Die Work-Life- Balance im Blick zu behalten, erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und trägt dazu bei, dass Hebammen nicht ausbrennen. Foto: © westend61/imago images
Die Freiberuflichkeit der Hebamme basiert zunächst auf originärer Hebammenarbeit wie Vorsorge, Schwangeren- oder Geburtsbegleitung, Wochenbettbetreuung sowie dem Kursangebot für die Zeit vor und nach der Geburt. Hebammen können sich aber auch zusätzlich zur Still- und Trageberaterin weiterbilden, Zusatzqualifikationen in der Rückbildungsgymnastik erwerben, zur Expertin für Schreibabys werden, die Qualifikation als Praxisanleiterin erwerben oder im Verlauf der Berufsjahre ein Aufbaustudium machen, das in die Lehre und Forschung führt. Mit der Akademisierung des Berufes stehen weitere berufliche Möglichkeiten offen.
Die Überlegung, als selbstständige Hebamme zu arbeiten, bedarf einer guten Vorbereitung. Damit führt sie in der Regel auch zum beruflichen und wirtschaftlichen Erfolg und zu einem gesicherten Lebensunterhalt.
Berufsverbände oder private Fortbildungsinstitute bieten Seminare zum Einstieg in die Freiberuflichkeit an und vermitteln Hebammen wichtige Fakten, die sie berücksichtigen müssen. Das Erstellen eines Business-Plans, die Einarbeitung in das erforderliche QM-System und das Wissen um die notwendigen Versicherungen sind nur einige der Aspekte, die in diesen Fortbildungen besprochen werden.
Mein Blickwinkel auf diesen beruflichen Einstieg ist der aus der Sicht des Coachings. In diesem Beratungssetting geht es vorrangig um die persönlichen Fragestellungen, wie zum Beispiel:
Viele Berufsanfängerinnen orientieren sich an erfahrenen Hebammen, haben vielleicht Vorbilder oder holen sich Hilfestellungen im kollegialen Gespräch.
Daher ist es eine berechtigte Frage, ob eine Berufsanfängerin zu diesen Fragen ein Coaching braucht. Natürlich sind es zusätzliche Kosten. Aber lassen Sie mich eines vorweg nehmen: Die Kosten sind deutlich höher, wenn Sie bei einem Fehlstart oder einer falschen Selbsteinschätzung böse Überraschungen erleben.
Zum Beispiel kann es sein, dass Sie von hohen Steuernachforderungen überrascht werden, weil das Thema Buchhaltung zu ihren ungeliebten Tätigkeiten gehört und Sie wichtige Fristen übersehen oder Ihrem Berufsstart eine unrealistische Kalkulation zugrunde gelegt haben. Die Abrechnungsprogramme, die es auf dem Markt gibt, sind eine große Hilfe und erleichtern die »Schreibtischarbeit« sehr. Allerdings braucht es auch hier die Selbstdisziplin, die geleistete Arbeit regelmäßig einzupflegen. Sie haben dafür aber jederzeit einen guten Überblick über Ihre Einnahmen- beziehungsweise Ausgabensituation und die Buchhaltung.
Es gibt auch die Möglichkeit, die Abrechnung weitestgehend an ein Abrechnungsunternehmen abzugeben. Bei gut geführten Tätigkeitsnachweisen, die dafür einzureichen sind, bleibt der Aufwand überschaubar, allerdings kosten diese Angebote etwas mehr – meist einen geringen prozentualen Anteil der Einnahmen.
Selbstständige Unternehmerin zu sein bedarf nicht nur der fachlichen Kompetenz, sondern auch ein Grundwissen über Marketingstrategien, Buchhaltung und Steuerrecht.
Eine große Hilfe ist die Steuerberatung, mit der Sie alle Fragen zu Buchhaltung und Steuerrecht absprechen beziehungsweise delegieren können. Der latente Stress, den eine unübersichtliche Buchhaltung bereitet, kann weitaus größer sein als der Aufwand, diese regelmäßig auf dem Laufenden zu halten. Einfache Gewohnheiten im Arbeitsablauf, wie feste Zeiten für administrative Tätigkeiten, wirken der Tendenz entgegen, solche und ähnliche ungeliebten oder angstbesetzten Tätigkeiten vor sich her zu schieben.
Es geht in einem Coachingprozess, der auf einen definierten Zeitraum begrenzt ist, um die persönlichen Fragestellungen des Coachee – der Person, die ein Coaching in Anspruch nimmt. Dabei kann es um Fragen zu Entscheidungsprozessen gehen: Entwicklungsprozesse zur beruflichen Identität werden gefördert oder Konfliktlösungen am Arbeitsplatz erarbeitet.
Folgende Fragen und Erkenntnisse habe ich im Laufe meiner 20-jährigen Tätigkeit als Coach und Supervisorin für Hebammen zusammengetragen. Sie sollen eine Anregung sein, um den Start in die Selbstständigkeit zu erleichtern.
Der Volksmund sagt: »Selbstständig arbeiten bedeutet, für sich selbst ständig tätig zu sein«.
Für den Einstieg in eine freiberufliche Arbeit kann das in der Gründungszeit durchaus zutreffen. Die selbstständige Hebamme braucht neben der fachlichen Kompetenz auch die Fähigkeit, unternehmerisch zu denken. Sie sollte eine Idee zu Marketingstrategien haben und in der Lage sein zu analysieren, mit welchen Leistungsangeboten sie in ihrem Einsatzgebiet (Wohnort, Praxisort) die besten »Arbeitsaufträge« bekommt.
Jede freiberufliche Hebamme braucht ein Netzwerk. An dieser Stelle empfehle ich zunächst eine Marktanalyse: Nehmen Sie Kontakt auf zu den Kolleginnen vor Ort und recherchieren Sie den aktuellen Bedarf. Die Kolleginnen in den Kliniken und auf der Wochenstation wissen um den Bedarf an Hebammen in der Wochenbettbetreuung. Die Kontaktaufnahme zu den niedergelassenen Berufsgruppen rund um Schwangerschaft und Familienzeit macht Sie bekannt und kann Teil eines Netzwerkes an unterstützenden Angeboten werden. Zum Beispiel sind Beratungsstellen rund um Schwangerschaftskonflikte hilfreich, genauso wie der Kontakt zu den Frühen Hilfen, den Familienhebammen und sozial-psychiatrischen Einrichtungen.
Der Einstieg in ein bestehendes Hebammenteam ist sicherlich für den beruflichen Start die verlässlichste Unterstützung und viele Fragen können dort schnell beantwortet werden.
Unternehmerisches Denken ist für freiberufliche Hebammen genauso wichtig wie Leidenschaft und Menschenliebe für die inhaltliche Arbeit. Dazu gehören Fragen wie:
Die Hebammengebührenordnung ist ein Konstrukt, das erst in der Mischkalkulation der verschiedenen Leistungsbereiche ein gutes Einkommen ermöglicht.
Die Freiheit in der Selbstständigkeit besteht unter anderem darin zu kalkulieren, wie viel ich verdienen will und was ich dafür tun muss.
Ein Beispiel: Wenn Sie sich ausschließlich für die Wochenbettbetreuung entscheiden, ohne die Frauen vorher gut kennengelernt zu haben, kann es während der Betreuungen zu einem hohen Beratungsaufwand kommen, der mit der vorgesehenen Leistungsvergütung kaum ausgeglichen wird. Wenn ein Wochenbettbesuch immer circa 60 Minuten dauert, werden Sie nicht angemessen dafür honoriert. Die Krankenkassen haben für einen Wochenbettbesuch etwa 30 Minuten kalkuliert.
Anders sieht es aus, wenn Sie die Frauen schon in der Schwangerschaft gut kennenlernen und wichtige Informationen im Vorfeld vermitteln. Dann werden die Wochenbettbesuche in der Regel weniger zeitaufwendig und damit der Verdienst angemessener.
Es gibt schon immer die Diskussionen darüber, ob Hebammenleistungen von den Krankenkassen angemessen honoriert werden. Manche Hebammen sagen, dass sie als Freiberuflerin mehr Geld verdienen als als angestellte Hebammen. Es gibt aber auch Hebammen, die immer am Existenzminimum entlang arbeiten und sehr unzufrieden sind.
Die Ursachen hierfür sind sehr vielschichtig. Eine Hebamme in der Großstadt hat andere Verkehrs- und Parkplatzprobleme für die aufsuchenden Betreuungen als eine Landhebamme. In ländlichen Regionen brauchen Sie ein zuverlässiges Auto und müssen bereit sein, bei mehreren Hausbesuchen täglich zwischen 20 und vielleicht bis zu 100 Kilometern zu fahren. Die entsprechenden Kosten für den PKW, dessen Instandhaltung und das Benzin sowie die Fahrtzeit als Arbeitszeit erfordern eine strenge Kalkulation und effektive Planung. Unter Umständen ist es sinnvoller, sich mit Kolleginnen abzusprechen und weit entfernte Frauen abzugeben, um allzu weite Strecken zu vermeiden, als darauf zu beharren, alle »eigenen« Frauen selbst aufzusuchen. Hebammenteams, die regional kooperieren und den Frauen möglichst die nächstwohnende Hebamme vermitteln, sind eine echte Alternative. Ich rate ansonsten dazu, nur die Frauen in die Betreuung aufzunehmen, die man auch selbst besuchen kann. Zwingend notwendig für die Urlaubsvertretungen ist ein gutes Netzwerk von Kolleginnen, die sich gegenseitig vertreten können.
Nicht alle Schwangeren wünschen im Erstkontakt gleich den Hausbesuch, sondern bevorzugen einen »neutralen Ort«. Verfügt eine Hebamme über Praxisräume, kann sie viele Termine in der Praxis anbieten und verliert keine Zeit für Wegstrecken. Auf der anderen Seite kosten Praxisräume auch Geld und müssen gepflegt und gereinigt werden. Miete und Unterhaltungskosten sollten nicht zum Dauerbrenner werden. Auch hier kann eine strenge Kosten-Nutzen-Rechnung vor dauerhaftem Stress und Verlustgeschäften bewahren.
Wenn es Ihr Ziel ist, bald nach der Ausbildung eine Familie zu gründen, gilt es gut zu überlegen, wie viel Sinn der relativ aufwendige Einstieg in die Freiberuflichkeit macht. Wie lassen sich Familienpflichten mit den beruflichen Verpflichtungen vereinbaren? Die Hebammenarbeit zeichnet sich in der Freiberuflichkeit durch ein hohes Maß an Spontaneität und Flexibilität aus. Lieben Sie es, dass jeder Arbeitstag anders aussieht und Sie maximal zwei bis drei Tage im Voraus wissen, was Sie zu tun haben? Welche Rolle spielen in Ihrem Leben private Beziehungen, Hobbys oder andere Leidenschaften, die Sie mit Ihrer Berufstätigkeit vereinbaren wollen?
Eingebettet in ein vorhandenes Hebammenteam einer Praxis, ist es für Berufsanfängerinnen leichter, gut unterstützt zu werden. Vorhandene Arbeitsstrukturen erleichtern den Arbeitsalltag. Eine Hebammenpraxis kennt den Arbeitsanfall und kann neue Kolleginnen dort einsetzen, wo der größte Bedarf ist. Es gibt in einem Team immer unterschiedliche »Begabungen und Vorlieben«, so dass im besten Falle jede Hebamme das tun kann, was ihr am meisten Freude macht. Der größte Vorteil eines Teams liegt darin, dass die Teammitglieder die Regelungen über freie Zeiten vereinbaren können. Die Work-Life-Balance im Blick zu behalten, erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und trägt dazu bei, dass Hebammen nicht ausbrennen.
Durch Studien ist gut belegt, was sich junge Familien von »ihrer Hebamme« wünschen. Jede zufriedene Frau wird ihrer Freundin oder Familie »ihre Hebamme« weiterempfehlen. Allerdings wissen wir auch, dass es manchmal mit der sprachlichen Verständigung nicht so einfach ist. Nicht nur, weil Frauen nicht die Landessprache sprechen, sondern auch weil Hören und Verstehen nicht das Gleiche sind.
Bis heute halte ich mir immer Paul Watzlawicks Definition zur Kommunikation vor Augen:
Gemeint ist noch lange nicht gesagt.
Gesagt ist noch lange nicht gehört.
Gehört ist noch lange nicht verstanden.
Verstanden ist noch lange nicht einverstanden.
Einverstanden ist noch lange nicht durchgeführt.
Durchgeführt ist noch lange nicht beibehalten.
Schwangere und Wöchnerinnen können sich aufgrund ihrer besonderen hormonellen/emotionalen Lebenssituation oft schlecht konzentrieren. Unsicherheiten und Ängste führen dazu, dass es leicht zu Missverständnissen kommt. Schnell spricht es sich herum, »wie eine Hebamme arbeitet«. Ich selbst erinnere mich daran, wie eine Frau glaubte, wenn die Hebamme im Wochenbett kommt, dann übernimmt sie auch Aufgaben im Haushalt. Oder mir wurde berichtet, die Hebamme habe zu den Besuchen am Vormittag frische Brötchen mitgebracht. Manche Frauen glauben auch, die Hebamme wird zur persönlichen Freundin und suchen immer wieder nach Gründen, auch lange nach dem regulären Betreuungszeitraum, in Kontakt zu bleiben.
Eine besondere Herausforderung sind die Frauen, die schon nach sechs Wochen das gesamte Betreuungskontingent aufgebraucht haben und eine weiterführende Hebammenbetreuung nur noch über ein ärztliches Rezept möglich ist. Die Ursachen für diese intensiven Betreuungssituationen sind oft große Ängste, die meines Erachtens eher zugenommen haben. Die Frage ist hier: Wie kann eine Berufsanfängerin mit diesen Situationen umgehen, ohne selbst dabei nicht auszubrennen?
Ein Beispiel: Die Hebamme vereinbart, dass sie zum Wochenbettbesuch um 10 Uhr kommt. Um 12 Uhr ist sie jedoch immer noch nicht da gewesen. Wiederholen sich diese Situationen, kommt Ärger auf und dies beeinflusst den Betreuungsprozess. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Hebamme schwindet, ihre Empfehlungen werden unglaubhaft.
Tipp: Vereinbaren Sie im Behandlungsvertrag, wie Ihre Arbeitszeiten sind. Klären Sie Ihre Erreichbarkeit, richten Sie eine Sprechstunde ein, in der Sie zuverlässig am Telefon sind. Schaffen Sie sich selbst Spielräume, indem Sie die Termine nicht zu eng planen. Geben Sie bei einer Reihe Hausbesuche den Frauen eher Zeitfenster von einer Stunde an als eine genaue Uhrzeit, damit Sie Platz für Verzögerungen wie eine ungeplante zeitaufwendige Stillberatung haben. Halten Sie zugesagte Termine möglichst ein – oder rufen Sie rechtzeitig an, wenn es trotzdem einmal nicht mit klappen sollte.
Klären Sie auch, was die Frau tun kann, wenn Sie bei Problemen nicht erreichbar sind. Der Milchstau ist eine akute Situation, in der ein rasches Handeln den Therapieerfolg erhöht. Je besser Sie die Frauen kennen, desto eher können Sie einschätzen, ob eine Frau sich eher zurückhaltend meldet wenn sie Probleme hat oder ob es eine Frau ist, die ganz viel Rückversicherung braucht und Sie fast täglich kontaktiert. In jedem Fall erleichtern klare Regeln den Betreuungsprozess und verhindern, dass Ärger aufkommt.
Ich ermuntere Hebammen dazu, die Chancen der eigenständigen Tätigkeit zu nutzen. Die gesetzlichen Grundlagen dafür sind optimal. Gesundheitspolitisch ist es sehr gewollt, dass Hebammen ihren Platz im Betreuungsangebot für Schwangere etablieren. Mut tut gut und macht stark! Kluge Hebammen waren zu allen Zeiten die optimale Begleitung in der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett. Und »Frau« wächst an ihren Aufgaben und Herausforderungen. Nehmen Sie diese Chancen wahr!
Die Eins-zu-eins-Begleitung von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett schafft einen viel intensiveren Kontakt zu den jungen Familien als dies in der Klinik überhaupt möglich ist. Auf der Basis einer »vertrauensvollen Lebensbegleitung auf Zeit« kann eine Beziehung zu den Familien entstehen, die ein Leben lang in Erinnerung bleibt und welche die Eltern als wertvolle Erfahrung mitnehmen. Diese Vision lässt die junge Hebamme nicht los. Sie begleitet sie bei ihrer Entscheidung, wie es nach der Ausbildung weitergehen soll.
Mona entscheidet sich nach ihrer Ausbildung dafür, erst mal ein Jahr Auszeit im Ausland zu verbringen. Bei ihrer Rückkehr nach Deutschland bringt sie interessante Erfahrungen über die Gesundheitssysteme anderer Kontinente mit. Sie hat gelernt, das Gesundheitssystem und vor allem die Privilegien der hiesigen Hebammenarbeit zu schätzen. Und sie hat für sich entdeckt, dass es die Möglichkeit gibt, klinische Tätigkeit mit der freiberuflichen Arbeit zu verbinden. Für sie ist das nun ein guter Kompromiss. Sie kann auf diese Weise Erfahrungen im Beruf sammeln und parallel ausprobieren, welche Arbeitsbereiche ihr besonders viel Freude machen.
Auf ihrer Reise hat sie sich verliebt und plant, bald eine Familie zu gründen. Sie entscheidet sich zunächst dafür, als angestellte Hebamme weiterzuarbeiten. Das regelmäßige Einkommen und die soziale Absicherung erscheinen ihr für die aktuelle Lebenssituation am sichersten.
Etwa zehn Jahre später treffe ich Mona wieder auf einem Hebammenkongress. Sie berichtete mir voll Stolz, dass sie inzwischen in einer gut gehenden Hebammenpraxis arbeitet und dort in einem geregelten Dienstplan mit den Kolleginnen eine gute Lösung gefunden hat, um Beruf und Privatleben zu verbinden. Sie hat sich außerdem dafür entschieden, berufsbegleitend zu studieren, was ihr dadurch ermöglicht wird, dass ihr Partner sich verlässlich um die Familie gekümmert.