Auf dem Titel des Buchs Vinterbørn (»Winterkinder«) sieht man einen Linolschnitt von einer stillenden Frau in einem Krankenhausbett. Reproduktion: © Birgit Heimbach

Die dänische Grafikerin und Schriftstellerin Dea Trier Mørch veröffentlichte in den 1970er Jahren populäre Bücher über junge Mütter auf einer Entbindungsstation, über Familien und Sozialismus. Linoldrucke daraus sind derzeit großformatig in Dänemark zu sehen. 

Vor rund 40 Jahren, 1976, schrieb die dänische Schriftstellerin Dea Trier Mørch ein Buch namens Vinterbørn (deutscher Titel »Winterkinder«) über eine Entbindungsstation im winterlichen Dänemark. Verschiedene Frauen, ihr Mutterwerden und ihr Schicksal werden darin respektvoll und liebevoll zugleich in einer Art Novelle beschrieben. Lauter Winterkinder werden geboren. Die Kapitel enthalten eine Reihe von schwarz-weiß-gedruckten Linolschnitten der Autorin, – schlicht und expressiv zugleich. Kurz danach, 1977, schrieb und illustrierte Mørch das Buch »Ind i verden« (»Ins Leben«), in dem kurz und knapp am Beispiel einer Frau ein normaler Geburtsprozess veranschaulicht wird. Dieser Buchtitel wurde nun Name einer Ausstellung im Kunstmuseum Louisiana – Museum of Modern Art nahe Kopenhagen, wo Bilder aus beiden Büchern zum ersten Mal zu sehen sind.

Buchtitel von »Ind i verden« (»In die Welt«) – ein lehrreiches Buch über die Geburt, im dänischen Verlag Gyldendal erschienen Reproduktion: © Birgit Heimbach

Das Fühlbare und das Physische

Die Drucke werden hier zum ersten Mal museal ausgestellt– als Teil der Reihe »Louisiana On Paper«. Gezeigt werden gebärende Frauen, Neugeborene, frisch gebackene Väter, Hebammen, ÄrztInnen und Reinigungskräfte. Marie Laurberg, Kuratorin der Ausstellung, schreibt begeistert, dass sich Mørch als eine Vorreiterin feministischer dänischer Künstlerinnen vollkommen auf das »das Fühlbare und Physische« einlasse, wenn es um den Körper und seinen Beginn als menschliches Wesen geht. Eine würdevolle Behandlung der Dargestellten sei spürbar, wie auch in anderen grafischen Werken, in denen sie um Eckpunkte des Lebens gekreist und stets das Soziale und den sozialistischen Gedanken betont habe.

Mørch war Humanistin und wollte politisch wirken. So zeigte sie Menschen im täglichen Leben, aber auch jenseits des Alltags: FreiheitskämpferInnen, politische Gefangene und junge Soldaten. Die insgesamt 90 ausgestellten Arbeiten, die zwischen 1967 und 1977 entstanden, stammen aus dem Archiv der Künstlerin, das bis heute von ihrer Familie verwaltet wird. Viele seien bisher nie ausgestellt worden.

Emblem des Künstlerkollektivs »Røde Mor« (»Rote Mutter«), gestaltet von Dea Trier Mørch. Reproduktion: © Birgit Heimbach

Erfahrungen im Rigshospitalet

1941 geboren, begann Dea Trier Mørch mit 16 Jahren ihr Studium an der Königlich Dänischen Akademie der Bildenden Künste. Doch die damals angesagte ab­strakte Malerei gefiel ihr nicht. Sie reiste nach Osteuropa, in die damalige Sowjetunion, und fand dort Inspirationen in Plakat-Kunst sowie im experimentellen Theater. Sie arbeitete bald vor allem mit Linolschnitten.

1969 gründete sie mit ihrem späteren Mann, dem Musiker Troels Trier, und einem weiteren Künstler das Kollektiv Røde Mor (Rote Mutter). Mit Bildender Kunst, einer populären Rockband und Theater verbreiteten sie ihre sozialistische, marxistische Gesinnung. Sie setzten sich für unterschiedliche Projekte ein: gegen den Vietnamkrieg oder für die freie Stadt Christiania, eine alternative Wohnsiedlung in Kopenhagen. Mørch produzierte viele politisch motivierte Plakate. Røde Mor, deren Emblem sie als roten Linolschnitt gestaltete, wurde eine Ikone für viele junge Menschen. Das Kollektiv existierte knapp zehn Jahre lang bis 1978. Im Jahr 1977 heirateten Mørch und Trier. Sie hatten bereits drei Kinder zusammen, ihre Ehe hielt dann nur zwei Jahre.

In diese Zeit des Auf und Ab gehört auch das 1976 veröffentlichte Buch »Winterkinder«, das sie vor allem als Autorin international bekannt machte. Ihm lagen eigene Erfahrungen im großen Krankenhaus Rigshospitalet in Kopenhagen zugrunde, wo sie ihre Kinder geboren hatte. Sie beschreibt in dem Buch eine fiktive kollektive Gemeinschaft, zusammengesetzt aus verschiedenen Schicksalen der Frauen und denjenigen, die dort arbeiten. Das Krankenhaus erscheint wie ein lebendiger warmer Organismus inmitten der kalten Jahreszeit und den Ungewissheiten der Zukunft.

Das Buch fand großen Anklang und wurde in 22 Sprachen übersetzt. Bereits 1979 wurde es preisgekrönt verfilmt von Astrid Henning-Jensen. Knapp 20 Jahre zuvor hatte es einen skandinavischen Film über eine Wochenbettstation gegeben: »Brink of Life« (Am Rande des Lebens) von Ingmar Bergman. Schwermütig wirkt darin die Solidarität unter den Frauen, die zum Teil Fehl- und Totgeburten erlitten. Im Gegensatz dazu wird das feministisch geprägte Frauenbild von Mørch noch deutlicher: Die jungen Mütter reflektieren ihre Erfahrungen.

Dea Trier Mørch verzichtete auf Details, stellte aber doch recht anschaulich einzelne Phasen der Geburt dar – am Ende auf einem sogenannten Geburtsbecken Reproduktion: © Birgit Heimbach

Existenzielle Fragen

Das Titelbild des Buchs »Winterkinder« zeigt eine Frau, die in einem Krankenhausbett ihr Baby stillt. Zu den 18 schwangeren Protagonistinnen der Geschichten gehört Signe. Sie bekommt regelmäßig von ihrem Mann Jacob Besuch. Ihr zweitjüngstes Kind hat sie ein Jahr zuvor abgestillt. Sie raucht in dem Mehrbettzimmer, wo auch die Diabetikerin Olivia liegt. Diese muss zwei Monate auf der Station bleiben und wird am Ende per Kaiserschnitt entbunden. Ihre Sorge ist, dass die operierenden Ärzte vergessen könnten, sie zu sterilisieren.

Die Tage und Nächte werden genau beschrieben. So auch die Silvesternacht, in der die Entbindungsstation geschlossen ist, weshalb die Schwangeren Habiba und Marie die Nacht auf der Intensivstation verbringen müssen. In langen Gesprächen geht es um das tägliche Leben und um große Fragen: »Ist ein Tod wie eine Geburt? Ist ein natürlicher Tod wie eine Geburt? So ernst, so feierlich und so gnadenlos?«

Im Text zur Ausstellung schreibt das Museum, dass die Drucke rund um das Thema Geburt im Grunde so gewöhnlich seien, dass es auf den ersten Blick schwierig sei, das Besondere in ihnen zu entdecken. Und doch seien sie bis heute ein wichtiger künstlerischer Beitrag.

Die Künstlerin habe zu einer neue Dimension der visuellen Kultur beigetragen, indem sie allgemeingültige Aspekte des menschlichen Daseins beschreibe, die bisher nahezu unerzählt geblieben seien. Während der Tod ein weitgefächertes Thema in der Kunst gewesen sei, sei der Beginn des Lebens erst durch den Feminismus in der 1970er Jahren stärker ins Augenmerk gerückt. Die 1975 geborene Tochter Sara Trier erklärt: »Wir Familienmitglieder sind sehr stolz auf die Ausstellung! Sie erinnert an meine verstorbene Mutter als Künstlerin. Aber das Ganze scheint auch wie eine Art offizieller Würdigung des Themas Geburt und Mutterschaft als ein Gegenstand der Kunst zu sein.« Besonders gefallen ihr die Holzschnitte aus dem Buch »Ind i Verden«. »Im Buch ist der Hintergrund jeweils in Blau gedruckt, aber im Original als Schwarz-Weiß-Druck sind sie noch ausdrucksstärker. Es scheint überraschend provokativ und progressiv, all diese Linolschnitte – alle die Phasen der Geburt – nebeneinander an der Wand zu sehen«, so Sara Trier. Das Buch zeigt Bild für Bild den Ablauf einer Geburt. Die Frau wird die ganze Zeit von derselben Hebamme betreut. Später kommt eine weitere dazu. Die Hebamme macht einen Pudendusblock, einen mediolateralen Dammschnitt und näht anschließend. Ein Arzt ist nicht anwesend. Die Geburt läuft in der für die 1970er Jahre typischen Steinschnittlage ab. Der Ehemann ist dabei. Mørch bedankt sich in dem Buch bei den vier Hebammen Charlotte, Ellen, Jette und Randi, die ihr beratend zur Seite standen.

Das Buch ist 2017, 30 Jahre nach dem Ersterscheinen, vom Gyldendalverlag in Kopenhagen als E-Book herausgegeben worden. Die betreuende Lektorin Julie Paludan-Müller: »Ich glaube, die Geschichte war allgemein für ein weibliches Publikum gedacht.«

Mørch beschreibt in ihrem Buch, wie die Protagonistin Veronica zunächst nicht pressen darf und wie eine Lokomotive vor der Geburt des Kindes hechelt. Reproduktion: © Birgit Heimbach

Das Brüchige des Lebens

In den 1980er Jahren entstanden Bücher rund um die Themen Familie und Sozialismus: über das Leben von drei Kindern und deren Besuch bei der Großmutter in den 1940er Jahren, über die politischen Aktivitäten einer Familie, über die Krise einer Familie, in der ein Mitglied Krebs bekommt, auch eine Liebesgeschichte.

1995 schrieb Mørch mit ihrer Tochter Sara eine Geschichte, in deren Zentrum eine Unterhaltung zwischen Mutter und Tochter über das Aufwachsen in einer Scheidungsfamilie steht. Später schrieb sie noch eine, in der es um Beziehungsprobleme geht, wenn die Partner älter geworden sind. Sie wählte immer verschiedene Perspektiven in ihren Texten und Illustrationen und schilderte sensibel und würdevoll das Brüchige des Lebens, die Zerbrechlichkeit eines jeden einzelnen, Zusammenhänge inmitten von Familie und in der Gesellschaft. Dea Trier Mørch starb 2001 mit nur 60 Jahren.

Die Geburt ihrer drei Kinder inspirierte Dea Trier Mørch, die fast ausschließlich Druckgrafik herstellte, auch als Künstlerin. Foto: © Andreas Trier, Copyright press.louisiana.dk


Hinweis: 

Die Ausstellung: Dea Trier Mørch – Into The World (Ind i verden)

Die Ausstellung läuft bis 28. April 2019 im Louisiana Museum of Modern Art, das als erstes Museum das Werk der Künstlerin zeigt. Das wohl bedeutendste Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Dänemark liegt 35 Kilometer nördlich von Kopenhagen in Humlebæk am Ufer des Öresund. Die Ausstellung ist Teil des Ausstellungszyklus »Louisiana on Paper«, wo jeweils Papierarbeiten gezeigt werden.

Gammel Strandvej 13, 3050 Humlebæk

www.louisiana.dk/en/exhibition/dea-trier-mørch


Zitiervorlage
Heimbach B: Dea Trier Mørch: Winterkinder. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (4): 87–89
Links
https://en.wikipedia.org/wiki/Dea_Trier_M%C3%B8rchhttps://nordicwomensliterature.net/writers/moerch-dea-trier/
Literatur

Dea Trier Mørch: Winter’s Child. Nebraska 1986.

Dea Trier Mørch: Ind i Verden. Kopenhagen 2017

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