Feuer und Flamme
Ein nächstes großes Glück war 2003 die Begegnung mit Dr. Maja Storch. Sie war bahnbrechend früh mit ihrer Forschung zu »angewandtem Embodiment«. Sie lud mich ein, ihren Student:innen in ihrem Institut für Selbstmanagement und Motivation spielerisch Haltung beizubringen. Sie sammelte Daten, wie eine bewusste, gute Haltung die Resultate ihres einzigartigen Ressourcenmodells verdichtete, vertiefte und verfestigte.
»Das müssen wir dokumentieren«, befand Maja Storch, »das macht bewusstes Embodiment fassbar, lernbar und praktisch anwendbar.« Ich hatte durch Karin Altpeter-Weiss den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Helmut Sauer kennengelernt. Er machte statt schmerzhafter, ungenauer Mammografien Brustuntersuchungen via Thermografie: Wärmebilder, die zeigen, wo sich im Körper Veränderungen anbahnen, lange bevor die schulmedizinischen Untersuchungsmethoden Veränderungen entdecken. Vielleicht wäre das eine Möglichkeit?
Maja Storch war Feuer und Flamme. Dr. Helmut Sauer war noch ein bisschen skeptisch, doch sofort bereit für einen Testlauf. So fuhren wir nach Waldbronn bei Karlsruhe. Wir wollten wissen: Wie lange dauert es, bis der Köper sich in einer Haltung so verändert, dass die Veränderungen mittels Wärmebildkamera sichtbar werden? Ich zog mich aus bis auf den Slip, verweilte zehn Minuten im kühlen Raum und versetzte mich in das Unglück meiner Kindheit, das von körperlichen und seelischen Misshandlungen durchtränkt war. Ich spürte schon nach drei Minuten, wie meine Wirbelsäule sich zusammenzog, mit allen Muskeln und Bändern, wie mein Brustkorb sich verdrehte, wie der Atem kurz wurde, der Hals dick und, vor allem, wie sich meine Stimmung verfinsterte.
Nun bereiteten wir sorgfältig eine Versuchsreihe vor, die zeigen sollte, dass aus einer neutralen physischen Skelettordnung unterschiedliche Körperhaltungen eingenommen werden können, und dass diese in Minutenschnelle die psychischen Empfindungen entsprechend verändern.
Wir entschieden uns – subjektiv – für sechs häufige Haltungsmuster – oder »Embodiments«. Für mich war es erhellend, wie mühelos ich in die unterschiedlichsten Gefühls- und Haltungsmuster schlüpfen konnte, wie schnell ich mich angriffslustig, wütend, überheblich fühlen konnte! Und wie schnell ich mit neutraler Aufrichtung zurücksprang in eine neutral-positive Gefühlshaltung.
Das Buch »Embodiment – Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen« erschien 2006 und entwickelte sich zu einem Standardwerk zum Thema Embodiment. Maja Storch hatte Prof. Dr. Wolfgang Tschacher und Prof. Dr. Gerald Hüther ins Team geholt. Tschacher beleuchtete, was Künstliche Intelligenz zum Verstehen der Wechselwirkungen von Geist, Psyche und Körper beitragen kann und beiträgt. Hüther erklärte als Neurobiologe, wie die geistige Haltung den Körperausdruck beeinflusst. Die aktuelle, gründlich überarbeitete Auflage des Werks nimmt auch die Veränderungen des »globalen Embodiments« während und nach der Corona-Pandemie auf. In der von mir geschaffenen Methode des Cantinieca – und dies ist immer noch sehr einzigartig– steht die Ausrichtung des Knochenskeletts von unten nach oben und die Vernetzung von allem mit allem, ebenfalls von unten nach oben, im Zentrum.
Von unten nach oben
Wir beginnen mit der Haltung der Füße, denn sie hat Einfluss auf Beinachse und Beckenstand, auf die Wirbelsäule, das Zwerchfell und sogar auf die Kopfhaltung. Wer sich vom Scheitel nach unten zu den Füßen denkt, macht sich schwer, gibt das Gewicht nach unten ab. Das löst eine negative Kettenreaktion aus und das Skelett schrumpft mit den Jahren.
Wer die Aufrichtung des eigenen Körpers ernst nimmt und sich von unten nach oben zur aufrechten Haltung und zum aufrechten Gang bekennt, löst ebenfalls eine Kettenreaktion aus – aber eine positive: Die Knochen, Gelenke, Bandscheiben werden entlastet. Durch die Aufspannung von unten nach oben kommen zuerst die Knochen in die ideale Ausrichtung, in der nichts auf Kosten von etwas anderem geht. Diese ausgerichteten Knochen sind wie Bauträger. Sie ermöglichen allen beteiligten Strukturen – Knochenhaut, Faszien, Bänder, Sehnen, Muskeln – die natürliche Grunddehnung, aus der die Bewegung leicht und geschmeidig und gesunderhaltend ist. Der so gehaltene Körper lebt fröhlich mit und in der Schwerkraft. Embodiment heißt wörtlich »Verkörperung«, einfach übersetzt: Ich verkörpere meine innere und äußere Haltung. Diese Verkörperung zeigt sich in Form und Ausdruck. Ich möchte das Gefühl für die Leichtigkeit in wirklicher Aufspannung mit fünf Übungen vermitteln.