Eine Assistentin zur Seite
Auch eine neue Situation, die mir dennoch sehr gut gefällt: Zur Geburt rufe ich als geburtsleitende Hebamme nicht den diensthabenden Arzt oder die Ärztin, sondern die Assistentin dazu. Sie kümmert sich um viele Aufgaben rund um die Geburt, die man in Deutschland selbst machen muss und die teilweise fachfremd sind: zum Beispiel die korrekte Auswertung des Nabelschnurblutes, die Anmeldung des Neugeborenen im zentralen Personenregister, Aufräum- und Organisationsarbeiten oder die postnatale Überwachung. Die Assistentin ist ein eigener Ausbildungsberuf, der in allen pflegerischen und funktionellen Bereichen einer Klinik oder einer Senioreneinrichtung für organisatorische und grundpflegerische Aufgaben zuständig ist. Die deutsche Bezeichnung wäre eine Mischung aus einer medizinischen Fachangestellten und einer Krankenpflegehelferin.
Selbstständigkeit großgeschrieben
Es ist nicht notwendig, dass Ärzt:innen zu einer physiologischen Geburt hinzugerufen werden. Sie sind aber im Hintergrund immer erreichbar, wenn es darum geht, pathologische Situationen oder Geburtsverläufe zu bewerten oder zusammen mit uns Hebammen, Entscheidungen über den weiteren Verlauf im Rahmen eines Time-outs zu treffen. Hierbei besprechen wir uns zunächst miteinander und schlagen der Gebärenden dann das weitere Vorgehen vor.
Das gleiche gilt für die Versorgung der Frauen nach der Geburt und der Schwangeren: Alles, was physiologisch ist, klärt und untersucht die Hebamme selbst – ohne ärztliche Rücksprache. Auch Geburtsverletzungen werden in erster Linie von der Hebamme selbst genäht.
Ist eine vaginal-operative Geburtsbeendigung oder eine Sectio unumgänglich, übernehmen die Ärzt:innen die Verantwortung und die Hebammen treten in den Hintergrund. Gibt es eine komplizierte Geburtsverletzung oder eine höhergradige Dammverletzung, wird diese ärztlicherseits im OP versorgt.
In der Geburtshilfe arbeiten wir Hand in Hand und auf Augenhöhe zusammen. Das gilt sowohl für das Tagesgeschäft als auch für die Auswertung der Qualitätszahlen oder die Entwicklung sowie Überprüfung bestehender Standards in interdisziplinären Arbeitsteams. Damit unsere Ärzt:innen aber auch die physiologische Geburtshilfe beherrschen, laufen sie an mehreren festgeplanten Tagen im Dienst der Hebammen mit, leiten Geburten unter Aufsicht der Hebamme und übernehmen ausdrücklich keinerlei ärztliche Aufgaben.
Ist das wirklich anders als in Deutschland?
Diese Frage kann nur klar positiv beantwortet werden. Es sind so viele Aspekte, die den Unterschied machen: die Organisation der Schwangerschaftsbetreuung, der gesunde Blick auf einen Schwangerschaftsverlauf und die Stärkung der Eigenkompetenz der Schwangeren. Außerdem die Unterstützung der Frau, wenn sie sich in einer schwierigen Lebenslage befindet: Die Schwangere geht zur Feststellung der Schwangerschaft zu ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin. Diese sind hier sehr gut ausgebildet sind und tragen viel Verantwortung. Sie erstellen ein Journal, das in Grundzügen etwa dem Mutterpass ohne Risikokataloge entspricht und viel Freitext hat. Dazu kommt eine Blutentnahme für die wichtigsten Bestimmungen: Blutgruppe, Infektionskrankheiten, kleines Blutbild. Der Hausarzt oder die Hausärztin kennt die Patientin, weiß in der Regel um ihre Lebensumstände und Krankheitsgeschichte. Dies wird in das Formular eingetragen und somit ein Bedarfsmodell festgelegt: die grundständige Versorgung in der allgemeinen Hebammensprechstunde oder eine erweiterte Hebammenversorgung bei sozialer oder psychischer Indikationsstellung. Hier arbeitet die Hebamme mit verschiedenen Stellen zum Beispiel in der Kommune zusammen, es gibt gegebenenfalls gemeinsame Fallkonferenzen, bei denen Pläne im Beisein der Frau und ihres Partners oder ihrer Partnerin festgelegt werden. Dies kann beispielsweise ein längerer Klinikaufenthalt nach der Geburt sein, um festzustellen, ob dieses Paar sein Neugeborenes adäquat versorgen kann oder welche Hilfestellungen nach der Geburt notwendig sein werden, um eine Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Die weitere Schwangerenbetreuung läuft wechselseitig zwischen Hausarzt beziehungsweise -ärztin, Hebamme und Ultraschallabteilung der Klinik, in der die Frau ihr Kind zur Welt bringt, ab. Es gibt eine klare Kompetenzverteilung.
Hohe Fachkompetenz
Der Beruf der Hebamme ist einer der angesehensten und man braucht einen sehr guten gymnasialen Notendurchschnitt, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das Ausbildungsniveau ist hoch und dennoch sehr praxisbezogen.
Die studierenden angehenden Kolleginnen haben nur ein Praxishaus, maximal einen zweiten Ort für die praktische Ausbildung. Die Zuweisung erfolgt über die Hochschule. Die Ausbildung wechselt immer zwischen einem theoretischen und einem praktischen Semester.
Am Praxisort gibt es immer eine Kollegin in der Funktion als übergeordnete Koordinatorin, die die Lerninhalte des Semesters organisiert, Praxis- und Fortbildungstage mit den Studierenden gestaltet und schaut, dass alle Lernziele erreicht werden. Diese Funktion ist immer eine Teilstelle, das heißt, dass die Kollegin macht auch einen Anteil der Dienste im Kreißsaal absolviert. Es gibt fest zugeordnete Praxisanleiterinnen für das jeweilige gesamte praktische Ausbildungssemester. Die Kolleginnen müssen hierfür keine spezielle pädagogische Weiterbildung nachweisen, nur genügend Berufserfahrung und pädagogische Kompetenzen haben. Die meisten Kolleginnen absolvieren aber im Verlauf eine passende Weiterbildung. Das siebte Semester ist ein freies Semester für die Bachelorarbeit und um noch einmal selbst gewählte Praktika zu machen. Viele Studierende wählen hier ein Praktikum im Ausland. Das praktische Examen erfolgt über OSCI-Prüfungen.
In den meisten Kliniken ist es möglich, eine Frau eins zu eins zu betreuen. Es ist sogar ausdrücklich gewünscht, sehr viel Zeit im Geburtsraum zu verbringen. Es gibt hier viel Zeit für den einzelnen Geburtsverlauf und es wird grundsätzlich lange zugewartet.
Die Sectiorate ist niedrig. Es gibt Kliniken mit einer Kaiserschnittrate von 20 % bis 25%, davon sind etwa die Hälfte geplant und der Rest entsteht aus der Geburt heraus. Es gibt grundsätzlich keine Wunschkaiserschnitte, sondern es muss eine medizinische Diagnose gestellt sein. Die Sectiorate der Klinik, in der ich bis zum Frühjahr noch tätig bin, liegt bei 15 %, davon nur 3 % geplant und 12 % sekundär.
Die Organisation der Abläufe ab Ankunft in der Geburtsklinik: Einer Schwangeren oder Gebärenden soll eine Eins-zu-eins-Betreuung ermöglicht werden, daher kommen die Frauen nicht einfach nach Bedarf in die Abteilung, sondern rufen an und es wird miteinander besprochen, wo der Betreuungsbedarf der Frau liegt und wann sie am besten in die Abteilung kommt. In einer Notfallsituation ist es die Kollegin mit dem zentralen Telefon, die den Ambulanzwagen organisiert, die Behandlung in der Abteilung vorbereitet und das ärztliche Team informiert.
Was sonst noch gut läuft:
- Die digitale Dokumentation mitsamt aller Schnittstellen, die hervorragend funktioniert. Die Schwangere kann alle Befunde und Geburtsberichte einsehen.
- Flache Hierarchien und ein gutes Miteinander: Es gibt keinen interdisziplinären Konkurrenzkampf oder Star-Allüren.
- Die Vielfältigkeit der Arbeitsmöglichkeiten als Hebamme ohne die Risiken und Nebenwirkungen der klassischen Freiberuflichkeit.
Wo ist der Haken?
Wer bis hierhin gelesen hat, denkt sich vielleicht, dass Dänemark das reine Paradies für Hebammen ist. Aber natürlich gibt es auch Hürden.
Da ist zum einen die Bezahlung nach Tarif, wenn man bei der Kommune oder der Region angestellt ist. Diese ist schon besser als in Deutschland, aber im Verhältnis zum Ausbildungsniveau, den allgemeinen Lebenshaltungskosten und der Verantwortung zu niedrig.
Das Tarifsystem ist zudem so aufgebaut, dass es einen Startlohn gibt, dann eine Steigerung nach acht Jahren und noch eine weitere nach zwölf Jahren im Beruf. Dazu werden noch die Zulagen nach Arbeitszeit gerechnet. Weitere Zulagen für beispielsweise ein absolviertes Masterstudium oder bestimmte Tätigkeiten müssen bei der Einstellung individuell verhandelt werden. Am Ende wird dann noch ein Steuersatz von insgesamt durchschnittlich 46 % abgezogen. Es gibt fünf Wochen bezahlten Urlaub, die sechste Urlaubswoche bekommt man erst, wenn man länger als ein zusammenhängendes Jahr tätig ist.
Ist man staatlich angestellt, also im Bereich Ausbildung und Wissenschaft tätig, gilt eine eigene Tariftabelle, die jedoch nicht höher liegt als diejenige der geburtshilflich aktiven Hebamme. Entscheidet man sich für die Anstellung in der Privatwirtschaft (z.B. ärztliche Praxis) oder für die Zeitarbeit, gibt es einen festen Stundenlohn mit Zeitzuschlägen, alle weiteren Tätigkeitszulagen müssen auch hier individuell verhandelt werden. Hier muss man auch komplett selbst für seine Pension vorsorgen.
Von jedem Gehalt wird ein Anteil in eine festgelegte Pensionskasse eingezahlt, auch von den Zeitzuschlägen durchschnittlich 2 %. Das Eintrittsalter ist eines der höchsten in Europa – man ist 69 Jahre alt, wenn man pensioniert wird. Die Berechnung des Rentenbeitrages ist individuell und abhängig von den Arbeitszeiten (Vollzeit/Teilzeit) und auch davon, wie viel man in seiner aktiven Zeit extra einbezahlt hat. Es wird geraten, so viel anzusparen, dass man insgesamt auf ein Niveau von 80 % vom durchschnittlichen Nettogehalt kommt. Ob man das nun extra in einen eigenen Pensionsfonds einbezahlt oder anderweitig spart, ist freie Wahl. Das ist, ehrlich gesagt, eine vernünftige Empfehlung, aus verschiedenen Gründen. Bemerkenswert finde ich hier, dass ich selbst einen höheren Einfluss auf meine spätere Pension habe, weil ich überwiegend für mich einzahle und nur einen kleinen Teil in die allgemeine steuerfinanzierte Rentenkasse für alle Arbeitnehmer, die mir eine kleine Grundrente auszahlen wird, und das auch nur dann, wenn ich hier lange genug eingezahlt habe.
Zum Vergleich: In Deutschland liegt das Rentenniveau in meiner Generation derzeit bei etwa 47 % vom letzten Netto, vor Steuer, obwohl ich immer etwa 19 % meines Gehaltes in die Rentenkasse einzahle. Auch hier müsste ich eigentlich privat vorsorgen, die Modelle hier sind aber selten so effektiv wie in Dänemark.
Ein weiteres Thema: Bereits erarbeitete Berufserfahrung oder weiterführende Studienabschlüsse, die man aus einem anderen Land mitbringt, werden nicht automatisch anerkannt. Man kann also nicht kommen und erwarten, automatisch eine verantwortliche Position zu bekommen oder im Fach explizit ohne praktische Geburtshilfe arbeiten zu können. Auch die Möglichkeit, in der Hausgeburtshilfe aktiv zu sein, muss man sich erst erarbeiten. Die Kolleginnen möchten zunächst herausfinden, was man fachlich so kann und wie man sich in das Team einordnet.
Und: Naturheilkundliche Aus- und Weiterbildungen zählen hier überhaupt nicht. Klassische Homöopathie oder anthroposophische Methoden sind hier nicht bekannt und kommen nicht zur Anwendung. Sie gelten auch nicht als zertifizierte Weiterbildung. Es gibt andere, wissenschaftlich bewiesene Methoden, um zum Beispiel einen schwierigen Geburtsverlauf zu lösen, man arbeitet mit körpernahen Methoden wie zum Beispiel Übungen aus dem Spinning-Babies-Programm.
Fazit
Für das, was ich beruflich gesucht habe, war es genau richtig, hierher zu kommen. Es war jedoch nicht ganz einfach, am Anfang mindestens zwei Schritte zurückzutreten und zu verstehen, dass meine beruflichen Erfahrungen und die Lust auf Verantwortung, erst einmal nicht zählen. Auf der sachlichen Ebene logisch, aber auf der gefühlten Ebene war ich plötzlich wieder Auszubildende. So etwas muss man aushalten können, aber ich wurde auch reich belohnt. Zum Beispiel mit viel neu erworbenem Wissen, einer anderen, physiologischen Sicht auf unser Fach, die um so vieles sinnvoller ist. Daraus leiten sich verbindliche Standards ab, die für alle gelten, und es herrschen viel bessere Arbeitsbedingungen. Alles läuft wesentlich stressfreier ab und wird wesentlich unkomplizierter entschieden.
Man zeigt keinen Fleiß durch besonders viele Überstunden – diese sind hier nicht gut angesehen – sondern durch Engagement in den Abläufen und gemeinschaftlichen Projekten. Oder durch zusätzliche Freiwilligenarbeit für den »samfund«, die Gesellschaft, beispielsweise bei Hilfsorganisationen oder in lokalen Vereinen. So etwas ist häufig übrigens ein wichtiger Faktor in der schriftlichen Bewerbung für einen Arbeitsplatz oder eine verantwortliche Position im Arbeitsleben, und durch die verschiedenen Arbeitszeitmodelle wird diesem auch die notwendige Zeit dafür eingeräumt.
Ich habe viel gelernt in Dänemark und bin immer noch dabei, die eine oder andere Aufgabe abzuschließen. Zum Beispiel die Sprachprüfungen, Geburtsverletzungen nähen zu können, ein Basiswissen der geburtshilflichen Ultraschalldiagnostik zu haben, oder wieder mit dem Pinard und viel mehr mit meinen Händen zu arbeiten, weil die manuelle Diagnostik hier immer den Anfang macht.
Hier und jetzt macht meine Arbeit als Hebamme mit geburtshilflichem Schwerpunkt wieder Sinn und Freude. Auch im sprachlichen Kontext: ich bin jetzt »jordemoder«, also »Erdmutter« und gebäre mit den Frauen (»jeg foeder med en gravide«) – ich entbinde sie nicht, die Frauen bringen ihr Kind selbst zur Welt. Ob ich noch einmal in Deutschland oder einem anderen Land arbeiten würde? – Ich schließe es nicht aus. Aber ich müsste die Möglichkeit haben, so arbeiten zu können, wie ich es derzeit kann.