Nachdem 2008 ein Kind bei seiner außerklinischen Beckenendlagengeburt gestorben war und seine Geburtshelferin dafür rechtlich verantwortlich gemacht wurde, sprachen wir in der Redaktion der Deutschen Hebammen Zeitschrift viel darüber. Wir reflektierten auch den juristischen Prozess, zumal die Angeklagte eine beliebte Autorin der DHZ war. Sie hatte durch ihr breites Wissen zur Physiologie der Geburt und die Hausgeburtshilfe einige lesenswerte Artikel geschrieben.
Als dann ab 2012 der Prozess am Landgericht in Dortmund begann, fuhr meine Kollegin Katja Baumgarten hin, um den ersten Prozesstag mitzuverfolgen. Die Stimmung und das Geschehen im Gericht zogen sie derart in den Bann, dass sie auch an den folgenden 58 Prozesstagen dabei sein wollte.
Umfassende Gerichtsreportage
Katja Baumgarten berichtete in einer 16-teiligen Gerichtsreportage von der Prozessaufnahme bis zur Urteilsverkündung in akribisch-beobachtenden Beiträgen. Ihr Sohn Nikolaus reiste fortan mit nach Dortmund, um im Gerichtssaal zu zeichnen.
Seine Illustrationen boten in den Berichten ein professionelles Mittel, um die Personen und die Stimmung im Gericht einfangen zu können, wo Fotografieren oder Filmen verboten war, höchstens mal in einer gestellten Situation. Eine solche ist auch im Dokumentarfilm zu sehen und mutet wie ein Theaterspiel an. Doch was geschehen ist, ist traurige Wirklichkeit.
Und diese ist nun auch im Dokumentarfilm »Gretas Geburt« zu verfolgen. Ich habe ihn direkt zweimal gesehen und werde ihn sicherlich nochmal anschauen. Was den Film auszeichnet ist das, was ich in den Gerichtsreportagen schon faszinierend fand: der nüchterne, wertungsfreie Blick auf das Prozessgeschehen und die involvierten Personen. Im Film wird das geschriebene Wort der Autorin teils zum gesprochenen Wort der Filmemacherin, die Zeichnungen werden zum dokumentarischen Illustrationsmittel. Sie durchziehen den Film, wenn es darum geht, die Personen im Gericht zu zeigen. Deren Handeln, Denken und Urteilen wird von der Filmemacherin in Form einer dokumentarischen Erzählung beschrieben.
»Der absolute Horror«
Die Eingangsszene zeigt die Hebamme und Ärztin, die über ihr Ringen um das Leben des kleinen Mädchens spricht. »Das ist natürlich für jede Geburtshelferin der absolute Horror.« Sie beschreibt, wie das Mädchen leblos zur Welt kam. Wie sie es nicht hatte reanimieren können und parallel den Notarzt gerufen hatte. Wie sie alle nichts mehr hatten tun können.
Szenenwechsel: Nebel über einem See, alles nur schemenhaft sichtbar. Dann wird die Stimme der Filmemacherin zum ersten Mal hörbar: »Im Juni 2008 wird ein kleines Mädchen geboren. Leblos.« Sie erzählt vom Ausgangspunkt des Dramas, das sich in besagtem Sommer im Zimmer eines Hotels im Ruhrgebiet abgespielt hatte. Von hier spannt sie den Bogen zum vier Jahre später im August 2012 begonnenen Gerichtsprozess, in dem die Eltern der kleinen Greta als Nebenkläger aufgetreten waren, bis hin zur Verurteilung.