Spiralige Energiewirbel in einem blauen Ur-Himmel? Elektrische Entladung eines Urknalls? Schöpfung einer Blume? „Urchaos Nr. 16/ Die Rose“ (1906/07) erinnert manchen mehr an DNA-Stränge als an etwas Florales. Reproduktion: Markus Heimbach

Die schwedische Malerin Hilma af Klint stand, wie sie über sich selbst befand, beim Malen mit höheren Kräften in Verbindung. So trägt eines ihrer Bilder den Titel „Diejenigen, die Licht auf die Erdenmenschen herabzusenken versuchen“, womit auch das Mystische des Weihnachtsfestes anklingen könnte. Zu Lebzeiten wurden ihre Bilder mit einer reichen Formensprache nie ausgestellt. Dies hatte sie sich verbeten, da die Zeit ihr noch nicht reif dafür erschien.

Sie interessierte sich für das Bewegen von Materie, Umwandlungen von Stoffen, beispielsweise vom Geistigen ins Materielle, sowie für Prozesse im Mikroskopischen und Makroskopischen. Die schwedische Malerin Hilma af Klint (1862–1944) gab Einsichten in verschiedene Dimensionen der menschlichen Existenz. Sie wollte Zusammenhänge sichtbar machen, die jenseits des Sichtbaren liegen. Naturwissenschaftler hatten damals bereits eine Vielzahl unsichtbarer Kräfte aufgedeckt, wie Infrarotlicht, Röntgenstrahlen oder elektromagnetische Felder. Diese Phänomene stellten nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Kunst vor neue Fragen: Konnte man auch Lebenskraft und Energie und das Innere malen?

Hilma af Klint gilt als Pionierin der Abstraktion. Reproduktion: Markus Heimbach

Florale Formensprache

Hilma af Klint, die zunächst als Landschafts- und Porträtmalerin arbeitet, widmete sich leidenschaftlich dem Studium von Tieren und Pflanzen und zeichnete 1900/1901 für das tierärztliche Institut. Die Botanik mit den so unterschiedlichen floralen Formen war schließlich einer ihrer Wegweise in die Abstraktion. Immer wieder befasste sie sich mit der Darstellungsweise von beispielsweise spiralförmig wachsenden Ranken. Allmählich wurden daraus immer präzisere geometrische Formen. Eine sich entrollende Rankenlinie wurde bei ihr schließlich der Inbegriff der inneren Energie und Zielstrebigkeit organischen Lebens. Noch vor Wassily Kandinsky malte sie in ihrem Stockholmer Atelier 1906 ihr erstes abstraktes Bild. Sie gilt heute als Pionierin der Abstraktion. Sie konnte sich nach ihrem Studium mit der Malerei den Lebensunterhalt verdienen, aber es war damals auch in Schweden nicht leicht für sie als Künstlerin, war sie doch ihren männlichen Kollegen bei weitem nicht gleichgestellt.

„Die Evolution Nr. 15/ Der Siebenstern“ zeigt die weiße Blüte des Siebensterns mit ihren sieben Blättern, versehen mit Symbolen: „w“ für Materie, rechtsdrehenden Spiralen für Weiblichkeit und Gefühlskraft. Rudolf Steiner sah in diesem Bild von Hilma af Klint ihr geistiges Selbstbildnis. Reproduktion: Markus Heimbach

Schnecken und Spiralen

Zwischen 1906 und 1907 malte sie die Serie „Urchaos“, in der spiralförmige Energiewirbel, vegetabile und geometrische Formen mit gestischen Pinselstrichen, Buchstaben und Symbolen korrespondieren. Manche Spiralen erinnern an DNA-Stränge, etwa auf dem Bild „Urchaos Nr. 16/ Die Rose“, auf dem sie sich in den Farben blau und gelb diagonal ausbreiten. 1907 entstand eine stark farbige und monumentale Serie mit dem Titel „Die zehn Größten“, auf denen manche Formen an Zellen des Körpers erinnern, verwickelt in undurchschaubare Prozesse und Rhythmen. Diese Gemälde schildern Entwicklungsstadien vom Kind bis zum Greis. Hilma af Klint, die selbst kinderlos blieb und auch nicht heiratete, befasste sich immer wieder mit der Evolution und verwendete das uralte Symbol der Schnecke und Spirale, das in vielen Kulturen für die Schöpfung steht. Spiralen symbolisieren auf ihren Bildern auch die menschliche Höherentwicklung. Für sie spielte es außerdem eine Rolle, in welche Richtung sich die Spirale drehte. Eine sich gegen den Uhrzeigersinn drehende Spirale – etwa auf einer Zeichnung von 1917 – ordnete sie der Gedankenkraft zu, ein für die Künstlerin männliches Prinzip. Das sich im Uhrzeigersinn drehende Motiv hingegen ordnete sie der Gefühlskraft zu, einem für sie weiblichen Prinzip. Das mandalaartige, abstrakte Bild „Die Evolution Nr. 15/ Der Siebenstern“, in dem eine Schnecke im Uhrzeigersinn aufgerollt ist, wurde vom Anthroposophen Rudolf Steiner als Hilma af Klints geistiges Selbstbildnis bezeichnet. Die Künstlerin war der Auffassung, dass sie beim Malen oft in Verbindung mit höheren Wesen stand, die durch sie sprachen und Botschaften vermittelten, sie zu sogenannten automatischen Zeichnungen inspirierten, die quasi nicht durch sie selbst gesteuert wurden. Inspiriert von theosophischen und anthroposophischen Vorstellungen, fand sie den Mut zu einer radikalen Formensprache. Bis zu ihrem Tod zeigte sie nicht ein einziges dieser abstrakten Werke in einer Ausstellung. Und sie verfügte, dass ihre Bilder erst 20 Jahre nach ihrem Tod gezeigt werden sollten, da sie überzeugt war, die Zeit sei noch nicht reif dafür.

Komplexe Kombinationen

Sie verwendete Buchstaben und Farben, aus denen sie komplexe und nicht immer entschlüsselbare Kombinationen entwickelte. Die Künstlerin erläuterte, dass das „U“ für das Geistige stehe und das „W“ für Materie, Gelb für das männliche Prinzip und Blau für das weibliche. Das achte Bild der Urchaos-Serie mit dem Schriftzug „Avonvener“ zeigt eine blaue Schnecke, die ihre Fühler aus dem gelben, gegen den Uhrzeigersinn aufgerollten Schneckenhaus streckt. In Hilma af Klints selbst erstelltem Lexikon über die in ihren Werken verwendeten Buchstaben und Wörter ist „Avonvener“ erklärt als „Diejenigen, die Licht auf die Erdenmenschen herabzusenken versuchen“.


Hinweis: Die Ausstellung „Hilma af Klint – Eine Pionierin der Abstraktion“ ist bis zum 9. Februar 2014 im Picasso-Museum in Málaga, Spanien, zu sehen.


Zitiervorlage
Heimbach B: Die Künstlerin Hilma af.Klint: Licht auf die Erdenmenschen. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (12): 81–82
Literatur
Hilma af Klint – Eine Pionierin der Abstraktion. Herausgegeben von Iris Müller-Westermann und Jo Widoff. Ausstellungskatalog Hamburger Bahnhof– Museum für Gegenwart. Berlin (2013)
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