Jenny (Emma ­Nova) ist ­erneut schwanger, muss aber eine Haftstrafe ­verbüßen. Filmstill: © www.filmstarts.de

In ihrem Spielfilm »Vena« erzählt Regisseurin Chiara Fleischhacker von einer werdenden Mutter, die es trotz ihrer Suchtgeschichte und anstehenden Haftstrafe das erste Mal schafft, gesunden Selbstwert aufzubauen und Bindungen zu erfahren.

»Vena«, was für ein Titel: Da steckt Gift drin (Venom), aber auch kommen (venire) – zu sich kommen? Der Film erzählt von Jenny, einer jungen Frau, verstrickt in Abhängigkeiten: von Drogen, dem Partner, den Behörden, der Mutter, die ihr erstes Kind betreut. Sie ist erneut schwanger, muss aber eine Haftstrafe verbüßen. Düster und ausweglos verfolgen wir den Alltag und werden kaum spürbar Zeug:innen einer bis zum Schluss nicht absehbaren Metamorphose. Der Halt, den die Droge verspricht, aber nie hält, der Halt, den der Partner gegen Sex verkauft, der Halt im Schein der Äußerlichkeiten – er bröckelt.

Feuer und Flamme

Da wünscht sie sich Flammennägel als Symbol, dass in ihr alles in Flammen steht, sie aber auch Feuer und Flamme ist: Sie begehrt auf und entwickelt Verantwortung. Sex wird verweigert: Die Kränkung des dann vor ihr zum Porno Masturbierenden tropft ab. Sie will es hinter sich bringen, prüft die Möglichkeiten voller Vertrauen, im Knast zu gebären und dann nicht vom Kind getrennt zu werden. Die Schwangerschaft wird zur Ressource: »Ich lass mir den Bauch nicht noch einmal aufschneiden wie beim ersten Kind.«

Im Gefängnis wird sie erst einmal angepasst. Die noch kaum trockenen Flammennägel werden zwangsweise abgeschnitten. Man denkt an den biblischen Samson, der seine Kraft verliert, sobald ihm die Haare abgeschnitten werden. Aber nein: Jenny wachsen dadurch innere Nägel, mit denen sie sich an ein neues Leben krallt mit Feuer und Flamme. Beeindruckend, wie sie in Handschellen zum Gebären gefahren wird. Wie sie kraftvoll selbstbestimmt zur Welt kommt. Selten wurde eine Geburt so realistisch dargestellt.

Das ist ihre Welt – wie unter Drogen: sich hingebend, ohne Kontrolle, voller bekannter Angst und Schmerz, voller Endorphine. Sie spürt, wie sie selbst Droge ist und wächst an sich am richtigen Leben und nicht im falschen Rausch.

Im Kreidekreis

Ihr Kampf wird erst einmal nicht belohnt. Das Kind soll in Obhut, kein Gefängnis kann und will sie mit Kind aufnehmen. Sie wird zum Muttertier und begehrt das einzige Mal lautstark auf. Man erwartet heftigen Widerstand – sieht sich in Bertolt Brechts Drama »Der kaukasische Kreidekreis«, wo die richtige und die falsche Mutter (hier die Behörden) zeigen sollen, wer am ehesten bereit ist, das Kind für sich zu zerreißen. Hier spürt man am meisten, wie die Verantwortung greift und sie aus allen Abhängigkeiten führen wird. Sie weiß, dass sie jetzt auf das Liebste verzichten muss, um es am Ende für sich zu haben.

Sie wird die Haftstrafe absitzen, sich entziehen, vor allem wird sie autonom werden, ihre Kinder bei sich haben und einem Beruf nachgehen – alles eine Vision, die am Ende offen bleibt, aber nicht zu schön ist, um wahr zu sein. Ein Film der Liebe, der Ermächtigung, der Befreiung. Ein Film über das Schwangergehen und Aufgebären. Ein Film, der Geburt als Metapher für Power, Macht und Potenz nutzt, um Wege aus allen Ausweglosigkeiten aufzuzeigen. Ein Märchen, aber ein mögliches.

Tolles Drehbuch, tolle Schauspieler:innen, tolle Inszenierung. Unbedingt ansehen, all ihr Geburtshelfenden da draußen!

Der Film mit Auszeichnungen
»Vena« ist der Diplomfilm von Autorin und Regisseurin Chiara Fleischhacker, Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg. Die Premiere fand am 1. Oktober 2024 auf dem Filmfest Hamburg statt und gewann den Preis in der Kategorie »Deutsche Kinoproduktionen«. Im Wettbewerb »First Steps – der deutsche Nachwuchspreis« wurde »Vena« als »bester abendfüllender Spielfilm« ausgezeichnet und Kamerafrau Lisa Jilg erhielt den »Michael-Ballhaus-Preis«.

Regie/Drehbuch: Chiara Fleischhacker

Kamera: Lisa Jilg

Schauspieler:innen: Emma Nova, Paul Wollin, Friederike Becht und andere

Kinostart: 28. November 2024

> https://bioskop.de/projekte/vena-postproduktion

Zitiervorlage
Lütje, W. (2024). Filmkritik: »Aufgebären«. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (12), 84–85.
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