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Warum stillen viele Mütter nicht so lange, wie es wünschenswert wäre, obwohl sie von den Vorteilen wissen? Studien über das menschliche Gesundheitsverhalten zeigen: Besonders Erstmütter brauchen eine stillfreundliche Umgebung, Vorbilder, Selbstvertrauen und das Wissen, wie sie Fallstricke überwinden. 

Wie können mehr Mütter davon überzeugt werden, ihre Kinder über sechs Monate voll zu stillen? In vielen Ländern der Erde versuchen ForscherInnen zu verstehen, wie sie die unbefriedigend niedrigen Anteile dieser Frauen erhöhen können. GesundheitspsychologInnen haben in großen Meta-Analysen auch am Beispiel des Stillens untersucht, wie das menschliche Gesundheitsverhalten sich verbessern lässt (Sheeran et al. 2016; Guo, Wang, Liao & Huang 2015).

Dabei gibt es Faktoren, auf die nur die Politik Einfluss nehmen kann, um gesellschaftliche Normen zu verändern. International wird das Verbot der Werbung für Babymilchpulver diskutiert (Bartle & Harvey 2017). Britische Gesundheitspsychologinnen konnten zeigen, dass persönliches Erleben von Stillen oder Flaschenfütterung das Stillen sechs Wochen nach der Geburt beeinflusst, zum Beispiel auch durch entsprechende Werbung.

Ein weiteres Beispiel für gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die soziale Normen und damit Verhalten prägen, sind stillfreundliche Krankenhäuser (Margotti & Epifanio 2014). In Krankenhäusern, die keine Stillförderung anbieten, zeigten psychologische Interventionen zur Verbesserung der Selbstwirksamkeit stillender Mütter keine Veränderung des Stillverhaltens (Otsuka et al. 2014). Die soziale Norm um uns herum ist also der Risikofaktor Nummer eins für das Stillen.

Verinnerlichte Normen verändern

Wir Menschen sind vor allem soziale Wesen. Unsere Wahrnehmung davon, was alle tun, steuert viel stärker unser Handeln, als wir es wahrhaben wollen. Für SozialpsychologInnen ist dies das am besten gehütete Geheimnis für die Veränderung und Beeinflussung von Verhalten (Cross 2013). Dieses Wissen könnten Krankenhäuser und Hebammen nur anwenden, indem sie beispielsweise Folgendes sagen: »90 Prozent der Mütter, die unser Haus verlassen, stillen mindestens sechs Monate lang.« Natürlich wäre das in der jetzigen Situation eine Lüge und wir sind weit davon entfernt, dies behaupten zu können.

Neben der sozialen Norm ist der stärkste Prädiktor, ob eine Mutter stillen wird, ihre Absicht zu stillen (Guo et al., 2015). Diese Handlungsintention speist sich neben den verinnerlichten gesellschaftlichen Normen aus zwei Quellen. Zum einen aus der persönlichen Einstellung zum Stillen. Hier wiederum entscheidet vor allem, ob die werdende Mutter bereits ein Kind erfolgreich gestillt oder Kontakt zu stillenden Müttern hat. Die zweite treibende Kraft auf dem Weg zur Erststillenden ist die Selbstwirksamkeitsüberzeugung der Mutter: »Ich kann stillen und ich kann Schwierigkeiten überwinden, indem ich bestimmte Strategien anwende.« Hebammen können diese beiden Ansatzpunkte nutzen: mit Schwangeren an der persönlichen Einstellung zum Stillen arbeiten und die Selbstwirksamkeitsüberzeugung der werdenden und stillenden Mütter stärken.

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sind der Schlüssel zum Verständnis von Erfolg und Durchhaltevermögen in schwierigen Situationen. Dies gilt für viele menschliche Verhaltensweisen, sowohl für das Gesundheitsverhalten als auch speziell für das ausschließliche Stillen (Margotti & Epifanio 2014; Sheeran et al. 2016). Den größten Effekt können Hebammen der Studienlage zufolge dann erzielen, wenn sie an der Veränderung der verinnerlichten Norm, der Einstellung und der Selbstwirksamkeit der Frau arbeiten. Da dieser umfassende Ansatz praktisch wohl nur selten möglich ist, bleibt die Förderung der Selbstwirksamkeit die bestmögliche Alternative als Ansatzpunkt für die Hebamme (Sheeran et al. 2016; Margotti & Epifanio 2014).

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen
sind veränderbar. Eine hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugung der stillenden Erstgebärenden wirkt sich positiv auf ihren Stillerfolg aus (Brockways, Benzies & Hayen 2017). Sie stärkt auch ihre psychische Gesundheit (Henshaw et al. 2015). Umgekehrt gehören bei erschöpften Erstmüttern die Sorgen rund um das Stillen neben der Müdigkeit, der fehlenden sozialen Unterstützung und der Anpassungsleistung an das Muttersein zu den am häufigsten genannten Ursachen für Stress und Erschöpfung (Henshaw et al. 2015). Die frühe Förderung von stillbezogener Selbstwirksamkeit ist also ein wichtiges Ziel in der nachgeburtlichen Gesundheitsförderung – besonders bei Erstgebärenden.

Grafik 1: Die vier Säulen der Selbstwirksamkeitsüberzeugung

Kurznachrichten ersetzen den Rat der Erfahrenen

Die Selbstwirksamkeitsförderung stillender Mütter wird häufig bei Erstgebärenden erforscht. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen speisen sich mehr aus vergangenen Erlebnissen als aus Vorstellungen über die Zukunft. Daher ist es für Erstgebärende und ihre BegleiterInnen besonders herausfordernd, eine starke Selbstwirksamkeitsüberzeugung aufzubauen. Schließlich hat eine Erstgebärende noch nie gestillt und kann nicht wissen, ob sie wirklich ein Kind voll stillen kann. Sie braucht daher am besten schon vor oder in der Schwangerschaft ein soziales Rollenmodell. Das kann eine Verwandte, Freundin oder Bekannte sein, bei der sie sich abschauen kann, dass es geht und wie es geht, oder eine Hebamme, die zunächst Wissen vermittelt und später beim Stillen-Üben hilft (Tafazoli, Boskabadi & Moudi 2016).

Ein Rollenmodell funktioniert dann besonders gut, wenn Lernende und Erfahrene einander sympathisch und ähnlich sind. Weiterhin ist es von Vorteil, wenn die Erfahrene schon durch Stillschwierigkeiten gegangen ist und sie überwunden hat.

Die Zeiten, in denen soziale Rollenmodelle unter einem Dach zusammenlebten und Stillwissen ganz natürlich weitergegeben werden konnte, sind lange vorbei. Der menschliche Kontakt ist immer die beste Möglichkeit, voneinander zu lernen. Die moderne Variante sind in ihrer Wirksamkeit bestätigte Interventionen, die mit phasenspezifischen SMS, MMS oder einer entsprechenden Nachrichten-App arbeiten und so auf die Erhöhung der Selbstwirksamkeit abzielen (Martinez-Brockmann et al. 2017). Das entsprechende Projekt in den USA heißt LATCH (lactation advice through text messaging can help, übersetzt: »Stilltipps durch SMS können helfen«). In der Schwangerschaft erhalten Frauen über das Handy Nachrichten wie diese: »Egal wie groß deine Brüste sind, sie werden gut und leicht Milch produzieren, die genau auf die Bedürfnisse deines Babys abgestimmt ist.«

Videobotschaften vermitteln zusätzlich Wissen und erleichtern die Vorbereitung: »Manche Babys saugen von Anfang an, aber für viele braucht es mehr Zeit. Du und dein Baby, ihr werdet es gemeinsam lernen. Schau dir das Video an, um mehr zu erfahren.« In der Stillzeit lauten die Nachrichten dann eher so: »Um den Milchfluss in Gang zu bringen, ist es wichtig, dass du dich entspannen kannst. Such dir einen ruhigen Raum ohne Störungen und konzentriere dich nur auf dein Baby«.

An einer Universität im Iran wurde ein Experiment durchgeführt, bei dem die Erstgebärenden entweder Nachrichten erhielten, in denen die Vorteile des Stillens (Förderung der geistigen Entwicklung) oder der mögliche Verlust durch Nichtstillen (erhöhtes Risiko von Plötzlichem Kindstod, wenn das Kind nicht gestillt wird) kommuniziert wurden. In den beiden Interventionsgruppen zeigten beide Kommunikationsvarianten eine gleich hohe Wirksamkeit (Merdasi, Araban & Saki 2017). Dies widerspricht der allgemeinen, nicht auf das Stillen bezogenen Auffassung in der Erforschung der Selbstwirksamkeit.

Neben der »Ich-kann-das«-Selbstwirksamkeit (»self-mastery«) und der Selbstwirksamkeitsförderung durch ein soziales Modell gibt es noch die »Selbstwirksamkeit durch verbale Überzeugungskraft«. Hierbei können als vertrauenswürdig wahrgenommene Menschen die Selbstwirksamkeit durch positive Aussagen wie »Du kannst stillen« effektiv stärken. Dabei müssen die Aussagen selbst glaubwürdig sein. Daher ist es wichtig, kleinschrittig Ziele zu setzen und diese kleinen Erfolge beim Stillen zu loben. Dies stärkt die sich zaghaft entwickelnde Selbstwirksamkeitsüberzeugung (»self-mastery«) der stillenden Erstmutter. Kritik am Stillverhalten muss im Wochenbett für Gesundheitsprofis folglich ein absolutes Tabu sein.

Grafik 2: Ungünstige Interpretationen physiologischer Signale und ihre Folgen

Glaubwürdig loben

Eine vierte und letzte Säule für die Selbstwirksamkeitsüberzeugung sind physische und psychische Schlüsselreize (siehe Grafik 1). Sie werden in der Forschung manchmal als vergleichsweise unwichtig beschrieben. Für Hebammen ist es wichtig, die Mechanismen zu kennen, um die Frauen und ihre BegleiterInnen vor Fallstricken zu warnen. Stellen wir uns eine Frau vor, die zum ersten Mal ein Kind geboren hat und stillen möchte. Hirnareale, die für das Melden von Gefahr zuständig sind, reagieren auf den Blutdruck und die Herzrate, die sich vor Aufregung etwas erhöhen. Dies kann sehr wahrscheinlich auf physiologischer Ebene als Angst und somit als Zeichen von Vulnerabilität interpretiert werden: Schnell entwickelt sich daraus die Angst zu versagen. Sie beruht auf ungünstig interpretierten physiologischen Signalen (siehe Grafik 2). Positive Stimmung steigert die Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Menschen können negative Stimmungen schneller wahrnehmen und besser spiegeln als positive Signale. Dieses schnelle und gute Aufnehmen negativer Stimmungen ist genauso ein alter Schutzmechanismus, wie der oben beschriebene (physiologische Aufregungssignale = Vulnerabilität = es besteht ein triftiger Grund, Angst zu haben). Beide ursprünglich dem Überleben dienenden Schutzmechanismen sind im Wochenbett hinderlich, da Stimmungen wie Angst und Ärger auch die Selbstwirksamkeitsüberzeugung schwächen. Dieses Hintergrundwissen können Hebammen in Geburtsvorbereitungskursen vermitteln, um den Partnern und Begleiterinnen der Frauen klar zu machen, wie wichtig Geborgenheit und glaubwürdiges Lob in dieser sensiblen Phase eines Frauenlebens sind.

Für die Praxis:
Schlüssel zur Steigerung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen stillender Erstmütter

»Ich-kann-das«-Selbstwirksamkeit = Ich habe alles, was es braucht, um mein Kind voll zu stillen.

  • Entwickelt sich ohne Vorerfahrung nur allmählich.
  • Alle guten körperlichen Voraussetzungen konkret benennen und positiv belegen (Brustgröße, Brustwarzenform, ggf. natürliche Geburt, körperliche Nähe zum Kind, usw.).
  • Alle Vorteile der Muttermilch konkret für diese Mutter und ihr Kind benennen.
  • Deine Milch ist individuell für deinen Sohn/deine Tochter angepasst auf folgenden Ebenen … (immunstärkend, beugt Adipositas vor und ist sogar epigenetisch »heilsam«).

Verbale Überzeugung:

  • Bei fehlenden Rollenmodellen (Kontakt zu stillerfahrenen Müttern): SMS und MMS-Projekte oder Apps (wie LATCH in den USA)
  • Glaubwürdigkeit der Aussagen ist sehr wichtig – ansonsten kann die Selbstwirksamkeit eher geschwächt werden.
  • Kommunikation von Vorteilen des Stillens genauso effektiv wie Kommunikation möglicher Nachteile, die aus der Entscheidung resultieren, nicht (mehr) zu stillen.

Kleinschrittig Erfolge loben und zur weiteren verbalen Überzeugung nutzen:

  • Zunächst Anlegeversuch loben, dann richtiges Anlegen loben, dann loben, wenn das Kind kurz getrunken hat …
  • Keinerlei Kritik am Stillverhalten im Wochenbett, besser noch kleinschrittiger vorgehen und so mögliche Erfolge positiv hervorheben.
  • Nichts loben, was nicht lobenswert beziehungsweise ein Fortschritt ist.

Passende Rollenmodelle für schwangere Erstgebärende erleichtern vieles:

  • Kontakte zu stillerfahrenen Freundinnen und Verwandten schon in der Schwangerschaft anregen.
  • Hebammencafés, in denen sich schwangere und stillende Mütter natürlich begegnen können.
  • Stillgruppen auch für Mehrfachmütter attraktiv machen, da sie für die Erstmütter ideale Rollenmodelle sind.
Zitiervorlage
Evers-Zimmer C: Länger stillen leichter machen. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2017. 69 (10): 50–54
Literatur

Brockway M, Benzies K, Hayden KA: Interventions to improve breastfeeding self-efficacy and resultant breastfeeding rates: A systematic review and meta-analysis. Journal of Human Lactation 2017

Cross J: Three Myths of Behavior Change – What You Think You Know That You Don›t: Jeni Cross at TEDxCSU 2013. https://www.youtube.com/watch?v=l5d8GW6GdR0 (letzter Zugriff: 5.9.2017)

Henshaw EJ, Fried R, Siskind E, Newhouse L, Cooper M: Breastfeeding self-efficacy, mood, and breastfeeding outcomes among primiparous women. Journal of Human Lactation 2015. 31(3) 511–518

Margotti E, Epifanio M: Exclusive maternal breastfeeding and the Breastfeeding Self-efficacy Scale. Northeast Network Nursing Journal 2014. 15(5)

Merdasi F, Araban M, Saki MA: The Effect of Message-Framing on Breastfeeding Self-Efficacy Among Nulliparous Women in Shushtar, Iran. Electronic physician 2017. 9(1) 3554

Otsuka K, Taguri M, Dennis CL, Wakutani K, Awano M, Yamaguchi T, Jimba M: Effectiveness of a breastfeeding self-efficacy intervention: do hospital practices make a difference? Maternal and child health journal 2014. 18(1) 296–306

Sheeran P, Maki A, Montanaro E, Avishai A, Bryan A, Klein WMP, Miles E, Rothman AJ: The impact of changing attitudes, norms, and self-efficacy on health-related intentions and behavior: a meta-analysis. Health psychology 2016. 35(11)

Weissenborn A et al.: Stillhäufigkeit und Stilldauer in Deutschland–eine systematische Übersicht.« Das Gesundheitswesen 2016. 78.11: 695–707

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