Gut informierte Hebammen sind wichtig für die methodischen Herausforderungen der Plazentaforschung: Welche Proben werden von der Plazenta genommen? Wie werden sie eingesetzt? Und welche Schlussfolgerungen können sie liefern?

Die Plazenta ist das essenzielle temporäre Organ des Kindes während der Schwangerschaft bei höheren Säugetieren. Allerdings finden sich relevante Unterschiede zwischen den Plazenten der einzelnen Spezies auf makroskopischer, zellulärer und auch funktioneller Ebene. Das hat zur Folge, dass Tiermodelle nur bedingt aussagekräftig sind, wenn es um die menschliche Schwangerschaft und Plazenta geht. Insbesondere bei Pathologien wie der Präeklampsie, einer (fast) rein menschlichen Problematik, ist der Zugang zu humanem Gewebe für die Forschung entscheidend.

Die Frage, welche Untersuchungsmethoden für Plazentagewebe verwendet werden, lässt sich pauschal schwer beantworten und hängt vom jeweiligen Forschungsprojekt ab. Es gibt jedoch gängige Methoden, bei denen Plazenta-, Nabelschnurgewebe und -blut genutzt werden. Je nach Methode werden wenige Plazentazotten bis zu ganzen Plazenten verwendet. Nachfolgend werden exemplarisch ein paar Methoden kurz dargestellt:

 

Abbildung 1: Schema eines beidseitigen Ex-vivo-Plazenta- Perfusions-Experiments. Links oben ist der Aufbau des mütter­lichen Kreislaufs zu sehen, oben die Pumpe, die die mütterliche Nährlösung (im Becherglas) über Schläuche in den intervillösen Raum des mütterlichen Plazentabereichs und zurück in das Becherglas pumpt. Gleich verhält es sich rechts unten im fetalen Kreislauf. Hier werden die Kanülen in fetale Gefäße gesteckt. Die roten Schläuche stellen sauerstoffreiche Nährlösung dar, die blauen sauerstoffarme. Die Drei-­Wege-Hähne symbolisieren Probennahmestellen. Rechts oben ist ein Analysegerät dargestellt, unten die gewonnenen Proben in den Reaktionsgefäßen.

Quelle: Gruber et al., 2020

Ex-vivo-Plazenta-Perfusion

Eine Methode, bei der häufig die gesamte Plazenta benötigt wird, ist die Ex-vivo-Plazenta-Perfusion. Dabei werden im Labor künstlich ein oder beide Blutkreisläufe von Mutter und Fetus durch Pumpen und Schläuche nachgebildet. So kann die Plazenta über mehrere Stunden sehr lebensnah für Versuche genutzt werden. Die Experimente werden oft für Studien eingesetzt, die die Plazentagängigkeit von Chemikalien, Medikamenten oder Materialien untersuchen sollen (Video: siehe Link; siehe auch Seite 40ff.). Der Vorteil dieser Studien ist, dass sie weder Mutter noch Fetus gefährden und wichtige Daten zur Plazentaschranke im dritten Trimenon liefern.

Abbildung 1 zeigt ein Schema einer beidseitigen Ex-vivo-Plazenta-Perfusion. Hierbei wird ein intakter Plazentabereich ausgewählt und der mütterliche Kreislauf wird durch Kanülen simuliert, die durch die Dezidua führen und im intervillösen Raum enden. Der fetale Kreislauf wird durch das Platzieren von Kanülen in der dazugehörigen Arterie und Vene des Bereichs gewährleistet. Als mütterliches und fetales »Blut« fungieren spezielle Nährlösungen. Diese werden durch zwei Pumpen, die die Funktion der Herzen übernehmen, durch den intervillösen Raum beziehungsweise das plazentare Gefäßsystem im Plazentabereich gepumpt. Die Qualität des Experiments kann durch die Überwachung von Kontrollmarkern, Glukose und des Gastransports über die Plazenta überprüft werden. Anschließend können Substanzen dem mütterlichen Kreislauf hinzugefügt werden, um herauszufinden, ob diese über die Plazenta in den kindlichen Kreislauf gelangen.

Abbildung 2: Darstellung einer Plazentaexplantat­kultur im Fluss. A: Das Innere des Bioreaktors, in dem Temperatur und Gase kontrolliert werden. Im Bio­reaktor ist ein kompletter Durchflusszyklus aufgebaut, der das Reservoir, die Schläuche und die Durchflusskammern sowie die Peristaltik-Pumpe zeigt. B: Plazentaexplantate mit etwa 5 mm Durchmesser werden in Durchflusskammern für die Flussversuche verwendet.

Verändert und übersetzt aus: Kupper et al., 2021

Plazentaexplantatkulturen

Eine andere Methode sind Plazenta­explantatkulturen (Explantate), die häufig für Untersuchungen des Trophoblasten verwendet werden. Trophoblasten sind verantwortlich für die plazentare Grenzfläche zum mütterlichen Blut, für die Verankerungsfläche im Uterus und den Umbau der mütterlichen Gefäße und Drüsen im Uterus. Der Gefäßumbau kann bei fetaler Wachstumsrestriktion (FGR) beeinträchtigt sein.

Bei Explantaten werden einzelne Plazenta-Zottenbäume isoliert und in Nährlösungen unter biologisch relevanten Umgebungsbedingungen weiter am Leben erhalten. Die Explantate können freischwimmend oder an speziellem Untergrund anhaftend, mit oder ohne Fluss der Nährlösung kultiviert werden. Abbildung 2 zeigt ein Experiment, in dem Explantate in einem Fluss-System kultiviert werden. Explantate enthalten alle Zelltypen der Plazentazotten, was sowohl die Stärke als auch die Schwäche der Methode ist. Die Anwesenheit aller Zelltypen ermöglicht relevantere Ergebnisse als die Untersuchung einzelner Zellen, verhindert jedoch die klare Zuordnung eines beobachteten Effekts zu einem spezifischen Zelltyp.

Abbildung 3: Elektronenmikroskopisches Bild einer Plazentazotte am Termin. Die Probe wurde wenige Minuten nach der Geburt gewonnen und in Fixierlösung überführt. Die dunklen Flecken im oberen Drittel sind mütterliche Erythrozyten (A). Darunter sieht man den Synzytiotrophoblasten (B), der in direktem Kontakt mit mütterlichem Blut steht. An seiner Außenseite (Richtung mütterliches Blut) erkennt man die Ausstülpungen der synzytialen Membran (Mikrovilli), die für eine Oberflächenvergrößerung und damit verbesserte Aufnahme von Nährstoffen zuständig sind. In der Mitte ist ein Plazentagefäß (C) zu sehen, das ein fetales weißes Blutkörperchen (D) enthält. Darunter befinden sich das Zotten-Bindegewebe (E) und Bindegewebszellen (F). Die Gewebequalität in diesem Bild ist sehr gut, die Struktur ist nicht gestört und viele Details sind in allen Zell­typen deutlich erkennbar.

Quelle: Michael Gruber, Lehrstuhl für Zellbiologie, Histologie und Embryologiean der Medizinischen Universität Graz

Isolierte Zellen

Biologische Prozesse werden auch mit isolierten Zellen aus der Plazenta oder der Nabelschnur untersucht. Beispiele von Thesen, die mit isolierten Zellen überprüft werden, sind die Entwicklung der Plazenta, die Implantation der Plazenta in den Uterus, Wechselwirkungen des mütterlichen Immunsystems mit Zellen aus der Plazenta, die Entwicklung der Blutgefäße in der Plazenta und viele weitere Fragestellungen. Zu den fetalen Zellen gehören alle Unterarten des Trophoblasten, Endothelzellen (Blutgefäß) der Plazenta und der Nabelschnur, plazentare Makrophagen (Hofbauer-Zellen) sowie alle Unterarten der plazentaren Bindegewebszellen.

Endothelzellen sind die innere Auskleidung der fetalen Blutgefäße und stellen den fetalen Rand der Plazentaschranke dar. Endothelzellen aus der Nabelschnur werden als gängiges Modell genutzt, nicht nur in der Schwangerschafts- und Plazentaforschung, sondern auch in der Arteriosklerose-Forschung.

Abbildung 4: Elektronenmikroskopisches Bild einer Plazentazotte am Termin. Die Probe wurde mehr als 12 Stunden bei 4°C gelagert, bevor sie in eine Fixierlösung überführt wurde. Wie in Abbildung 3 sind der intervillöse Raum, das Synzytium, ein plazentares Blutgefäß und das Bindegewebe sichtbar. Der Synzytiotrophoblast (A) ist aufgrund der Aufbewahrung stark geschädigt, erscheint blasig und löst sich von seiner Basalmembran (B) als der Schicht, an der die Trophoblastzellen und das Synzytium verankert sind. Im Inneren des Blutgefäßes (C) finden sich abgestorbene weiße (D) und rote Blutzellen. Die Struktur des Bindegewebes (E) erscheint weniger organisiert, auch die Bindegewebszellen sind stark beeinträchtigt (F). Die meisten wissenschaftlichen Fragestellungen sind mit diesem Gewebe nicht mehr in hoher Qualität zu beantworten.

Quelle: Michael Gruber, Lehrstuhl für Zellbiologie, Histologie und Embryologiean der Medizinischen Universität Graz

In und an der Plazenta befinden sich ebenfalls Immunzellen. Sie stammen zum einen von der Mutter und befinden sich in der Dezidua und zu kleinen Teilen auch im intervillösen Raum. Zum anderen gibt es die fetalen Hofbauer-Zellen, die sich im Stroma der Plazenta befinden. Nach aktuellem Wissensstand sind diese Immunzellen vor allem relevant für die Gefäßbildung in der Plazenta.

Neben diesen Methoden gibt es viele weitere, die weniger spezifisch für die Plazenta sind. Dazu zählen etwa gängige genetische oder metabolische Untersuchungen, die mit jedem anderen Gewebe auch durchgeführt werden.

Gute Kommunikation mit den Hebammen

In unserer Forschung am Lehrstuhl für Zellbiologie, Histologie und Embryologie an der Medizinischen Universität Graz sind wir nur an Plazenten von Lebendgeburten interessiert. Alle unsere Experimente mit ganzen Plazenten starten frühestens ab der 25. Schwangerschaftswoche, das heißt sie beginnen mit der Geburt und damit bei den Hebammen. Diese kümmern sich nicht nur um Mutter und Kind, sondern auch um die Plazenta. Nach allen klinisch relevanten Untersuchungen ist ein geeigneter und möglichst schneller Umgang mit der Plazenta für die Forschung essenziell. Daher ist eine gute und schnelle Kommunikation zwischen Hebammen und Forschenden sehr wichtig, da sie die Qualität der später gewonnenen wissenschaftlichen Daten erheblich beeinflusst. Dazu gehören:

  • Informationen über geplante Kaiserschnitte
  • Information über stationär aufgenommene Patientinnen mit definierten Erkrankungen
  • Kommunikation zur Lage im Kreißsaal (Anzahl der Gebärenden, Erkrankungen usw.)
  • Definierte Daten zu Mutter und Kind erfassen
  • Proben entnehmen oder Forschende informieren, dass eine Geburt stattgefunden hat, damit Proben zeitnah entnommen werden können
  • Kommunikation über verabreichte Medikamente während des Geburtsvorgangs, wenn dies definiert wurde.

 

Wie jedes andere lebende Gewebe reagiert die Plazenta nach der Geburt empfindlich auf Veränderungen in Faktoren wie Gaskonzentrationen, Nährstoffversorgung und Temperatur. Die Qualität des Gewebes nimmt dadurch mit der Zeit ab, wie die Abbildungen 3 und 4 eindrücklich zeigen. Dies ist auf das allmähliche Absterben der Zellen in der Plazenta zurückzuführen. Um Proben möglichst reproduzierbar zu sammeln, gibt es Empfehlungen erfahrener Plazenta-Forscher:innen für eine optimale Vorgehensweise.

Abbildung 5: Matrix zum Probensammeln aus der Plazenta: Die gestrichelten Kreise sollten 1 cm im Durch­messer, die Rechtecke 1 cm x 0,5 cm Kanten­­länge aufweisen.

Quelle:Burton et al. 2014

Empfehlungen für die Probenahme

Zeit ist bei der Probenahme von entscheidender Bedeutung. Deshalb ist es unerlässlich, für die Sammlung von Proben schon im Vorfeld gründlich vorbereitet zu sein. Ein Skalpell eignet sich am besten für die Entnahme größerer Gewebeproben, während kleinere Proben besser mit kleinen Scheren entnommen werden können. Jede Plazenta wird im Voraus untersucht und für die Forschung freigegeben, wenn sie medizinisch unbedenklich ist. Bei uns gibt es eine klare Absprache mit dem Leiter der Geburtshilfe, welche Plazenten und welche Proben zu uns ins Forschungszentrum kommen.

Das Sammeln von zusätzlichen Proben sollte immer angestrebt werden, um spätere Fragestellungen mit dem gleichen Material bearbeiten zu können. Der Zeitpunkt der Probensammlung und -verarbeitung (zum Beispiel Einfrieren, Fixieren) sollte dokumentiert werden, damit unterschiedliche Gewebeproben später bei der Datenauswertung vergleichbar sind.

Glossar

Elektronenmikroskopie ist eine Methode, bei der Objekte durch Elektronenstrahlen vergrößert und sichtbar gemacht werden. Dies ermöglicht Aufnahmen von Objekten, die mit Lichtmikroskopen nicht gesehen oder dargestellt werden können.

Exosomen/Mikrovesikel sind extrazelluläre Vesikel, die in und an Zellen gebildet und nach außen abgegeben werden. Sie enthalten diverse Biomoleküle und spielen eine Rolle bei der Zell-Zell-Kommunikation.

Fixieren beschreibt den chemischen Erhalt von Gewebe im aktuellen Zustand.

Formaldehyd, Paraformaldehyd und Formalin sind das kleinste Aldehyd und dessen Polymere beziehungsweise gepufferte wässrige Lösung. Es wird als Fixiermittel für die Mikroskopie verwendet.

Glutaraldehyd wird als Fixiermittel für die Mikroskopie verwendet.

Histologie ist die Lehre der biologischen Gewebe.

Immunhistochemie ist eine Methode, um mithilfe von Antikörpern definierte Antigene in Zellen und Geweben sichtbar zu machen.

Metabolomik ist die Studie des Stoffwechsels von Zellen, Geweben oder Organismen, in diesem Fall der menschlichen Plazenta.

Rasterelektronenmikroskopie ist eine spezielle elektronenmikroskopische Methode, bei der die Oberfläche eines Objekts mit einem Elektronenstrahl abgetastet wird.

RNAlater ist eine gängige Stabilisierungslösung zum Erhalt von RNA und anderen Biomolekülen in Zell- und Gewebeproben.

Stereologie ist die Lehre der räumlichen Interpretation von zweidimensionalen Schnitten.

Transmissionselektronenmikroskopie ist eine spezielle elektronenmikroskopische Methode, bei der sehr dünn geschnittene Proben (100 nm und weniger) mit einem Elektronenstrahl durchleuchtet werden.

Hier eine Liste der Möglichkeiten von Probenentnahmen von geborenen Plazenten für unterschiedliche Methoden:

  • Fotografie der Plazenta von beiden Seiten neben einem Maßstabsbalken (Lineal)
  • Entnahme von Nabelschnurblut
  • Entnahme einer Rolle der Eihaut von der Rupturstelle bis zum Plazentarand
  • Abschneiden der Eihaut und der Nabelschnur auf 1 cm, wobei die Nabelschnur abzubinden ist und die Plazenta anschließend gewogen wird
  • Plazenta mit der Basalplatte nach oben legen und ein transparentes Raster mit mindestens vier Probenentnahmestellen auflegen (siehe Abbildung 5). Abhängig von der nachfolgenden Methodik erfolgt die weitere Präparation der Plazenta folgendermaßen:
  • Für Metabolomik, RNA, DNA und Protein-Methoden: Abschneiden der Basalplatte an jeder dieser Stellen mit einer Schere. Ausschneiden eines etwa traubengroßen Stückes des freiliegenden Zottengewebes, wobei Bereiche mit offensichtlichen Pathologien ausgelassen werden sollten. Die Stücke gründlich, aber vorsichtig in 4°C kaltem Phosphatpuffer waschen. Daraus werden kleinere Stücke entnommen:
  • Metabolomik: etwa 100 mg, Schockgefrieren in flüssigem Stickstoff
  • RNA: etwa 5 mg, eingetaucht in 1 ml RNAlater (siehe Glossar) für 48 h bei 4°C lagern und anschließend schockgefrieren
  • Proteine und DNA: etwa 50 mg Stücke, schockgefrieren.
  • Für die Elektronenmikroskopie, Immunhistochemie und Gefrierschnitte: Ausschneiden eines etwa 1 cm x 0,5 cm großen Stückes des Plazentagewebes über die gesamte Höhe der Plazenta hinweg, wobei Bereiche mit offensichtlichen Pathologien ausgelassen werden sollten. Die Stücke nicht waschen. Daraus werden kleiner Stücke entnommen:
  • Elektronenmikroskopie: für Transmissionselektronenmikroskopie 1–2 mm³, für Rasterelektronenmikroskopie bis zu 5 mm³, eingetaucht in 2 % Glutaraldehyd (siehe Glossar) und 2 % Formaldehyd bei 4°C für bis zu 12 h fixieren
  • Immunhistochemie: Das große Stück in zwei Hälften teilen (Länge halbieren) und in 4 % Paraformaldehyd bei 4°C für 24 h fixieren
  • Gefrierschnitte: Erbsengroße Probe in Gefrierschnittmedium tauchen und schockgefrieren. Von jeder Probenstelle sollten mindestens vier Stücke entnommen werden (Experiment Wiederholungen). Das Flüssigkeitsvolumen der Aufbewahrungsreagenzien sollte zumindest 10-mal so groß sein wie die Gewebeproben.
  • Angrenzend an jede Probenstelle sollte eine Probe von 1 cm x 0,5 cm durch das ganze Gewebe entnommen werden, unabhängig von einer Pathologie, für die Histopathologie oder Stereologie (siehe Glossar). 12–24h in 10 % gepuffertem Formalin fixieren
  • Verbleibendes Gewebe kann für die Gewinnung von Exosomen/Mikrovesikeln oder die Isolierung von Plazentazellen verwendet werden
  • Zumindest eine Nabelschnurprobe in flüssigem Stickstoff schockgefrieren für die Isolierung und einen 5 mm Querschnitt für 12–24 h in 10 % gepuffertem Formalin für die Histologie fixieren.

Wie auch im klinischen Bereich ist in der Plazentaforschung eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten entscheidend, um Fragen zur Schwangerschaft und damit verbundenen Erkrankungen zum Wohle von Müttern und Kindern künftig beantworten zu können.

» Zeit ist bei der Probenahme entscheidend. Deshalb ist es unerlässlich, gründlich vorbereitet zu sein. «

Nachgefragt

? Birgit Heimbach: Ihre Empfehlungen zu Probenentnahmen klingen sehr zeitaufwendig. Gehört die Probenentnahme direkt zum Tätigkeitsbereich der Hebammen, die ja meist überlastet sind? Gibt es ein spezielles Prozedere in der Uni­klinik Graz?

>>Michael M. Gruber: An unserem Universitätsklinikum gibt es zwei Study Nurses, die ständig im Kreißsaal sind oder in Verbindung stehen. Sollten beide abwesend sein, nimmt eine Hebamme bei der Geburt Kontakt mit den Forscher:innen auf, damit diese im Kreißsaal die Proben gewinnen. Es gibt unterschiedliche Konzepte für die Probenentnahme. Das beschriebene Vorgehen ist ein sehr hohes Ideal, das angestrebt werden sollte, aber sicher nur in wenigen Fällen erreicht wird.

Berthold Huppertz: Die Study Nurses vor Ort stellen die Brücke zwischen klinisch aktiven Hebammen und Forscher:innen dar.

Trotzdem betonen Sie, dass sich auch die Hebammen damit auskennen. Das heißt, sie wissen, wie sie mit den verschiedenen Trägersubstanzen umgehen müssen. Werden sie dafür speziell geschult? Und werden die Substanzen von Ihnen regelmäßig geliefert oder müssen die Hebammen sie bestellen?

Michael M. Gruber: Alle diese Materialien werden von den Study Nurses verwaltet. Die jeweiligen Forschungsprojekte stellen die Materialien zur Verfügung. In unserer Klinik sind die verschiedenen Behälter mit den jeweiligen Lösungen bereits vorberei­tet und deutlich beschriftet oder farblich gekennzeichnet. Wenn es notwendig ist, dass die Hebammen nachts oder am Wochenende Proben entnehmen, gibt es separate Anweisungen dafür.

Führen Sie direkt im Kreißsaal auch Schulungen durch?

Michael M. Gruber: Ja, die Study Nurses werden geschult. Die korrekte Entnahme der Proben und die damit verbundene Kommunikation und Logistik sind nicht zu unterschätzen. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es für die Plazentaforschung von großer Bedeutung ist, ob und wie Hebammen in die Probenentnahme einbezogen werden. Die Methoden und Projekte, die mit der Plazenta durchgeführt werden, sollten im Kreißsaal bekannt sein, und das liegt in der Hand der Forscher: innen. Andernfalls würden die Kommunikation und erst recht die Probenentnahme als unangenehme Zusatzbelastung empfunden. Je nach wissenschaftlicher Fragestellung können schon wenige Minuten entscheidend für die erzielten Ergebnisse sein. Dies ist oft nicht bekannt und führt immer wieder zu Verwunderung darüber, dass die Probenentnahme manchmal sehr schnell erfolgen muss.

Bei Ihnen hat der Kreißsaal offen­sichtlich die Möglichkeit zum Schockgefrieren. Ein stärkeres Eisfach würde also nicht reichen?

Michael M. Gruber: Das Schockgefrieren ist mit einem normalen Eisschrank nicht möglich. Hierfür wird flüssiger Stickstoff verwendet, der in unserem Fall täglich von den Studienkoordinator: innen zum Probenentnahmebereich neben dem Kreißsaal gebracht wird. Personen, die schockgefrieren, sind im Umgang mit flüssigem Stickstoff geschult, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Bekommen Sie Plazenten auch von anderen Kliniken, die keine Möglichkeiten zum Schockgefrieren haben?

Michael M. Gruber: Die Entschei­dung, welches Gewebe in welchem Umfang in die Pathologie geschickt wird, ist klinikspezifisch und kann nicht pauschal beantwortet werden. Für wissenschaftliche Fragestellungen haben die Ärzt:innen auch eigene Projekte, in denen zum Beispiel Plazentagewebe untersucht wird. Wir fokussieren uns auf Plazenten von Geburten in der Uniklinik.

Gibt es für die Hebammen auch andere Tätigkeiten in Ihrer Plazentaforschung als das reine Sammeln der Proben?

Michael M. Gruber: Es gibt andere Fachgebiete wie die Epidemiologie oder die Pädiatrie, in denen Hebammen ebenfalls Aufgaben übernehmen können, weil während der Schwangerschaft andere Daten erhoben oder Methoden durchgeführt werden.

Heimbach: Vielen Dank für diesen Einblick in die Praxis!

Zitiervorlage
Gruber, M. & Huppertz, B. (2025). Plazentaforschung: Vom Gewebe zur Erkenntnis. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 77 (1), 18–23.
Literatur
Burton, G. J., Sebire, N. J., Myatt, L., Tannetta, D., Wang, Y. L., Sadovsky, Y., Staff, A. C., & Redman, C. W. (2014). Optimising sample collection for placental research. Placenta, 35(1), 9–22. https://doi.org/10.1016/j.placenta.2013.11.005

Gruber, M. M., Hirschmugl, B., Berger, N., Holter, M., Radulović, S., Leitinger, G., Liesinger, L., Berghold, A., Roblegg, E., Birner-Gruenberger, R., Bjelic-Radisic, V., & Wadsack, C. (2020). Plasma proteins facilitates placental transfer of polystyrene particles. Journal of nanobiotechnology, 18(1), 128. https://doi.org/10.1186/s12951-020-00676-5)

Huppertz, B., Schleußner, E. (2018). Die Plazenta, Springer . https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-55622-1

Kupper, N., Pritz, E., Siwetz, M., Guettler, J., & Huppertz, B. (2021). Placental Villous Explant Culture 2.0: Flow Culture Allows Studies Closer to the In Vivo Situation. International journal of molecular sciences, 22(14), 7464. https://doi.org/10.3390/ijms22147464

https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png