» Es heißt immer wieder, dass jedes Körperteil prinzipiell ekstasefähig sei. Aber die Brustknospen und die Klitoris sind mit besonders vielen Nervenenden ausgestattet und können so mehr sexuelles Empfinden erzeugen. « Foto: © Hans Lucas/imago images

Welchen Stellenwert hat die Brust als erogenes Organ des weiblichen und männlichen Körpers? Bei Frauen ist sie mehr als die Nahrungsquelle für die Nachkommen. Sie in allen Formen und Größenverhältnissen anzunehmen, kann eine Art sexuelle Befreiung und Befriedigung auslösen.

Brüste werden sowohl unter dem Aspekt von weiblicher Schönheit angesehen, als Symbole für Sexappeal, aber auch für Mütterlichkeit betrachtet. Frauen finden im Laufe ihres Lebens unterschiedlich guten Kontakt zu ihren eigenen Brüsten, zu deren Aussehen und den Gefühlen, die Berührungen ihrer Brüste auslösen können. Hebammen sollten das in ihrer Arbeit berücksichtigen. Sie können Frauen darin unterstützen, ihre Brüste liebevoll zu akzeptieren.

Mehr als Stillorgane

Jede und jeder hat einen anderen Blick auf weibliche Brüste – die eigenen oder die von anderen. Und jede Frau empfindet Berührungen an ihren Brüsten anders. Manche Brüste sind sehr robust, andere äußerst sensibel. Sie reagieren auch verschieden auf unterschiedliche Situationen und Menschen. Wenn die Brüste zwar sichtbar, aber so empfindlich sind, dass sie keine festen oder groben Berührungen vertragen, gilt das bei einigen Männern als Defizit an praller Weiblichkeit – eine Wertung, die so manche selbstunsichere Frau übernimmt.

Brüste sind auch nicht immer gleich, sie wandeln sich in den Lebensphasen. So gibt es Veränderungen der Brüste in Form und Farbe in Zusammenhang mit der Menstruation, bei anderen Hormoneinflüssen, bei Gewichtszunahme oder -abnahme sowie in den verschiedenen Altersphasen. Gesellschaftlich werden diese Veränderungen manchmal als unschön abgewertet. Die mediale Norm ist die einer jungen, prallen, runden und symmetrischen Brust. Operative Brustvergrößerung oder -verkleinerung ohne medizinische Gründe sind daher zu einem weit verbreiteten Eingriff bei Frauen geworden.

So exponiert weibliche Brüste in Medien und Werbung auch präsentiert werden, tragen nicht alle Frauen sie unbefangen und mit Stolz vor sich her. Das Anschwellen der Brüste bei Erregung (bei der die Brustknospen nicht automatisch hart werden), bei dem sich die Venen der Brust mit Blut füllen, wird als Zeichen der Lust verstanden. Brustknospen sind sehr berührungs- und kälteempfindlich und gehören zu den zentralen erogenen Zonen des weiblichen – und so manchen männlichen – Körpers. Auch die Montgomery-Drüsen rings um die Knospe reagieren auf sexuelle Erregung und treten hervor.

Bei positiver Einstellung zum Körper in der Schwangerschaft und beim späteren Stillen kann das Prallerwerden der Brüste als positives Zeichen der eigenen Mütterlichkeit empfunden werden. So manche Frau mit sonst eher kleinem »Busen« freut sich über das vorübergehende Supersizing rund um die Geburt und die neuen BH-Körbchengrößen.

Berührungen

Die Brüste einer Frau zählen zu den intimen Zonen ihres Körpers. Wer sie wie berühren darf, ist eine sehr subjektive Entscheidung. Manche Frauen lieben alltägliche und erotische Berührungen durch ihre PartnerInnen, andere mögen dort gar nicht angefasst werden – oder nur unter bestimmten Bedingungen. Übergriffige Berührungen und Blicke im Alltag lassen besonders Frauen mit hervor-ragenden Brüsten zu dunkler, weiter Kleidung greifen, um sie zu verstecken.

Inzwischen gibt es viele Anregungen zur Selbstuntersuchung der Brust als Früherkennung von Brustkrebs. Und die meisten Brusttumore werden selbst getastet. Das ist eine gute Eigendiagnostik. Allerdings wird so die Brust als potenzielles Risiko vermittelt und soll regelmäßig prüfend betastet werden.

Was aber ist mit der Lust in der Brust jenseits äußerer Formen? Immer mehr Frauen und Mädchen entdecken in ihnen wie »aus Versehen« eine spannende erogene Zone, also einen Ort für Erregungen, Ekstasen und heiße Quellen der Kraft für den ganzen Körper. Dennoch können viele Frauen ihre Brüste weniger als ureigene Lustquellen begreifen, sondern eher als Quellen der Lust für ein Liebesgegenüber.

Sensibilität und Verletzlichkeit

Frauen stehen selten mit »stolzgeschwellter Brust« da, vielmehr verstecken viele ihren Brustbereich – entweder, weil sie selbst die Größe und Form ihrer Brüste nicht mögen oder weil sie im Laufe ihres Lebens immer wieder Verletzungen und Abwertungen, Ignoranz oder unangenehme Berührungen erlitten haben. Manche haben ihre Brüste sogar vor ihrem eigenen Bewusstsein versteckt und können sie nicht mehr sensibel wahrnehmen. Entsprechend kommt es mir vor, als ob der ganze Geschlechterkampf und die Kontroversen der Frauenfrage sich im Feld weiblicher Brüste abspielen würden. Die Frage von Zeigen oder Verstecken bezieht sich jedoch eher auf äußere Formen als auf die eigenen inneren Empfindungen, die Frauen in ihren Brüsten haben. Diese werden von den meisten Frauen noch mehr versteckt als die äußeren Formen.

Das Thema Brustvergrößerungen und Brustverkleinerungen (außer bei direkten körperlichen Beschwerden) hat eine wichtige Grundlage: Keine Frau soll sich so schön fühlen, wie sie gerade ist, sondern den Drang entwickeln, anders zu werden, um mehr anerkannt und geliebt zu werden.

Was für viele so erst einmal schwer vorstellbar ist, kann im besonders geschützten Rahmen wie in einem Tantra-Kurs befreiend und ermächtigend wirken: wenn Frauen wohlwollend, mit offenem Herzen, die Brüste anderer Frauen in all ihrer Vielfalt und Schönheit ansehen können.

Einige Frauen, denen eine oder beide Brüste als sichtbare Erhebungen fehlen oder die für ihre Begriffe viel zu kleine Brüste haben, sind erstaunt, wie viel positive oder erotische Gefühle hier vorhanden sind, wenn sie ihre Brüste sehr bewusst, liebevoll und achtsam berühren oder berühren lassen.

Es ist ein riesiger Unterschied, ob die Brüste nur auf Knoten hin abgetastet werden, oder ob sie sorgsam und zärtlich berührt werden. Auch wenn sie mit den eigenen Händen gehalten, als ganz eigenes Körperteil wahrgenommen werden, kann sich Brustbewusstsein entwickeln.

Begriffserklärungen
Taoismus

  • ist die chinesische Lehre vom Tao (dem Weg), die eine absolute und alles durchdringende Kraft (Chi) als Grundlage eines unveränderlichen «Ordnungsprinzips« beschreibt. Der Taoismus ist bestimmend für die chinesische Medizin und das Zen. Er hat auch Einfluss auf die von Fritz Pearls begründete Gestalttherapie ausgeübt.

Tantra

  • bedeutet das vollständige Annehmen und miteinander Verbinden aller wahrnehmbaren Gefühle und Begegnungen mit anderen. In tantrischen Ritualen aktivieren, verehren, feiern und kultivieren Menschen ihre sexuelle Kraft, leiten sie durch den Körper und können dadurch einen Ausgleich von Geist und Materie, von Spiritualität und Emotionalität erreichen.

Kundalini

  • Nach der tantrischen Lehre wohnt in jedem Menschen eine Kraft oder Energie, die Kundalini genannt wird. Das Wort bedeutet »zusammengerollte Schlangenkraft« und wird mal als schöpferische, mal als sexuelle Lebensenergie beschrieben, die bewusst entfacht und im Körper bewegt werden kann. Die Kundalini-Lehre stammt aus Indien und ist Teil verschiedenster Yoga-Richtungen – so hat sich das Kundalini-Yoga besonders auf diese Arbeit fokussiert.

Energien wecken

Alte Verletzungserfahrungen können sich in gekrümmten Haltungen des Oberkörpers, in einem Zusammenziehen der Schultern oder anderen Anspannungen zeigen: Alles wird eng. Es geht also darum, diesen Teil unseres Körpers wieder zu weiten. Dazu dienlich ist das Ausbreiten der Arme und das Zurücklehnen des Rückens.

Die sexuelle oder Kundalini-Energie wurde in der alt-indischen Tantra-Version am Steißbein verortet. Bei Frauen jedoch schläft sie nach meiner Erfahrung und der von Ashley Thirleby in «Das Tantra der Liebe« von 1993 mehr in den Brustknospen, bis sie durch zarte, kräftige oder leidenschaftlich-heftige Brustknospenberührungen erweckt wird. Dann werden außerdem durch die vielen Nervenendigungen Informationen an das Hirn gegeben, das das »Schmusehormon« Oxytocin in Mengen freisetzt. So kann der ganze Körper mit wohlig-lustvoller Wachheit, mit weicher Offenheit für das Liebesgegenüber oder sogar mit expansiv-ekstatischer Energie angefüllt werden. So ein Brustorgasmus ist meist auch ein Ganzkörperorgasmus, da die freigesetzte Energie in alle Zellen strahlt.

Wenn Frauen ihre Brustknospen eher als gefühllos wahrnehmen, brauchen sie oft Zeit und sehr behutsame Berührungen, bis die Energie erweckbar ist.

Lustvolles Stillen

Die starke Reizung der Brust beim Stillen kann für manche Frauen unangenehm oder schmerzhaft sein. Es gibt jedoch auch die Möglichkeit der Hingabe an den Schmerz. Dann kann er sich in Lust-Schmerz oder sogar in Lust verwandeln. Leichter geht dies in liebevoller Umarmung und der Selbsterlaubnis, immer wieder Pausen zu machen. Manchmal jedoch ist der Schmerz beispielsweise von kleinen Wunden und Rhagaden (Rissen), die beim Stillbeginn entstehen können, zu stark. Dann wird es nicht immer möglich sein, Schmerz in Lust umzumünzen, sondern dann brauchen die Brüste erst einmal eine lokale Behandlung, Stillberatung und ein Abheilen der verletzten Stellen.

Wenn ihre Brüste dauerhaft nicht genug Milch zum Stillen produzieren, empfinden dies viele wie ein Defizit an Mütterlichkeit. Unabhängig von einem Milchfluss können die Brustknospen jedoch Pheromone produzieren, die dem Baby den Weg weisen. Damit können bei der Brustberührung sowohl für das Baby als auch für die Mutter Glückshormone freigesetzt werden. So kann nicht nur Stillen, sondern auch milchfreies Saugen für beide zum wohligen Vergnügen werden und die Bindung fördern.

Es heißt ja immer wieder, dass jedes Körperteil prinzipiell ekstasefähig sei. Aber die Brustknospen wie die Klitoris und ihre Schenkel in der Vulva, sowie deren Genussflächen (G-Punkte) sind mit besonders vielen Nervenenden ausgestattet und können so mehr sexuelles Empfinden erzeugen. Bei manchen Frauen zeigt sich sogar eine starke energetische Verbindung zwischen Brustknospen und Vulva, die sich gegenseitig beleben können. Die Art der ekstatischen Energie, die diese beiden Zentren weiblicher Lust verbindet, macht das individuelle Lustpotenzial einer Frau aus.

Körperwahrnehmung fördern

Brustbewusstsein und Brustlust lassen sich durch die beschriebenen Berührungen fördern. Da dies aber für viele Frauen nicht selbstverständlich ist oder sie die Selbstberührung aus erfahrener Körperabwertung oder Körperentfremdung heraus scheuen, können Hebammen hier als Expertinnen für Frauengesundheit ein wichtiges Gegengewicht zu alten frauenignorierenden Gesundheitsautoritäten bilden. Sie können Frauen ermuntern, selbst zu Expertinnen für ihre Brustgesundheit zu werden, indem sie ihr stolzes Brustbewusstsein und ihre frohe Wahrnehmung eines ureigenen Körper-Schatzes durch tägliche Selbstberührung immer wieder neu herstellen.


Hinweis:

Film-Tipp: »Menschen hautnah«

Kann Tantra helfen, dem Alltagstrott etwas entgegenzusetzen, kranken Menschen ein neues Körpergefühl zu geben oder ein Paar wieder zu vereinen? Werden die TeilnehmerInnen mit neuer Leichtigkeit oder mit neuen Problemen in ihren Alltag zurückkehren? In einem Videopodcast des WDR, erstmals ausgestrahlt im Juli 2020, kann dieser Frage »nachgehört« werden:

 https://www1.wdr.de/fernsehen/menschen-hautnah/sendungen/unter-nackten-100.html


Zitiervorlage
Schulte, C. (2021). Lust in der Brust. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 73 (2), 28–30.
Literatur
Ayalah D: Brüste: Frauen sprechen über ihre Brüste und ihr Leben. Courage Frauenbuchverlag, Berlin 1983

Love S: Das Brustbuch: Was Frauen wissen wollen. Limes, dtv, München 1996

Olbricht I: Brustansichten: Selbstverständnis, Gesundheit und Symbolik eines weiblichen Organs. Orlanda Frauenverlag, Berlin 2002

Newman F: Sie liebt Sie. Das Lesbensexbuch. Orlanda Frauenverlag, Berlin 2008

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