»Blutabnehmen ist für das Neugeborene häufig schmerzhaft und auch für die Mutter belastend. Es sollte so schonend wie möglich durchgeführt werden. Stillen, Saugen und eine süße Flüssigkeit im Mund lindern nachweislich Schmerzen.« Foto: © panthermedia/imago

Die Kinder-Richtlinie verpflichtet GeburtshelferInnen und Hebammen dazu, jedem Neugeborenen für Screening-Untersuchungen Blut abzunehmen – es sei denn, die Eltern widersprechen. In dieser als geringfügig erscheinenden Routine wird bereits kurz nach der Geburt das große Thema der körperlichen Unversehrtheit manifest: Auf der einen Seite die Früherkennung von Erkrankungen, auf der anderen Seite die erste invasive Intervention.

Neben dem Screening aus einer Blutprobe wurden die Untersuchungen auch auf andere Verfahren erweitert: 2009 um das Neugeborenen-Hörscreening und 2016 um das Pulsoxymetrie-Screening.

Auch die Ultraschalluntersuchung der Hüften ist in der Kinder-Richtlinie als Screening-Untersuchung festgelegt, aber ihre Durchführung erst zur U3 im Alter von vier bis sechs Wochen. Hier gilt wie bei allen Screenings, dass bei Hinweisen auf eine Erkrankung die Untersuchung dann unabhängig vom Screening durchgeführt werden muss, wenn zum Beispiel Risikofaktoren oder auffällige klinische Befunde vorliegen (Gramer et al. 2018).

Nicht zum Screening gehören Ultraschall-Untersuchungen des Gehirns, des Herzens und der Nieren. Werden diese dennoch durchgeführt, müssen die Eltern des Kindes zuvor über die Möglichkeiten und Grenzen der Untersuchungen aufgeklärt werden (siehe Kasten).

Das Neugeborenen-Screening erscheint allen Fachleuten alt, vertraut, selbstverständlich. In der Bundesrepublik ist es in der sogenannten »Kinder-Richtlinie« verankert. Begonnen hat es 1969/70 mit dem Screening auf Phenylketonurie, dem »Guthrie-Test«: Dessen Namensgeber hatte einen einfachen und günstigen Test entwickelt und es gab eine Behandlungsmöglichkeit für die Erkrankung. Die Diagnosestellung innerhalb der ersten Lebenstage und der sofortige Therapiebeginn wandelten das Schicksal einer schwersten Mehrfachbehinderung in ein normales Leben.

Dieses Krankheitsbild erfüllt vorbildlich die definierten Standards einer Screening-Untersuchung (siehe Kasten).

Voraussetzungen für Screening-Untersuchungen
Das Ergebnis eines Screenings muss für die untersuchte Person einen individuellen Nutzen haben, das heißt:

  • Es gibt therapeutische Optionen.
  • Die Untersuchung soll für die Person wenig belastend und einfach durchzuführen sein.
  • Das Testverfahren muss gut sein: Es darf nur eine geringe Zahl falsch-positiver und/oder falsch-negativer Ergebnisse haben.
  • Die Untersuchung soll zeit- und kostengünstig sein.
Aufklärung und Einwilligung
  • Eltern können nach ausführlicher Aufklärung das Screening verweigern, dies müssen sie per Unterschrift dokumentieren.
  • Zu jeder Blutentnahme bei einem Kind muss ein Untersuchungsergebnis vorliegen, dies ist zu kontrollieren.
  • Die gesamte Organisation und Durchführung liegen in der Verantwortung des Arztes, der Ärztin oder Hebamme, der oder die die Geburt verantwortlich geleitet hat.
  • Auch weiterbehandelnde KinderärztInnen müssen sich über erfolgte Screenings informieren.

Gesetzliche Grundlagen und klinikinterne Abläufe

Alle Vorgaben zum Neugeborenen-Screening sind in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern festgelegt und haben damit Gesetzes­charakter: Diese Kinder-Richtlinie wurde zuletzt am 16. März 2018 aktualisiert. Darin sind auch ausführliche Bestimmungen zur Art der Durchführung, zum Zeitpunkt, zum Probenversand, zur Organisation, zu Verantwortlichkeiten, zur Ergebnisübermittlung und vielem mehr festgelegt.

Wesentlicher Punkt ist, dass praktisch für jeden Schritt (außer für die technische Durchführung) derjenige verantwortlich ist, der die Geburt verantwortlich geleitet hat. Zwar wird im Alltag vieles wie Aufklärung, Versand, Befundmitteilung von anderen gemacht, beispielsweise von Schwestern oder kinderärztlichen KollegInnen, aber im Streitfall ist die Verantwortlichkeit klar. Wenn es Regelungen mit den PädiaterInnen oder anderen gibt, sollten diese in abteilungsinternen Arbeitspapieren klar festgeschrieben sein. Diese Standardarbeitsanweisung (Standard Operating Procedure – SOP) muss von beiden Seiten unterzeichnet werden. Dies gilt insbesondere auch für die Rücklaufkontrolle: Wann wurde die Blutabnahme durchgeführt, die Screening-Karte versandt, das Ergebnis dokumentiert und kontrolliert, ob zu jedem Kind eine vollständige Dokumentation vorliegt?

Ein kritischer Punkt ist auch, wer wann und wie die Eltern informiert, wenn ein pathologischer Befund eingeht. In § 10 ist das sehr klar formuliert: Der Einsender oder die Einsenderin bekommt die Information und ist verpflichtet, unverzüglich die Eltern zu informieren, sie auf die umgehende Abklärung in einem spezialisierten Zentrum hinzuweisen und sie mit den entsprechenden Telefonnummern der SpezialistInnen zu versorgen. Und dies alles soll auch noch akribisch dokumentiert werden. Zwar wird man das auf Seiten der GeburtshelferInnen in der Regel schnellstmöglich an einen Pädiater oder eine Pädiaterin delegieren, aber alle sollten wissen, dass bei der Mitteilung zunächst einmal nur von einem »Verdacht auf« gesprochen wird, und dass der nächste Schritt die definitive Diagnose oder auch der Ausschluss durch Spezialuntersuchungen ist.

Wichtig ist, dass allen bewusst ist, dass bei den Stoffwechselstörungen Stunden zählen können, etwa bei Phenylketonurie, Galaktosämie, Adrenogenitalem Syndrom oder Hypothyreose. Damit ist gemeint, dass das Kind sofort mindestens in einer Kinderklinik vorgestellt werden muss.

Beim Screening auf Mukoviszidose ist diese Eile nicht erforderlich. Hier ist wegen des komplexen Untersuchungsganges die richtige Spezialadresse mit einer Telefonnummer zur Terminvereinbarung wichtig. Und diese Information wird besser nicht an einem Freitagnachmittag übermittelt, wenn keine kompetenten AnsprechpartnerInnen mehr zu erreichen sind. Auch hier kann ein entsprechender Informationsbogen zu den lokalen Gegebenheiten hilfreich für alle Beteiligten sein.

Blut abnehmen und Schmerzen lindern

Alle Screening-Untersuchungen werden erst nach umfassender Aufklärung der Eltern durchgeführt. Hierzu steht umfängliches Informationsmaterial zur Verfügung, das in der Kinder-Richtlinie hinterlegt ist (derzeit 28 Seiten). Die Unterschrift mindestens eines Elternteils ist erforderlich. Auch bei Ablehnung muss dies durch Unterschrift nach ausführlichster Aufklärung dokumentiert werden. Hier empfiehlt es sich, beide Eltern unterschreiben zu lassen. In einem solchen Fall muss eine leere Filterkarte an das Screening-Labor geschickt werden.

Blutabnehmen ist für das Neugeborene häufig schmerzhaft und auch für die Mutter belastend. Es sollte so schonend wie möglich durchgeführt werden. Stillen, Saugen und eine süße Flüssigkeit im Mund lindern nachweislich Schmerzen bei Neugeborenen (Carbajal et al. 1999; Stevens et al. 2016).

Deshalb sollten dem Kind zwei Minuten vor der meist üblichen Fersenpunktion einige Tropfen einer 30-prozentigen Glukoselösung in den Mund gegeben werden, zum Beispiel eine Ampulle mit 0,7 ml Glux. Dann sollte die Mutter dem Kind ihren Finger zu Saugen anbieten. Auch die Blutabnahme während des Stillens ist eine Option. Idealerweise kann eine Vereinbarung mit den das Kinderzimmer betreuenden KinderärztInnen geschlossen werden, dass die Blutabnahme intravenös erfolgt, was schmerzärmer als die kapilläre Durchführung ist.

Es ist wichtig zu wissen, dass die Qualität der Bluttropfen entscheidend ist und die Zahl notwendiger Kontrollen verringert. Die gleichmäßige Durchfeuchtung ist dabei ganz wesentlich. Trotz der zunehmenden Zahl an untersuchten Erkrankungen werden weiterhin nur wenige, gute Blutstropfen benötigt.

Als optimaler Zeitpunkt der Blutentnahme ist 48 bis 72 Stunden nach der Geburt angegeben, nicht vor 36 Stunden. Versäumte Abnahmen sind unverzüglich nachzuholen. Früher abgenommene Blutproben können zu falsch positiven oder falsch negativen Ergebnissen führen. Wenn das Kind bei Entlassung jünger als 36 Stunden ist, ist daher die Hebamme oder die geburtshilfliche Abteilung verpflichtet, ein Screening abzunehmen und die Eltern auf die Notwendigkeit einer termingerechten Wiederholung hinzuweisen (§ 20 (2)).

Die Proben müssen täglich versendet werden, um schnellstmöglich ein Ergebnis zu bekommen: Laut § 21 (5) soll das Versanddatum mit dem Abnahmedatum identisch sein. Entsprechend können die Karten nicht über mehrere Tage gesammelt werden. Ideal ist, wenn auch ein Probenversand am Wochenende so organisiert werden kann, dass die Proben vom Wochenende (ab Freitagnachmittag) am Montagmorgen mit der ersten Post im Screening-Labor sind.

Spezielle Probleme

Durch die Entwicklung neuer Testverfahren hat sich die Zahl der zu untersuchenden und therapiebaren Stoffwechsel- beziehungsweise endokrinologischen Erkrankungen auf 13 erhöht (erweitertes Neugeborenen-Screening). Zuletzt ist 2018 die Untersuchung auf Tyrosinämie Typ I hinzugekommen.

Absehbar werden weitere Erkrankungen in den Katalog aufgenommen, weil die Diagnostik zur Verfügung steht und sich auch neue therapeutische Möglichkeiten ergeben. Zu den Kandidaten gehören Cystinose, Sichelzellanämie, spinale Muskelatrophie und der schwere kombinierte Immundefekt (SCID). Die entsprechenden Kommissionen haben die Arbeit bereits aufgenommen.

Die Bluttropfen der Neugeborenen lassen noch viele Möglichkeiten zu. Voraussetzung für jede weitere Untersuchung ist aber, dass sich daraus therapeutische Konsequenzen zum Wohle der PatientInnen ergeben (Gramer et al. 2017). Es ist möglich, im Einzelfall mit dem Screening-Labor Kontakt aufzunehmen, wenn andere Fragestellungen im Raum stehen. Dazu gehört zum Beispiel auch der Verdacht auf einen angeborenen Vitamin-B12-Mangel bei veganer Ernährung in der Schwangerschaft ohne adäquate Substitution (Sarafoglou et al. 2011)

Mukoviszidose

Schon 1973 hatte es mit dem BM-Test (Albumin im Mekonium) den ersten Versuch eines Screenings auf Mukoviszidose gegeben. Wegen zu geringer Sensitivität wurde er aber bald zurückgezogen. Seit 2017 gehört das Screening auf Mukoviszidose zum Programm, da es in unseren Breiten die häufigste rezessive Erbkrankheit ist und ein früher Behandlungsbeginn den Verlauf positiv beeinflusst.

Die Untersuchung wird ebenfalls aus der Screening-Karte gemacht. Hier ist besonders darauf zu achten, dass die Blutabnahme nicht mit einer Kapillare gemacht wird und dass zum Trocknen weder die Sonne noch die Heizung Unterstützung leisten. Das kann das Ergebnis verfälschen.

Dieser Untersuchung liegt ein aufwendigeres, oft mit drei Untersuchungsschritten gekoppeltes Verfahren zugrunde. Neben der Messung von zwei Pankreas-spezifischen Enzymen im Serum ist der letzte Schritt gegebenenfalls eine Mutationsanalyse (DNA-technologisch). Dennoch ist statistisch von fünf als positiv getesteten Kindern nur eines erkrankt! Allein der Schweißtest (Pilocarpin-Iontophorese) sichert die Diagnose.

Hörscreening

Seit 2009 gehört das Hörscreening zum Katalog der Neugeborenen-Untersuchungen. Ziel ist es, bis zum Alter von drei Monaten eine therapiebedürftige Hörstörung sicher auszuschließen beziehungsweise eine Behandlung einzuleiten. Durch die verbesserte Hörfähigkeit wird den betroffenen Kindern ein altersgerechter Spracherwerb ermöglicht. Diese Untersuchung hat ihre Tücken und die Vorgaben des Gesetzgebers sind nicht leicht einzuhalten: Er schreibt vor, dass die Untersuchung beider Ohren bis zum dritten Lebenstag erfolgt sein soll mittels otoakustischer Emissionen (OAE) oder Hirnstammaudiometrie (AABR). Bei fehlendem oder pathologischem Ergebnis soll die Kontrolle mittels AABR am selben Tag erfolgen, spätestens bis zur U2. Auch hier liegt die Verantwortung bei dem für die Geburt Verantwortlichen. Wichtig ist die Dokumentation, am besten im Vorsorgeheft, damit die Information beim Kind ist. Wegen nicht oder zu spät erfolgter Kontrollen hat es bereits mehrere Schadensersatzfälle gegeben. Und über die finanziellen Aspekte, der Untersuchung etwa für Personal und Geräte, schweigt sich der Gesetzgeber aus. Das ist Sache der Kostenträger.

Pulsoxymetrie

Das Pulsoxymetrie-Screening auf kritische angeborene Herzfehler ist 2016 in die Kinder-Richtlinie aufgenommen worden. Ziel ist es, die Neugeborenen zu entdecken, deren Herzfehler nach Umstellung des fetalen Kreislaufes (Verschluss des Ductus arteriosus Botalli) innerhalb kürzester Zeit zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen kann und damit auch die Chancen auf einen erfolgreichen operativen Eingriff verschlechtert. Zu den gesuchten Erkrankungen gehören das hypoplastische Linksherz, die Pulmonalatresie, die Fallot-Tetralogie sowie schwere Aortenfehlbildungen.

Die Sauerstoff-Sättigung wird im Alter von 24 bis 48 Stunden am Fuß mit einem validierten Pulsoxymeter gemessen. Alle Werte über 95 % sind in Ordnung. Bei Werten unter 90 % muss eine sofortige weiterführende Untersuchung veranlasst werden, eine klinische Echokardiografie. Dies gilt auch, wenn bei einer Kontrolle von Werten zwischen 90 und 95 % nach zwei Stunden der Wert erneut unter 96 % liegt.

Dieses Verfahren ist störanfällig. Schätzungen gehen davon aus, dass die Mehrzahl der auffälligen Befunde sich durch eine nicht-kardiale Ursache erklären. Und wie bei allen Screening-Untersuchungen werden auch durch dieses Verfahren einzelne Kinder mit einem solchen Herzfehler nicht entdeckt. Zahlen aus Amerika, wo dieses Screening in einigen Staaten schon 2011 eingeführt wurde, sprechen von einer relativen Abnahme des Sterberisikos aufgrund eines kritischen Herzfehlers um durchschnittlich 30 % (Abouk et al. 2017). Eine Validierung dieses Verfahrens in Deutschland ist angekündigt.

Resümee für die Praxis

Mit dem Neugeborenen-Screening konnte in den vergangenen fast 50 Jahren vielen Kindern eine schwere Behinderung und den Eltern viel Leid erspart werden. Parallel zum medizinischen Fortschritt wird dieses System ständig überprüft und erweitert.

Das erweiterte Neugeborenen-Screening, das eine Blutabnahme beim jungen Säugling erfordert, ist mit besonderen Emotionen belastet. Hier ist es nötig, dass neben einer guten Abnahmetechnik auch die nicht-medikamentöse Schmerzlinderung immer gewährleistet ist.

Das Ergebnis einer Screening-Untersuchung zeigt erst einmal nur einen Verdacht, die definitive Abklärung muss in einer spezialisierten Abteilung erfolgen. Einige der Untersuchungsergebnisse sind sehr zeitkritisch, so dass der Ehrgeiz aller dahin gehen sollte, schnellstmöglich ein Ergebnis zu erhalten und den Probenversand entsprechend zu organisieren.

Die Kinder-Richtlinie, in der auch das Neugeborenen-Screening niedergelegt ist, hat Gesetzescharakter. Sie gibt an, welche Untersuchungen in den ersten Lebenstagen wie an den Neugeborenen durchgeführt werden sollen. Nur die definitive Weigerung der Eltern (mit Unterschrift) nach qualifizierter Aufklärung erlaubt es, hiervon abzuweichen. Die Durchführung liegt in der Verantwortung dessen, der oder die die Geburt verantwortlich geleitet hat. Es ist dringend anzuraten, alle Abläufe und auch die Delegation an Dritte in abteilungsinternen Arbeitspapieren (SOP) niederzulegen. Eine besondere Herausforderung stellt die Kinder-Richtlinie an Hebammen, die Hausgeburten durchführen. Die Anforderungen der Kinder-Richtlinie umzusetzen, ist auch bei ambulanten Geburten eine aufwendige und verantwortungsvolle Aufgabe.

Nachgefragt

Peggy Seehafer: Wie häufig sind ernsthafte Hörprobleme bei Neugeborenen?

Prof. Dr. Evelyn Kattner: Bei gesunden Neugeborenen wird eine Schwerhörigkeit bei zwei bis drei von 1.000 Kindern auf einem Ohr und bei 1,3 von 1.000 auf beiden Ohren festgestellt und behandelt. Wichtig ist die Diagnosestellung in den ersten drei Lebensmonaten. Die Untersuchung sollte bis zum dritten Tag stattfinden.

Erfahrungsgemäß haben etliche Kinder dann aber noch reichlich Fruchtwasser in den Ohren und die Tests sind nicht aussagekräftig und müssen wiederholt werden. Das stört den Bindungsaufbau erheblich, weil Eltern verunsichert werden. Wäre es nicht sinnvoller, den Test später anzusetzen?

Theoretisch ist das richtig, aber der nächste Termin für die Kinder in einer Gesundheitseinrichtung ist erst die U3 mit drei bis vier Wochen. In diesem Alter wird es schon schwierig, die Kinder in der Praxis zum Schlafen zu bringen, um die Untersuchung durchführen zu können. So geht man davon aus – und das zeigt auch die Praxis, dass bei mehr als 90 % der Kinder ein Ergebnis erreicht werden kann.

Das Pulsoxymetrie-Screening wird zumeist nach vier bis sechs Stunden postnatal durchgeführt und danach nicht wiederholt, wenn keine Auffälligkeiten bestehen. Das bedeutet, dieses Vorgehen entspricht in keiner Weise den gesetzlichen Vorgaben. Und Frauen, die kurz nach der Geburt nach Hause gehen, müssten ihre Kinder erneut untersuchen lassen?

Ja, so früh ist die verschlechterte Sauerstoffversorgung an der unteren Ex­tremität noch nicht zu erkennen, da bei vielen Kindern der Ductus Botalli physiologischerweise noch ausreichend offen ist. Die Wiederholung in diesem engen Zeitfenster von 24 Stunden ist unbedingt erforderlich, weil sonst betroffene Kinder bereits in einen lebensgefährlichen Zustand geraten sein können.

Das würde bedeuten, dass sich alle Wochenbetthebammen ein Pulsoxymeter zulegen und der Klinik als verantwortlicher Geburtseinrichtung den Wert melden müssten. Frauen ohne Hebammenbetreuung müssten zur Kontrolle wieder in die Klinik kommen? Oder die Frauen dürften nicht entlassen werden, bevor die Untersuchung stattgefunden hat.

Ja. Hinzu kommt noch, dass es ein validiertes Pulsoxymeter sein muss, da es um die Entdeckung geringer Unterschiede geht. Trotz pränataler Untersuchung ist mit unentdeckten Herzfehlern zu rechnen. Schwere Herzfehler werden bei vier von 10.000 Neugeborenen beobachtet. Die Auskultation alleine ist nicht ausreichend.

Der Mekoniumtest wurde nach vielen Jahren abgeschafft, mit der Begründung, die Krankheit würde mit Ausbruch deutlich werden und dann entsprechend behandelt werden. Nun plötzlich ist es doch wieder dringend, ein Screening durchzuführen. Gibt es neue Therapieansätze für Mukoviszidose, die das rechtfertigen?

Es hat sich gezeigt, dass die Kinder, wenn sie durch ihre Lungenprobleme auffallen und diagnostiziert werden, meist schon irreversible Veränderungen haben. Ein früher Behandlungsbeginn der zugrundeliegenden Pankreasinsuffizienz, schon bevor Symptome auftreten, verbessert die Prognose der Lungenfunktion und der Gewichtsentwicklung. Auch die Behandlung von Infekten wird einer angepassten Strategie folgen, um die Besiedelung der Luftwege mit unerwünschten Erregern zu minimieren.

Die größten Probleme sehe ich in der Organisation: Die Karten gehen mit der Post raus, Feiertage und Wochenende liegen dazwischen. Labore sammeln die Befunde und senden sie nur einmal in der Woche aus. Sie kontrollieren nicht, ob der Empfänger den Befund tatsächlich erhalten hat. Befundübermittlungen per E-Mail entsprechen nicht dem Datenschutz, Fax-Geräte gehören nicht mehr zur normalen Ausstattung. Aber auf jeder Testkarte wird die Telefonnummer der Eltern angegeben, so dass das Labor die Eltern zur Kontrolle bitten kann. Sind die Labore berechtigt, den Eltern telefonisch den Befund zu übermitteln und stellen sie den Kontakt zur weiteren Betreuung des Kindes her?

Es ist nicht akzeptabel, dass die Karten gesammelt werden. Die Entbindungsstationen sollen die Karten selbst versenden, zumindest den Briefumschlaf in die Poststelle geben. Die Labore versenden nur die Normalbefunde gesammelt. Über pathologische Ergebnisse wird in der Regel der Einsender telefonisch informiert. Den Eltern sind Telefonnummern zu den nächsten Zentren mit StoffwechselspezialistInnen oder EndokrinologInnen mit 24-stündiger Erreichbarkeit mitzuteilen. Das heißt, jede Hebamme sollte die Telefonnummern für Notfallberatungen kennen. Alternativ kann man auch eine Vereinbarung mit kooperierenden PädiaterInnen treffen, die die Erstinformation übernehmen. Formal ist die Information der Eltern durch das Labor nicht korrekt, wird aber von einigen aus praktischen Gründen gemacht.

Selbst die unverzügliche Befundweitergabe des Labors an den Einsender oder an die Eltern hat ja nicht zur Folge, dass diese sich mit dem vermeintlich auffälligen Neugeborenen sofort bei SpezialistInnen vorstellen können. Da brauchen wir nur in den ländlichen Bereich schauen. Wenn Stunden zählen, wäre dann ein unverzüglicher Transport mit dem Rettungsdienst nötig?

Für Störungen der Aminosäuren gilt die Empfehlung, dem Kind ab sofort keine Milchnahrung mehr zu füttern und notfalls per Rettungsdienst die nächste Kinderklinik aufzusuchen. Angeboten werden sollten Zucker- oder Maltodextrin-Lösungen, falls mehr Zeit vergeht. Für das Adrenogenitale Syndrom (Salzverluststörung) und Störungen der Fettoxidation gilt auch die zügige Klinikeinweisung, da die Kinder durch einen akuten Tod bedroht sind. Nur der Verdacht auf eine Mukoviszidose ist kein Notfall.

Zitiervorlage
Kattner E: Erweitertes Neugeborenen-Screening: Die erste Blutprobe. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2019. 71 (1): 8–13
Literatur
Abouk R, Grosse SD, Ailes EC, Oster ME: Association of US State implementation of newborn screening policies for critical congenital heart disease with early infant cardiac deaths. JAMA 2017. 318: 2111–2118

Carbajal R, Chauvet X, Coudere S, Oliver-Martin M: Randomised trial of analgesic effects of sucrose, glucose, and pacifiers in term neonates. BMJ 1999. 319(7222):1393–1397

Gramer G, Hauck F, Lobitz S, Sommerburg O, Spekcmann C, Hoffmann GF: Neugeborenenscreening 2020 – Perspektiven der Krankheitsfrüherkennung. Monatsschr Kinderheilkd 2017. 165: 216–255

Gramer G, Nennstiel-Ratzel U, Hoffmann GF: 50 Jahre Neugeborenen-Screening in Deutschland. Monatsschr Kinderheilkd 2018.166: 987–993

Sarafoglou K, Rodgers J, Hietala A, Matern D, Bentler K: Expanded newborn screening for detection of vitamin B12 deficiency. JAMA 2011. 305: 1198–1200

Stevens B, Yamada J, Ohlsson A, Haliburton S, Shorkey A: Sucrose for analgesia in newborn infants undergoing painful procedures. A Cochrane Database Syst Rev 2016

https://staudeverlag.de/wp-content/themes/dhz/assets/img/no-photo.png