Foto: © Kerstin Pukall

In einer qualitativen Studie an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Aachen wurden die Frühen Hilfen aus Sicht der Mütter bewertet. Einige erste Ergebnisse machen deutlich, dass diese Frauen die Frühen Hilfen in der Umbruchphase der Familiengründung als „wegweisend“ empfanden.

Frau B. hat eine schwere Zeit hinter sich. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes hatte die 30-Jährige das Gefühl, in ein tiefes Loch zu fallen. Im Familienalltag fiel ihr alles unendlich schwer, ihr Leben kam ihr sinnlos vor. In vielen Situationen fühlte sie sich überfordert und machte sich Vorwürfe, ihren Kindern eine schlechte Mutter zu sein. Nach einigem Zögern suchte sie eine Psychotherapeutin auf, die eine schwere Depression diagnostizierte und eine Psychotherapie einleitete. Zugleich empfahl sie Frau B., sich an die Frühen Hilfen zu wenden. Als Frau B. wenig später von ihrer Nachsorgehebamme ebenfalls darauf angesprochen wurde, nahm sie telefonischen Kontakt zu den Frühen Hilfen auf. Heute ist sie sehr froh darüber, diesen Schritt gewagt zu haben: „Das Verhältnis zu der Familienhebamme war sofort sehr herzlich. Sie hat immer gewusst, was aktuell ansteht. Ihre Besuche waren ein einziges Glück!”

Frau B. ist Teilnehmerin einer qualitativen Studie, die 2013 an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Aachen unter wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Dr. Johannes Jungbauer durchgeführt wurde. In neun detaillierten Fallanalysen wurde untersucht, wie Klientinnen die Frühen Hilfen über einen längeren Zeitraum hinweg erleben und wie sie den Nutzen des Unterstützungsangebots bewerten. Der Zugang zu den Studienteilnehmerinnen haben Mitarbeiterinnen der Frühen Hilfen hergestellt, zu denen ein Vertrauensverhältnis bestand – sogenannte „Gatekeeper”. Um das subjektive Erleben der Mütter zu rekonstruieren, wurden leitfadengestützte Tiefeninterviews mit neun Müttern geführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Mütter standen am Ende des Hilfeprozesses und hatten in der Regel 20 oder mehr Kontakte zur Familienhebamme gehabt. Ferner wurden personenbezogene Daten mit einem Fragebogen erhoben.

Die befragten Mütter gehörten mehrheitlich der gebildeten Mittelschicht an, was damit zu erklären ist, dass diese Mütter eher bereit waren, ein Interview zu geben und jemanden in ihren Alltag blicken zu lassen. In fast allen Fällen lagen psychische Probleme und Störungen vor. Dies zeigt unter anderem, dass es einen Bedarf nach Frühen Hilfen in allen sozialen Schichten und Milieus gibt.

Wer braucht die Frühen Hilfen?

In der Psychologie gilt der Übergang zur Elternschaft als „kritisches Lebensereignis” (Gloger-Tippelt 1988). Für die jungen Eltern, insbesondere die Mütter, bringt die Versorgung eines Babys zahlreiche neue Anforderungen mit sich, die sie anfangs oft als verunsichernd und überfordernd erleben. Die meisten Eltern lernen relativ schnell, sich an die neue Lebenssituation anzupassen und die Anforderungen der Elternrolle gut zu bewältigen. Doch es gibt auch Eltern, die das nicht aus eigener Kraft schaffen, die sich überfordert fühlen oder die Grundbedürfnisse ihrer Kinder zeitweise nicht befriedigen können. Dies ist beispielsweise in sogenannten Multiproblemfamilien der Fall. Das sind Familien mit vielfältigen Schwierigkeiten, wie Arbeitslosigkeit, Suchtproblemen, häuslicher Gewalt und/oder Verhaltensauffälligkeiten der Kinder, die sie nicht aus eigener Kraft bewältigen können.

Aber auch bei sehr jungen Müttern oder in Familien mit einem psychisch kranken Elternteil finden wir diese Überforderungsproblematik. Für diese Familien sind die Frühen Hilfen gedacht, die in den vergangenen Jahren stark ausgebaut wurden. Sie richten sich grundsätzlich an alle (werdenden) Eltern und ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr mit dem Ziel, sie entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen zu begleiten und zu beraten. Die Teams der Frühen Hilfen bestehen in der Regel aus geschulten Familienhebammen, Kinderkrankenschwestern und Sozialarbeiterinnen. Sie besuchen die Familien im ersten Lebensjahr des Kindes zu Hause und arbeiten mit vielen Netzwerkpartnern zusammen, um für jeden Einzelfall gute Lösungen finden. Wichtige Zielsetzungen der Frühen Hilfen sind:

  • Stärkung der Elternkompetenz: Es geht immer um den Aufbau einer sicheren Eltern-Kind-Bindung. Dies geschieht vor allem über die Stärkung der elterlichen Feinfühligkeit, indem man die Eltern darin unterstützt, die Signale ihres Kindes wahrzunehmen, richtig zu deuten und adäquat zu reagieren.
  • Kinderschutz: Die Prävention von Vernachlässigung und Misshandlung sowie die Vorbeugung möglicher kindlicher Entwicklungsprobleme sind wichtige Anliegen im Sinne des Kindeswohls.
  • Netzwerkbildung: Im Rahmen der Frühen Hilfen sollen Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Kinder- und Jugendhilfe, Beratungsstellen, Frauenhäuser und weitere Institutionen sowie Justiz und Polizei miteinander kooperieren.

In der aktuellen Befragung, die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kinderschutzbund (Ortsverband Aachen) durchgeführt wurde, sollte untersucht werden, wie die Frühen Hilfen von den Klientinnen selbst erlebt und bewertet werden. Wie finden die Mütter Zugang zu diesem Angebot? Was finden sie persönlich wichtig daran und warum? Was verändert sich im Verlauf der Begleitung aus Sicht der Mütter und welchen unmittelbaren und langfristigen Nutzen nehmen sie für sich wahr?

Dankbar für die aufsuchende Hilfe

Die befragten Mütter bewerteten die in Anspruch genommenen Frühen Hilfen durchweg sehr positiv. Das Angebot wurde als „unkompliziert”, „angenehm” und an den Bedürfnissen der Familien orientiert beschrieben. Zudem hatte der aufsuchende Charakter der Frühen Hilfen eine wichtige Bedeutung. Viele Mütter hätten sich überfordert gefühlt, mit ihrem Baby irgendwohin fahren zu müssen und waren dankbar, dass die Beraterin zu ihnen nach Hause kam. Auch die Möglichkeit, eine vertraute Ansprechpartnerin jederzeit um Rat und Hilfe bitten zu können, erlebten sie als sehr hilfreich.

Dass die Häufigkeit der Besuche im Beratungsverlauf nach und nach abnimmt, sehen die Klientinnen zumeist positiv. Ausgehend von wöchentlichen Kontakten werden die Pausen zwischen den Besuchen der Familienhebamme – im Sinne des Prinzips „Hilfe zur Selbsthilfe” – allmählich länger. In diesen Phasen können die Mütter das neu Gelernte im Alltag erproben, haben aber jederzeit die Möglichkeit, mit ihrer Familienhebamme zu telefonieren. So entsteht für die Mütter eine Basis, die sich nach Beendigung der Frühen Hilfen weiter stabilisieren kann.

Eine entscheidende Rolle im Hilfeprozess spielt offenbar die Beziehungsebene. So wurde es als wichtiger Aspekt beschrieben, dass die Beraterin den Müttern authentisch begegnete und eine wertschätzende, persönliche Beziehung zu ihnen aufbaute. Der Kontakt zur Beraterin hatte dadurch für die Mütter zum Teil eine überraschende „Normalität”, die sie sonst eher von privaten Beziehungen kannten. Frau A., eine 28-jährige Mutter, berichtete in diesem Zusammenhang: „Die Hebamme war einfach herzlich. Es war kein Verhältnis, das nur darauf beruht, dass ich Hilfe brauche, sondern einfach normal, dass sie hier zu Besuch ist ab und zu. Das ist ganz natürlich gewesen – ganz normal eben! Nicht wie ein Einschnitt: Jemand dringt in die Intimsphäre ein, so dass man sich unwohl fühlt. Natürlich, am Anfang fällt das schwer, aber das war gar kein Problem. Da hatte ich einfach Glück.”

Welchen Nutzen sehen die Klientinnen?

Alle Studienteilnehmerinnen gaben an, von den Frühen Hilfen profitiert zu haben, sich gestärkt zu fühlen und positiv in die Zukunft zu blicken. Beispielsweise führten einige der befragten Klientinnen die Stabilisierung ihres persönlichen Wohlbefindens und ihres Selbstwertgefühls unmittelbar auf die Begleitung zurück. Zudem fühlten sie sich sicherer und kompetenter im Umgang mit ihren Kindern. So berichteten die Mütter, die Befindlichkeit und die Bedürfnisse ihrer Kinder, wie Müdigkeit, Hunger oder Angst, heute besser wahrzunehmen und adäquater darauf zu reagieren. Ferner beschrieben sie neue Sichtweisen, wie die Relativierung perfektionistischer Ansprüche an sich selbst, und einen veränderten, gelasseneren Umgang mit Stresssituationen im Familienalltag. Dabei wird das in den frühen Hilfen vermittelte „Handwerkszeug” als sehr brauchbar beurteilt.

Frau C., eine 34-jährige Klientin, fasst ihre Erfahrungen mit den Frühen Hilfen so zusammen: „Ich traue mir heute wesentlich mehr zu als früher und schaffe auch viel mehr. Und heute weiß ich auch als Mutter einfach besser, was mein Kind braucht. Manchmal ist es immer noch sehr stressig, aber dass ich Gewalt anwenden will – nein! Ihr mache es eher verbal, ich schaffe es heute, ruhig zu werden, was sich auch auf die Kinder überträgt.”

Auf die Frage, was sich noch verbessern ließe, wünschten sich viele Mütter ein besseres Informationsmanagement. Meist erhalten schwangere Frauen vor der Geburt im Krankenhaus eine schriftliche Information zu dem Angebot der Frühen Hilfen, doch gerät diese durch die starken emotionalen Erlebnisse bei der Geburt oft in Vergessenheit. Deswegen wurde angeregt, Informationen zu den Frühen Hilfen eher nach der Geburt und im Rahmen eines persönlichen Beratungsgesprächs zu vermitteln. Dies könnte beispielsweise von der Nachsorgehebamme zu Hause oder bei der Entlassung aus der Geburtsklinik erfolgen. Der bei dieser Gelegenheit ausgehändigte Flyer hätte dann ein anderes Gewicht: „Es wäre gut, wenn die Hebammen das nach der Entbindung noch mal ansprechen würden. Wenn man vor der Geburt mal eben einen Flyer in die Hand gedrückt bekommt, geht das unter – vor allem bei psychisch erkrankten Müttern”, meint Frau A.

Prämissen für die Praxis

Wesentliche Zielsetzungen der Frühen Hilfen, wie die Verbesserung der elterlichen Erziehungskompetenz, Förderung der mütterlichen Feinfühligkeit sowie Prävention häuslicher Gewalt, wurden in den untersuchten Fällen offenbar gut umgesetzt.

Vor allem der zugehende und aufsuchende Ansatz, die sorgfältige Beziehungsgestaltung und die Vermittlung von alltagstauglichem „Handwerkszeug” im Umgang mit Stress und Erziehungsproblemen scheinen zentral für eine erfolgreiche Umsetzung zu sein. Insbesondere bei Müttern mit psychischen Erkrankungen ist es wichtig, dass parallel und gegebenenfalls in Kooperation mit den Frühen Hilfen eine geeignete Psychotherapie stattfindet. Zudem sollte nach dem Ende der Begleitung durch die Frühen Hilfen eine adäquate Anschlussunterstützung zu weiteren Bedarfen vermittelt werden, wie beispielsweise Hilfen zur Erziehung oder spezifische Unterstützungsangebote für Familien mit einem psychisch kranken Elternteil.

Insgesamt scheint sich die Praxis der Frühen Hilfen auf einem guten Weg zu befinden. Dass das Familienministerium ab 2014 dauerhaft 51 Millionen Euro für den verstärkten Einsatz von Familienhebammen bereitstellt, ist ein Zeichen dafür, dass in Deutschland der Schutz von Müttern, Kindern und Familien auch von politischer Seite zunehmend ernst genommen wird.

Weiterer Forschungsbedarf

Einschränkend muss indes erwähnt werden, dass es sich um eine relativ kleine Interviewstudie handelte. Wir als Forschungsteam hatten nicht die Möglichkeit, die Mütter selbst zu akquirieren, sondern sie wurden uns von der betreuenden Institution zugewiesen. Die ursprünglich geplante Langzeitstudie ließ sich somit nicht realisieren, da wir keinen Kontakt zu Müttern während der Schwangerschaft herstellen konnten. Dies geschah zu ihrem Schutz, da es zu Beginn der Kontakte immer um den Beziehungsaufbau zwischen Mutter und Familienhebamme geht. Somit muss beachtet werden, dass keine Mütter aus bildungsfernen oder sozial schwachen Milieus zu einem Interview bereit waren. Möglicherweise befürchteten diese Mütter eher, eine Studienteilnahme könnte ihnen am Ende zum Nachteil gereichen. Auch eine generell skeptische Haltung gegenüber öffentlichen Institutionen und deren Vertretern könnte zu Vorbehalten gegenüber der Studie beigetragen haben. Obwohl die Ergebnisse deshalb nicht im wissenschaftlichen Sinne repräsentativ sind, geben die Ergebnisse wichtige Hinweise für die Praxis.

Sicherlich wäre es ein weiteres Forschungsinteresse, die Perspektive der Mütter in einer größer angelegten Langzeitstudie mit möglicherweise drei Erhebungszeitpunkten in Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen zu untersuchen.

Zitiervorlage
Jungbauer J et al.: “Das war mein Rettungsanker!”. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (3): 47–49
Literatur

Buschhorn, C.; Kleinz, P.; Prothmann, B.: Frühe Hilfen für den guten Start ins Leben. In: Caritas. Jahrbuch des Deutschen Caritasverbandes (Hrsg.) 17–22 (2013)

Gloger-Tippelt, G.: Schwangerschaft und erste Geburt. Psychologische Veränderungen der Eltern. Stuttgart (1988)

Gran, E.; Küster, E.-U.; Sann, A. für das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der Gesundheitszentrale (Hrsg.): Bestandsaufnahme Frühe Hilfen. Dritte Teiluntersuchung. Kurzbefragung der Jugendämter (2012)

Jungbauer, J.: Familienpsychologie Kompakt. Beltz Verlag. Basel (2009)

Renner, I. für das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) (Hrsg.): Wirkungsevaluation „Keiner fällt durchs Netz”. Ein Modellprojekt des nationalen Zentrums Frühe Hilfen (2012)

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