An einem Fallbeispiel sind die richtigen und die verbesserungsbedüftigen Tast-Vorgänge zur Feststellung einer Beckenendlage beschrieben, mit denen die Leopold-Handgriffe ergebnisorientiert weiterentwickelt werden.
An einem Fallbeispiel sind die richtigen und die verbesserungsbedüftigen Tast-Vorgänge zur Feststellung einer Beckenendlage beschrieben, mit denen die Leopold-Handgriffe ergebnisorientiert weiterentwickelt werden.
Die Sanitäter bringen eine drittgebärende Frau mit Wehen in die Kreißsaalaufnahme. Gemäß Mutterpass präsentiert sich ihr ungeborenes Kind in Schädellage, was mir die angewendeten Leopold-Handgriffe bestätigen. Der Assistenzarzt eilt in das Aufnahmezimmer, um die Frau vaginal zu untersuchen. Ich teile ihm mit: gesunde Drittpara mit kräftigen Wehen seit zwei Stunden, Einling, Kopf beweglich über Beckeneingang (BE), Fruchtblase steht, leichtes Zeichnen, Herztöne normofrequent.
Während der Untersuchung presst die Frau reflektorisch. Nachdem dabei klares Fruchtwasser schwallartig abgeflossen ist, sehe ich in der untersuchenden Handfläche des Assistenzarztes einen fingerdicken zähen Mekoniumstrang. Von den bisher betreuten Geburten weiß ich, dass dieser Mekoniumstrang den Beginn der Austreibungsphase einer vaginalen Beckenendlagegeburt kennzeichnet. Vorwurfsvoll fragend wiederholt der Assistenzarzt meinen Befund: »Kopf über BE?« Er beendet seine Untersuchung und geht, um die Oberärztin zur Geburt zu holen.
Während der nächsten Presswehe wird der kindliche Körperstamm bis zum unteren Schulterblattwinkel geboren, woraufhin ich wegen der mütterlichen Rückenlage Arme und Kopf mit dem Bracht-Handgriff entwickle. Als die Oberärztin das Aufnahmezimmer betritt, zeigt die Frau stolz ihren prächtigen Sohn und lacht über ihre verletzungsfreie Geburt. Und ich … schäme mich über meinen Falschbefund »Kopf« und überdenke meine Arbeitsweise.
Richtig führte ich die vier Leopold-Handgriffe zweihändig durch. Richtig stellte ich die fetale Längslage fest, bevor ich den im Gebärmutterfundus lokalisierten Körperpol mit meiner linken Handfläche vom linken Rippenbogen der Mutter löste und ihn zentral nach rechts bis in die mütterliche Körperlängsachse schob. Mit diesem Tast-Vorgang hatte ich beide fetalen Körperpole in der intrauterinen Umgebung physiologisch zueinander in die Führungslinie geordnet.
Richtig drückte meine linke Handfläche den oberen Körperpol erst in der mütterlichen Körperlängsachse senkrecht in Richtung mütterliche Symphyse. Mit diesem Tast-Vorgang hatte ich den Körperstamm gemäß der Fetalentwicklung intrauterin ventral gebeugt.
Richtig fixierte meine linke Handfläche den oberen Körperpol mittels Umformen. Richtig umformte ich im unteren Segment der Gebärmutter mit den rechten Daumen und Ringfinger den vorangehenden Körperpol großflächig, bevor ich ihn durch moderaten Hand- und Fingerdruck senkrecht, schräg nach hinten zum mütterlichen Rücken schob. Mit diesem Tast-Vorgang hatte ich den vorangehenden Körperpol gemäß des physiologischen Geburtsverlaufs in Führungslinie über dem Beckeneingang zurechtgelegt, um die geplante Bewegung des »Ballotierens« für die Mutter und das ungeborene Kind schmerzfrei durchzuführen.
Richtig umformten meine Hände beide kindlichen Körperpole quer und großflächig. Mit diesem Tast-Vorgang hatte ich beide Handflächen fest um beide Körperpole moduliert, denn an beiden Händen bildeten die Fingerkuppen waagerecht eine gerade Linie auf den umformten Körperpolen.
Richtig stellte ich den Befund »schwer beweglich« fest, bevor ich den vorangehenden Körperpol zwischen der Daumen- und Ringfingerkuppe waagerecht und schnell passiv bewegte. Mit diesem Tast-Vorgang waren die Finger meiner rechten Hand per Spreizung in einer geraden Linie – in Relation zu meinem Unterarm – an die physiologische Entwicklung des fetalen Volumens bestmöglich angepasst.
Mein Fehler war, beim Tasten an den zehn Stunden alten Sonografiebefund »Kopf« zu denken, weil diese Erwartung meine Tast-Vorgänge beeinflusste. Richtig hätte ich beim Tasten wertfrei an den Zielbefund »Art des vorangehenden Körperteils« denken sollen. Richtig hätte ich über die Funktion, die Umgebung, die Entwicklung und das Verhalten beider manuell umformten Körperpole nachdenken sollen, um deren Struktur (Aufbau, Gestaltung, Bau, Schichtung, Form), Konsistenz (Bestand, Festigkeit, Zusammenhalt, Geschlossenheit, Intaktheit) und Kontur (Umriss) zu unterscheiden.
Übersehen habe ich, dass der vorangehende Körperpol, dem Geburtsfortschritt entsprechend, aufgrund der uterinen Muskelretraktion bereits fest komprimiert war. Richtig hätte ich den Befund »Festigkeit« anhand der Befunde »Körperpol dicht unter der Uterusmuskulatur«, »geringe Eindringtiefe« und »hoher Gewebewiderstand« unterscheiden sollen.
Beschönigt habe ich, die passive als aktive Bewegungswahrnehmung. Bedingt durch die Dichte meines Fingergewebes nahmen meine senkrecht, leicht drückenden Fingerkuppen eine Bewegung von 0,5 cm wahr, die ich falsch als »Ballotement« interpretierte. Damit beschönigte ich die wahrgenommene Änderung meines Fingergewebes als Bewegung des vorangehenden Körperpols. Richtig hätte ich im unteren Segment der Gebärmutter den Fingerdruck am fetalen Körperpol moderat bis kräftig verstärken sollen, um meine Druckkraft an die Tiefe und die Dichte des mütterlichen Bauchgewebes und der Uterusmuskulatur anzupassen. Richtig hätte ich am umformten Körperpol eine mehr als ein Querfinger breite, passive Fetalbewegung zwischen den Fingerkuppen messen sollen. Weil tastende Finger mütterliches Körpergewebe zuerst durchdringen müssen, verlangt die aktive Bewegungswahrnehmung eine passive Fetalbewegung von mehr als 1,5 cm.
Vergessen habe ich, beide Körperpole mit beiden Daumen- und Ringfingerkuppen synchron zu ballotieren. Richtig hätte ich die Körperpole beidhändig mit bestmöglich gleichen, feinmotorisch-koordinierten Bewegungsmustern erst umfassten und dann umformen sollen. Danach hätte ich gemäß der kindlichen Entwicklung mit identisch gespreizten Handflächen die Befunde »Geschwindigkeit« und »Beschleunigung« an beiden Körperpolen synchron unterscheiden sollen. Denn intrauterin ballotiert ein Kopf mit schnellerer Geschwindigkeit, weil er aufgrund seiner Masse und Festigkeit schneller beschleunigt, während ein fest komprimierter Steiß langsamer gleitet, weil er aufgrund seiner geringeren Masse und Festigkeit langsamer beschleunigt. Richtig beträgt die passive Fetalbewegung des »Ballotierens« an beiden Körperpolen eine Querfingerbreite (> 1,5 cm). Der Unterschied zwischen beiden Wahrnehmungen ist bei einem fest komprimierten Steiß so gering, dass beide Handflächen an beiden Körperpolen lediglich durch das synchrone Ballotieren mit in gerader Linie identisch gespreizten Daumen- und Ringfingerkuppen den Befund »Ballotement« seitengenau zuordnen können.
Meine Kontextfehler waren, dass ich mich beim Tasten auf die wenigen Leopold-Handgriff-Befunde konzentrierte. Richtig hätte ich viele Befunde festgestellt, wenn ich die seitliche Verlagerung der Körperpole gewohnheitsmäßig gemessen hätte. Denn ich hatte den oberen Körperpol einseitig um eine Handbreite und den vorangehenden Körperpol beidseitig waagerecht bewegt. Beim Messen hätte ich die polunterscheidenden Befunde der umformten Struktur anhand der Merkmale »Volumen, Festigkeit, Beweglichkeit und Symmetrie« festgestellt. Ferner hätte ich mit identisch gespreizten Handflächen das fetale Verhalten anhand der Befunde »reaktive Fetalbewegung« wie »Fußtritte« und »Kopfdrehen« von beiden Körperpolen synchron vergleichen sollen. Zudem stellte ich die fetale Halsfurche nicht gewohnheitsmäßig fest. Weil Kopf und Hals anatomisch zusammengehören, objektiviert die Lokalisation der Halsfurche den Befund »Kopf«. Richtig hätte ich den Befund »Kopf« kritisch prüfen sollen. Zum Prüfen hätte ich den vorangehenden Körperpol mit moderatem Fingerdruck großflächig überstreichen sollen, bis ich den querfingertiefen Niveauunterschied des Halses als handbreite Länge im fetalen Körpergewebe hätte messen können. Zweifelsfrei hätte ich den Befund beweisen sollen, indem ich zwei Finger oder meine äußere Handkante senkrecht tief in die Halsfurche gedrückt hätte, was die Halsfurche visualisiert. Wegen der Beckenendlage hätte ich den »Hals« oberhalb des mütterlichen Nabels festgestellt, weil bei einer Längslage einzig ein im unteren Uterinsegment lokalisierter »Hals« den »Kopf« objektiviert (siehe Abbildung 1).
Die Poleinstellung definiert die Art des vorangehenden Teils. Präsentiert sich ein ungeborenes Kind in Längslage gelten die großen Körperteile Kopf und Steiß als die Körperpole, die im Fundus und im unteren Segment der Gebärmutter über dem Beckeneingang festzustellen sind. Weil der vorangehende kindliche Körperpol zuerst geboren wird, beginnen die Tast-Vorgänge im unteren Uterussegment. Folgende Tast-Vorgänge sollen nacheinander ausgeführt werden:
Anmerkung: Ist der obere Körperpol im dritten Schwangerschaftstrimenon seitlich hinter dem mütterlichen Rippenbogen fixiert, wird er vor der genauen Befundausarbeitung zentral in die mütterliche Körperlängsachse zurechtgelegt. Mit dem Einverständnis der Frau wird der obere Körperpol durch senkrechten, moderaten Fingerdruck diagonal bis in die mütterliche Körperlängsachse geschoben (siehe Abbildung 7).
Das Zurechtlegen nützt der Mutter-Kind-Gesundheit: Es vermeidet schmerzhafte Tast-Vorgänge, die ab der 30. SSW entstehen können, wenn die Gebärmutterlänge diagonal zur mütterlichen Körperlängsachse (= seitliche Neigung) verlagert ist. Und wenn das ansteigende Uterusvolumen die intraabdominale Umgebung so verengt hat, dass der gravide Uterus nach vorn (= ventral) aus dem mütterlichen Bauchraum kippt. Mittels «Zurechtlegen» werden die entwicklungsbedingten uterinen Verlagerungen korrigiert, um kindliche Körperpole in der geburtshilflichen Führungslinie zu messen. Zusätzlich ist der Körperpol im Fundus der Gebärmutter großflächig wahrnehmbar, wenn er während der handbreiten Verlagerung umfasst und umformt wird, weil die Handfläche Struktur, Konsistenz und Kontur wahrnimmt. Zudem provoziert jede Verlagerung ein vitales Ungeborenes zu Eigenaktivitäten. Anders gesagt, reagieren vitale Feten aktiv und/oder reflektorisch auf die passive Fetalbewegung und auf die indirekte Berührung ihres Körperpols. Vom Körperpol Steiß sind die Vibrationen von Fußtritten wahrzunehmen sofern die Fruchtwassermenge normal ist. Vom Körperpol Kopf sind einerseits die Vibrationen reaktiver Armbewegungen wahrzunehmen. Andererseits reagieren vitale Ungeborene auf das Umformen ihres Vorderhauptes mit einem Kopfpendeln, auf das Umformen ihres empfindlichen Gesichtsschädels mit einer ruckartigen, seitlichen Kopfdrehung, auf Druck unter das Hinterhaupt mit einer Kopfbeugung (Haltungsänderung) und auf Druck im Bereich des oberen Rückens mit einer Kopfstreckung (Haltungsänderung). Was als »aktive Bewegungsfähigkeit« (Motilität) definiert ist. Was beim Tast-Vorgang feinmotorisch koordinierte Bewegungsmuster verlangt, die eine normabweichende Haltungsänderung ausschließen. Zu unterscheiden sind diese Fetalbewegungen einzig beim großflächigen Umformen mit der gespreizten Handfläche anhand der Vibration, der Berührung und der Druckänderung, die die Innenhand wahrnimmt. Präsentiert sich der obere Körperpol regulär zentral in der mütterlichen Körperlängsachse, werden die oben erklärten Tast-Vorgänge ausgeführt.
Beim Umformen liegt der umfasste vorangehende Körperteil in der Handinnenfläche, indem die Finger moderat bis kräftig dicht um das fetale Körpergewebe gedrückt sind. Ziele des Umformens sind Struktur, Konsistenz und Kontur zu messen, den kindlichen Körperteil in seiner Umgebung natürlich zu bewegen und ihn anhand seiner Merkmale und Kriterien sowie in Relation zur Körperseite zu unterscheiden. Diese Technik entspricht der ergebnisorientierten Weiterentwicklung des Leopold-Handgriffs III (siehe b).
Zum Umfassen, Umformen, Messen und Bewegen wird die Handspreizung an das Volumen angepasst:
Bei einer Beckenendlage kennzeichnet der »Zustand des vorangehenden kindlichen Körperteils« zwei Eigenschaften: die Position des Körperstamms (der Stellung des kindlichen Rückens) in Relation zur mütterlichen Gebärmutterseite (der Körperseite) sowie die Beugung und/oder Streckung der unteren Extremitäten in Relation zum kindlichen Körperstamm:
Jede manuelle Beckenendlagen-Feststellung basiert auf subjektiven Messungen. Genauer gesagt, auf subjektiv wahrgenommenen Eigenschaften, mit denen Tastende geburtshilfliche Befunde objektivieren. Objektiv bedeutet, dass die beim Tasten »gültig gemachten« Befunde qualitativ und quantitativ anhand von spezifischen Merkmalen bestimmt und anhand von arteigenen Kriterien unterschieden werden.
Die fetale Konsistenz wird unterschieden anhand der Merkmale »gering«, »moderat« und »kräftig«.
Die fetale Struktur und fetale Kontur wird anhand des Volumens unterschieden mit »Länge«, »Breite« und »Tiefe«, anhand der dazugehörenden Seitenzuordnung sowie mittels Entfernungen und Winkelgraden:
Insgesamt sind 17 Bestimmungsmerkmale zu beurteilen, die eine qualitative und quantitative Befundeinteilung zulassen (siehe Tabelle).
Um Befunde objektiv zu tasten, werden die wahrgenommenen Sinneseindrücke bestmöglich gesteigert, indem passive Fetalbewegungen manuell provoziert werden. Fetale Körperteile werden querfinger- bis handbreit gedrückt, geschoben und um 45°bis 90° gedreht. Nach einer provozierten Fetalbewegung wird der umformte Körperteil für einen Moment durch moderaten Händedruck beidseitig fixiert. Wahrgenommen wird, ob und wie weit der Körperteil spontan zurück in seine Ausgangsposition weicht.
Weicht der passiv bewegte Körperteil nicht spontan zurück, wird er durch moderaten bis kräftigen Händedruck aus der gegenüberliegenden Richtung provoziert, die passive Fetalbewegung durchzuführen. Anders gesagt, werden Druck und Gegendruck so ausbalanciert, dass bei allen provozierten Fetalbewegungen beidseitig gleichweite Entfernungen messbar sind. Ist die querfinger- bis handbreite Verlagerung natürlicher, wird der Körperteil mit einseitigem Händedruck in seiner Umgebung fixiert. Zulässig ist dieser Tast-Vorgang nach der informierten Zustimmung der Frau. Wichtig zu wissen ist, dass eine passive Fetalbewegung nur einseitig möglich oder sogar ganz unmöglich ist bei einer zu geringen Fruchtwassermenge und/oder normabweichenden Befunden.
Hähnlein KA: Manualdiagnostik als Leistung von Hebammen: Gebärmutter-Tasten. Deutsche Hebammen Zeitschrift 2020. 9: 16–21