Laborantin im Robert Koch-Institut in Berlin, an dem die Ständige Impfkommission angesiedelt ist. Foto: © imago/imagebroker

Wie unabhängig sind die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut? Immer wieder wird diese Frage sehr kontrovers diskutiert. Die ehrenamtlichen Mitglieder müssen mögliche Interessenkonflikte angeben. Wer aus welchen Gründen in die Kommission berufen wird, bleibt aber geheim. 

Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) ist eine Expertenkommission, die das Bundesministerium für Gesundheit bereits in den 1970er Jahren eingesetzt hat. Ihre aktuelle Rechtsgrundlage ist § 20 des Infektionsschutzgesetztes. Die STIKO hat 12 bis 18 Mitglieder, die sich zweimal jährlich in Berlin treffen und die öffentlichen Impfempfehlungen für Deutschland erarbeiten. Da Impfempfehlungen aber zum gesundheitspolitischen Hoheitsgebiet der einzelnen Bundesländer gehören, können die Länder die STIKO-Empfehlungen übernehmen oder aber eigene erarbeiten. Das tut zum Beispiel das Land Sachsen mit seiner SIKO, der „Sächsischen Impfkommission”.

Die aktuellen Empfehlungen der STIKO wurden auf der 74. und 75. Sitzung verabschiedet und gelten seit dem 26. August 2013 als bestätigt. Den derzeitig gültigen Impfkalender zeigt die Tabelle.

Über den Impfkalender hinaus gibt es noch Empfehlungen für Reise- und Indikationsimpfungen, zum Beispiel für Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Hepatitis A und japanische Enzephalitis.

Die Mitglieder der STIKO haben ein Sekretariat, das beim Robert Koch-Institut in Berlin angesiedelt ist. Sie sind „ausgewiesene Experten aus unterschiedlichen Disziplinen der Wissenschaft und Forschung, des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der niedergelassenen Ärzteschaft” (www.rki.de/Ständige Impfkommission/Mitgliedschaft, Stand 6.2011). Alle STIKO-Mitglieder werden für mindestens drei Jahre berufen und können auch mehrmals wieder berufen werden, ihre Amtszeit ist nicht begrenzt.

Lange Listen der Interessenkonflikte

Die Mitgliedschaft in der STIKO ist ein persönliches Ehrenamt, auch für den Vorsitzenden. Sie soll mit keinerlei Verdienst verbunden sein, um wirklich unabhängige Entscheidungen im Sinne der Menschen in Deutschland sicherzustellen. Die STIKO-Mitglieder sind bei ihrer Tätigkeit nur ihrem Gewissen verantwortlich. Im Sinne der oft eingeforderten Transparenz sind inzwischen alle Mitglieder der STIKO verpflichtet, eventuelle Interessenkonflikte bei ihrer Berufung auf einem Fragebogen anzugeben. Dies können zum Beispiel bezahlte Tätigkeiten für einen Hersteller von Impfstoffen sein, wie Vorträge auf Kongressen oder die Mitarbeit bei Studien. Man kann auf der Internetseite der STIKO beim Robert Koch-Institut inzwischen alle angegebenen Interessenkonflikte der STIKO-Mitglieder nachlesen (www.rki.de).

Manche STIKO-Mitglieder haben sehr lange Listen solcher Interessenkonflikte. Ob eine wirklich unabhängige Entscheidung von ihnen erwartet werden kann, erscheint recht zweifelhaft. Wenn ein Mitglied der STIKO direkt an der Entwicklung eines Impfstoffes beteiligt war, beispielsweise als Leiter einer klinischen Studie, darf dieses Mitglied nicht über die Empfehlung abstimmen, zuvor aber mit diskutieren.

Viele KritikerInnen werfen der STIKO eine zu große Nähe zu den Impfstoffherstellern vor. Den Höhepunkt dieser offensichtlichen Industrienähe bildeten die Vorkommnisse um den ehemaligen STIKO-Vorsitzenden Heinz-Josef Schmitt. Schmitt hatte im Juni 2006 einen mit 10.000 Euro dotierten Preis „zur Förderung des Impfgedankens” vom Impfstoffhersteller Sanofi Pasteur MSD erhalten. Die Firma produziert den HPV-Impfstoff Gardasil, dessen Zulassung im Oktober 2006 erfolgte. Die STIKO empfahl ihn bereits im März 2007 in Deutschland als Regelimpfung für junge Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren, obwohl Nutzen und Risiken dieser Impfung auch unter ExpertInnen sehr kontrovers diskutiert wurden und noch immer werden. „Den Todesstoß für die Glaubwürdigkeit der STIKO gab Schmitt, als er anschließend die Kommission vorzeitig verließ und jetzt beim Impfstoffhersteller Novartis Vaccines in Lohn und Brot steht”, kommentierte Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber des unabhängigen Arznei-Telegramms auf Die Welt Online im Februar 2008.

Wie wirkt der „medizinische Standard”?

Die STIKO erarbeitet in ihren Sitzungen Empfehlungen für Impfungen, die bei Kindern und Erwachsenen dann angewendet werden sollen. Was die STIKO empfohlen hat, gilt als „öffentlich empfohlene” Impfung. Und damit auch gleichzeitig als „medizinischer Standard”, an dem ÄrztInnen sich orientieren müssen, wenn sie ihre PatientInnen gemäß der ärztlichen Kunst behandeln wollen.

Empfiehlt ein Arzt seinen PatientInnen also alle von der STIKO empfohlenen Impfungen, so hat er damit alles richtig gemacht. Empfiehlt und impft er aber anders als es öffentlich empfohlen wurde, kann er Probleme bekommen, wenn der Patient nach einer weggelassenen Impfung die Krankheit bekommt und ihn wegen des „Fehlers” verklagt.

Ebenso gibt es Probleme, wenn der Arzt eine von der STIKO nicht empfohlene Impfung durchführt und danach eine Impfkomplikation auftritt. Der Staat haftet und entschädigt nur für Impfschäden, die nach einer „öffentlich empfohlenen” Impfung aufgetreten sind. Das klingt banal, kann aber etwas heikel sein, wenn zum Beispiel nur für eine bestimmte Altersgruppe eine STIKO-Empfehlung vorliegt. Bei der HPV-Gebärmutterhalskrebsimpfung liegt beispielsweise eine Indikation zur Impfung nur für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren vor. Impft ein Arzt eine 18-Jährige, greift im Falle eines Impfschadens die staatliche Haftung nicht. Die Geschädigte müsste sich dann an den Arzt halten, um ihre Ansprüche geltend zu machen, da dieser nicht gemäß dem medizinischen Standard beraten und geimpft hat.

Zusätzlich ist inzwischen gesetzlich geregelt, dass eine von der STIKO öffentlich empfohlene Impfung nach Zustimmung des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA) von den Krankenkassen erstattet werden muss. Nach der STIKO-Empfehlung für die Windpockenimpfung aller Kinder in Deutschland im Jahr 2004 hatten einige Krankenkassen erklärt, die Kosten für diese recht teure und aus Kassensicht nicht notwendige Impfung nicht zu übernehmen. Das Gesundheitsministerium sah den guten Ruf der STIKO in Gefahr, da deren Begründung für diese Empfehlung nicht so recht überzeugen konnte. Die STIKO hatte hauptsächlich mit dem „volkswirtschaftlichen Schaden” der Windpocken argumentiert, was als Begründung für eine weitere Impfung der Kleinkinder von vielen KinderärztInnen nicht akzeptiert wurde. Um die Diskussion über die Kostenerstattung und die damit verbundene Unruhe um den Sinn so mancher STIKO-Empfehlung zu beenden, hat das Bundesgesundheitsministerium verfügt, dass die Krankenkassen sich hier nicht mehr einmischen dürfen.

Man kann sich gut vorstellen, welche Aufmerksamkeit STIKO-Mitglieder bei den Impfstoffherstellern genießen. Eine öffentliche Empfehlung der STIKO für einen neuen Impfstoff bedeutet „medizinischer Standard” und geregelte Kostenübernahme auch bei absurd hohen Preisen. Eine einzelne Fertigspritze des HPV-Impfstoffs (Gardasil oder Cervarix) kostet 147 Euro, erstaunlicherweise von beiden Herstellern. Bei drei erforderlichen Impfdosen für die Grundimmunisierung jedes Mädchens zwischen 12 und 17 Jahren in Deutschland kommt hier eine recht ansehnliche Summe zusammen. Dann muss natürlich der Impfschutz alle paar Jahre wieder aufgefrischt werden, vielleicht bis zum 40. oder 50. Lebensjahr. Dieses Beispiel veranschaulicht die wirtschaftlichen Auswirkungen einer STIKO-Entscheidung.

Kritik ist angebracht

Die Auswahl der STIKO-Mitglieder ist ein Politikum. Das Bundesgesundheitsministerium lässt sich dabei nicht in die Karten schauen. Nach wie vor ist völlig unklar, wer und auf welchem Weg in die STIKO berufen wird. Dass hier auch die Hersteller ihre Vorschläge – auf welchen Wegen auch immer – an das Ministerium herantragen, erscheint klar.

Hier erkennt man deutlich die Macht und den Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf politische Entscheidungen. Eine wirklich unabhängige STIKO wäre im Interesse aller BürgerInnen und auch der Krankenkassen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hält sich bei empfohlenen Impfungen bisher sehr zurück, eine stärkere Einbindung wäre zu begrüßen. Über die Gründe, warum jemand in die STIKO berufen wird, darf also auch unter dem neuen Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) weiterhin spekuliert werden. Bei der Vielzahl von neuen Impfstoffen, die sich derzeit in der klinischen Entwicklung befinden und bald auf den Markt kommen werden, scheint eine politisch „unkomplizierte” STIKO dem Ministerium sehr wichtig zu sein. Deshalb ist es umso wichtiger, eine Empfehlung kritisch zu betrachten und sich selbst eine Meinung zu Nutzen und Risiken neuer Impfungen zu bilden.

Zitiervorlage
Hartmann K: Gewissen und Geheimnis. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (7): 20–22
Literatur
Hartmann, K.: Impfen bis der Arzt kommt. Herbig-Verlag München (2012)
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