Entspanntes Warten in einer direkten inneren Verbindung zur Gebärenden lässt sich im Rahmen der Eins-zu-eins- Betreuung ideal etablieren – egal an welchem Ort.
Illustration: © Birgit Heimbach
Ein kritischer Blick auf bisherige Studien zum Hebammenkreißsaal im deutschsprachigen Raum zeigt: Die Daten lassen sich kaum vergleichen, die Ergebnisse sind nicht sehr aussagekräftig und etliche Fragen sind noch ungeklärt – auch innerhalb der Hebammenzunft.
Offensichtlich wird das Modell des Hebammenkreißsaales (HKS) bereits als Erfolgsmodell akzeptiert, da sogar der Gesetzgeber es jüngst in der Krankenhausreform verankert hat (DHV 1, 2024). Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen (MAGS) kündigt an, auch dieses Jahr die Implementierung von Hebammenkreißsälen finanziell fördern zu wollen (MAGS, 2024). Selbst im Deutschen Ärzteblatt wird der HKS als gutes Angebot bei geringem Risiko angepriesen, dem scheinbar sogar zutraut wird, die Kaiserschnittrate senken zu können (Falk, 2023).
Zahlen aus Bonn und Leipzig
Die wissenschaftliche Grundlage, auf die sich das Förderprojekt des MAGS beruft, liefert die Bonner Studie »Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal (GEscHIcK)« unter Leitung von Dr. Waltraut Merz. Ihre Forschungsgruppe hat die Daten des HKS der Bonner Universitätsklinik (UKB) von sieben Jahren analysiert (Merz et al., 2020) sowie eine weitere Studie, die Daten von sechs HKS in NRW zusammenführt (Tietjen et al., 2021). Das Bonner Projekt wurde damals mit 600.000 Euro vom Land NRW gefördert (siehe Link).
Es wurden Daten von 612 der im UKB geplanten HKS-Geburten ausgewertet und mit Daten sogenannter ärztlich geleiteter Geburtshilfe verglichen. Mehr als die Hälfte der Gebärenden wurde letztlich in den ärztlich geleiteten Kreißsaal übergeleitet. Das entspricht weniger als 50 erfolgreich hebammengeleiteten und beendeten Geburten pro Jahr. Immerhin kann das prominente Perinatalzentrum im Jahr 2023 sonst insgesamt 2.655 (2024: 2.526) Geburten verzeichnen. Seit Abschluss der Studie werden keine Zahlen zum Bonner HKS publiziert, auch auf Nachfrage sind sie nicht erhältlich.
Zum Vergleich entsprechende Zahlen des Universitätsklinikums Leipzig (UKL), das im Pandemiejahr 2021 insgesamt 2.685 Geburten verzeichnen konnte: Davon wurden 114 Geburten in einem HKS betreut, von denen knapp die Hälfte auch dort beendet wurden (UKL, 2022). Im vergangenen Jahr wurden dort von insgesamt 2.048 Frauen 84 für die HKS-Geburt zugelassen. 68 davon begannen dort ihre Geburt, 31 haben nach Auskunft des UKL letztlich im HKS geboren. Was positiv heraussticht: Die Sectiorate im Gesamtkollektiv der HKS-Geburten lag mit 5,4 % sehr niedrig und eine Episiotomierate von 6,6 % im gesamten Patientinnenklientel des UKL ist erstaunlich gut für ein Perinatalzentrum.
In Bezug auf das Bonner Universitätsklinikum lohnt aber auch ein Blick auf die Zahlen des benachbarten Geburtshauses Bonn (GHB): 2023 konnten dort von 114 begonnenen Geburten 97 außerklinisch beenden werden, was einer Überleitungsrate ins Krankenhaus von 18 % entspricht. Damit hat das GHB nahezu doppelt so viele erfolgreich hebammengeleitete Geburten und fast zweidrittel weniger Überleitungen als das benachbarte Uniklinikum.
Zum Zeitpunkt der Bonner Studie (2017) gab es in NRW nominal viermal mehr außerklinische Geburten als HKS-Geburten. Beim Vergleich der öffentlich zugänglichen Zahlen beider Systeme zeigt sich eine signifikante Diskrepanz zwischen klinisch hebammengeleiteter und außerklinisch hebammengeleiteter Geburtshilfe (AG) in punkto Quantität und Überleitungsrate (siehe Tabelle 1).
Geburtshilfe-Modell | Überleitungen | Anteil an allen Geburten (%) |
Hebammenkreißsaal | 51,2 % | 0,3 % (NRW 2017) |
Außerklinische Geburtshilfe | 17,3 % | 1,98 % (BRD 2023) |
Tabelle 1: Beim Vergleich zwischen klinischer und außerklinischer hebammengeleiteter Geburtshilfe zeigt sich eine signifikante Diskrepanz (QUAG 2024, Tietjen et al.)
Studienlage zum Hebammenkreißsaal
Zur Begründung der Güte des HKS-Konzepts werden oft auch ausländische Studien bemüht. Hinter deren Ergebnissen verbergen sich jedoch diverse Konzepte mit unterschiedlichen Kontinuitätsmodellen, Settings und Gesundheitssystemen, die nicht mit deutschen Verhältnissen vergleichbar sind. Folgende Überlegungen beziehen sich daher auf Studienergebnisse des deutschsprachigen Raumes (siehe Tabellen 2 und 3).
Der Fokus der meisten Studien zum HKS liegt auf der Ergebnisqualität von Geburten, richtet sich also auf das medizinische Outcome der klinischen Hebammengeburtshilfe gegenüber der ärztlich geleiteten Geburtshilfe. Darüber hinaus werden Nutzerinnen gern auch über ihre Zufriedenheit und Entscheidungskriterien befragt. Nahezu alle HKS-Geburten finden in identischen räumlichen und personellen Strukturen statt wie auch die im herkömmlichen Kreißsaal-Schichtsystem.
Auf das Wort »Geburtsleitung« darf hier ein kritischer Blick gerichtet werden, denn gerade unkomplizierte No- und Low-Risk-Geburten werden in praxi im »normalen Kreißsaal« ebenfalls autonom von Hebammen geleitet. Die Ärzteschaft wird in der Regel informiert und am Ende der Austrittsphase in den Geburtsakt involviert. Der allem übergeordnete klinische Sicherheitsfaktor besteht in erster Linie darin, notfalls personell, apparativ und vor allem zeitnah intervenieren zu können.
Als bisher dringlichste Forschungsfrage zu HKS-Geburten versteht sich damit eine »Sicherheitsfrage«, nämlich ob HKS-Hebammen wohl rechtzeitig erkennen können, wann eine Hinzuziehung von Ärzt:innen sub partu vonnöten ist. Der Logik folgend muss man sich allerdings fragen, warum dieselben Hebammen, die im normalen KRS-System ihre Ärzt:innnen scheinbar doch rechtzeitig hinzuziehen, genau das dann in derselben Klinik als verantwortliche HKS-Hebammen plötzlich nicht mehr geregelt bekommen sollten?
Zusammengefasste Ergebnisse
Wie zu erwarten (und häufig schon publiziert) sind laut der vorliegenden Studien die geburtshilflichen medizinischen Outcomes für beide klinische Systeme nahezu identisch. Es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass bestimmte Interventionen im HKS weniger vorkommen. Oxytocin- und Schmerzmittelgaben, Amniotomien sowie Dammschnittraten sind durchschnittlich geringer. Dagegen finden sich im HKS mehr komplementärmedizinische Maßnahmen, aufrechte Gebärpositionen, der stationäre Aufenthalt ist durchschnittlich kürzer und auch ein positiveres Stillverhalten sei zu beobachten.
Studientitel und -jahr, Autor:innen(freie deutsche Übersetzung) | Art der Studie | Anzahl geplante/ Erfolgreiche HKS-Geburten, Überleitungen in % | Summierte Ergebnisse in Bezug auf die HKS-Gruppe |
Bauer et al. (2007): Was wollen Frauen? Sicht der Frauen auf die Geburtsbetreuung in zwei unterschiedlichen Versorgungskonzepten.Bauer, N. (2011). Der Hebammenkreißsaal. Ein Versorgungskonzept zur Förderung der physiologischen Geburt | Interventionsstudie Versorgungskonzept Hebammenkreißsaal.Prospektive (randomisierte) kontrollierte Studie von 2005–2006, postalische Befragung von 198 Frauen pp. | 92/41
55,4 % |
Keine Unterschiede im maternalen und neonatalen Outcome, weniger InterventionenSubjektiv positiveres Geburtserleben,höhere Stillquote im Wochenbett,kürzere stationäre Aufenthalte |
Sayn-Wittgenstein, zu et al. (2011):Multicenterstudie Hebammenkreißsaal: Ergebnisse eines geburtshilflichen Versorgungskonzeptes | Prospektive, kontrollierte multizentrische Studie an 4 Kliniken in Deutschland von 2007–2010 | 666/368 44 % |
Keine Unterschiede im maternalen und neonatalen Outcome, weniger Interventionen, mehr aufrechte Gebärpositionen, Wassergeburten, komplementär-medizinische Maßnahmen, engagierteres Stillverhalten, subjektiv positiveres Geburtserleben |
Bodner-Adler et al. (2017):Studie zur hebammengeleiteten Versorgung an einem österreichischen Zentrum der tertiären Versorgung über 10 Jahre | Retrospektive Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Dammtraumata aus Daten des UK-Wien aus 10 Jahren | 2.123/1.97 57 % |
Keine Unterschiede im maternalen und neonatalen Outcome, weniger Interventionen wie: Oxytocin, Amniotomien, Schmerzmittelgebrauch; längere Geburtsdauer in der EP, mehr aufrechte Geburtspositionen |
Merz et al. (2020): Mütterliches und neonatales geburtshilfliches Outcome von geplanten Entbindungen in einem Hebammenkreißsaal | Kohortenstudie in einem Zentrum der Maximalversorgung in Deutschland – UK-Bonn, Datenanalyse von 2010–2017 | 612/304 50,3 % |
Keine Unterschiede im maternalen und neonatalen Outcome, weniger Interventionen wie: PDA, Episiotomien; weniger DR II, aber häufiger höhergradige Risse; kürzere Dauer der AP |
Morr et al. (2021):Einbindung von Geburtshelfer:innen in geplante hebammengeleitete Geburten | Kohortenstudie eines Schweizer Universitätsspitals (Bern), retrospektive Datenanalyse von 2006–2019 | 532/230 43 % |
Keine Unterschiede im maternalen und neonatalen Outcome, weniger Interventionen wie Episiotomien, mehr Gebärende Ü35 Jahre7 % Geburtseinleitungen im HKS-Kollektiv |
Tietjen et al. (2021):Betreuungsmodelle und die Chance auf eine spontane vaginale Geburt | Prospektive, multizentrische Matched-Pair-Analyse an 6 Kliniken in NRW von 2018–2020 | 391/191 51,2 % |
Keine Unterschiede im maternalen und neonatalen Outcome und weniger Interventionen wie PDA, kürzere stationäre Aufenthalte pp.Überlegenheit des HKS für Frauen mit Low-Risk |
Andraczek et al. (2023):Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal eines Perinatalzentrums – Lernkurve, Ergebnisse & Benchmark | Kohortenstudie, Retrospektive Datenanalyse am UK Leipzig von 2020–2021 | 132/58 56,1 % |
Keine Unterschiede im maternalen und neonatalen Outcome, weniger Interventionen wie Episiotomien, häufigste Überleitung Wunsch nach PDA, insges. identische PDA-Rate |
Tabelle 2: Quantitative Studien zum Hebammenkreißsaal aus dem deutschsprachigen Raum
Was die Geburtsdauern angeht, bleibt es undurchsichtig. In einer Studie ist die Dauer der Eröffnungsphase länger, hier wurde wohl signifikant weniger Oxytocin verabreicht (Bodner et al, 2017). In einer anderen Studie wurden kürzere Austrittsphasen in der AP beobachtet (Merz et al. 2020). Die Zufriedenheit der Mütter nach HKS-Geburten wird überwiegend als hoch eingestuft. Gute Auswirkungen hat das Konzept aber auch in puncto wachsender Selbstständigkeit und höherer Arbeitszufriedenheit von Hebammen sowie einem sich steigernden interprofessionellen Teamgeist (siehe Tabellen 2 und 3).
Warum das HKS-Modell allerdings nicht so gut angenommen wird wie ursprünglich erwartet, lässt sich nicht eindeutig klären. Mutmaßlich führt man es auf mangelnde Information oder mangelndes Interesse zurück. Eine Abwägung seitens der Schwangeren zugunsten der für sie schwerwiegenderen Interessen finde gelegentlich wohl auch statt, so findet sich zum Beispiel die vermeintliche Annahme, bei Ärzt:innen höhere medizinische Sicherheitsstandards vorzufinden.
Belastbare Zahlen, die auf eine Senkung der Sectiorate durch den HKS hinweisen, finden sich nicht. Da sich die HKS-Klientel ausschließlich aus den äußerst gesunden Frauen mit guter Prognose rekrutiert, ist dies logisch und statistisch auch zu erwarten. Ein kontinuierliches Betreuungsmodell sub partu allein nimmt auf die Sectiorate keinen signifikanten Einfluss (Homer et al., 2022).
Studientitel -jahr, Autor:innen(freie deutsche Übersetzung) | Art der Studie | Summierte Ergebnisse in Bezug auf die HKS-Gruppe |
Maillefer et al. (2015):Wahrnehmungen von Frauen und Gesundheitsfachkräften bezüglich eineshebammengeleiteten Gebärsaals in einem Schweizer Universitätsspital | Deskriptive, qualitative Studie, Analyse von 63 Interviews mit Hebammen und potenziellen Nutzerinnen | Wenig Kenntnis und Bewusstsein über spezifische Hebammenarbeit, aber Wunsch nach Betreuungskontinuität bei den Frauen.Einsicht der Notwendigkeit, interventionsarme Geburtshilfe anzubieten, aber auch Skepsis hinsichtlich gelingender interprofessioneller Teamarbeit. |
Merz et al. (2019):Befragung zur hebammenbegleitenden Betreuung in Nordrhein-Westfalen | Quantitative und qualitative Datenerhebung mittels Fragebögen, Telefoninterviews | Verbesserung der Teamarbeit und des gegenseitigen Respekts.Mehr Zufriedenheit und Selbstständigkeit der Hebammen.Mutmaßlich mangelnde Bekanntheit der Art der Betreuungsform bzw. des Angebots oder/und mangelndes Interesse daran. |
Grylka-Baeschlin et al. (2020):Berufssituation der Hebammen in Einrichtungen mit und ohne hebammengeleitete Geburtshilfe in einem Schweizer Kanton | Online Befragung bei 16 Schweizer Institutionen (darunter auch Geburtshäuser) | Das Fördern von hebammengeleiteten Betreuungsmodellen erhöht die Kontinuität in der Betreuung.Senkung von routinemäßigen Maßnahmen und Förderung von eigenverantwortlicher Übernahme von Aufgaben. |
Gerzen et al. (2022):Warum entscheiden sich Frauen gegen eine Geburt in hebammengeleiteten Einrichtungen? | Prospektive Einzelzentrumsstudie aus Deutschland mittels Analyse von 324 Fragebögen | Mutmaßlich mangelndes Wissen über Spezifika der Betreuungsform HKS.Wünsche könnten zugunsten anderer Kriterien zurückgestellt werden. |
Tabelle 3: Qualitative Studien mit Fokus auf persönlichen Wahrnehmungen und Meinungen
Überleitungen
Von 100 primär interessierten HKS-Kandidatinnen gebären letztlich circa 25 Frauen im HKS. Knapp die Hälfte wird im Verlauf der Vorgespräche wegen diverser medizinischer Bedenken von der Zulassung zur Hebammengeburt ausgeschlossen und direkt ins ärztliche System übergeleitet. Die Gründe für Überleitungen vom HKS ins ärztliche System sub partu entsprechen ungefähr denen, die auch bei außerklinischen Geburten gelistet werden: Wunsch nach Analgesie, verzögerte Geburt, pathologische Herztöne sowie dick-grünes Fruchtwasser oder Verdacht auf Infektion.
Postpartal sind Plazentalösungsstörungen, verstärkte Nachblutungen und nötiger ärztlicher Support zur Versorgung höhergradiger Geburtswunden zu nennen. Spezifische Daten der Studien wie Interventionsvergleiche und Angaben zum Überleitungsprozedere lassen rückschließen, wie unterschiedlich die Kriterienkataloge zu erlaubten Hebammeninterventionen in den verschiedenen Institutionen aufgestellt sind.
Ein Highlight?
Auf eine retrospektive Studie der Universitätsklinik Wien, geleitet von der Geburtshelferin Prof. Barbara Bodner-Adler, lohnt ein gesonderter Blick, da sie in puncto Fallzahl und Ergebnis heraussticht: 2.123 hebammengeleitete Geburten aus zehn Jahren mit entsprechender Vergleichskohorte werden analysiert. Die Überleitungsrate in den ärztlichen KRS beträgt hier lediglich 7 % ohne negativere medizinische Outcomes als bei den Vergleichsstudien (Bodner-Adler et al., 2017). Über Gründe dafür kann nur gemutmaßt werden.
Schwächen
Als größtes Manko der meisten Studien sind die überwiegend geringen Fallzahlen anzusehen. Gemessen am Gesamtgeburtenkollektiv der anbietenden Institutionen gebären nur wenige Frauen im HKS. Die Studien diskutieren auch nicht, ob allein das Interesse einer Frau an einer HKS-Geburt schon ein Pluspunkt für positivere Outcomes darstellen könnte.
»Hausgeburtsfrauen« wurde ehemals unterstellt, sie entsprächen einem anderen Typ Frau als »Klinikfrauen«. Verbirgt sich hinter den »HKS-Frauen« nicht vielleicht auch ein spezifischer Typus? In diesem Kontext sind sorgfältige Analysen des Sozial- und Bildungshintergrundes sowie eines etwaigen Migrationshintergrunds unterblieben. Zudem fehlen Angaben zum Versicherungsstatus der Vergleichskohorten. Letzterer könnte die Zulassung von Gebärenden zum HKS beeinflussen, denn schließlich verliert die Ärzteschaft hier die Möglichkeiten für Privatliquidation.
Was die Bewertung von Zufriedenheitsfaktoren bei Nutzerinnen angeht, muss bedacht werden, dass diese grundsätzlich vom Outcome der Geburt abhängig sind. Eine komplikationsfreie und »schöne« Geburt darf streng wissenschaftlich nicht dem Verdienst der Geburtshelfer:innen, einer bestimmten Methode oder gar einem Betreuungsmodell zugerechnet werden.
Was überwiegend ebenfalls fehlt, sind transparente Zahlen zum Gesamtgeburtenkollektiv im Erhebungszeitraum und die aktuellen Fallzahlen. Auf diversen Websites der Studienstandorte wird das HKS-Angebot zwar beworben, gegenwärtige Leistungsdaten werden jedoch nicht veröffentlicht. Vor dem Hintergrund staatlicher Förderung und gesetzlich geforderter Transparenz bei Gesundheitsdaten ist das eigentlich ein Skandal. Abschließend muss festgestellt werden, dass in aktuelleren klinischen Studien zum HKS die Hebammen als Forscher:innen unterrepräsentiert sind, wohingegen etliche Ärzt:innen diesen scheinbar zu ihrer Herzensangelegenheit erkoren haben.
Wissenschaftliche Fehlschlüsse
Das erklärt vielleicht auch, wie manche Ideen zur Hebammengeburtshilfe durch wissenschaftliche Fehlsch(l)üsse entgleiten können, wie das zum Beispiel der Versuch eines Forschungsteams aus Leipzig zeigt: In einer explorativen, retrospektiven Datenanalyse vergleicht es 74 aus einem HKS-übergeleitete Geburten mit 72 außerklinisch-übergeleiteten Geburten (Andraczek et al., 2023). Das Forschungsteam zieht den Schluss, dass das Risiko bei außerklinischen verlegten Geburten größer sei, operative Interventionen zu erhalten, und dass die maternalen sowie neonatalen Outcomes signifikant schlechter seien als bei den vom HKS in denselben KRS übergeleiteten Geburten.
Allerdings: Die unterschiedlichen Selektionskriterien sowie die signifikant differierenden Überleitungsraten der beiden Patientinnenkollektive wurden außer acht gelassen. Den 72 übergeleiteten außerklinischen Geburten hätten unbedingt dreimal mehr HKS-Überleitungen (216) gegenübergestellt werden müssen, da außerklinische Hebammen dreimal weniger verlegen, und zudem hätte auch unbedingt ein Abgleich der Risikokataloge aus dem Mutterpass stattfinden müssen. Während sich das beforschte HKS-Kollektiv aus ein und demselben Jahr rekrutiert, musste das Vergleichskollektiv von außerklinischen Geburten aus mehreren Jahren zusammengesammelt werden. Denn nach statistischen Daten kann eine einzelne Klinik in Deutschland keine 74 »abgebrochenen außerklinischen Geburten« (so der Terminus aus der Studie) innerhalb eines Jahres verzeichnen. Welchen Zweck die Fragestellung der Studie als solche verfolgt, erschließt sich nicht.
Ähnliche unkorrekte Rückschlüsse finden sich auch in Bonn: Hier wird die »Art« von Geburtshilfe in der regulären Geburtshilfeabteilung vom Grundsatz her nicht in Frage gestellt. Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Interventionsrate findet sich nirgends. Qualitäten eines HKS jedoch losgelöst von der ihn beherbergenden Institution zu betrachten, erscheint nicht plausibel, wenn doch dasselbe Team gleichermaßen in beiden Systemen arbeitet. Der Gedanke, dass identische Personen am identischen Ort fachlich unterschiedlich handeln, wirkt abwegig. Angesichts aufgezeigter Forschungslücken sowie insbesondere der geringen Fallzahlen dann aber noch öffentlichkeitswirksam den Schluss zu ziehen, dass 90 % aller Schwangeren eines ärztlichen Geburtsbeistandes bedürften, ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar (DGGG, 2020).
Weitere Forschung
Im Netzwerk Hebammenkreißsaal des Deutschen Hebammenverbands (DHV) sind circa 60 Hebammenkreißsäle organisiert, die sich auf rund 600 geburtshilfliche Abteilungen in Deutschland verteilen (DHV, 2023). Der gesamte Anteil von HKS-Geburten bundesweit dürfte schätzungsweise bei unter 0,2 % liegen. Verbindliche, einheitliche Kriterienkataloge für die Selektion von Patientinnen gibt es bisher nicht, auch keine Information zu angepassten spezifischen Abrechnungsvorgaben im DRG-System.
Vergleicht man die Selektionskriterien verschiedener Häuser, zeigt sich eine Diskrepanz mit dem Kriterienkatalog vom GKV-Spitzenverband zu »Geburten im häuslichen Umfeld« (GKV, 2020). Die Auswahl der Frauen im HKS verläuft erheblich strenger als diejenige außerhalb der klinischen Mauern. Alle Fakten und Daten der bisherigen Studien zusammengenommen sind ungenügend und zu unterschiedlich interpretiert, um einen breiten Versorgungsauftrag daraus ableiten zu können.
Welchen Themen genau sollte sich künftige Forschung zum HKS nun also widmen? Sollte man wiederholt Outcomes klinisch verwandter Systeme vergleichen? Oder wäre es nicht effektiver, sich mehr der Prozessqualität zuzuwenden, um beispielsweise einen wirksamen Strategiekatalog zu interventionsfreier oder -armer Geburtshilfe weiterentwickeln zu können? Welche Berufsgruppe und wer in Persona kann und soll federführend solche Forschung begleiten? Vielleicht sollten es keinesfalls Personengruppen sein, die von interventionsfreier Geburtshilfe schlechterdings gar nichts verstehen, da sie eine solche weder erlebt noch je betrieben haben. In dem Zusammenhang gilt es zuletzt noch zu reflektieren, wie zielführend es ist, wenn solche Art Forscher:innen dann landesweit für Fortbildungen zur Implementierung neuer HKS gebucht werden.
Und wieso wird der non-intervenierenden Hebammengeburtshilfe eigentlich ein höheres Risikopotenzial unterstellt als einer interventionsstärkeren ärztlich geleiteten Geburtshilfe? Darüber hinaus sind auch noch etliche Fragen auch innerhalb der Hebammenzunft zu klären: zum Beispiel, welche Medikamente im HKS eingesetzt, ob Rizinuscocktails verabreicht, Amniotomien durchgeführt und Geburten anderweitig forciert werden sollten. Ist eine Nahtversorgung durch Ärzt:innen oder eine verbale Konsultation schon als System-Überleitung anzusehen? Wäre es im Hinblick auf die erwünschten Outcomes hier nicht auch interessant zu hinterfragen, inwiefern außerklinisch tätige Hebammen einen anderen Arbeitsstil pflegen? Und: Wäre es nicht auch logisch, das Eins-zu-eins-Belegsystem statistisch vergleichend mit einzubeziehen, da dieses in der Regel sogar mehr kontinuierliche Hebammenbetreuung bereits während der Schwangerschaft abbildet?
Fazit
Entwickelt die klinisch hebammengeleitete Geburtshilfe kein eindeutig definiertes, vom regulären KRS abgrenzbares Profil, mutiert das Konzept zum Etikettenschwindel. Dabei sind auch die finanziellen Zuflüsse transparent zu machen: Es muss geprüft werden, ob es sich bei Implementierung eines HKS um Anschubeffekte durch temporäre Finanzspritzen handelt oder ob sich die klinisch hebammengeleitete Geburtshilfe nachhaltig als ein relevantes Versorgungssystem etabliert, das auch weiterhin Förderung verdient.
Wer Studien durchführt und Daten erhebt, macht immer auch von seiner Deutungsmacht Gebrauch. Wissenschaft basiert auf ehrlichen Zahlen – aber ebendiese lassen sich aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich interpretieren. Die künftige klinische Forschung bedarf einer unabhängigen Hebammenperspektive, damit Studienergebnisse nicht durch ärztliche Sichtweisen dominiert werden.