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»Offensichtlich finden Kinder sowohl mit klassischer Beikost in Form von Brei als auch mit ›Baby Led Weaning‹ den Übergang zur Familienkost.«
An der Einführung von Beikost scheiden sich die Geister. In verschiedenen Ländern und Kulturen fällt die Entscheidung zwischen Brei oder dem sogenannten »Baby Led Weaning« unterschiedlich aus. Können neue Studien eine bestimmte Beratungshaltung untermauern? Oder ist es am Ende ein Zwischenweg, der Eltern und Kindern am besten gerecht wird?
Die Einführung der Beikost wird seit Jahren international aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert. Dabei existieren unterschiedliche Denkrichtungen. Im Fokus steht vor allem die kontroverse Diskussion rund um die babygeleitete Beikost-Einführung, das sogenannte »Baby Led Weaning« (BLW) als Alternative zur klassischen Einführung der Beikost. Was steckt dahinter? Welche aktuellen Studien und Empfehlungen liegen vor? Wie ist die aktuelle Evidenzlage einzuschätzen? Worauf können sich Hebammen in ihrer Beratung stützen?
Drei Ernährungsabschnitte
In Deutschland empfiehlt das Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE) der Universitäts-Kinderklinik Bochum die Orientierung an einem Ernährungsplan für Kinder im ersten Lebensjahr (FKE, 2019). Dieser berücksichtigt drei Abschnitte:
- von der Geburt bis zum 5./6. Lebensmonat die Milchernährung mit Muttermilch oder Fertigmilch
- vom 5./6. bis 9./10. Lebensmonat die Einführung der Beikost
- ab dem 9./10. Lebensmonat die Einführung der Familienkost.
Die Einführung der Beikost umfasst laut FKE einen Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei, einen Milch-Getreide-Brei sowie einen Getreide-Obst-Brei, die schrittweise aufgebaut werden.
Die Einführung der Beikost wird empfohlen, da Milch allein im zweiten Lebenshalbjahr nicht mehr ausreicht, um den steigenden Energie- und Nährstoffbedarf des wachsenden Kindes zu decken (FKE, 2019). Hierbei kommt dem Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei eine große Bedeutung zu, da dieser Brei besonders viel Eisen enthält, welches für das Wachstum und die Entwicklung notwendig ist (FKE, 2019). Die Einführung von Beikost wird »frühestens mit Beginn des fünften Monats und nicht später als mit Beginn des siebten Monats« empfohlen (FKE 2019, 6) . Gründe für diesen empfohlenen Zeitraum sind ein Nachlassen des Saugreflexes, die Fähigkeit des Säuglings, mit Unterstützung aufrecht zu sitzen und vom Löffel essen zu können.
Kinder verfügen somit aufgrund ihrer Entwicklung über notwendige Fähigkeiten, wichtige Nährstoffe über ihre Ernährung aufzunehmen. Brei wird empfohlen, weil Verschlucken unwahrscheinlicher als bei stückiger Kost ist und die Konsistenz der Milchnahrung ähnelt. Breinahrung ermöglicht einen guten Übergang von der reinen Ernährung mit Milch zur Familienkost.
Für die Beratung
Die Broschüre »Empfehlungen für die Ernährung von Säuglingen« kann über das Forschungsdepartement Kinderernährung bezogen werden. > https://www.fke-shop.de/produkt/empfehlungen-fuer-die-ernaehrung-von-saeuglingen/
Eine Hotline steht für telefonische Fragen zur Ernährung von Säuglingen bereit: 02 34 ∙ 5 09 26 49
»Baby Led Weaning«
Gegenüber der klassischen Beikost als Brei, die dem Kind mit dem Löffel angeboten wird, steht »Baby Led Weaning« (BLW) als eine vom Kind selbst geleitete Beikost-Einführung. Bei BLW wird Familienkost in stückiger Form als Fingerfood angeboten. Diese Ernährungsform wurde von der Hebamme und Stillberaterin Gill Rapley entwickelt. Sie verfolgt den Ansatz, dass manche Kinder Breinahrung verweigern und feste Nahrung bevorzugen (Rapley, 2021). Gill Rapley beschreibt BLW als eine Methode der Beikost-Einführung, bei der Kleinkinder ab etwa einem halben Jahr selbst entscheiden, welche Art und Menge der Nahrung vom Familientisch sie zu sich nehmen. Die Lebensmittel werden in einer Größe angeboten, die der Fingergröße des Kindes entspricht. Die Verwendung eines Löffels und das Angebot von Speisen in Breiform wird vermieden. Rapley begründet die Methode damit, dass es sich bei BLW um einen stressfreien Weg der Einführung der Beikost handele, da die Eigenständigkeit des Kindes von Anfang an gefördert und die Entwicklung des Kindes unterstützt werde (Rapley, 2021).
An BLW wird kritisiert, dass die Nährstoffzusammensetzung der vom Kind selbst gewählten Nahrung unzureichend für seine bestmögliche Entwicklung sein könnte (Bocquet, Brancato et al., 2022).
Wie ist die Evidenz?
Welche Aspekte können zur Beurteilung der Evidenzlage vertiefend berücksichtigt werden? Interessant ist, dass bei beiden Methoden ein Verschlucken der Nahrung vorkommen kann, wobei anhand einer polnischen Studie gezeigt wurde, dass es etwas häufiger bei BLW-Kindern vorkommt. 6,9 % der BLW-Kinder verschluckten sich an stückiger Kost im Vergleich zu 5,4 % der Kinder, die Brei mit dem Löffel erhielten (Bialek-Dratwa, Kowalski et al., 2022).
Im Rahmen einer spanischen Studie wurde untersucht, ob BLW das Risiko vermindern könnte, an Adipositas noch im Kindesalter zu erkranken (Martinon-Torres, Carreira et al., 2021). Durchgeführt wurde eine systematische Übersichtsarbeit unter acht Publikationen (n=2.875 Kinder). Die Ergebnisse waren nicht eindeutig. Während einige inkludierte Studien Hinweise auf ein geringeres Risiko für Adipositas im Kindesalter bei BLW-Kindern gaben, wurde dies in anderen Studien nicht bestätigt.
Die Daten bestätigten Bedenken hinsichtlich einer geringeren Nährstoffaufnahme und eines erhöhten Erstickungsrisikos beim Baby Led Weaning. Insgesamt beurteilen die Autor:innen die Studienlage unzureichend, um eine klare Aussage treffen zu können. Sie empfehlen die Durchführung weiterer Studien.
Eine Studie aus Neuseeland untersuchte Zusammenhänge zwischen der Energiezufuhr, dem Essverhalten und der Gewichtsentwicklung der Kinder in Zusammenhang mit der Form der Beikosteinführung (Cox et al., 2024). Säuglinge nahmen laut dieser Studie beim BLW mehr kalorienreiche Kost zu sich als Kinder, die klassische Beikost erhielten. Dies führen die Autor:innen darauf zurück, dass sich Kinder mit Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Lebensmitteln eher für leicht zu greifende und geschmacklich interessante Alternativen entscheiden.
So nehmen Kinder beim BLW gern einen Keks oder ein Stück Käse zu sich, auch wenn alternativ ein Stück Obst oder Gemüse verfügbar ist. Dies können nährstoffärmere und ungesündere Varianten unter den Auswahlmöglichkeiten sein. Allerdings zeigten die ausgewerteten Daten dieser Studie, dass mit der höheren Energiezufuhr beim BLW kein größeres Kindsgewicht assoziiert war. Insgesamt zeigten Kinder nach BLW langfristig ein weniger wählerisches Essverhalten als andere, die klassische Beikost erhielten.
Die Autor:innen stellen zur Diskussion, ob BLW ein weniger wählerisches Essverhalten fördern könnte. Sie diskutieren anhand ihrer Daten, dass Eltern aufgrund der Entscheidung für BLW weniger Druck auf ihre Kinder ausübten und somit langfristig dem Kind helfen, gesündere Essgewohnheiten zu entwickeln. Um die Zusammenhänge tiefer zu verstehen, sei allerdings weitere Forschung notwendig.
Internationale Empfehlungen
Betrachtet man Empfehlungen aus verschiedenen Ländern, fällt auf, dass differierende Ergebnisse aus der Datenlage abgeleitet werden.
Frankreich
Die Ernährungskommission der französischen Gesellschaft für Pädiatrie bewertet die vorliegende Datenlage als unzureichend, um eine Empfehlung für BLW auszusprechen (Bocquet, Brancato et al., 2022). Sie spricht sich daher bis zum Vorliegen weiterer Daten dafür aus, Beikost weiterhin klassisch in Breiform einzuführen. (siehe auch DHZ: > https://www.dhz-online.de/news/detail/artikel/wie-wird-baby-led-weaning-eingeschaetzt)
Großbritannien
In Großbritannien spricht der National Health Service (NHS) keine klare Empfehlung für eine bestimmte Form der Beikost-Ernährung aus (NHS 2024). Eltern erhalten jedoch umfassende Informationen zu verschiedenen Möglichkeiten, sowohl zur klassische Einführung der Beikost wie zum BLW.
Auf der Homepage des NHS zur Elterninformation wird betont, dass das Kind durch die Beikost alle erforderlichen Nährstoffe zu sich nehmen sollte, die es braucht, und dass hierzu verschiedene Möglichkeiten bestehen. So finden sich hier beispielsweise wertfreie Kommentare, dass elterliche Entscheidungen unterschiedlich ausfallen können. Hierzu werden BLW, klassische Beikosteinführung oder eine Kombination aus beiden Methoden benannt: »Some parents prefer baby-led weaning to spoon feeding, while others combine a bit of both.« In der Gesamtbeurteilung wird große Offenheit vermittelt, indem zum Ausdruck gebracht wird, dass es keinen richtigen und keinen falschen Weg gibt: »There´s no right or wrong way – the most important thing is that your baby eats a wide variety of food and gets all the nutrients they need.«
Tipps aus Großbritannien
Evidenzbasierte Tipps und Tricks zur Einführung der Beikost aus Großbritannien: > https://www.nhs.uk/start-for-life/baby/weaning/what-to-feed-your-baby/from-around-6-months/#start
Dort findet sich auch ein Video zur Einführung der Beikost mit verschiedenen Fallbeispielen.
Australien
Das australische Department of Health and Ageing empfiehlt Eltern, bei der Beikosteinführung ab circa sechs Lebensmonaten mit Eisen angereichertes Müsli zu verwenden, das mit Muttermilch, Formula oder abgekochtem Wasser gemischt wird (Australian Government, 2021). Zudem wird empfohlen, pürierte Speisen mit gekochtem Fleisch, Huhn, Fisch oder Gemüse anzubieten, beispielsweise mit ungesalzenen gekochten Bohnen. Anschließend kann das Baby weich gekochtes Gemüse versuchen, beispielsweise Kartoffeln, Kürbis, Karotte oder Brokkoli.
Zudem kann weich gekochtes Obst angeboten werden wie Apfel oder Birne. Ergänzend sollen auch ungekochte und zerdrückte Banane, Mango oder Avocado sowie Vollmilch-Joghurt oder weicher Käse in der Ernährung eine Rolle spielen. Daraus soll sich die klassische Familienkost mit größeren Stücken an Nahrung entwickeln.
Ab einem Lebensalter von ungefähr acht Monaten wird »Fingerfood« empfohlen. Das Essen soll in kleinen Stücken angeboten werden, die das Kind selbst greifen kann. Abgeraten wird von Honig im gesamten ersten Lebensjahr, um Botulismus zu vermeiden. Auf Zusätze von Salz, Margarine, Zucker und Butter sollte im ersten Lebensjahr verzichtet werden.
Die Informationsbroschüre aus Australien mit dem Titel »Get up and grow: First food« findet sich unter: > https://www.health.gov.au/sites/default/files/documents/2021/05/first-foods.pdf
Keine einheitliche Definition
Übereinstimmend wird in der internationalen Literatur auf die lückenhafte Grundlagenforschung zur Beikosteinführung hingewiesen. Bei den Studien fällt auf, dass die Begriffe »klassische Beikosteinführung« und »Baby Led Weaning« uneinheitlich definiert werden. So erhalten manche Kinder auch in Studien zu BLW Brei und manche Aussagen zu klassischer Beikost werden zu Kindern getroffen, die ergänzend auch Lebensmittel in Stückchenform erhalten. Aufgrund der wenig einheitlichen Datenlage mit zum Teil einander konträr gegenüberstehenden Argumenten leiten Fachgesellschaften in verschiedenen Ländern unterschiedliche Empfehlungen ab.
Betrachtet man die Empfehlungen aus Großbritannien, Australien und Frankreich im Vergleich zu denen aus Deutschland, fällt auf, dass sie einen unterschiedlichen Fokus haben. Während er in Deutschland sehr stark auf die Einführung klassischer Beikost gerichtet ist, wird in Großbritannien beispielsweise eine viel größere Vielfalt an unterschiedlichen Methoden der Beikosteinführung zum Ausdruck gebracht.
Betrachtet man die Argumentationsketten der klassischen Beikosteinführung und des BLW, sind beide in sich schlüssig. Aktuelle Studien zu BLW zeigen insgesamt positive Ergebnisse in Bezug auf die Ernährungsvielfalt, langfristige positive Essgewohnheiten und motorische Fähigkeiten. Sowohl die Kritik an BLW, dass ein Verschlucken als auch eine Nährstoffarmut möglich seien, als auch eine Kritik an der klassischen Beikosteinführung mit ihrer fehlenden Förderung der Eigenständigkeit des Kindes lassen sich aus der Literatur entnehmen.
Es scheint, dass in der Praxis manchmal nicht klar zwischen einer klassischen Einführung der Beikost und BLW unterschieden werden kann, weil Mischformen existieren. Erfolgt beispielsweise eine Ergänzung der klassischen Beikost mit gedünstetem Gemüse in größeren, jedoch weichen Stücken (Karagoz, Bayram et al., 2024), entspricht dies weder ganz der Einführung klassischer Beikost über verschiedene pürierte Speisen und Breie, noch dem BLW in seiner ursprünglichen Form (Rapley, 2021).
Zudem fällt auf, dass sich Ernährungsgewohnheiten länderabhängig unterscheiden. Eine indische Studie benennt beispielsweise, dass rote Linsen, Reis und Butterschmalz von den meisten Teilnehmer:innen als erste Beikost gegeben wurde (Dalbhanjan & Kadam, 2024) .
Andere Länder, andere Sitten
Schaut man mit einem gesunden Menschenverstand und einer gewissen Toleranz auf den großen Themenbereich der Beikosteinführung, lässt sich festhalten: Andere Länder, andere Sitten. Zudem: Offensichtlich finden Kinder sowohl mit Hilfe einer klassischen Beikost in Form von Brei als auch über BLW den Übergang zur Familienkost und können gesunde Ernährungsgewohnheiten entwickeln. Viele Wege scheinen möglich und sinnvoll zu sein.
Eltern und Hebammen sollten verschiedene Methoden mit ihren Vor- und Nachteilen kennen, um informiert entscheiden beziehungsweise beraten zu können. Die Bedürfnisse des Kindes sollten sowohl in Bezug auf die Versorgung mit Nährstoffen als auch auf sein Bedürfnis nach Autonomie berücksichtigt werden.
Aus diesen Gedanken heraus wurde bereits im Jahr 2016 vom Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund der Gedanke entwickelt, mit fein pürierten Speisen zu beginnen, die individuell mit zunächst weichem dann festerem Fingerfood ergänzt werden (Kersting, 2016). So kann dem Verschlucken vorgebeugt, eine optimale Nährstoffversorgung gewährleistet und die Eigenständigkeit des Kindes individuell gefördert werden. Es wäre wünschenswert, gerade diese Form der Einführung von Beikost sowie andere sinnvolle und empfehlenswerte Mischformen genauer zu untersuchen und weiter zu erforschen, weil in Deutschland derzeit der Fokus auf klassischer Breikost liegt (FKE, 2019).
Vorgestellt
Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE)
Das Forschungsdepartment Kinderernährung Bochum beschreibt als übergeordnetes Ziel die Gesundheitsförderung und Prävention weit verbreiteter Krankheiten durch eine gesunde Ernährung von Anfang an. Es setzt seit 2017 die Forschungsarbeiten des ehemaligen Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund fort. Das FKE versteht sich als Schnittstelle zwischen Forschung und Anwendung im Bereich der Kinderernährung in Deutschland.
Dritte Variante?
Um Klarheit zu schaffen, wäre sicherlich das Zulassen ganz neuer Gedanken mit einem neuen Wording hilfreich: Dies könnte beispielsweise eine dritte Umsetzungsvariante mit eigenem Namen darstellen, der weder unter den Begriff der »klassischen Beikost« noch »Baby-Led-Weaning« fällt: eine Form der Beikost-Einführung, die Bezug auf die Praxis nimmt und mögliche Mischformen beschreibt. Dies könnte nicht nur neue Forschung anstoßen, sondern am Ende auch dem Kind mit seinen individuellen Bedürfnissen und den Eltern bei einer informierten Entscheidung helfen.