Damit sich das Stillen gut einpendelt, braucht es oft Zeit und Geduld, die eine oder andere Träne und auch mal spuckende Kinder. Doch was, wenn mehr dahintersteckt? Ein Fallbericht.
OP-Wunde, vier Tage nach der laparaskopischen Pyloromyotomie Foto: © Peggy Seehafer
Damit sich das Stillen gut einpendelt, braucht es oft Zeit und Geduld, die eine oder andere Träne und auch mal spuckende Kinder. Doch was, wenn mehr dahintersteckt? Ein Fallbericht.
Eine 29-jährige Erstgravida, Nullipara, zunächst ohne anamnestische Belastung, bekam ihr Kind am erwarteten Termin aufgrund einer persistierenden Beckenendlage per Sectio.
Das kleine Mädchen lag intrauterin durch sehr wenig Fruchtwasser dicht gepackt und erlitt während der Geburt eine kleine Schnittwunde an der Pobacke, die chirurgisch versorgt wurde. Davon abgesehen war das Kind gesund und wurde mit der Mutter am vierten Tag postpartum entlassen. Die ersten Hausbesuche im Wochenbett gestalteten sich in üblicher Weise, erste Stillhürden wurden überwunden, die maternale Wunde heilte gut, die neonatale auch. Der Vater war zu Hause und die Familie richtete sich auf das neue Mitglied ein, die Großmutter aus dem europäischen Heimatland der Eltern kümmerte sich um den Haushalt. Alles lief im normalen Rahmen entspannt ab.
Nach etwa drei Wochen beklagt die Mutter schwallartiges Erbrechen des Kindes direkt nach dem Stillen und danach ein unglücklich, schmerzverzagt weinendes Kind. Nach den üblichen Stillhilfen, vielen kleineren Mahlzeiten und tröstenden Worten, dass Erbrechen nicht so schlimm sei, die Mengen oftmals überschätzt würden und Geduld sicher helfen würde, haben wir das Kind gemeinsam nochmal gewogen. Die Gewichtsentwicklung war ausreichend, also war ich als Hebamme nicht alarmiert. Tage später waren die Eltern noch unglücklicher und hatten das Gefühl, ihr Kind verkümmere ihnen unter den Händen – ich fuhr also erneut hin, um das Stillen und das Verhalten des Kindes zu beobachten und das Gewicht zu prüfen.
Das Kind nahm nun ab und spuckte wenige Augenblicke nach dem Trinken schwallartig wirklich große Mengen und weinte schmerzverzerrt. Während wir gemeinsam überlegten, was als nächster Schritt zu unternehmen wäre, kam mir die Pylorusstenose in den Sinn. Allerdings wusste ich, dass die Wahrscheinlichkeit extrem gering ist, und noch dazu betrifft es eher Jungen als Mädchen.
Ich warf also die Idee in den Raum, dass es da eine sehr seltene Krankheit gäbe, die aber eher Jungen betrifft, aber die man vielleicht ausschließen sollte, als die dabeisitzende Großmutter plötzlich sagte: »Genau das hat der Sohn meiner anderen Tochter vor einem halben Jahr auch gehabt.« Okay, einmal durchatmen … kann das sein, dass es da familiäre Häufungen gibt?
Gemeinsam mit den Eltern bereiteten wir die Vorstellung in der Kinderklinik vor. Dort wurde das Baby untersucht, die Laborwerte waren noch in Ordnung. Die Schluckuntersuchung mittels Ultraschallkontrolle ergab einen Pylorus, der zwar dick, aber noch innerhalb der Normwerte lag. Das Kind bekam Infusionen und eine operative Therapie wurde zunächst nicht erwogen, weil keine eindeutige Indikation für einen so großen Eingriff vorlag. Nach zwei weiteren Tagen in der Kinderklinik und einer zunehmenden Verschlechterung des kindlichen Zustandes diskutierten die Ärztinnen mit den Eltern, dass die Werte eine Operation nicht wirklich rechtfertigen würden, sie aber die Verschlechterung des Zustandes sehen – gemeinsam entschieden sie sich für einen laparaskopischen Eingriff, der erfolgreich durchgeführt wurde.
Bereits unmittelbar danach konnte das Kind wieder Nahrung aufnehmen und bei sich behalten. Die Mutter hatte genügend Milch und war hoch motiviert, ihr Kind weiter zu stillen. Im Nachhinein betrachtet, war die Entscheidung für den operativen Eingriff genau richtig.
Nach wenigen Tagen wurden beide aus der Klinik entlassen und konnten ihre Wochenbettzeit entspannt zu Hause fortsetzen. Das Gewicht des Kindes stieg zunächst sehr schnell und dann im normalen Rahmen. Es wurde zehn Monate lang gestillt und ist heute eine fröhliche Fünfjährige mit zwei jüngeren Geschwistern, die nicht unter einer Stenose litten.
Was sich zunächst als Stillproblematik darstellte, war eine schwere Erkrankung des Kindes. Sie hätte durch sämtliche guten Hebammenratschläge zum Stillen niemals behoben werden können. Dazu kommt, dass die Eltern durch meine gut gemeinten Stilltipps zunehmend verunsichert wurden, weil der gewünschte Effekt ausblieb und sie sehen konnten, dass es ihrem Kind zunehmend schlechter ging, obwohl sie alles richtig machten. Selbst wenn mir als Hebamme seltene Erkrankungen in den Sinn kommen, muss man in der Regel zunächst mit Gewöhnlichem rechnen. Mit dem Spruch im Kopf »Seltenes ist selten und wenn Sie Hufgetrappel hören, müssen Sie in unseren Breiten eher mit einem Pferd als mit einem Zebra rechnen!« gibt es wenig Grund, Kinder mit einer seltenen Diagnosevermutung in eine Kinderklinik zu überweisen und möglicherweise unnötige – und teure – Untersuchungen in Gang zu setzen.
Wäre die Großmutter nicht dabei gewesen und hätte von ihrem anderen Enkelkind berichtet, hätte ich nicht so konsequent auf die Weiterleitung in die Kinderklinik gedrängt, wo die Diagnosen schneller und leichter gestellt werden können als in einer niedergelassenen Praxis. Bei allem Elend eine Verkettung günstiger Umstände, bevor es dem Kind wirklich schlecht ergangen wäre.