Der Körperpsychotherapeut erläutert seinen therapeutischen Ansatz im vergangenen Herbst auf dem Attachment-Parenting-Kongress in Hamburg. Foto: © Birgit Heimbach

Die Emotionelle Erste Hilfe (EEH) soll Eltern und Kinder einander näherbringen und zum Beispiel die Bedürfnisse von Schreibabys verständlich machen. Der Begründer Thomas Harms hat das Konzept an einem Fachtag und in einem Kinofilm erläutert. Allerdings wirkt die Therapie mitunter befremdlich – einige der Lehrinhalte sind wissenschaftlich nicht geprüft.

Der Körperpsychotherapeut Thomas Harms verfolgt seine Herzensthemen »Babyschreien, Bindung und Eltern-Kind-Therapie« seit über 25 Jahren und unterstützt Eltern darin, sich in Krisenzeiten selbst zu stabilisieren und für ihre Säuglinge ein größeres Verständnis zu entwickeln. 1993 gründete er in Berlin-Tempelhof eine Schreiambulanz für Eltern und Säuglinge. Seit 1997 leitet er das Zentrum für Primäre Prävention (ZePP), spricht auf vielen Kongressen wie etwa auf dem Attachment Parenting Kongress in Hamburg 2018 über seine Arbeit. Kürzlich hat er ein neues Buch herausgebracht unter dem Titel »Keine Angst vor Babytränen – Wie Sie durch Achtsamkeit das Weinen Ihres Babys sicher begleiten« (siehe DHZ 11/2018, Seite 32). Auch an einem Kinofilm hat er mitgewirkt (siehe Kasten).

Mit dem von ihm mitinitiierten Programm Emotionelle Erste Hilfe (EEH) erobert er nun auch andere Länder der EU und organisiert im kommenden Jahr ein mehrtägiges Bindungsfestival. Anfang November vergangenen Jahres hat er in Bremen einen Fachtag zu EEH veranstaltet. Neben ihm selbst hielten dort zwei ReferentInnen jeweils zwei Vorträge: Der Babytherapeut Matthew Appleton aus Bristol bildet seit einigen Jahren mit Harms zusammen Hebammen und andere Berufsgruppen – in der Regel Frauen – in EEH und in der Kommunikation mit Babys aus. Ebenfalls in EEH ausgebildet ist die Sonderpädagogin Ursula Henzinger, die in Kufstein Kurse für Eltern und ihre Kleinkinder gibt und sich aufgrund ihrer Beschäftigung mit frühkindlichem Verhalten als Humanethologin bezeichnet.

Ursula Henzinger gibt in Bremen einen Überblick über die Humanethologie mit Fokus auf die Wurzeln des menschlichen Verhaltens. Foto: © Birgit Heimbach

Das Phänomen des Schreibabys

Harms geht es in seiner Sicht auf Kinder darum, bestimmte neurophysiologische Regelkreise zu erkennen: Ist im autonomen Nervensystem aufgrund von Stressoren beispielsweise nur der ventrale Vagus aktiviert oder schon der dorsale Vagus, bei dem das Kind regelrecht Lebensgefahr empfindet? Demgegenüber gebe es unterschiedliche Sichtweisen anderer Fachdisziplinen: Die Entwicklungspsychologie schaue eher auf die Kompetenzen von Babys, die Bindungspsychologie vor allem darauf, wie viel Sicherheit sie erleben, die Pränatalpsychologie auf die vorgeburtliche Prägung, die Tiefenpsychologie schaue darauf, welche unterdrückten Gefühle der Eltern das Kind auslebt. Überschneidungen gebe es natürlich auch.

Im Zentrum der Arbeit von Harms steht das Schreien von Säuglingen, vor allem wenn es unstillbar wird.

Seiner Meinung nach hat sich die klassische Säuglingsforschung zu wenig damit befasst. Die Publikationen des Körperpsychotherapeuten Wilhelm Reich (1897–1957) sind für ihn wichtigste Inspirationsquelle und Grundlage. In den 1980er Jahren inspirierte ihn auch das Kult-Buch von Jean Liedloff »Auf der Suche nach unserer verlorenen Kindheit«. Die Autorin habe darin erzählt, dass es in der Kultur der Yequana-Indianer das Phänomen von Schreibabys nicht gebe. Wenn ein Baby bei einer Versammlung anfangen würde zu weinen, dann würde die Mutter aufstehen und durch eine Art Parcours laufen. Harms habe sie damals zu einer Veranstaltung eingeladen. Als eines der Babys dort anfing zu weinen, habe er Liedloff gebeten, dies nun konkret zu zeigen. Aus Kissen sei ein Parcours gebaut worden, durch den die Mutter mit dem Baby hindurch gelaufen sei. Tatsächlich habe es funktioniert, das überraschte Baby habe nicht mehr geschrien. Dies sei aber keine Methode für jede Gelegenheit, so Harms, sondern Mütter müssten lernen, sich über die Atmung selbst in einen entspannten Zustand zu bringen, um ihrem Kind dann durch Biofeedback diese Entspannung weiterzuleiten.

Schreien gehöre zur normalen Entwicklung eines Kindes dazu, sie müssten ihre Bedürfnisse auf diese Weise kundtun. Harms betont, dass Eltern jedoch lernen müssten, was das Weinen ihres Babys jeweils bedeutet. Die Gefahr für ein Kind, wenn es in seinem Schmerz wiederholt nicht verstanden werde, sei in der Folge ein inneres Coping, bei dem das Kind irgendwann resigniert. Hier müsse einiges rechtzeitig besser justiert werden.

Eltern müssten beispielsweise erkennen, ob es sich um ein Bedürfnisweinen handele. Dann müssten sie das jeweilige Bedürfnis erkennen, zum Beispiel nach Muttermilch, nach Nähe oder nach Unterhaltung. Das Resonanzweinen, etwa wenn das Baby Frustration erlebte, müsse ebenfalls aufgefangen werden. Und ein Erinnerungsweinen, beispielweise an eine Traumatisierung rund um die Geburt, müsse mit Verständnis und Beistand beantwortet werden. Exzessives Schreien sei ein Übergangsverhalten in der Bewältigung. Rund 60 bis 70 % der Kinder hätten einen Nachverarbeitungsbedarf des Geburtserlebnisses, wofür rund vier bis fünf EEH-Sitzungen reichen würden.

Harms zeigte auf dem Fachtag in Bremen und auf dem Attachment Parenting Kongress in Hamburg 2018 Ausschnitte aus seinem Film (siehe Kasten) und erläuterte an ein paar Fallbeispielen, dass viele Eltern lernen müssten, manche Dinge und sich selbst anders zu sehen, etwa in Stresssituationen, wenn das Baby schreit. Er will ihnen Handwerkszeug geben, damit sie besser bei sich bleiben, ihre Angst vor affektiven Äußerungen des Kindes verlieren, nicht so schnell an ihre Erschöpfungsgrenze stoßen und in einen besseren Kontakt zu sich und dem Kind gelangen können. Mit bindungsbasierter Körperpsychotherapie möcht er »geschwächte oder verloren gegangene Beziehungen zwischen Eltern und ihren neugeborenen Kindern stärken«, heißt es auf seiner Internetseite (www.thomasharms.org).

Dokumentation:
»Nicht von schlechten Eltern«

In dem Kinofilm »Nicht von schlechten Eltern« des österreichischen Filmemachers Antonin Swoboda geht es um die von Thomas Harms entwickelte (EEH). Harms erläutert darin: »Babys fliehen teils nach innen, wenn die Eindrücke zu stark sind. Auch eine Geburtserfahrung kann so doll sein, dass es die Nase voll hat, das wollen die meisten nicht hören.«

Der Film begleitet weitgehend kommentarlos die psychotherapeutische Arbeit von Harms mit drei Familien. Die ZuschauerInnen dürfen ganz nah dabei sein, wenn ein Vater über seine Überforderung und seinen inneren Ausstieg berichtet: Es ist seine zweite Familie, die neue Lebensgefährtin hat mit ihm einen kleinen Sohn im Krabbelalter. Sie beschwert sich über sein offensichtliches Unbeteiligtsein, er spricht zum ersten Mal seine Schuldgefühle gegenüber Frauen aus. Im Film gibt es Momente, in denen alle zusammen sind: zwei sich fremd gewordene Erwachsene, die aber doch noch Liebe füreinander empfinden, dazwischen ein schreiender Säugling. Harms ist dabei, hört sich voller Verständnis alles in Ruhe an. Dann gibt es entspannende Sitzungen für Vater und Sohn mit Mozart-Musik über Kopfhörer. Am Ende schafft es der Vater, seinen schreienden Sohn mit einer Puppe zu erheitern, er lacht schallend, auch die Mutter hat ein Lachen im Gesicht. Die Familie scheint für den Moment stabilisiert, wie es weiter geht, bleibt offen.

Eine Frau mit einer Tochter, die bereits laufen und sprechen kann, kommt zu Harms, erzählt von ihren Überforderungen, ihrer Trauer um die problematische Schwangerschaft, als die Angst größer war als die Freude. Wochenlang dachte sie, sie hätte eine Krebserkrankung, bis die endgültige, entlastende Diagnose da war und sie sich endlich, befreit von der Furcht, auf das Kind einstellen konnte. Aber es entsteht kein Band zwischen ihnen. Sie entschuldigt sich vor der Kamera weinend ihrem Kind gegenüber für ihre Gefühle der Überforderung. Das Mädchen liegt dabei etwas abgewandt vor ihr auf dem Boden, so ganz weiß es nichts damit anzufangen.

Als Zuschauerin fragt man sich, ob es sinnvoll ist, ein Kind so weit in so einen Prozess mit hineinzunehmen? Oder richtig, weil die Gefühle ja unterschwellig für das Kind wohl immer fühlbar waren? Die letzte Sitzung zeigt, wie das Mädchen eine Höhle baut, in der Harms und die Mutter auch noch Platz finden. Auf engstem Raum scheint sich unter den Decken eine Verbindung einzustellen. Man hofft es jedenfalls.

Harms ist immer ruhig, immer freundlich. Nur einmal erschreckt er bewusst ein Baby, indem er sein hustendes Schreien nachmacht und erläutert: Es solle mal den Mund beim Schreien richtig aufmachen. Zumindest schreit es dann tatsächlich aus Leibeskräften.

Beratend am Film mitgewirkt haben die ehemalige Sonderpädagogin Ursula Henzinger und die Hebamme Marianne Mayer, die das Österreichische Hebammengremium leitet. Und auch ein Mann mit der kryptischen Bezeichnung Embryosoph: Jaap van der Wal. Auf seiner Internetseite schreibt der niederländische Arzt davon, dass »das Göttliche und der Geist keine abstrakten Einfälle, sondern konkrete, erkennbare und wirksame Prinzipien im menschlichen (embryonalen) Dasein sind«.

Die Soziologie-Professorin Annelie Keil aus Bremen erläuterte im Film: »Das Leben braucht Verführung. Nicht die Eltern machen das Leben möglich, sie schaffen nur die Bedingungen, indem Kinder zeigen, was sie schon wissen.« Entwicklung brauche Raum und nicht Eingriff. Die Kinderpsychologin Paulien Kuipers sagt: »Aufgabe der Therapie ist es, dass Eltern und Kind sich gegenseitig verstehen können. Man muss etwas mit dem tun, was zwischen ihnen steht.« Der Dokumentarfilm gibt einen guten Einblick in die Arbeit von Harms.

Der Säugling als Forschungsobjekt

Ursula Henzinger gab in Bremen einen Überblick über die Verhaltensforschung (Humanetholgie), deren Begründer Irenäus Eibl-Eibesfeldt im vergangenen Jahr gestorben ist. Sie nahm die ZuhörerInnen auf eine Zeitreise in die 70 Millionen Jahre dauernde Entwicklung von Primaten mit. Seit neun Millionen Jahre könne sich der menschliche Säugling aufgrund des Fellverlustes nicht mehr an der Mutter festhalten, so dass es des »ersten Werkzeugs« der Menschheit bedurfte: einer Tragehilfe. Seit drei Millionen Jahren ist der Mensch ein Homo sapiens, bei dem die aufrechte

Haltung und der größer gewordene Kopf des Kindes bei der Geburt mehr Schwierigkeiten mit sich bringt. Vor 100.000 Jahren begann die Kultivierung, vor 12.000 Jahren wurden die Menschen sesshaft, vor 5.000 Jahren entstand das Ammenwesen. Damals tauchte, so Henzinger, erstmals das Problem des langanhaltenden Schreiens und das dazu passende Wort »Stillen« auf.

Ab 1750 wurde das Babyschreien im Zuge der Aufklärung immer mehr als Wille zur Macht interpretiert. Empathie für möglicherweise wichtige Bedürfnisse sei kein Thema gewesen, so Henzinger. 1870 sei die Säuglingssterblichkeit auf einem Höhepunkt angekommen, so rückte der Säugling als Forschungsobjekt immer mehr in den Fokus.

In den 1940er Jahren erkannte der US-amerikanischer Kinderarzt Benjamin Spocks das psychische Bedürfnis von Babys nach Liebe sowie Wärme an. Der britische Kinderpsychiater John Bowlby betonte, wie wichtig eine gute Mutter-Kind-Beziehung als Prophylaxe psychischer Störungen sei.

Henzinger hat einige spannende Aussagen gesammelt, etwa aus einer gemeinsamen Publikation von dem Kinderarzt Dr. Lennart Righard und der Hebamme Margret Alade aus dem Jahr 1990: »Jedes gesunde Neugeborene weint, wenn es bei seinen ersten (reflektorischen) Bemühungen, zur Mutterbrust zu gelangen, gestört wird und die autonome Synchronisation von Atmen, Saugen, Schlucken gefährdet ist.« Henzinger betont, dass die Kulturgeschichte zeitlich gesehen nur 0,4 Prozent unserer Evolution als Menschen betrage und doch so gravierend sei.

Der Babytherapeut Matthew Appleton erklärt die Passage durch das Becken – und behauptet, dass bei jedem die Nase etwas verschoben sei aufgrund des Drucks vom Kreuzbein während der Geburt Foto: © Birgit Heimbach

Memory Crying

Matthew Appleton, der nach Seminaren/Settings in verschiedenen Bereichen der Körpertherapie und Craniosacraltherapie in Bristol eine psychotherapeutische Praxis betreibt, ist überzeugt, dass Babys eine Körpersprache besitzen und durch meist schrilles »Memory Crying« von ihren im Körpergedächtnis festsitzenden, traumatischen Erlebnissen rund um die Geburt berichten. Auf den Säugling würden bei seiner Geburt enorme Kräfte einwirken. Nacken, Hinterhaupt und Gesicht seien solchem Druck ausgesetzt, dass oft die Nase gebrochen würde.

Er behauptete auch, man könne bis ins Erwachsenenalter am Gesicht erkennen, welches die Liegeseite gewesen sei, diejenige, die zum Kreuzbein der Frau gezeigt habe: Das Auge der Liegeseite sei zur Mittellinie verschoben und würde etwas nach unten weisen, die Nase sei von der Liegeseite weggebogen.

Einige der Hebammen unter den Zuhörenden schauten sich angesichts der Erläuterungen zweifelnd an, auch eine gebrochene Neugeborenen-Nase hatten sie noch nie erlebt und nie beschrieben bekommen. Bei den weiteren Ausführungen von Appleton zeigten ebenfalls manche Verständnisschwierigkeiten. Fragen dazu wurden weder an Appleton noch an Harms gerichtet.

Geschehnisse unter der Geburt würde ein Säugling mitteilen, indem er etwa mit den Händen immer wieder über traumatisierte Stellen streiche, oder mit dem Hin- und Herschütteln des Kopfes auf die schwierige Passage hindeute. Wenn Appleton dann in der Kommunikation mit dem Kind seinen eigenen Kopf drücke, hin und her drehen würde und »Au, Au, Au« schreie, würde sich das Kind endlich verstanden fühlen. Babys hätten dann die Möglichkeit, indem sie aktiv seine Hand wegschöben, die er auf die traumatisierten Stellen am Kopf des Babys lege, das frustrierende Geburtserlebnis neu zu durchleben, abzuschließen und zu erkennen, dass sie Situationen nun nicht mehr machtlos ausgeliefert seien. Denn nun habe das Kind Autonomie und Selbstwirksamkeit erfahren.

Er zeigte in einer Filmsequenz ein schreiendes Baby, das sich in seinem Stress ständig auf den Bauch schlug, und erklärte, es würde damit auf die Medikamente hindeuten, die durch die Nabelschnur in seinen Körper eingedrungen seien. Bereits Embryos seien so kompetent, zu spüren, wenn Stressfaktoren in sie hineindringen würden, und daraufhin könnten sie sogar ihre Nabelschnur zudrücken. Später sehe man an Erwachsenen, dass sie bei Stress weiterhin ihre Hände wie um eine imaginäre Nabelschnur zusammendrücken würden. Und Kaiserschnittkinder könnten als Erwachsene schlechter Projekte abschließen. All dieses sei durch verständnisvolle Zwiesprache zu lösen, bis ins hohe Alter.

Matthew Appelton und seine Arbeit

Der Craniosacral-Therapeut Matthew Appleton ist Körperpsychotherapeutisch in Settings geschult und auch ausgebildet in »Pre- and Perinatal Education« sowie Mitglied der International Society of Prenatal and Perinatal Psychology and Medicine (ISPPM). Wissen habe er sich zusätzlich von keltischen Schamanen geholt. Zehn Jahre lang arbeitete er als Hausvater an der sogenannten demokratischen A. S. Neill’s Schule Summerhill in England, wo selbstregulativ gelernt wird – eben dann, wenn die Kinder es selbst wollen.

Seit einigen Jahren ist er enger Mitstreiter von Harms. Schon auf der 8. Fachtagung des Zentrum für Primäre Prävention (ZePP) in Oldenburg »Wurzeln der Bindung« 2013 wurde sein Therapiekonzept deutlich, das recht unbelegt erscheint und Fragen provoziert: Er erzählte zum Beispiel vom »Pinching«, wozu er auch einige Skizzen zeigte. Dabei handelt es sich laut seiner Auffassung um das Zusammenziehen des Embryos in der Körpermitte, um den Fluss des mütterlichen Blutes zu reduzieren. Bei großem Stress würden Embryos mit Händen und Füße die Nabelschnur zudrücken, um den Andrang der Stressoren zu reduzieren.

Appleton spricht daneben auch von Arching (Bogenrundung, Wölbung), einer extremen Körperanspannung, die nichts mit Blähungen zu tun habe, sondern mit der Verarbeitung von Stressoren. Mit dem »Umbilical Shunting« würde der Embryo lebenswichtige Stoffe in den oberen Bereich schicken. Beim »Hemispheric Shunting« würden sich auf einer Seite des kindlichen Körpers Giftstoffe im Bindegewebe ansammeln.

Das Ungeborene nutze das Zwerchfell, um Blut beziehungsweise Toxine nach unten zu pumpen. Eine spätere Enge des Zwerchfells und Spannung im Rücken könnten von dieser Phase kommen. Appleton meinte, wenn etwas in der Schwangerschaft bedeutsam war, würde ein Säugling davon später berichten. So zeigte er eine Filmsequenz, in der ein Säugling angeblich erzählt, dass seine Nabelschnur bei der Geburt um den Hals gewickelt war. In dem Film war allerdings nur eine ganz kurze Wischbewegung der Hand am Hals zu sehen, das hätte alles Mögliche bedeuten können.

Indem er die Hand über einen Säugling halte, sei er in der Lage, eine gedachte energetische Nabelschnur bei Säuglingen zu palpieren, er spüre dann die Nabelschnurströmung. Metaphorisch sind für ihn Mund und Nabelschnur eins. Sie stünden in Beziehung zueinander, weil sie derselben Funktion dienten. Das sei in der Erwachsenentherapie sehr hilfreich, denn die Mundbewegung würde etwas anderes verraten, als das, was gesagt werde. Er sprach vom Nabelschnurmodus, wenn der Mund wie bei der Strohhalmatmung geformt sei.

Bei Behandlungen würden ihm die Babys die Stelle zeigen, wo er palpieren soll. Er warte nur darauf, bis das Baby ihn bitten würde. Angeblich könne er dem Kind die Angst durch die Zwiesprache über dessen Angst nehmen.

Wissenschaftlichen Belege oder Reflexionen dazu wurden auf den Veranstaltungen nicht angeführt. Das war irritierend.

www.matthew-appleton.co.uk

In Zwiesprache mit weinenden Babys

Berührend waren einige Videosequenzen, in denen sich Appleton wie ein Babyflüsterer in Zwiesprache mit weinenden Babys begab, sie am Kopf berührte, beruhigend zu verstehen gab, dass er ihre Geburtsgeschichte verstehe, die sie angeblich unablässig jemanden zu berichten versuchten. Es gab intensive Momente, in denen sie ihm Aufmerksamkeit zollten, mit ihm in eine Art Dialog traten. Und es gab Momente völliger Stille, in denen Babys plötzlich lächelten. Sie wirkten interessiert und ließen sich auf ihn ein, wobei er teils einfach mit spielerischem Humor die Aufmerksamkeit der Kinder fesselte. Sie genossen es augenscheinlich, dass sich jemand so intensiv mit ihnen befasste. Appleton bezeichnete diese Arbeit als Umstrukturierung.

Generell zweifelte er nicht an, dass Unwohläußerungen des Kindes eindeutig als Traumata im Zusammenhang mit der Geburt zu interpretieren seien. Er stellte nicht in Frage, ob er mit dem Kind jeweils über dasselbe Thema kommunizierte. Auf anderen Veranstaltungen mit ihm gab es Filmsequenzen, in denen manche Kinder verängstigt und fremdelnd im Kontakt mit ihm wirkten und das Weinen in keinerlei Weise als Erzählen einer Geschichte erschien. Es gab zudem keine Beweisvideos von »entspannteren« Babys nach der Therapie.

Mutige Thesen

Appleton – nächstes Jahr beim Bindungsfestival auch wieder dabei – erläutert, er helfe Babys, ihre Geburtserlebnisse neu zu erleben, indem sie beispielsweise das Köpfchen an seiner Hand wie um eine gedachte Symphyse nachträglich heraushebeln könnten. In einer kurzen Diskussion erklärte Harms, dass er diese Körpersprache, die Appleton vermittelt, vor zehn Jahren kennengelernt habe und dass er diese Auffassungen teile. Offenkundig hatte er also keine Verständnisprobleme bei dessen Vortrag. Henzinger bemerkte kurz, dass HumanethologInnen meinten, es gebe keine Geburtstraumata. Harms dazu: »Eine mutige These!«

Zitiervorlage
Heimbach B: Humanethologie: Die Babyflüsterer. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (4): 68–73
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