Passiert im medizinischen Kontext ein Fehler, kann dies immer potenziell schlimme Folgen haben. Umso wichtiger ist es, im stressigen und zehrenden Berufsalltag Vorkehrungen zu treffen, um das Fehlerpotenzial möglichst gering zu halten. Wie schnell etwas schief gehen kann, zeigt eine Fallgeschichte.

Eine Fallgeschichte: Es ist ein Nachtdienst im August, das Morgenlicht drängt sich schon deutlich durch die Fenster und zehn der zwölf Dienststunden sind bereits geschafft. Der Dienst ist nicht hektisch, aber in der gemischten geburtshilflichen Abteilung sind genügend frischgebackene Familien zu versorgen, sodass man auch nicht von einer ruhigen Nacht sprechen kann. Die Müdigkeit zieht durch unsere Knochen, aber der Dienstwechsel naht.

Adressen und Anlaufstellen
  • ritical Incident Reporting-System (CRIS): Anonymes Berichts- und Lernsystem, welches ermöglicht, aus den kritischen Ereignissen und Fehlern anderer zu lernen > CIRS medical.de.
  • Fälle für alle: > fälle-für-alle.org
  • Für ärztlich bedingte Fälle: > https://www.aezq.de/patientensicherheit/cirs/
  • PSU-Helpline für Psychosoziale Unterstützung: Telefonische Beratung bei besonderen Belastungssituationen und schwerwiegenden Ereignissen > www.psu-helpline.de
  • »Entre nous« – Unter uns!: Renate Egelkraut, Hebamme aus Köln, hat einen belastenden Schadensfallprozess erlebt und möchte eine Gruppe gründen: »Entre nous« – Unter uns! für Hebammen, die entweder betroffen sind oder sich für dieses Themenfeld interessieren. Sie wird einen Workshop beim HEBAKON Kongress 2024 in Bad Vilbel geben > https://www.bfg-kray.de/praesenzveranstaltungen/hebakon-kongress-2024

Eine Frau im Status nach sekundärer Sectio hat unerklärlicherweise eine Streptokokken-G-Infektion ereilt (typischer Haus- und Großtiererreger) (Rantala, 2014). Sie bedarf einer speziellen Antibiose, die jeweils vor der Infusion frisch angemischt werden muss. Das Anmischen von Antibiotika kann entweder mit einer NaCl-Spritze und dem Trockenpulver im Fläschchen erfolgen oder über spezielle, dafür ausgelegte Infusions- und Mischsysteme, um den möglichen Kontakt mit der Haut so gering wie möglich zu halten. Das Infusionssystem ist neu und mir unbekannt. Eine Kollegin erklärt sich bereit, mit mir gemeinsam die Infusionslösung zu mischen. Dafür liegt das Medikament, das Infusionssystem und eine Flasche mit 100 ml Natriumchloridlösung 0,9 % bereit, zusätzlich zu einer weiteren Flasche mit NaCl zum Nachspülen des Infusionssystems, sodass wirklich der gesamte Wirkstoff in der Frau ankommt.

Alles liegt vorbereitet, bis wir eine halbe Stunde später gemeinsam im Medizinraum die Infusion anmischen. Dabei fällt uns beiden nicht auf, dass die Flaschen kein blaues Etikett haben und NaCL 0,9 % draufsteht, sondern ein braunes, auf welchem Metronidazol Infusionslösung 5 mg/ml steht. Dies ist bereits ein fertig zubereitetes Antibiotikum, das zur Behandlung schwerer Infektionen mit Bakterien eingesetzt wird.

Keinen Schaden verursachen
Als Patient:innensicherheit wird die Abwesenheit von unerwünschten Ereignissen in der Gesundheitsversorgung definiert. Tausende Todesfälle sind allein in deutschen Kliniken vermeidbar (Mühlichen et al., 2023). Weltweit gibt es 42,7 Millionen unerwünschte Vorkommnisse, die jährlich in den Krankenhäusern der Welt wegen unsachgemäßer Betreuung und Behandlung zum Tod oder zu schwerwiegende Schäden führen (Jha et al 2013). Behandlungsfehler, Versorgungsfehler und Organisationsmängel sind in den vergangenen Jahren international zunehmend ins Zentrum des Interesses gerückt. Allerdings gibt es in Deutschland keine einheitliche und zusammenfassende Darstellung der Zahlen vermuteter oder tatsächlich nachgewiesener medizinischer Behandlungsfehler (GBE 2023). Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) sieht neben fachspezifischen Problemen, vorrangig drei Ursachen fehlerhafter Behandlungen:
•    organisatorische Defizite
•    Dokumentationsdefizite
•    Behandlungen in nicht optimal geeigneten Einrichtungen

Kurz vor dem Dienstwechsel war es Zeit, das Antibiotikum anzuhängen. Da es ein besonders starkes Antibiotikum war, sollte es sehr langsam über den Dienstwechsel hineintropfen. Dokumentiert habe ich selbstverständlich das, was ich meine, der Frau verabreicht zu haben.

Die Tagdienstkollegin übernimmt, macht ihre Runde und bemerkt den Fehler sofort, entfernt die falsche Infusion und hängt die korrekte Mischung an. Der Frau geht es den krankheitsbedingten Umständen gut, sie hat keine unerwünschten Nebenwirkungen der Infusion erfahren.

Die Kolleginnen sind ob des Vorfalls natürlich aufgelöst und bei der erneuten Übergabe zum Nachtdienst wird die Situation thematisiert – es schwappt in mir hoch: Das muss mein Fehler gewesen sein. Ich habe gemischt und angehängt. Wie konnte mir das passieren?

Der Schock folgt unmittelbar mit der Erkenntnis und obwohl kein Schaden entstanden ist, macht sich schwere Übelkeit in mir breit und die Verunsicherung sitzt tief. Letztlich habe ich ein Antibiotikum in ein Antibiotikum gemischt und es ist nicht klar, welche Wirkung diese ungewollte Kombination auslöst oder hätte auslösen können.

Abbildung 1: Metronidazol Seite an Seite mit neutraler Infusionslösung in der Schublade. Abbildungen: © Peggy Seehafer

Wie konnte das passieren?

Ich erinnere mich dunkel, dass ich beim Herausnehmen der Flaschen noch verwundert war, dass das Etikett nicht blau, sondern braun war (siehe Abbildung 2b). Aber bei den ganzen Generika habe ich das innerlich abgetan und gedacht, dass es einfach ein anderer Hersteller sein müsse. Nach mehr als zehn Stunden Nachtdienst drang die Beschriftung nicht mehr bis in meine entscheidenden Gehirnzellen vor. Es ist bekannt, dass nach acht bis neun Stunden Arbeit die Entscheidungsfähigkeit nachlässt und Nachtdienste per se ein höheres Risiko für die Patient:innen(un)sicherheit bergen (Reed et al., 2010; Hehir et al., 2014; Caruso, 2014). Vielleicht sind so lange Dienste ein immanentes Risiko.

Bestehende Sicherungs­maßnahmen

Es gehört zum Standard in der Abteilung, dass die verordneten Medikamente jeweils vor der Applikation einer weiteren Hebamme gezeigt werden unter Hinweis auf die Verordnung. Dieses Vier-Augen-Prinzip soll Verwechslungen und falschen Medikationen vorbeugen. Das Prinzip haben wir durch die gemeinsame Anmischung der Antibiose eingehalten. Dennoch hat es uns nicht vor dem Fehler bewahrt.

Abbildungen 2a und 2b: Die Infusionsflaschen des Antibiotikums und der Natriumchloridlösung unterscheiden sind von oben nicht in Form oder Farbe.

Einzuführende Sicherungs­maßnahmen

Ein entscheidender Risikofaktor ist die unsachgemäße Lagerung der Flaschen im Medizinraum. Die Antibiotika stehen normalerweise ganz oben im Regal (siehe Abbildung 3), während alles zur Vorbereitung und Durchführung einer Infusion in den Schubladen gelagert wird. In diesem Fall standen die 100 ml Metronidazol Seite an Seite mit der Ringerlösung in den Schubladen (siehe Abbildung 1). Von oben sehen die 100 ml Flaschen identisch aus (siehe Abbildungen 2a und 2b).

Als erste Maßnahme räumen die Kolleginnen vom Tagdienst die Antibiotika an den dafür vorgesehenen Platz im Medizinraum. Eine Meldung über einen Beinahe-Schadensfall wird an die Klinikleitung abgegeben, inklusive der daraus resultierenden Sicherheitsmaßnahmen.

Dass die Antibiotika nicht wie geplant oben stehen, ist der Körpergröße einiger Kolleginnen geschuldet, für die es einen enormen Aufwand bedeutet, an die obere Regalebene heranzukommen. Die Umsortierung in eine freie Schublade war daher naheliegend. Eine entsprechende Markierung der Schublade und die räumliche Trennung von Antibiotika und neutralen Infusionen hilft sicher, dieses Risiko zu minimieren.

Selbstreflexion

Der Fehler ist nicht aus arroganter Missachtung oder Übertretung von vorgegebenen Sicherheitssystemen entstanden, sondern aus einer Verkettung prädisponierender Faktoren. Dennoch gibt es keine Entschuldigung für einen potenziell lebensgefährdenden Fehler.

Abbildung 3: Die Antibiotika gehören nach oben im Regal.

Was bleibt, ist eine große Verunsicherung für die nächsten Dienste, sobald Medikamente gemischt werden müssen. Fehler sind nicht nur unnütz – sie helfen bei der Weiterentwicklung, theoretisch. Es gilt nun, eine Balance zwischen berechtigter Vorsicht und unberechtigtem Selbstzweifel zu finden, weil man bestimmten Arbeiten als Hebamme nicht einfach aus dem Weg gehen kann (Raghoebar-Krieger, 2023).

Sollte es durch einen Fehler zu einem Schadensfall gekommen sein, ist es gut, eine Versicherung zu haben. Diese hilft nicht durch alle mentalen Unwägbarkeiten und juristischen Fallstricke der Second Victims (siehe auch: Egelkraut: DHZ 5/2023).

Zitiervorlage
Seehafer, P. (2023). Patient:innensicherheit: Das könnte ich gewesen sein! Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (9), 88–91.
Literatur
Caruso, C.C. (2014). Negative impacts of shiftwork and long work hours. Rehabil Nurs. 39(1):16-25. doi: 10.1002/rnj.107.

Gesundheitsberichterstattung des Bundes, https://www.gbe-bund.de/gbe/ergebnisse.prc_tab?fid=10884&suchstring=Patientensicherheit&query_id=&sprache=D&fund_typ=TXT&methode=2&vt=1&verwandte=1&page_ret=0&seite=1&p_lfd_nr= 1&p_news=&p_sprachkz=D&p_uid=gast&p_aid=25282328&hlp_nr=3&p_janein=J#x002, Zugriff 27. Juni 2023

Egelkraut, R. Auch ich – als Beklagte einen Prozess durchstehen. Deutsche Hebammen Zeitschrift. 5/2023, S.16ff.

Hehir, M.P., Walsh, J.M., Higgins, S., Mahony, R. (2014). Maternal and neonatal morbidity during off peak hours in a busy obstetric unit. Are deliveries after midnight more complicated? Acta Obstet Gynecol Scand. 93(2):189-93. doi: 10.1111/aogs.12307

Jha, A.K., Larizgoitia, I., Audera-Lopez, C., Prasopa-Plaizier, N., Waters, H., Bates, D.W. (2013). The global burden of unsafe medical care: analytic modelling of observational studies. BMJ Qual Saf. 22(10):809-15. doi: 10.1136/bmjqs-2012-001748

Mühlichen, M., Lerch, M., Sauerberg, M., Grigoriev, P. (2023). Different health systems – Different mortality outcomes? Regional disparities in avoidable mortality across German-speaking Europe, 1992-2019. Soc Sci Med. 26;329:115976. doi: 10.1016/j.socscimed.2023.115976

Raghoebar-Krieger, H.M.J., Barnhoorn, P.C., Verhoeven, A.A.H. (2023). Reflection on medical errors: A thematic analysis. Med Teach. 12:1-7. doi: 10.1080/0142159X.2023.2221809

Rantala, S. (2014). Streptococcus dysgalactiae subsp. equisimilis bacteremia: an emerging infection. Eur J Clin Microbiol Infect Dis. 33(8):1303-10. doi: 10.1007/s10096-014-2092-0

Reed, D.A., Fletcher, K.E., Arora, V.M. (2010). Systematic review: association of shift length, protected sleep time, and night float with patient care, residents‘ health, and education. Ann Intern Med. 21;153(12): 829-42. doi: 10.7326/0003-4819-153- 12-201012210-00010

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