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Spätestens im Wochenbett, häufig schon deutlich früher treten die Großeltern in das Bewusstsein der Hebamme. Sie können eine Kraftquelle für die Familie sein und ebenso Turbulenzen auslösen, die belastend wirken. Auf jeden Fall ist die Beziehung zu ihnen in den Gefühlen der jungen Eltern präsent und oft mächtig, selbst wenn sie physisch kaum anwesend sind. 

Zunächst gilt in der Schwangerschaft und rund um die Geburt die volle Aufmerksamkeit dem Kind, der Mutter und seit einiger Zeit auch dem Vater. Das kleine Kind hat nur durch sein Da-Sein die Macht, die Identität der Eltern, aber auch der Großeltern und das Beziehungsgefüge aller untereinander zu verändern. Das ist eine Herausforderung für alle. Dieser Prozess ist in der Regel hoch emotional.

Großeltern können eine große Ressource für die junge Familie sein: Sie können emotionalen Halt geben, guten Rat beisteuern, materiell unterstützen, die Mutter bemuttern, den Vater entlasten, ganz praktische Hilfe im Haushalt oder bei der Betreuung der Geschwisterkinder leisten. Im günstigen Fall fragen sie, wie und wo sie helfen können, strahlen Gelassenheit aus, halten sich zurück, ermöglichen den jungen Eltern, sich selbst als Eltern zu finden, ohne sich einzumischen.

Es wäre schade, diese Care-Ressourcen der Großeltern nicht zu nutzen oder nicht angemessen zu würdigen. Gelingt die Beziehung ausreichend gut, dann sind Großmütter und Großväter in den nächsten Jahren sowohl für die Mütter als auch für die Kinder ein stabilisierender, bereichernder Faktor.

Intensives Trainingslager

Die Entwicklung zu einer guten Kooperation zwischen den Generationen verlangt sowohl eine Entwicklung des (Familien-)Systems insgesamt als auch eine Anpassungsleistung jeder einzelnen Person. Sie verläuft nicht reibungslos und erfordert die Bereitschaft, auch Gefühle, Sichtweisen und gute Absichten der anderen Beteiligten anzuerkennen sowie eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und zu kommunizieren. Die Fähigkeit zur Nähe und zur Abgrenzung gleichermaßen durchläuft ein intensives Trainingslager. Kleinere oder größere Verletzungen und Verstörungen auf beiden Seiten sind eher die Regel als die Ausnahme, heilen aber meistens nach gewisser Zeit.

In manchen Familien ist diese Entwicklung jedoch belastet:

Familiäre Loyalität

Grundsätzlich können wir beobachten, dass es trotz aller Konflikte den großen Wunsch gibt, dass die Beziehung gelingt. Sicher auch aus praktischen Gründen, damit die Großeltern als Hilfe zur Verfügung stehen, zweitens mit dem Wunsch, dass die eigenen Kinder Kontakt zu den Großeltern haben und drittens, weil eine gute Beziehung zu den eigenen Eltern gerade rund um die Geburt des Kindes bewusst und unbewusst eine tiefe Sehnsucht der Mutter und des Vaters ist.

Systemisch betrachtet geraten Hebammen rund um die Geburt in ein komplexes Gefüge:

  • Die Großeltern sind nicht präsent, können oder wollen nicht helfen. Das kann bei den jungen Eltern – verstärkt bei der Mutter – eine tiefe Lücke klaffen lassen und schafft ein Gefühl der Verlassenheit, Trauer und Sehnsucht.
  • Die Großeltern sind emotional gleichgültig oder gar feindselig gegenüber dem Baby, der (Schwieger-)Tochter, dem (Schwieger-)Sohn. Das verletzt tief. Häufig aktiviert dieses Verhalten der Großeltern auch frühere Erfahrungen der Eltern und weckt ungute Erinnerungen an Gefühle aus der eigenen Kindheit.
  • Vater und Mutter des Neugeborenen bewerten das Verhalten der Großeltern unterschiedlich. Das kann zu Spannungen zwischen den Eltern führen. Die Loyalität gegenüber der Partnerin/dem Partner tritt in Konkurrenz zu der Loyalität gegenüber den eigenen Eltern.
  • Die Großeltern mischen sich massiv ein: Schon mit der Erwartung der Elternschaft an sich, mit der Wahl des (Nach-)Namens, zu allen nur denkbaren Themen der Ernährung, Pflege und Erziehung. Das erfordert von den jungen Eltern, die Balance zu finden zwischen den eigenen Vorstellungen und der manchmal massiv vorgetragenen Meinung der Älteren.
  • ein Baby
  • seine Mutter und sein Vater
  • die Mutter als Frau, der Vater als Mann, beide als Paar
  • Mann und Frau sowohl als Erwachsene als auch als Kinder ihrer Eltern
  • die Großeltern als Oma und Opa, als Mann und Frau im reifen Lebensalter mit ganz eigenen Entwicklungsaufgaben, als Paar, als Mutter und Vater ihrer nun erwachsenen Tochter/ihres Sohnes, als die junge Mutter/der junge Vater, die sie selbst einmal waren, als Kinder ihrer Eltern.

So betrachtet, herrscht ein ziemliches Gedränge in der Wohnung der jungen Familie: Viele unterschiedliche Erfahrungen, Gefühle, Erwartungen, Hoffnungen, Ängste, alte und neue Konflikte treffen hier aufeinander und zwei verschiedene Familienkulturen. Zudem sind da unterschiedlich ausgeprägte Bedürfnisse nach Verbundenheit, Wärme und Nähe und in der Regel eine große Loyalität der jungen Eltern gegenüber ihren eigenen Eltern und vielleicht Fremdheit gegenüber der Familie des Partners/der Partnerin.

Nur das Baby im Zentrum dieses Bildes ist erstmal ganz bei sich und für sich. Es kann sich von allen Seiten wohl behütet und geborgen fühlen und hat kein Bewusstsein über die Macht, die sein Erscheinen auf alle Beteiligten und ihre Beziehung untereinander hat.

Großeltern als Caregiver

Eine Studie von Mara Barschkett und ihren Kolleginnen für das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigt, dass Großmütter und Großväter für junge Familien eine große Ressource sind, entweder ganz praktisch in der Übernahme von Care-Arbeit oder zumindest emotional (BiB, 2022). Ein Drittel der in der Studie befragten Eltern wünscht sich mehr Nähe und Hilfe durch die Großeltern. Die Betreuung durch die Großeltern erfolgt in der Regel zusätzlich zu Krippe, Kita und Schule.

Eingeschränkt wird das Engagement der Großeltern durch eigene Berufstätigkeit, durch die Entfernung zwischen den Wohnorten, durch Alter und Gebrechlichkeit und natürlich durch persönliche Entscheidungen der Eltern oder/und der Großeltern, keine Hilfe anzubieten oder anzunehmen oder den Kontakt ganz zu meiden (BiB, 2022).

Das Bild der alten Generation, die den Winter auf Mallorca verbringt und den Sommer auf Sylt oder sich ausschließlich ihrer Hobbys widmet, lässt sich so nicht halten. Wie in vielen Bereichen wird auch hier die Care-Arbeit im öffentlichen Diskurs geringgeschätzt und wenig wahrgenommen.

Immerhin sagen die befragten Eltern, dass 60 % der Omas und 40 % der Opas im Notfall, regelmäßig oder bei Bedarf die Betreuung der Enkelkinder übernehmen (BiB, 2022).

Großeltern erleben also häufig eine zweite Familienphase. Manchmal ist es eine bewusste Wahl, häufig ergibt es sich so, vor allem, wenn die Mutter berufstätig ist. Großeltern fungieren als Feuerwehr oder als Ständige Vertretung (Mahne & Klaus, 2017).

Was kann die Hebamme beitragen?

Wenn eine Hebamme jetzt denkt, »Das interessiert mich eigentlich nicht, ich bin für Mutter und Kind da«, sollte sie sich vor Augen führen: Jede investierte Zeit kann Störfaktoren beseitigen oder zumindest lindern, die schon zu Beginn, aber auch auf lange Sicht das Verhältnis der Generationen belasten können. Ganz unmittelbar kommt es häufig zu Stress im Wochenbett mit den bekannten Folgen, wie Mastitis, Unruhe oder Traurigkeit.

»Wenn Sonntagabend das Telefon klingelt, dann ahne ich schon oft: Milchstau, die Mutter weint oder das Baby schreit untröstlich. Die Großeltern waren da.« (Hebamme, Kleinstadt Süddeutschland)

»Es ist so traurig, wenn die junge Mutter sich so sehr nach ihrer Mutter sehnt. Wenn die Tränen erst einmal fließen, dann wird es schon besser. Da kann ich nur zuhören.« (Hebamme, Berlin)

Wochenbett
Großmütter und Eltern fragen
An die Mutter (den Vater):

  • Was wünscht du dir von deiner Mutter/ deinem Vater?
  • Ist das halbwegs realistisch? Können sie das leisten? Wollen sie es?
  • Wie wünschst du dir den Kontakt?
  • Wie oft, wie lange?
  • Wie gehst du mit (ungebetenen) Ratschlägen um?

An die Großmutter:

  • Was wünscht du dir von deiner Mutter/ deinem Vater?
  • Ist das halbwegs realistisch? Können sie das leisten? Wollen sie es?
  • Wie wünschst du dir den Kontakt?
  • Wie oft, wie lange?
  • Wie gehst du mit (ungebetenen) Ratschlägen um?
  • Wie haben Sie das damals gemacht? Aus welchem guten Grund?
  • Wie ist es Ihnen damit gegangen? Wie denken Sie heute darüber?
  • Was denken Sie darüber, wie Ihre Tochter/Schwiegertochter mit dem Kind umgeht?
  • Möchten Sie ein paar Informationen darüber, warum wir heute anders denken, beispielsweise über das Stillen?

Ein starkes Band

Meistens sind es die Großmütter, die für ihre Töchter und Schwiegertöchter emotional relevant sind. Frauen schildern ihr Erleben als Großmutter und als junge Mutter und als Fachfrauen in unterschiedlichen sozialen Kontexten.

Die Perspektive der Mutter

»Als mein Sohn geboren wurde und meine Mutter kam, fühlte ich einen warmen Strom der Liebe. Ich fühlte mich eingerahmt zwischen meiner Mutter und meinem Kind. Ich dachte: Wir haben jetzt beide einen kleinen Nico. Das war ein zartes, zauberhaftes Gefühl.« (Regula, 68 Jahre)

»Es hat mich gewundert, dass meine Mutter die lange Reise auf sich genommen hat, um mich und meine Tochter nach der Geburt zu besuchen. Und als Mia schrie, als sie sie auf dem Arm hatte, habe ich mich fast ein wenig gefreut.« (Christa, 32 Jahre, erstes Kind)

»Ich war so stolz, meinen Eltern mein wunderhübsches Kind zeigen zu können. Guckt mal, das ist meins, habe ich gedacht.« (Anna, 28 Jahre)

Das Erleben der Großmutter

Zunächst gilt die Sorge der Großmutter der eigenen Tochter:

»Sie hat es geschafft! Es fallen mir zentnerschwere Steine vom Herzen. Ich bin so froh!« (Paula, 56 Jahre)

»Meine Tochter war so stark. Ich habe sie bewundert.« (Nora, 56 Jahre)

»Mein erster Gedanke war: Was hat dieses kräftige Baby meinem zarten Kind angetan?« (Rita, 70 Jahre)

Die Gefühle der Oma zum Baby

»Da ist so ein starker Strom der Liebe, der Zugehörigkeit.« (Barbara, 65 Jahre)

»Ich empfand sofort eine starke Liebe zu diesem zarten Wesen. Ich schloss es in mein Herz und wünschte ihm alles Glück dieser Erde. Ich würde alles tun, um es zu beschützen.« (Dorothee, 58 Jahre)

Das Wochenbett

In den Wochen und Monaten nach der Geburt findet sich die junge Familie nach und nach in ihre neue Situation. Vieles ist noch neu, muss erfahren und erprobt werden. Noch steht – im günstigen Fall – eine Hebamme als Begleiterin an der Seite der Mutter. Und im besonders günstigen Fall fühlt sich die Mutter von ihrer Mutter oder/und Schwiegermutter bemuttert und kann so unterstützt ihren eigenen Weg finden.

»Meine Mutter war immer da, wenn ich sie brauchte. Sie hat für uns Lieblingsessen gekocht, hat manchmal das Baby gewickelt und sich über alles gefreut. Als diese Zeit vorbei war, hat sie mir manchmal gefehlt, aber es war auch gut, wieder unabhängig zu werden.« (Meike, 34 Jahre)

Oft sind die Gefühle jedoch ambivalenter:

»Es war schon toll, dass meine Mutter da war und so viel auch mit der Großen gemacht hat. Aber es war auch komisch, sich so klein und hilfsbedürftig zu fühlen.« (Marie, 35 Jahre, zweites Kind)

»Ich habe so schreckliches Heimweh und Sehnsucht nach meiner Mutter.« (Claudia, 28 Jahre, ihre Mutter lebt in Polen)

Die Gefühle im Wochenbett schlagen hohe Wellen auf beiden Seiten. Die junge Frau schwankt zwischen Regression und dem Wunsch nach Souveränität, sie fühlt sich gleichzeitig ganz groß und erwachsen und klein und schutzbedürftig. Die ältere fällt vielleicht zurück in die Mutterrolle gegenüber ihrer Tochter und beginnt, Regie zu führen. Gleichzeitig kommt sie in Kontakt mit ihren Erinnerungen an ihre eigenen frühe Mutterzeit und die damit verbundenen Gefühle und läuft Gefahr, unreflektiert ihre Erfahrungen zu übertragen. Auch auf der praktischen Ebene erweist sich das als problematisch, weil heute möglicherweise vieles so anders ist als vor 30 Jahren.

»Meine Schwiegertochter lässt das Kind so lange weinen. Ich würde es so gern hochnehmen, aber sie hat im Internet gelesen, dass man das nicht soll.« (Olga, 58 Jahre)

Auch so kann es gehen. Neben dem Klischee der Oma, die sagt: »Weinen stärkt die Lungen« gibt es viele andere Varianten unterschiedlicher Ansichten zwischen Mutter und Oma.

Das Stillen

Ein Konfliktfeld ist häufig das Stillen. Jede junge Frau hat ihre Vorstellungen davon, wie sie ihr Kind ernähren möchte. Wenn es dann aber Schwierigkeiten gibt, ist die ältere Frau oft rasch dabei, guten Rat aus ihrer Erfahrung zu geben: »Bei mir hat es auch nicht geklappt. Seitdem ich die Flasche gegeben habe, ging alles leichter«.

Ihre gute Absicht dabei wird sein, ihrer Tochter das Leben zu erleichtern. Manchmal mag es aber so sein, dass der Stillerfolg der Tochter im Nachhinein fast wie eine Kritik an ihrer damaligen Lösung erscheint und unterschwellig schmerzhafte Gefühle wie Bedauern oder gar Neid auslöst.

Häufig ist der älteren Frau in Vergessenheit geraten, wie fragil die ersten Wochen sich anfühlen und sie hat nur das Gefühl: »Bei mir war es nicht so kompliziert.« Sie erinnert sich häufig erst an die Babyzeit etwa ab dem vierten Monat.

Die junge Mutter kann im besten Fall die Äußerungen ihrer Mutter zur Kenntnis nehmen, prüfen, ob davon etwas für sie passt, und den Rest zu Seite legen. Doch aufgrund mangelnder eigener Erfahrung, der tiefen Loyalität und der Neigung zur Regression im Wochenbett fällt ihr das vielleicht schwer. Sie fühlt sich verunsichert, ärgert sich über Bevormundung, gerät in einen inneren Konflikt. Sie will und muss den eigenen Weg finden und gleichzeitig die Beziehung zu ihrer Mutter nicht gefährden. Und vielleicht hat die erfahrene Frau ja auch recht?

Nähe und Distanz im weiteren Verlauf

Die Balance aus Nähe und Distanz zwischen den Generationen wird jetzt ganz neu ausgehandelt und verschiebt sich im Lauf der Entwicklung immer wieder. Da sind Momente der Nähe, des Vertrauens und der liebevollen Fürsorge sowie Momente, in denen Abgrenzung notwendig ist. Die junge Frau wird selbstbewusster und wehrt sich gegen Einmischung.

Susanne Hofmeister, vier Söhne, beschreibt in ihrem Buch »Mein Lebenshaus hat viel Räume«, wie sie selbst voller Begeisterung ihre Meinung zu Wollunterwäsche, Schnuller und anderem mehr ihrer Schwiegertochter mitgeteilt hat. Diese antwortete:

»›Weißt du Susanne, du hattest vier Mal die Möglichkeit, deine ganz eigenen Erziehungsvorstellungen zu leben. Du verstehst doch sicher, dass ich das jetzt auch möchte.‹ Das saß! Wie recht sie hatte, dachte ich im dritten (!) Moment und wie gut, dass sie mir das so offen gesagt hat.« (Hofmeister, 2020, S. 213)

Welch ein Glück, wenn das Aushandeln der Autonomie so klar und ohne Feindseligkeit ablaufen kann. Häufig ist es deutlich verzwickter.

Es kann gelingen, wenn beide Seiten ihre eigenen Gefühle und Wünsche wahrnehmen und sie auf eine respektvolle Weise äußern. Es gelingt leichter auf der Basis grundsätzlichen Wohlwollens, mit Respekt vor der Sichtweise der anderen Seite und dem Wunsch, gut miteinander auszukommen.

Dennoch gibt es unausweichlich Situationen, in denen die Emotionen hochkochen und sich erst einmal beruhigen müssen. Das braucht manchmal etwas Zeit und geschieht oft erst im dritten oder vierten Moment, vielleicht erst nach ein paar Tagen.

Auch die Großmütter/Großeltern machen die Erfahrung, dass es notwendig ist, sich abzugrenzen. Da geht es zunächst darum, nicht jede Gefühlsregung der eigenen Kinder tief mitzuempfinden und sich nicht anstecken zu lassen von der Achterbahn der Emotionen im Wochenbett oder beispielsweise bei den ersten Infekten des Babys. In den kommenden Jahren ist es darüber hinaus notwendig, dass die Großeltern eine Balance finden zwischen den Wünschen und Bedürfnissen der jungen Familie und den eigenen Kräften oder Möglichkeiten sowie den eigenen Lebensaufgaben im Alter.

»Meine Eltern tun alles für Malte. Ich bin mit ihm in ihr Haus gezogen und arbeite wieder. Jetzt nach einem Jahr wird es ihnen zu viel. Noch gibt es keine Lösung.« (Katrin, 32 Jahre,alleinerziehend, erstes Kind, zwei Jahre)

»Es ist mir zu viel, wenn sie längere Zeit bei uns sind und ich alle versorge, aber ich kann mich den Wünschen der Töchter heute ebenso wenig erwehren wie früher. Ich möchte doch, dass es ihnen gut geht, sie sind so erschöpft.« (Rita 70 Jahre, drei Töchter vier Enkelkinder)

Hebamme und Großmutter

Die Hebamme sieht sich im Wochenbett, manchmal schon in der Schwangerschaft, einigen typischen Konflikten gegenüber. Sie erlebt möglicherweise die Großmutter als übergriffig. Der erste Impuls mag sein, die junge Mutter vor den »Alten« zu schützen und sie darin zu bestätigen, den Kontakt einzuschränken oder abzubrechen oder der Oma deutlich die Meinung zu sagen, vor allem, wenn die Ansicht der Oma und die der Hebamme sachlich weit auseinanderliegen.

Es ist allerdings zu bedenken, dass in der Regel die junge Familie gern mit den Eltern im Frieden sein möchten. Dass sie die emotionale und auch materielle Zuwendung der Großeltern manchmal dringend benötigen, auch wenn es vielleicht wenig ist, was die Großeltern zu geben haben.

Die Loyalität, die Kinder bis ins Erwachsenenalter mit ihren Eltern verbindet, ist ein mächtiger Wirkfaktor. Die Ambivalenz der Gefühle kann dazu führen, dass die junge Mutter in den Widerstand geht, wenn die Hebamme zu deutlich ihr Unverständnis gegenüber ihrer Mutter äußert.

Die Frau selbst empört sich häufig heftig, aber wenn jemand anders etwas Kritisches sagen würde – sei es ihr Mann oder die Hebamme, würde sie sofort ihre Mutter verteidigen. Dennoch ist sie vielleicht dankbar, wenn die Hebamme ihr hilft, sich darüber klar zu werden, wie und wann sie ihre Mutter oder Schwiegermutter sehen möchte und wie sie Wünsche an die Oma ihres Kindes formulieren kann.

Hier ist Allparteilichkeit gefragt. Mit dieser Haltung kann beiden Seiten Respekt und Wertschätzung entgegengebracht werden und es wird vermieden, einseitig Position zu beziehen.

In der Sache (zum Beispiel: Wie häufig/wie lange soll das Kind angelegt werden?) bleibt die Meinung der Hebamme klar. Sie kann aber gleichzeitig Verständnis dafür äußern, dass die Großmutter aus ihren Erfahrungen heraus eine andere Ansicht vertritt.

»Ich wünschte mir, dass die Hebamme versteht und respektiert, dass die ältere Generation aus einer bestimmten historischen Situation heraus gehandelt hat, auch wenn wir heute vieles anders sehen.« (Monika, 60 Jahre, Therapeutin)

Großmütter können sich verunsichert und kritisiert fühlen, wenn die junge Frau vieles anders macht als sie selbst damals, beispielsweise beim Stillen: »Ich konnte ja nicht stillen.« Wenn heute die junge Mutter stillt, kann das Bedauern oder gar Neid auslösen oder die unangenehme Frage: Hätte ich es vielleicht damals doch gekonnt?

Damit diese Gefühle nicht untergründig zu Spannungen führen, ist es oft letztlich ökonomisch, sich einmal die Zeit dafür zu nehmen und die Gefühle anzusprechen. Dabei geht es um die Würdigung der Großmutter. Vermutlich hat auch sie als junge Mutter es so gut gemacht, wie es ihr damals möglich war, und ein (kurzes) Gespräch hilft ihr, Frieden damit zu schließen. Das bedeutet nicht, dass die Vorschläge der Großmutter heute noch passend sind.

Eine sehr erfahrene Kollegin hat vorgeschlagen, dass bei einem Wochenbettbesuch die Oma dabei ist. Sie hat die Ältere dazu aufgefordert, ihr Fragen zu stellen und konnte ihr direkt die passenden Informationen geben. Die junge Mutter konnte entspannt zuhören und brauchte selbst nicht in die Diskussion zu gehen. Diese drei Generationen werden noch lange und hoffentlich gut miteinander auskommen.

Es kann erhellend für die Hebamme sein, wenn sie einmal für sich selbst reflektiert: Wie stehe ich zu Großmüttern? Was habe ich erlebt? Was hätte ich mir gewünscht? Wenn die Hebamme etwas Gutes für die Mutter tun will, versucht sie zum gegenseitigen Verständnis der Generationen beizutragen.

Zitate

Für diesen Artikel hat Margarita Klein viele Gespräche mit Müttern, Großmüttern und Fachfrauen geführt. Die Zitate stammen aus ihren Interviews, aus ihrer Zeit als Hebamme und aus den Beratungsgesprächen, die sie als Familien- und Paartherapeutin geführt hat.

Zitiervorlage
Klein, M. (2023). Feuerwehr oder Ständige Vertretung? Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (2), 36–41.
Literatur
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)/Barschkett, M., Gambaro, L., Schäper, C., Spieß, K., Ziege, E. (2022). »Veränderungen in der Enkelbetreuung – Wohlbefinden von Eltern – Wohlergehen von Kindern« BiB 2022. DOI: 10.12765/bro-2022–01.

Bünning, M. (2022). Großeltern in Deutschland: Befunde des Deutschen Alterssurveys (DEAS) 2008–2020/21, Deutsches Zentrum für Altersfragen, 25. August 2022, www.dza.de.

Hofmeister, S. (2020). Mein Lebenshaus hat viele Räume. Kösel-Verlag, München.

Hrdy, S. B. (2010). Mutter Natur. Die weibliche Seite der Evolution, Berlin Verlag, Berlin.

Mahne, K., & Klaus, D. (2017). Zwischen Enkelglück und (Groß-)Elternpflicht – die Bedeutung und Ausgestaltung von Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkindern. In: Mahne K., Wolff, J., Simonson J., Tesch-Römer C. (Hrsg.). Altern im Wandel. Springer VS, Wiesbaden. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-12502-8_15

Schmid, W. (2016). Von den Freuden der Eltern und Großeltern. Insel-Verlag, Berlin.

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