Auf die beeindruckenden lautstarken Proteste von Eltern, Kindern und Hebammen müssen nun Taten folgen. Foto: © imago/Sven Ellger

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will die gesetzlichen Krankenkassen stärker an den gestiegenen Kosten für die Berufshaftpflicht der Hebammen beteiligen. Doch ließen sich damit die berufspolitischen und wirtschaftlichen Probleme in der Geburtshilfe wirklich lösen? Der Fehler liegt viel tiefer im System – und um nicht auf die gängigen Denkfehler hereinzufallen, hilft nur eins: „Selbst denken!“

Seit Monaten sind Hebammen- und Elterndemos in allen Medien. Mehrfach haben die steigenden Versicherungsprämien, die das protrahierte Sterben des Berufes befördern, die Existenzbedrohung der Hebammen bis in die Hauptfernsehnachrichten gebracht.

Mit einem weiteren vom Ministerium vorgelegten Bericht scheint es, dass sich berufspolitisch nun endlich etwas bewegt. Bei näherem Hinsehen jedoch entpuppen sich auch die jüngsten Aktivitäten zur „Rettung“ der Hebammengeburtshilfe als Lippenbekenntnisse. Sie können die grundlegende Problematik nicht lösen. „Mehr vom Gleichen“ ist ein Ausdruck aus PsychotherapeutInnenkreisen, wenn jemand in seiner Not immer das Gleiche tut, obwohl es als wirkungsloser Versuch einer Problemlösung erkannt wurde. Im Ministerium und bei den beteiligten AkteurInnen bleibt man trotz dieser Erkenntnis beharrlich bei der bisherigen Vorgehensweise, deren Scheitern absehbar ist. Albert Einstein hat einmal sinngemäß gesagt, dass es für ihn die Definition von Wahnsinn sei, wenn jemand immer wieder dasselbe tut – und dabei stets ein anderes Ergebnis erwartet.

Viele Profiteure der Hebammenarbeit

Sachlich ist es ein Ding der Unmöglichkeit, eine gesetzlich vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung dem „freien Markt“, also primär gewinnorientierten Großkonzernen zu überlassen. Diese sind nicht an günstigen Tarifen und Vertragsbedingungen für Hebammen interessiert, sondern müssen für ihre AktionärInnen maximalen Profit erwirtschaften. Sollen die Kosten für alle – auch die Krankenkassen und gegebenenfalls noch zu definierende weitere AkteurInnen der psychosozialen Basisversorgung – strikt auf das für die Geschädigten Nötige beschränkt werden, müsste als erstes eine wirkliche Strukturreform erarbeitet werden, weg von der privatwirtschaftlichen Gewinnorientierung. Kurz: ein System der Absicherung, das keine fremden Interessen bedienen muss!

Doch genau das Gegenteil beweist die fadenscheinige Rhetorik aus dem Gesundheitsministerium: Dort ist man – ganz neoliberal marktfokussiert – noch immer überzeugt, das Haftpflichtversicherungsproblem durch ein Sponsoring der Privatwirtschaft lösen zu können, bezahlt überwiegend aus den Versicherungsbeiträgen gesetzlich Krankenversicherter. Eine noch stärkere Umlage der Versicherungsprämien auf die Vergütungen bedeutet letztlich, dass alle GKV-Versicherten nicht nur gemeinschaftlich für oft schicksalhafte „Schäden“ und die Versorgung von beispielsweise nach ihrer Geburt behinderten Kindern eintreten. Sondern es bedeutet auch, dass ein steigender Anteil unserer Krankenkassenbeiträge direkt in die Taschen der Versicherungskonzerne wandert, zuzüglich der Versicherungssteuer für den Staat. Und die Hebammen müssen diese eigentlich zum Ausgleich für die hohen Prämien gedachten Zuschläge als Bestandteil der einzelnen Vergütungspositionen sogar noch als Gewinn versteuern. Ein grundlegender Strukturfehler: Haftpflichtprämien sind das eine, die Vergütung für Hebammenleistungen das andere – dies zu verknüpfen, ist nur einer von vielen über die Jahrzehnte gemachten handwerklichen Fehler in Bezug auf Rahmenbedingungen und Vergütungsstruktur der Hebammenhilfe.

Zudem dreht sich die Spirale ewig weiter: Prämienerhöhungen – Reglementierungen durch Fachfremde – steigende Schadenssummen – endlose Verhandlungen mit Krankenkassen, die in der Schiedsstelle landen – wieder Prämienerhöhungen der Berufshaftpflichtversicherung – wieder Ausgleich durch die Krankenkassen? Bis die „normative Kraft des Faktischen“ zur Erschöpfung der Hebammen führt: Wenn keine das mehr mitmachen kann oder will, stirbt die Hebammengeburtshilfe aus.

Blinde Flecken

Was oft vergessen wird: Die Krankenhäuser haben durch die Umstellung auf Belegsysteme ihre Personalkosten in den letzten Jahren spürbar gesenkt und zusätzlich viel Verantwortung bei der einzelnen Hebamme abgeladen. Dies betrifft sowohl die Geburtshilferisiken als auch die sozialversicherungsmäßige Versorgung von Tausenden von Hebammen, die in eine sogenannte Freiberuflichkeit gedrängt wurden. Für schätzungsweise 3.000 bis 5.000 Hebammen sparen Klinikbetreiber durch „Freisetzung“ der ehemals Angestellten die Sozialabgaben in Höhe von mehreren Tausend Euro pro Beleghebamme und Jahr. Da wundert es auch kaum, dass die meisten Kliniken freiwillig die Berufshaftpflichtkosten für die Beleghebammen übernehmen, es rechnet sich trotzdem. Zudem haben die Fallpauschalen zu einer extremen Verkürzung der Verweildauer der jungen Mütter nach der Geburt geführt. Auch diese Effizienzsteigerung für die Kliniken wird unfreiwillig von uns Hebammen unterstützt, indem wir Wöchnerinnen und Neugeborene zu Hause auch sonn- und feiertags und notfalls in der Nacht betreuen. Die Kliniken profitieren: Je kürzer die Verweildauer, desto mehr „Fälle“ und Euro pro Zeiteinheit.

Meine intensive Recherche zu Hintergründen und „blinden Flecken“ der Versicherungs- und Vergütungsproblematik förderte noch einige weitere „schräge“ Tatsachen zu Tage. Übliche privatwirtschaftliche Haftpflichtversicherungsverträge räumen der Versicherung grundsätzlich ein sofortiges Kündigungsrecht bei Eintritt eines Schadens ein: Damit schwebt über jeder Hebamme jederzeit das Risiko, auch bei minderschweren oder nur materiellen Schäden ihren Versicherungsschutz zu verlieren – was zum Berufsverbot führt! Dieses Damoklesschwert führt unweigerlich zu einer defensiven Haltung mit steigender Bereitschaft zu invasiven Eingriffen – bestätigt durch Gerichtsurteile, wo RichterInnen grundsätzlich das Eingreifen, Manipulieren und vermeintliche „Optimieren“ der Geburt positiv bewerten. Es gab in Deutschland noch keinen Prozess wegen eines unnötigen Eingriffes oder einer Sectio aufgrund zweifelhafter Indikation.

In der Vergangenheit von investigativen JournalistInnen recherchiert und häufig bewiesen: Die Lobbyisten von Großkonzernen, Banken und Versicherungen lassen sich ein – zumindest teilweises – Eingehen auf die Forderungen der Regierenden in der Regel nur mit Gegenleistungen abringen. So hat auch das in Aussicht gestellte Einlenken der Versicherungswirtschaft einen Preis, den der Gesetzgeber und damit wir BürgerInnen zahlen müssen. Diskret hinter den Kulissen ausgehandelte Wohltaten für die Versicherungskonzerne könnten etwa Steuervorteile sein, oder die weitere Herabsetzung des gesetzlichen Garantieertrages von Lebensversicherungen. Alles üblich – derartige „Deals“ werden routinemäßig praktiziert. Der Journalist Alexander Göbel hat in einem Bericht im Verbrauchermagazin „plusminus“ in der ARD vom 23. April solche Verknüpfungen aufgedeckt. Und einen sehr aussagekräftigen Versprecher des derzeitigen Finanzministers Wolfgang Schäuble aus dem Jahr 2012 ausgegraben, wo dieser wörtlich sagt: „Die Versicherungswirtschaft muss versorgt werden …“

Liebe Kollegin, fragen Sie sich jetzt, was das miteinander zu tun haben soll? Versicherungskonzerne sind die größten Käufer von festverzinslichen Staatsanleihen – was nichts anderes heißt, als dass ein Großteil der Staatsverschuldung direkt aus den Hunderte Milliarden schweren Vermögen der Versicherungskonzerne gespeist wird. Welcher „Volksvertreter“ wird die Hand beißen, die die öffentlichen Kassen nährt und dem Staat billig Kredit gibt?

Auch spannend, dass zum Beispiel die Allianz AG seit Jahren über die fallenden Ertragszinsen ihrer Investments jammert, aber im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn von mehr als 480 Millionen Euro eingefahren hat. Bescheiden nehmen sich da die steuersparenden Spenden in Höhe von einer Million aus, mit denen die Allianz die politischen Entscheider der Regierungskoalition daran erinnert, wer den Daumen auf dem Geld hat. Zugegeben, das sind „Peanuts“ für solche Global Player. Die Politik macht nicht nur brav mit, sondern die VolksvertreterInnen übernehmen oft nachweislich von Lobbyisten formulierte Gesetzesvorlagen wörtlich eins-zu-eins, eilig abgesegnet in nächtlichen Plenarsitzungen, wo etwa um 0:23 Uhr freitagabends eine Handvoll ParlamentarierInnen aus den Forderungen der Privatwirtschaft Gesetze macht.

Prioritäten bei Staatsausgaben werden zunehmend nicht nach sachlichen Kriterien gesetzt. Sondern sie werden allzu oft nach dem Erpressungspotenzial der Wirtschaft abgewogen. Deutschland ist mit nur zwei Prozent europäisches Schlusslicht bei der realen Lohnsteigerung seit 1995. Für die Hebammen sieht es sicher nicht besser aus. Auf der anderen Seite steht ein Boom vieler Großkonzerne, deren Gewinne sprudeln. Ein Banker, der 25 Prozent Rendite fordert, wird gefeiert – und manche Hebamme hat ihr sauer Verdientes in fragwürdigen Fonds angelegt für ihre Altersvorsorge. Eine bezahlbare und tragfähige Altersvorsorge der Hebammen – ein weiteres, ungelöstes Problem, das in den letzten Jahren geradezu tabuisiert wurde …

Von Ärztefunktionären lernen

Von welcher Seite man viele von Hebammen noch nicht einmal angedachte Ideen auch denken könnte, zeigt die Pressemeldung der Bundesärztekammer vom 5. Mai 2014. Diese fordert in Anlehnung an die Hebammenversicherungsproblematik nun auch Vergünstigungen für geburtshilflich tätige ÄrztInnen. Dort ist man schlauer als in Hebammenkreisen und fordert eine Entlastung aus Steuergeldern: Ärztekammerchef Prof. Dr. Frank-Ulrich Montgomery hat eine Herabsetzung der Versicherungssteuer für ärztliche Berufshaftpflichtversicherungen von derzeit 19 Prozent auf 11 Prozent von der Politik gefordert. Das würde den ÄrztInnen eine Entlastung von 80 Millionen Euro im Jahr bringen.

Vielleicht besinnt sich doch noch jemand der EntscheidungsträgerInnen, die immerhin von genau den Menschen gewählt und bezahlt werden, die zu Hunderttausenden für Hebammen eintreten und auf die Straße gehen: Eine Lösung des Haftpflichtproblems geht nur über nicht gewinnorientierte Fonds. Nicht alles ist Ware, nicht alle gesamtgesellschaftlichen Verpflichtungen lassen sich privatisieren und zur Gewinnmaximierung „verknappen“. Akzeptieren wir eine schleichende Abschaffung letzter demokratischer Werte, indem wir die Macht dieser Konzerne hinnehmen und noch fördern?

Seit Jahren flehen Hebammen und sie unterstützende BürgerInnen die Regierenden an, für uns bei Versicherungskonzernen zu betteln. Doch damit bewirken sie nichts anderes, als deren Definitionsmacht weiter auszudehnen: Sie bestimmen, wer wann wo und vor allem wie – zu welchem Preis – Geburtshilfe leisten oder gebären darf. Mit der unausweichlichen Konsequenz, dass an diesem dysfunktionalen System Grundrechte zerschellen wie die Wahl des Geburtsortes, die Art der Betreuung und die freie Berufsausübung. Leider fehlt den meisten noch immer der Mut, dieses höchst undemokratische, nicht mit den verfassungsgarantierten Grundrechten zu vereinbarende System entschieden zurückzuweisen. Und bislang fehlt offensichtlich sowohl der politische Wille als auch die Bereitschaft der Hebammenvertreterinnen, kreative neue Strukturentwürfe vorzulegen.

Darüber hinaus braucht es eine Überprüfung, wer für welche Vermittlungsleistungen Prämien erhält und in welcher Höhe Versicherungsbeiträge wofür verwendet werden. Transparenz zu wagen, ist auch eine Voraussetzung dafür, tragfähige Lösungen zu Vergütungshöhen und Versicherungsmodellen zu erarbeiten – und diese jeweils unabhängig voneinander.

Schon diese wenigen Aspekte belegen die immer drängender zutage tretenden Fehlentwicklungen und Versäumnisse des Gesetzgebers bezüglich einer tragfähigen Regulierung der Hebammentätigkeit und Geburtshilfe. Das teils jahrzehntelange Verschleppen nachhaltiger Reformen in Tateinheit mit dem hastigen Gemurkse der letzten Jahre drückt nicht nur der außerklinischen Geburtshilfe die Luft ab – es führt auch zu immer absurderen Verstrickungen. Nur als ein Beispiel sei die offen benannte Resignation des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) e.V. genannt, dessen Vorstand befürchtet, dass es nur dem viel größeren Deutschen Hebammen Verband (DHV) möglich sein wird – zumindest kurzfristig – eine Weiterversicherung zu erreichen – was laut Pressemeldung des BfHD „ein Drittel der Hebammen zwingen wird, in den DHV einzutreten“. Auf welcher rechtlichen Grundlage sollten sie einem bestimmten Verband beitreten müssen, fragt sich die über Grundrechte informierte Hebamme? Der Hebammenberuf darf nach ausreichender Qualifizierung frei ausgeübt werden, es gibt keine „Hebammenkammer“ und somit auch keinerlei Verpflichtung, irgendeiner übergeordneten Organisation anzugehören.

Der Gesetzgeber ist hier gefragt, diesem Spuk ein Ende zu machen. Keine Hebamme darf gezwungen werden, überhaupt einem Berufsverband beizutreten. Und kein Berufsverband hat das gesetzlich hinterlegte Recht, Hebammen über die Haftpflichtversicherung indirekt als Zwangsmitglieder zu rekrutieren. Diese sollten über die Schaffung einer berufsständischen Kammer nachdenken. Viele zurzeit aufgeschobene Probleme, nicht nur die Berufshaftpflichtfrage, ließen sich damit möglicherweise verbändeunabhängig regeln.

Mit einer Kammer, die Normatives, Versicherungen und Qualitätsstandards regelt und sich dem extrem vernachlässigten Thema Altersvorsorge beziehungsweise Rentenversicherung widmet, würden bei den Verbänden auch wieder Kapazitäten frei für die eigentlichen Aufgaben verschiedener Berufsverbände – die Erarbeitung von Grundlagen, etwa zur Verortung und Sicherstellung der spezifischen Qualität des Hebammenberufes, sowie der überfälligen Weiterentwicklung berufspolitischer und ethischer Aspekte. Dies würde auch die fachlich differierenden Angebote und die Meinungsfreiheit wiederbeleben. Über die Jahre des teils erpresserischen Druckes von Kostenträgern auf die Hebammenverbände haben sich diese in ihren Grundhaltungen immer mehr angeglichen – statt ihrer Verantwortung für die sehr heterogene Hebammengemeinde – klinisch und außerklinisch – umfassend gerecht zu werden.

Selbst denken

War es ein Fiebertraum, der mich auf folgende Idee brachte? Eine Hebamme betreut mit Wissen und aktivem Einverständnis über ihre spezielle Situation eine Schwangere bei der Geburt ihres Kindes. Nachdem Eltern und Hebamme sich über eine gesunde und glückliche Geburt freuen können, zeigt sich die Hebamme selbst an, weil sie nicht für Geburtshilfe versichert war. Skandal! Ordnungswidrigkeit oder Straftat? Ob dann endlich tragfähige Modelle entwickelt würden?

Am 27. April sagte Ulrich Reitz, seinerzeit Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen, im „Presseclub“ (ARD) bezüglich der Verteilung von Staatsausgaben: „Kohle is‘ satt im System!“

So ist es. Lassen wir uns nicht weiter belügen, hinhalten und naiv weiter ein System unterstützen, das Steuergelder und Krankenversicherungsbeiträge direkt in die Taschen von Managern und Shareholdern umleitet – während die staatliche Basisversorgung der BürgerInnen immer mehr heruntergefahren wird und gesamtgesellschaftlich oft schädliche Subventionen einzelne Lobbyisten alimentieren.

In diesem Sinne empfehle ich uns in Anlehnung an Kant mit Worten des Publizisten und Sozialpsychologen Harald Welzer: Selbst denken!

Habt den Mut, euch des eigenen Verstandes zu bedienen. Reformieren wir gemeinsam „revolutionär“ dieses dysfunktionale System. Gejammert und demonstriert ist genug!

Zitiervorlage
Ott-Gmelch J: Genug gejammert. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (6): 72–75
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