Bei der Prävention von Fehlgeburten geht es – neben der körperlichen Diagnostik – darum, die Frau auf ihre Gedanken und Sorgen anzusprechen und ihr Mut zu machen. Foto: © imago/McPhoto

Viele Ursachen kommen für eine Fehlgeburt in Frage und entsprechend auch unterschiedliche Therapieansätze, um eine Wiederholung zu verhindern. Unabhängig von den körperlichen Behandlungsmethoden gibt es ein spezielles psychosomatisches Konzept, das gerade nach wiederholten Fehlgeburten hilfreich ist: Tender Loving Care (TLC). Mit besonders intensiver, einfühlsamer Betreuung kann die Rate an Fehlgeburten demnach deutlich gesenkt werden.

Eine Fehlgeburt ist häufig, ganz viele Frauen haben mal eine gehabt.” Oder: „Besser so, als wenn Sie ein krankes Kind bekommen hätten.” Beides wird Frauen gerne gesagt, wenn sie eine Fehlgeburt haben. Und beides stimmt, aber es ist nur ein schwacher Trost! Die Trauer ist meist groß, auch wenn die Schwangerschaft erst wenige Wochen alt war. Die Betreuung im Zusammenhang mit einer Fehlgeburt muss besonders aufmerksam sein, damit die Frau diesen Verlust verarbeiten kann. Besonders kompliziert ist es, wenn eine Schwangere mehrere Fehlgeburten hatte und wieder schwanger ist. Was schützt vor einem erneuten Desaster?

Umgang mit dem Verlust

Für die Begleitung ist es hilfreich, die frühe Schwangerschaft aus psychodynamischer Perspektive zu sehen. Schwangerschaft ist eine „Reifungskrise”, eine Auseinandersetzung vor allem mit der Beziehung zur eigenen Mutter; dabei „drängen regressive, symbiotische Wünsche und stark ambivalent gefärbte Gefühle ins Bewusstsein der Schwangeren. … Diesem psychischen Auseinandersetzungs- und Reifungsprozess setzt eine Fehlgeburt ein jähes Ende. Das sich gerade entwickelnde mütterliche Selbstwertgefühl kann durch den Schwangerschaftsverlust infrage gestellt werden und Zweifel an der eigenen Reproduktionsfähigkeit nach sich ziehen. Waren der Frau ihre eigenen ambivalenten Gefühle, die sie gegenüber der Schwangerschaft hatte, bewusst, können starke Schuldgefühle daraus entstehen, durch die Ablehnung zum Tod des Kindes beigetragen zu haben” (Bergner 2012).

Nach der Diagnose zeigen die betroffenen Frauen eine Trauerreaktion unterschiedlicher Ausprägung. Typisch ist direkt nach der Mitteilung ein Schock, eine innere Starre; dann folgen oft Enttäuschung, hilflose Wut, Selbstvorwürfe und Grübeleien, ob sie selbst schuld ist oder etwas falsch gemacht hat. In der akuten Phase ist die Frau oft kaum im Gespräch zu erreichen, da sollte das Gegenüber vor allem die Trauergefühle ernst nehmen und annehmen. Im zeitlichen Abstand ist es dann wichtig, die Gedanken rund um die Fehlgeburt anzusprechen, zu informieren über mögliche Ursachen und vor allem unbegründete Schuldgefühle zu reduzieren. Die Trauerreaktion klingt bei den meisten Frauen innerhalb eines Jahres ab. Aber immerhin jede fünfte Frau entwickelt eine übermäßige Trauerreaktion mit anhaltender depressiver Symptomatik. Das ist besonders zu befürchten, wenn die Frau noch keine eigenen Kinder hat, wenn sie schon vorher eine Fehlgeburt oder einen Schwangerschaftsabbruch hatte oder es vor der Fehlgeburt besonders belastende familiäre Ereignisse gab, wie beispielsweise die Trennung vom Partner (Bergner 2012).

Der psychosomatische Ansatz wirkt

Im Zusammenhang damit, dass bei mehr als 50 Prozent der habituellen Aborte keine eindeutige (körperliche) Ursache zu finden ist, findet sich in der Fachliteratur die Aussage: „Für eine sinnvolle Therapie bei unklarer Abortursache gibt es momentan keine Evidenz.” (Nawroth 2006). Der psychosomatische Blick schaut breiter und nimmt die ganze Frau ins Auge, nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Gefühle. Und sucht entsprechend nach anderen Therapiemöglichkeiten. Schon nach einer Fehlgeburt zeigen Frauen nachweislich deutlich erhöhte Schwangerschaftsängste – obwohl dann das Risiko für eine weitere Fehlgeburt mit 16 Prozent nicht wesentlich erhöht ist. Das Risiko, erneut die Schwangerschaft zu verlieren, steigt allerdings nach zwei Fehlgeburten deutlich auf 25 Prozent und nach drei verlorenen Schwangerschaften auf 45 Prozent! Und damit steigt die Angst. Diskutiert wird, wie sich der Zusammenhang zwischen Angst oder allgemeinem „Stress” auf den Schwangerschaftsverlauf auswirkt. Gibt es einen „Teufelskreis zwischen Angst und Schwangerschaftsverlust”? (Läpple 1988).

Auch wenn sich der Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Fehlgeburt bislang nicht eindeutig belegen ließ, gibt es viele Hinweise dafür. Das ist die Grundlage für einen vielversprechenden Therapieansatz, der 1983 von dem norwegischen Medizinerehepaar Babill und Sverre Stray-Pedersen als Konzept der „Tender Loving Care” (TLC) beschrieben wurde. Auch im deutschen Sprachraum wird der Begriff so genutzt, übersetzt könnte man es vielleicht „liebevolle Umsorgung” nennen: Wenn man Schwangeren, die schon mehrere Fehlgeburten hinter sich haben, frühzeitig und regelmäßig engmaschige Kontrolltermine (etwa einmal pro Woche) anbietet, bei denen eine körperliche Untersuchung (einschließlich Ultraschall) kombiniert wird mit „beruhigenden” Mut machenden Gesprächen, verlaufen deutlich mehr Schwangerschaften ungestört.

Nachgewiesen werden konnte in zwei Studien, dass es in der Behandlungsgruppe bei 80 bis 85 Prozent der Schwangeren zur Geburt eines Kindes kam, im Gegensatz zu nur 30 bis 35 Prozent in der Kontrollgruppe. Liddell (1991) kam zu ähnlichen Ergebnissen. Kritisch ist allerdings anzumerken, dass die Gruppen relativ klein (35 bis 75 Frauen) und die Zuordnungen nicht randomisiert waren. In einer späteren Studie mit 222 schwangeren Frauen ergab sich erneut eine Erfolgsrate von 75 Prozent (Brigham 1999). Die Autoren dieser Studie fokussieren vor allem darauf, dass es wichtig sei, den Frauen Sicherheit zu vermitteln und so ihr Self-Empowerment zu stärken. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine prospektive Studie, die an der Charité Berlin zwischen 1993 und 1995 mit mehr als 500 Schwangeren durchgeführt wurde, um Einflüsse auf Frühgeburtlichkeit zu identifizieren (Rauchfuß 2002). Es konnte nachgewiesen werden, wie wichtig ein allgemeines Gefühl der „Sicherheit”, eine stabile Partnerschaft und eine verlässliche soziale Unterstützung zum Schutz vor Mangel- und Frühgeburten sind, und wie wichtig es in der Betreuung von Schwangeren ist, auf diese Zusammenhänge zu achten (Neisses & Rauchfuß 2005). Diese Ergebnisse sind sicher auch auf die Fehlgeburt übertragbar.

In einer aktuellen empirischen Studie zum Thema (Bergner 2006) wurde zusammenfassend festgestellt: „Frauen nach Frühabort sind hinsichtlich psychischer Befindensstörungen in einer neuen Schwangerschaft besonders gefährdet. Es lassen sich Risikofaktoren bestimmen, anhand derer besonders gefährdete Frauen schon unmittelbar nach der Fehlgeburt erkannt werden und einer entsprechenden Behandlung zugeführt werden können”. Bei der Behandlung wird das Konzept der TLC empfohlen und darauf hingewiesen, dass sich möglichst ein Behandlungsteam um die Frau kümmern sollte, mit einem engmaschigen Angebot aus körperlicher Untersuchung, emotionaler Unterstützung und dem Angebot eventuell zusätzlicher Hilfen, wie beispielsweise Entspannungsverfahren, imaginative Techniken, Selbsthilfe- oder Gesprächsgruppen (Bergner 2012).

Gemeinsame Betreuungsangebote

Auch wenn das Konzept der TLC bislang nicht im wissenschaftlichen Sinn evidenzbasiert bewiesen werden konnte, sprechen die angeführten Studien und die Erfahrungen aus der Praxis dafür, dass sich dieser Ansatz lohnt. Und dass es auf jeden Fall sinnvoll ist, immer neben der körperlichen Diagnostik auf den erhöhten „Angstpegel” der Frau zu achten, sie auf ihre Gedanken und Sorgen anzusprechen und ihr Mut zu machen. Es gibt allerdings eine Reihe von Einschränkungen, die die Umsetzung von TLC in die deutsche Versorgungspraxis erschweren. Zum einen honoriert das deutsche kassenärztliche Versorgungssystem die engmaschige Betreuung von Schwangeren nicht. So sind in der Frühschwangerschaft gemäß Mutterschafts-Richtlinien monatliche Termine vorgesehen, die mit einer Quartals-Pauschal-Vergütung abgegolten werden. Das ist im Normalfall auch ausreichend, deckt aber nicht den besonderen Bedarf von Frauen mit einer Neigung zur Fehlgeburtlichkeit. Arztpraxen, die wöchentliche Termine im Sinn des TLC-Konzepts anbieten, werden dafür finanziell in keiner Weise honoriert.

Dazu kommt, dass das empfohlene multiprofessionelle Behandlungsteam gerade für Frühschwangerschaften im ambulanten Versorgungsbereich kaum zur Verfügung steht. Es gibt wenig institutionalisierte Kooperationen zwischen FrauenärztInnen und Hebammen. Und es ist außerdem bei uns kaum üblich, dass Hebammen Frauen schon vor und zu Beginn der Schwangerschaft unterstützen.

Für die Zukunft ist zu wünschen, dass gemeinsame Betreuungsangebote von ÄrztInnen und Hebammen sich mehr verbreiten. Der interprofessionelle Austausch und der unterschiedliche Zugang ist ein Zugewinn an Sicherheit für die BehandlerInnen wie für die Frauen, wie ich seit inzwischen fast 15 Jahren in meiner eigenen Praxis immer wieder feststelle (Schumann 2004). Wenn solche Kooperationen zum Standard werden und außerdem Hebammen mehr als bisher aktiv auch in die Betreuung von Frauen in der Frühschwangerschaft einsteigen, könnte ein breiteres Angebot an Tender Loving Care entstehen, das dem Bedürfnis von Frauen gerecht wird, die Fehlgeburt(en) erlitten haben.

Ursachen einer Fehlgeburt
Nach jeder Fehlgeburt wird nach der Ursache gefragt und gesucht. Man nimmt an, dass bis zu 70 Prozent der frühen Fehlgeburten durch Chromosomen-Aberrationen verursacht sind. Das heißt, dass das vorzeitige Ende der Schwangerschaft oft eine Art „Korrektur” darstellt bei einem nicht lebensfähigen Embryo. Seltener spielen anatomische und endokrine Ursachen eine Rolle, gelegentlich auch eine Gerinnungsstörung (Thrombophilie). Chromosomale Ursachen können nicht behandelt werden, aber „die Chromosomenanalyse aus Abortmaterial kann den betroffenen Eltern bei der Bewältigung des Abortgeschehens helfen” (DGGG Leitlinie 2012). Bei anatomischen Einflüssen kann man operieren (beispielsweise bei Uterus-Septum oder bei einem Myom), eine endokrine Ursache wie eine Schilddrüsenunterfunktion lässt sich medikamentös ausgleichen, bei nachgewiesener Gerinnungsstörung gibt man eventuell ASS oder Heparin, um die Implantation zu unterstützen. Auch der Einfluss psychosozialer Faktoren wird diskutiert oder belastende Ereignisse vor und während der Schwangerschaft wie auch Zigarettenkonsum (Bergner 2012). In mehr als der Hälfte aller Fälle lässt sich keine eindeutige Ursache für die Fehlgeburt finden.
Zitiervorlage
Schumann C: Tender Loving Care: Den Angstpegel beachten. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (4): 26–28 
Literatur

Bergner, A.: Unerwarteter Verlust und neue Hoffnung: Fehlgeburten, ihre Verarbeitung und die Folgen. Dissertation Humboldt Universität. Berlin (2006)

Bergner, A.: Rezidivierende und habituelle Aborte. In: Leitfaden Psychosomatische Frauenheilkunde. Deutscher Ärzte-Verlag (2012)

Brigham, S.A.: A longitudinal study of pregnancy outcome following idiopathic recurrent miscarriage; Hum. Reprod. 14 (11): 2868–2871 (1999)

Läpple, M.: Stress als Erklärungsmodell für Spontanaborte (SA) und rezidivierende Spontanaborte (RSA). Zentralblatt für Gynäkologie (1988)

DGGG: Diagnostik und Therapie beim wiederholten Spontanabort; Leitlinie. Erstellungsdatum. 12 (2013)

Liddell, H. S. et al.: Recurrent Miscarriage – Outcome After Supportive Care in Early Pregnancy. Australian and New Zealand Journal of Obstetrics and Gynaecology (1991)

Nawroth, F.: Habituelle Aborte – Diagnostik und Therapie. Frauenarzt. 47 (2006)

Neisses, M.; Rauchfuß, M.: Psychosoziale Aspekte der Schwangerschaft. FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung. Nr. 2 (2005)

Rauchfuß, M.: Bio-psycho-soziale Prädiktoren der Frühgeburtlichkeit und Differentialdiagnose zur intrauterinen fetalen Retardierung – Ergebnisse einer prospektiven Studie; Habilitationsschrift (2002)

Schumann C.: Schwangerenvorsorge: Neue Wege beschreiten. Deutsches Ärzteblatt. Jg. 101/ Heft 9/Februar (2004)

Stirrat, G. M.: Recurrent miscarriage. Lancet. 336: 673–675 (1990)

Stray-Pedersen, B.; Stray-Pedersen, S.: Recurrent abortion: The role of psychotherapy. Early pregnancy loss. Mechanisms and treatment. R. Beard and F. Sharp (Hrsg.) Springer-Verlag: London Berlin Heidelberg (1988)

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