Nähe und Distanz im weiteren Verlauf
Die Balance aus Nähe und Distanz zwischen den Generationen wird jetzt ganz neu ausgehandelt und verschiebt sich im Lauf der Entwicklung immer wieder. Da sind Momente der Nähe, des Vertrauens und der liebevollen Fürsorge sowie Momente, in denen Abgrenzung notwendig ist. Die junge Frau wird selbstbewusster und wehrt sich gegen Einmischung.
Susanne Hofmeister, vier Söhne, beschreibt in ihrem Buch »Mein Lebenshaus hat viel Räume«, wie sie selbst voller Begeisterung ihre Meinung zu Wollunterwäsche, Schnuller und anderem mehr ihrer Schwiegertochter mitgeteilt hat. Diese antwortete:
»›Weißt du Susanne, du hattest vier Mal die Möglichkeit, deine ganz eigenen Erziehungsvorstellungen zu leben. Du verstehst doch sicher, dass ich das jetzt auch möchte.‹ Das saß! Wie recht sie hatte, dachte ich im dritten (!) Moment und wie gut, dass sie mir das so offen gesagt hat.« (Hofmeister, 2020, S. 213)
Welch ein Glück, wenn das Aushandeln der Autonomie so klar und ohne Feindseligkeit ablaufen kann. Häufig ist es deutlich verzwickter.
Es kann gelingen, wenn beide Seiten ihre eigenen Gefühle und Wünsche wahrnehmen und sie auf eine respektvolle Weise äußern. Es gelingt leichter auf der Basis grundsätzlichen Wohlwollens, mit Respekt vor der Sichtweise der anderen Seite und dem Wunsch, gut miteinander auszukommen.
Dennoch gibt es unausweichlich Situationen, in denen die Emotionen hochkochen und sich erst einmal beruhigen müssen. Das braucht manchmal etwas Zeit und geschieht oft erst im dritten oder vierten Moment, vielleicht erst nach ein paar Tagen.
Auch die Großmütter/Großeltern machen die Erfahrung, dass es notwendig ist, sich abzugrenzen. Da geht es zunächst darum, nicht jede Gefühlsregung der eigenen Kinder tief mitzuempfinden und sich nicht anstecken zu lassen von der Achterbahn der Emotionen im Wochenbett oder beispielsweise bei den ersten Infekten des Babys. In den kommenden Jahren ist es darüber hinaus notwendig, dass die Großeltern eine Balance finden zwischen den Wünschen und Bedürfnissen der jungen Familie und den eigenen Kräften oder Möglichkeiten sowie den eigenen Lebensaufgaben im Alter.
»Meine Eltern tun alles für Malte. Ich bin mit ihm in ihr Haus gezogen und arbeite wieder. Jetzt nach einem Jahr wird es ihnen zu viel. Noch gibt es keine Lösung.« (Katrin, 32 Jahre,alleinerziehend, erstes Kind, zwei Jahre)
»Es ist mir zu viel, wenn sie längere Zeit bei uns sind und ich alle versorge, aber ich kann mich den Wünschen der Töchter heute ebenso wenig erwehren wie früher. Ich möchte doch, dass es ihnen gut geht, sie sind so erschöpft.« (Rita 70 Jahre, drei Töchter vier Enkelkinder)
Hebamme und Großmutter
Die Hebamme sieht sich im Wochenbett, manchmal schon in der Schwangerschaft, einigen typischen Konflikten gegenüber. Sie erlebt möglicherweise die Großmutter als übergriffig. Der erste Impuls mag sein, die junge Mutter vor den »Alten« zu schützen und sie darin zu bestätigen, den Kontakt einzuschränken oder abzubrechen oder der Oma deutlich die Meinung zu sagen, vor allem, wenn die Ansicht der Oma und die der Hebamme sachlich weit auseinanderliegen.
Es ist allerdings zu bedenken, dass in der Regel die junge Familie gern mit den Eltern im Frieden sein möchten. Dass sie die emotionale und auch materielle Zuwendung der Großeltern manchmal dringend benötigen, auch wenn es vielleicht wenig ist, was die Großeltern zu geben haben.
Die Loyalität, die Kinder bis ins Erwachsenenalter mit ihren Eltern verbindet, ist ein mächtiger Wirkfaktor. Die Ambivalenz der Gefühle kann dazu führen, dass die junge Mutter in den Widerstand geht, wenn die Hebamme zu deutlich ihr Unverständnis gegenüber ihrer Mutter äußert.
Die Frau selbst empört sich häufig heftig, aber wenn jemand anders etwas Kritisches sagen würde – sei es ihr Mann oder die Hebamme, würde sie sofort ihre Mutter verteidigen. Dennoch ist sie vielleicht dankbar, wenn die Hebamme ihr hilft, sich darüber klar zu werden, wie und wann sie ihre Mutter oder Schwiegermutter sehen möchte und wie sie Wünsche an die Oma ihres Kindes formulieren kann.
Hier ist Allparteilichkeit gefragt. Mit dieser Haltung kann beiden Seiten Respekt und Wertschätzung entgegengebracht werden und es wird vermieden, einseitig Position zu beziehen.
In der Sache (zum Beispiel: Wie häufig/wie lange soll das Kind angelegt werden?) bleibt die Meinung der Hebamme klar. Sie kann aber gleichzeitig Verständnis dafür äußern, dass die Großmutter aus ihren Erfahrungen heraus eine andere Ansicht vertritt.
»Ich wünschte mir, dass die Hebamme versteht und respektiert, dass die ältere Generation aus einer bestimmten historischen Situation heraus gehandelt hat, auch wenn wir heute vieles anders sehen.« (Monika, 60 Jahre, Therapeutin)
Großmütter können sich verunsichert und kritisiert fühlen, wenn die junge Frau vieles anders macht als sie selbst damals, beispielsweise beim Stillen: »Ich konnte ja nicht stillen.« Wenn heute die junge Mutter stillt, kann das Bedauern oder gar Neid auslösen oder die unangenehme Frage: Hätte ich es vielleicht damals doch gekonnt?
Damit diese Gefühle nicht untergründig zu Spannungen führen, ist es oft letztlich ökonomisch, sich einmal die Zeit dafür zu nehmen und die Gefühle anzusprechen. Dabei geht es um die Würdigung der Großmutter. Vermutlich hat auch sie als junge Mutter es so gut gemacht, wie es ihr damals möglich war, und ein (kurzes) Gespräch hilft ihr, Frieden damit zu schließen. Das bedeutet nicht, dass die Vorschläge der Großmutter heute noch passend sind.
Eine sehr erfahrene Kollegin hat vorgeschlagen, dass bei einem Wochenbettbesuch die Oma dabei ist. Sie hat die Ältere dazu aufgefordert, ihr Fragen zu stellen und konnte ihr direkt die passenden Informationen geben. Die junge Mutter konnte entspannt zuhören und brauchte selbst nicht in die Diskussion zu gehen. Diese drei Generationen werden noch lange und hoffentlich gut miteinander auskommen.
Es kann erhellend für die Hebamme sein, wenn sie einmal für sich selbst reflektiert: Wie stehe ich zu Großmüttern? Was habe ich erlebt? Was hätte ich mir gewünscht? Wenn die Hebamme etwas Gutes für die Mutter tun will, versucht sie zum gegenseitigen Verständnis der Generationen beizutragen.
Zitate
Für diesen Artikel hat Margarita Klein viele Gespräche mit Müttern, Großmüttern und Fachfrauen geführt. Die Zitate stammen aus ihren Interviews, aus ihrer Zeit als Hebamme und aus den Beratungsgesprächen, die sie als Familien- und Paartherapeutin geführt hat.