste Lassnig-Ausstellung gezeigt hat und dessen Sammlung nun bis Mitte Juli in Passau zu sehen ist, erinnert sich: »Man musste ihr jedes Bild abschwatzen. Ölbilder hat sie mir lieber in Kommission gegeben, als dass sie sie verkauft hätte. Das Bewusstsein, ein Bild nicht mehr zurückzubekommen, war für sie unerträglich. Zum Glück ist sie fast 95 geworden und hat ihren Weltruhm noch erlebt.« 2013 wurde Maria Lassnig auf der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Bis wenige Stunden vor ihrem Tod zeichnete sie.
Anja Salomonowitz hat die Filmbiografie als poetisches Porträt gedreht. Pastellfarben wie Lassnigs Bilder: viel Rosa, Hellgrün, Jadegrün, Türkis bis Blau.
Anfangs sieht man Maria Lassnig als Mädchen vom Land, mit langen Bauernzöpfen, bereits früh intensiv zeichnend, sie taucht immer wieder kurz im Film auf. Sie soll alterslos gewesen sein: weise als junges Mädchen und mitunter kindlich als alte Frau. Und schon nach zwei Minuten ist sie da, die spröde, leicht träge und schnodderige Stimme von der Schauspielerin Birgit Minichmayr, die so die oft kratzbürstige Art Lassnigs wiedergibt. Immer wieder sieht man sie beim »In-ihren-Körper spüren« und anschließenden Malen (Body-Awareness-Bilder). Mal zeigt die Kamera nur ihren Rücken, wie sie beim Spüren die Schultern hochzieht, dann beim Agieren mit dem Pinsel. Oft sieht man sie in Unterwäsche, mit großer Brille, in ihren Ateliers in Klagenfurt, Wien, Paris und New York, oft auf einem Stuhl sitzend. Sie meinte, der Körper sei selbst schon mit einem Stuhl vergleichbar, malte viele »Sesselselbstporträts«. Mal wälzt sie sich verrenkend auf dem Boden, den Pinsel in der Hand. Wunde Finger sind zu sehen, teils offene Stellen durch das viele Terpentin, mit dem sie ständig ihre Pinsel auswäscht. Teils ist ihre Mimik dabei wie grotesk, oft wie gequält. Der Film erzählt nicht linear – er ist durchzogen von Erinnerungen und Gefühlen, die eigene Bilder hervorrufen. Mitunter gibt es surreale Momente, wo Ameisen ein Bild mittragen, wenn Lassnig die Bilder zu schwer sind.
Gedreht wurde auch an einem Originalschauplatz in Kärnten: in Lassnigs Landatelier in Feistritz ob Grades im Metnitztal. Sie hatte 1939/40 in Volksschulen des Tales unterrichtet, wo sie auch die Kinder porträtierte. In Feistritz ob Grades erwarb sie dann die alte Volksschule, um dort bis 2012 die Sommermonate zu verbringen. Glücklich war sie dort.
Zu sehen ist, wie sie sich jahrelang irgendwie durchschlug, meist allein, mitunter einsam, etwas kauzig, doch liebenswert, ohne ausreichend Geld, ohne Erfolg, obwohl sie Kunst studiert hatte. Oft legte sie den Telefonhörer daneben, wollte nicht erreichbar sein. Und sie arbeitete hart, denn als Frau hatte sie es auf dem Kunstmarkt schwer. Man sieht sie im Film, wie sie in einer Galerie auf Irritation stößt. Man wollte keine Darstellungen verzerrter, teils nackter Frauenkörper, Lassnigs Ansatz blieb für viele unzugänglich. Nicht wenige waren sogar schockiert. Auch in den Jahren des Erfolgs fühlte sie sich oft unverstanden, selbst von Galeristen, die sie ausstellten. Beschwerte sich, drohte Bilder von Ausstellungen zu entfernen: weil sie zu tief oder an der falschen Stelle hingen, das Licht sei falsch oder die Käufer gefielen ihr nicht.
Am Ende gibt es eine rührende Szene: Maria Lassnig liegt mit ihrem Assistenten und langjährigen Freund Hans Werner Poschauko, einst ihr Student, heute Künstler und Vorstandsmitglied der Maria Lassnig Stiftung, auf ihrem Pflegebett in ihrem Atelier. Sie studieren die Farben des Himmels: Titanweiß, Elfenbein, Türkis, Ultramarinblau. Da fragt sie ihn, wann nun endlich der Liebhaber käme, auf den sie ihr Leben lang gewartet habe.
Film »Mit einem Tiger schlafen«: https://filminstitut.at/filme/mit-einem-tiger-schlafen
Skulptur Tlazolteotl im Museum Doaks: http://museum.doaks.org/objects-1/info/23088
Staatsgalerie Stuttgart: https://www.staatsgalerie.de/de/sammlung-digital/mother-and-child
Heimbach B. (2022): Maria Lassnig. Kämpferische Selbstporträts. Deutsche Hebammenzeitschrift 03. https://www.dhz-online.de/news/detail/artikel/kaempferische-selbstportraets/
Hofmann W. (1980). Maria Lassnig, Biennale di Venezia, Katalog, Venedig
Lassnig, M. (2000). Die Feder ist die Schwester des Pinsels. Tagebücher 1943–1997, hrsg. Hans Ulrich Obrist
Linsmann-Dege, M. (1996): Maria Lassnig. Die malende Tigerin. Emma. https://www.emma.de/artikel/maria-lassnig-die-malende-tigerin-263887
Murken, C. (1990). Maria Lassnig. Ihr Leben und ihr malerisches Werk. Ihre kunstgeschichtliche Stellung in der Malerei des 20.Jahrhundert. Dissertation Aachen
Meixner, C. (2022). Spät entdeckt: Maria Lassnigs Kunst: Alle meine Herzensfarben. https://www.tagesspiegel.de/kultur/spat-entdeckt-maria-lassnigs-kunst-alle-meine-herzensfarben-8765170.html
Ragossnig, Gudrun (2021). Maria Lassnig und ihre Tiere. Zum Verhältnis zwischen Mensch und Tier in ihren Werken Bachelorarbeit. Wien
Schwärzler M. (2004). Kinderlose Mütter. Mothering the Self in den Selbstporträts Maria Lassnigs. Frauen Kunst Wissenschaft 38. https://www.fkw-journal.de/index.php/fkw/article/view/967