Ursula Jahn-Zöhrens: »Es kann nicht sein, dass das ›Lebensrisiko Geburt‹ alleine auf den Schultern der GeburtshelferInnen abgeladen wird.« Foto: © Deutscher Hebammenverband. Hans-Christian Plambeck

Das System der Beleghebammen ist komplex, die verschiedenen Personalschlüssel und die haftungsrechtliche Absicherung wirken kompliziert. Die Beirätin für den Freiberuflichenbereich im Deutschen Hebammenverband steht Rede und Antwort. 

Birgit Heimbach: Für die Betreuung einer Geburt gibt es für Dienst-Beleghebammen mit 165,60 Euro und für Begleit-Beleghebamme mit 195,60 Euro im selben Krankenhaus jeweils ein anderes Honorar. Und das unterscheidet sich nochmal stark von der ambulanten Geburtshilfe in einer von Hebammen geleiteten Einrichtung, wo 526,38 Euro abgerechnet werden können. Woher rühren die Unterschiede?

Ursula Jahn-Zöhrens: Das rührt daher, dass die Leistungen unterschiedliche Zeitfenster betreffen. Die Pauschale einer außerklinischen Geburt in einer Hebammengeleitenden Einrichtung umfasst den Zeitraum bis zu acht Stunden vor und drei Stunden nach der Geburt. Bei den Beleggeburten sind es jeweils bis zu einer Stunde vor und drei Stunden nach der Geburt.

Begleit-Beleghebammen rechnen den Betreuungsschlüssel einer Eins-zu-eins-Betreuung ab, Dienst-Beleghebammen maximal die Eins-zu-zwei-Betreuung, angestellte Hebammen arbeiten dagegen ohne Betreuungsschlüssel. Können die verschiedenen Systeme und unterschiedlichen Vergütungen auch in Zukunft nebeneinanderstehen, ohne dass es zu Unmut kommt?

Begleit-Beleghebammen arbeiten grundsätzlich außerhalb der Klinik, stehen während der klinischen Geburt der Gebärenden bei, mit der sie einen entsprechenden Behandlungsvertrag haben, und verlassen im Anschluss das Haus wieder. Dienst-Beleghebammen hingegen stehen der Klinik rund um die Uhr zuverlässig zur Verfügung. Sie können nicht mehr als zwei Leistungen parallel im gleichen Zeitfenster abrechnen, was nicht bedeutet, dass nicht mehrere Frauen versorgt werden, dann allerdings ohne Vergütung. Die Kreißsäle mit angestellten Hebammen unterscheiden sich zu den Belegteams darin, dass sie keinerlei Betreuungsschlüssel haben. Es gibt derzeit keine verbindliche Zahl, wie viele Hebammen wie viele Geburten begleiten sollen, was der DHV sehr kritisiert.

Das Problem liegt nicht an der Form der Arbeitsverhältnisse der Hebammen, sondern daran, dass die Geburtshilfe in Deutschland unterfinanziert ist und sich an Fallpauschalen orientiert. Frau­zentrierte Geburtshilfe ist personal- und zeitintensiv, wir müssen die Anreize im System verändern.

Das Einkommen der Hebamme ist die eine Seite. Was aber ebenso Beachtung finden muss, ist das Bedürfnis der Gebärenden nach einer kontinuierlichen, zugewandten Begleitung ihrer Geburt. Hier setzten die Forderungen des Deutschen Hebammenverbandes nach einer grundsätzlichen Eins-zu-eins-Betreuung und der Einführung von Personalbemessungsinstrumenten an.

Manche Begleit-Beleghebammen empfinden die Honorierung ihrer Geburtshilfe als verhältnismäßig gering.

Freiberufliche Hebammen, die Geburtshilfe außerklinisch oder als Begleit-Beleghebamme anbieten, können eine Rufbereitschaftspauschale mit der Schwangeren vereinbaren. Und häufig wird diese auch von der Krankenkasse der Versicherten erstattet. Bei Beleghebammen erhöht sich der Verdienst über weitere Leistungspositionen.

Die 17 % Honorarerhöhung, die die Schiedsstelle als Kompromiss für die freiberuflichen Hebammen ausgesprochen hatte, führte auf der anderen Seite zur Begrenzung der parallelen Leistungserbringung. Die Regel besagt, dass sie neben der Eins-zu-zwei-Betreuung Leistungen bei höchstens einer weiteren Versicherten zur gleichen Zeit abrechnen dürfen, und zwar nur für eine Stunde im Notfall, die sie genau dokumentieren müssen. Das fanden viele Dienst-Beleghebammen enttäuschend.

In Zeiten, in denen andere Gesundheitsberufe negative Ergebnisse in Verhandlungen mit dem GKV-SV abgeschlossen haben, sind 17 % ein gutes Ergebnis. Die Basis, von der aus die Positionen für Hebammenleistungen berechnet werden, ist schlicht zu niedrig. Wir werden bei den kommenden Verhandlungen unsere Forderungen deutlich formulieren. Allerdings muss allen klar sein, dass die Krankenkassen in den nächsten zwei bis drei Jahren mit enormen Defiziten auf Grund der Corona-Pandemie rechnen und daher die Ausgangslage keine Leichte für uns ist. Ich war damals nicht in der Verantwortung, aber dass es den Kassen in den Verhandlungen gelungen ist, einen Keil zwischen die Hebammenverbände zu treiben, hat mich erschüttert. Sobald in den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband die Schiedsstelle angerufen wird, haben wir keine gute Verhandlungsposition und keine Mehrheit mehr. Wir sind eine kleine Berufsgruppe und können nur mit Solidarität untereinander schlagkräftig in Verhandlungen sein.

Einen weiteren Kritikpunkt an der Abrechnungsbeschränkung sehen einige Dienst-Beleghebammen darin, dass so auch angesichts des Hebammenmangels nicht allen Frauen Hebammenhilfe zuteilwerden kann.

Die Eins-zu-eins-Betreuung stellt ein angestrebtes Qualitätsmerkmal dar, das in vielen anderen europäischen Ländern selbstverständlich ist. Das bedeutet in erster Linie, genügend Hebammen in die Kreißsäle zu bekommen, um personell die Voraussetzung zu schaffen. Dazu müssen die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert und der Verdienst der Hebammen entsprechend abgesichert werden. Eine Übergangslösung mit einer Eins-zu-zwei-Betreuung ist realistisch und wäre schon eine deutliche Verbesserung zum Ist-Zustand.

Dienst-Beleghebammen bemängeln, dass sich die Verwaltungsarbeit im Kreißsaal enorm vervielfacht hat, denn sie achten nun akribisch darauf, keinen Abrechnungsfehler zu begehen. Das ist bei dem Personalmangel in manchen Kliniken offen­sichtlich sehr schwierig.

Eine korrekte Abrechnung musste und muss eine Hebamme zu jeder Zeit vornehmen.

Die Debatte um den Betreuungsschlüssel betrifft unterschiedliche Interessen. Manch eine Gruppe würde für die Eins-zu-drei-Betreuung plädieren.

Der DHV fordert eine Eins-zu-eins-Betreuung für die Gebärende in der aktiven Geburtsphase, analog zum »Nationalen Gesundheitsziel rund um die Geburt« und zur S3 Leitlinie »Vaginale Geburt am Termin«. Nur so können wir eine frauenzentrierte Geburtshilfe sicherstellen. Und darum geht es: Der Betreuungsschlüssel ist die Verwirklichung des Rechtes auf eine gute, zugewandte Betreuung unter der Geburt. Dass auf dem Weg dorthin eine Eins-zu-zwei-­Betreuung realistischerweise nötig sein wird, steht nicht in Abrede.

Eine frauenzentrierte Geburtshilfe ist das Ziel, egal in welchem Arbeitsverhältnis die Hebamme diese Geburt begleitet. Ich halte es für den falschen Weg, von der Eins-zu-eins-Betreuung zurückzutreten, mit dem Argument, dass dann die Hebamme nicht mehr genug verdient. Andersherum muss die Forderung lauten: Bezahlt uns so, dass wir die hohe Qualität einer individuellen Geburtshilfe leisten können. Eins-zu-zwei oder Eins-zu-drei bedeutet für die Hebamme Stress: Sie weiß von einer oder zwei Gebärenden nicht, wie es ihnen in diesem Moment geht und was sich in den anderen Räumen abspielt. Das ist eine enorme Belastung und für viele Hebammen ein Grund, die Geburtshilfe an den Nagel zu hängen.

In Bayern wurde ein Verband der Beleghebammen gegründet, um die Interessen effektiv zu vertreten. Dieser bietet auch Einzel-Versicherungen für Beleghebammen.

Eine kleine Berufsgruppe wie die der Hebammen verliert durch eine weitere Zersplitterung. Der DHV hat bereits Kontakt zu den Kolleginnen in Bayern aufgenommen. Wir bereiten derzeit die kommenden Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband vor, da würde ich einen Austausch ausdrücklich begrüßen.

Die freiberuflichen Hebammen haben eine Haftpflichtversicherungsprämie von rund 10.000 Euro jährlich. Ist das Maximum erreicht?

Die Steigerung der Prämie der Berufshaftpflicht hängt in erster Linie damit zusammen, dass dank des medizinischen Fortschritts die Lebenszeit der betroffenen Kinder dem der Gesamtbevölkerung kaum mehr nachsteht. Dafür muss eine entsprechende Deckungssumme vorgehalten werden. Der Unterschied zwischen außerklinischer und klinischer Geburtshilfe besteht darin, dass in der Klinik in der Regel der Schadensfall auf die Versicherungen der Hebamme und der Ärztin beziehungsweise des Arztes verteilt ist, hingegen außerklinisch die gesamte Last bei der Versicherung der Hebamme liegt.

Die Stärke des Gruppenhaftpflichtvertrags des DHV beruht auf der Solidarität der Hebammen untereinander. Und nur dadurch lässt sich eine solche Versicherung heute überhaupt noch abschießen. Europaweit finden sich kaum Versicherungen, welche die Geburtshilfe absichern, unabhängig ob klinisch oder außerklinisch und unabhängig davon, ob die Hebamme oder die Ärztin beziehungsweise der Arzt abgesichert werden muss.

Geburt hat Aspekte, die rational nicht zu verstehen sind, und dies muss eine Gesellschaft anerkennen und entsprechend absichern. Es kann nicht sein, dass das »Lebensrisiko Geburt« alleine auf den Schultern der GeburtshelferInnen abgeladen wird.

Derzeit wird den freiberuflichen Hebammen unter Vorbehalt die Versicherung auf der Basis des Sicherstellungszuschlags zu einem Großteil von der GKV finanziert, so dass sie derzeit knapp 3.000 Euro pro Jahr selbst zahlen. Gibt es Unterschiede für Begleit-Beleghebammen?

Die Bedingungen zur Erstattung des Sicherstellungszuschlags sind für alle freiberuflichen Hebammen mit Geburtshilfe gleich und in der Anlage 1.4 des Rahmenvertrags nach § 134a SGB V Hebammenhilfe-Vertrag geregelt. Laut den Zahlen der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) steigt die Zahl der Hebammen, die außerklinische Geburtshilfe anbieten, seit 2016 kontinuierlich an. Der Gruppenhaftpflichtvertrag des DHV ist bis 30. Juni 2024 fortgeschrieben. Die Diskussion um die Berufshaftpflicht in der Geburtshilfe bleibt ein Dauerthema, da grundsätzlich die Belastung aller in der Geburtshilfe Tätigen zu hoch ist. Der DHV ist hier mit Politik und Krankenkassen in einem intensiven Austausch.

Wird der Vorbehalt irgendwann aufgehoben? Und wie könnte eine zukünftige Lösung vom Staat aussehen?

Zu einer Deckelung der Haftpflicht­prämie sind seit Jahren schon verschiedene Modelle geprüft worden. Der DHV ist in einem engen Austausch mit Fachleuten, dem Bundesgesundheitsministerium und dem GKV-Spitzenverband. Wir werden sehen, welche Lösung sich am Ende bewährt. Allen Beteiligten ist klar, dass die Prämienentwicklung der letzten 15 Jahre so nicht weitergehen kann.

Danke für Ihre Auskünfte, Frau Jahn-Zöhrens!

Die Interviewte

Ursula Jahn-Zöhrens ist seit 1989 freiberuflich als Hebamme in eigener Praxis mit Hausgeburtshilfe tätig. Seit 1993 ist sie berufspolitisch im Deutschen Hebammenverband (DHV) engagiert – sie war im Vorstand der Hebammengemeinschaftshilfe als auch Vorsitzende im Hebammenverband Baden-Württemberg. Im DHV ist sie Beirätin für den Freiberuflichenbereich.

Zitiervorlage
Heimbach, B. (2021). Eins-zu-eins ist das Ziel. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 73 (3), 23–25.
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